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37. Prozesstag: 22. November 2001
(Korrigierte Fassung)
Leistungsshow des BKA
Gut ein Dutzend ZuhörerInnen fanden sich bei der heutigen
Polizeischau vor dem Kammergericht ein. Ausnahmslos Kriminalbeamte
bestritten als Zeugen das Programm. Sie wurden schwerpunktmäßig
zu den diversen Sprengstofffunden befragt, bei denen das Bundeskriminalamt
(BKA) einen Bezug zu den Revolutionären Zellen/ Rote Zora vermutet.
Haplastit & Gelamon
Kriminalhauptkommissar Bernd D., 48, vom BKA eröffnete den
Reigen und wurde zu drei Ereignissen befragt, die mit der Verwendung
von Sprengstoffen in Verbindung stehen sollen. Sein erster Einsatz
hätte vor dem im Bau befindlichen Biotechnologisches Institut
der Universität in Braunschweig stattgefunden. Dort wäre
ein trapezförmiger unkonventioneller Sprengkörper aufgefunden
worden, bei dem zwar der Zünder, nicht aber die Sprengmasse
selber an der Außenwand des Gebäudes explodiert wäre.
Die verwendete chemische Substanz wäre später als ein
unter dem Namen Haplastit handelsüblicher Sprengstoff aus der
DDR identifiziert worden. Er konnte sich weiterhin an mehrere Bekennerschreiben
der Roten Zora erinnern, deren Inhalt und die darin enthaltenden
Begründungen ihm allerdings nicht mehr präsent seien.
Auch bei seinem zweiten Auftritt, im September 1988, wäre
das BKA auch nur Stunden nach der Meldung bereits am Tatort eingetroffen.
Diesmal konnte in einer Waldschonung bei Bielefeld eine eingegrabene
Mülltonne inspiziert werden, die PilzsucherInnen zufällig
entdeckt haben wollen. Verteilt in zwei Eimern wären dort über
10 kg Haplastit 60 in patronierter Originalverpackung deponiert
worden, wie auch das Sprengmittel Gelamon 40. Durch das in die Tonne
eingedrungene Wasser wären beide Substanzen unbrauchbar geworden.
Spätere Ermittlungen hätten ergeben, dass beide Stoffe
aus einem Einbruch in Salzhemmendorf stammen würden.
Und damit schloss sich die Befragung des Zeugen über einen
Einbruch in den Lagerbunker einer Kiesgrube bei Salzhemmendorf im
Sommer 1987 an. Dort wären über 100 kg Gelamon 40, 25
kg Haplastit 60, 195 m Sprengschnur und einige Zündmaschinen
entwendet worden. Die weiteren Ermittlungen hätten ergeben,
dass der Sprengstoff mit dem in Bielefeld gefundenen und in Braunschweig
verwendeten angeblich identisch sei. Der Einbruch wäre deshalb
der Roten Zora zugeordnet worden, weil eine Beteiligung Dritter
wg. der abgeschotteten Gruppenstruktur nicht zu vermuten sei. Außerdem
hätten auch andere Ermittlungsversuche zu keinen anderen Erkenntnissen
geführt, die aber wohl nicht mit dem sonst üblichen Nachdruck
durchgeführt wurden, wie durch Nachfragen der Verteidigung
deutlich wurde.
Jörg B., 39, Kriminalbeamter aus Bingen, wurde als nächster
zu seinem Wissen befragt. Er konnte sich durch intensives Aktenstudium
an Einzelheiten eines Anschlages auf die Staatskanzlei in Düsseldorf
im Januar 1991 erinnern. Auch dort wäre Gelamon 40 in einem
trapezförmigen Sprengkörper entdeckt worden, in einem
mit Glasfaser verstärktem Pappgehäuse. Das BKA, wieder
kurz nach dem Fund am Tatort, hätte dort weiterhin als Zündvorrichtung
ein Kienzle Quarz Wecker mit Akku sichergestellt, dessen Herkunft
nicht nachgewiesen worden wäre. Auch beim Anschlag auf die
Siegessäule im Januar 1991 in Berlin sei vermutlich der gleiche
Sprengstoff verwendet worden. An weitere Einzelheiten, besonders
die technischen Untersuchungen der verwendeten Mittel, konnte sich
der Zeuge angeblich nicht mehr erinnern.
Welche Los-Nummer haben Sie?
Im Mittelpunkt des Interesses am heutigen Verhandlungstag stand
der Polizeibeamte Klaus Möller, 38 Jahre alt. Er hatte im November
1997 im Auftrage des BKA-Ermittlungsführers Schulzke einen
Auswertungsbericht über Anschläge oder Funde gefertigt,
bei denen Haplastit und/ oder Gelamon verwendet worden seien. Dabei
sollte er die Übereinstimmung der dabei eingesetzten chemischen
Substanzen überprüfen und hätte diese in sechs Fällen
festgestellt. Mit Hilfe einer Rastermethode hätte er die gespeicherten
Daten im BKA gequält und habe dabei letztlich Identitäten
bei drei Anschlägen (in Berlin, Braunschweig und Düsseldorf)
und drei Funden (in Berlin, Bielefeld und Duisburg) herausgefunden.
Als Grundlage für seine Auswertung der technischen Daten hätte
er lediglich Akten, Fotos und andere Ermittlungsergebnisse der jeweils
zuständigen Sachdienststellen benutzt, habe aber selber keinerlei
eigene Ermittlungen angestellt. Die qualitative Beschaffenheit,
Originalverpackungen, Los-Nummern, Kisten-Nummern und andere Lieferkennzeichnungen
hätten ihm bei seinen Feststellungen als Merkmale gedient.
Wieso, weshalb, warum?
Die sich anschließende intensive Befragung durch die Verteidigerinnen
Würdinger und Studzinsky ergab eine ganze Reihe von Merkwürdigkeiten
beim Erstellen dieser Auswertung. So hätte z.B. der Datenabgleich
weitaus mehr gespeicherte Fälle zu Tage gefördert, in
denen Gelamon und Haplastit verwendet wurden. Die vom Zeugen vorgenommene
o.g. Eingrenzung sei nicht mehr völlig schlüssig nachzuvollziehen.
Weiterhin sei über eine Sprengstoffsofortmeldung bereits 1995
dem BKA der entsprechende Fund in Berlin bekannt gewesen. Obwohl
diese Nachricht in der Folgezeit mindestens fünf verschiedenen
Dienststellen zur Kenntnis gebracht worden sei, habe die Zuordnung
offenbar erst 1 1/2 Jahre später im Rahmen der Auswertung stattgefunden.
Dies stehe im deutlichen Widerspruch zu den sonst äußerst
zeitnahen Aktivitäten dieser Behörde. Den Hintergrund
für diese ungewöhnliche Verzögerung konnte der Zeuge
sich und allen anderen Prozessbeteiligten auch nicht erklären.
Die nächste Ungereimtheit sei nach Ansicht der Verteidigung
einem Aktenvermerk zu entnehmen, in dem der bereits erwähnte
BKA-Beamte Schulzke das Auswertungsergebnis vorwegnimmt. Darin weist
er nämlich den Zeugen Möller auf die Identität des
gefundenen Sprengstoffes in Berlin mit dem entwendeten in Salzhemmendorf
vorab hin, während das ja eigentlich erst Resultat genau seiner
Recherche werden sollte.
Kisten- oder Los-Nummer? Export oder Abnahme durch
Armeebeamte?
Für
Zündstoff sorgte dann der Vorhalt aus einem Schreiben des Zeugen
selber an die Fa. Westspreng, Importeur der beim VEB Schönebeck
hergestellten Sprengmittel und Lieferer u.a. nach Salzhemmendorf.
In diesem Schreiben beschwert sich Möller über die unzureichende
Antwort der Polizeidienststelle im sachsen-anhaltinischen Schönebeck
bezüglich des beim VEB Schönebeck 1987 produzierten Sprengstoffs.
Von dort kam nämlich die niederschmetternde Auskunft, dass
am 09.02.87 keine Marge mit der Kisten-Nummer 572 exportiert worden
sei. Dieses Datum und diese Nummer waren auf der Originalverpackung
des Sprengstoffs aufgedruckt, welcher 1995 aus Mouslis Keller gestohlen
worden war. Laut Angaben des zuständigen Polizeireviers habe
der VEB Schönebeck am 9.2.87 gar keinen Sprengstoff mit der
Kisten-Nummer 572 produziert. Möglicherweise könnte es
sich bei dieser Kennzeichnung um eine Los-Nummer handeln, welche
bei der Lieferung an sog. "Sonderbedarfsträger", wie NVA oder
MfS, verwandt wurden. Diese Lieferungen wurden vor der Auslieferung
durch Armeebeamte abgenommen. Somit könnte das genannte Datum,
der 9.2.87, möglicherweise das Abnahmedatum bezeichnen.
Aber das Schreiben brachte noch mehr zum Vorschein. Im weiteren
Verlauf des Briefes verlangt nun Möller, nach dieser offensichtlich
nicht ins BKA- Ermittlungskonzept passenden Antwort aus dem Ostteil
der Republik, ersatzweise von der Fa. Westspreng im "Westen"
eine Bestätigung über die ordnungsgemäße Kennzeichnung
der fraglichen Lieferung. Die Anwort von Westspreng fiel dann wie
gewünscht aus, möglicherweise ermuntert durch den vorangehenden
schriftlichen Hinweis des BKA- Beamten, das Sprengstoffgesetz schreibe
schliesslich eine ordnungsgemäße Abwicklung zwingend
vor. Die letzte Verwirrung des heutigen Prozesstages stiftete dann
die Frage der Verteidigung nach dem Grund für den Zeugen, sich
beim LKA Berlin nach dem Stand der Ermittlung des Fundes in der
Stadt zu erkundigen. Nun konnte offenbar selbst das Gericht die
Fülle der offenen Fragen nicht mehr übersehen, denn der
Zeuge wurde nur für heute entlassen und abschließend
vereidigt, ... so wahr mir Gott helfe! Das scheint auch ein wenig
nötig.
Das Ende
Spät am Nachmittag kam noch Uwe B., 41, Kriminalbeamter aus
Berlin, zum Zuge. Er wurde zu einem angeblichen Fahrzeugfund im
Fall 'Korbmacher' befragt. Bei dem Passat hätte es sich um
eine Doublette gehandelt, die in der Ihnestr. aufgestöbert
wurde. Der Wagen sei vorher eine längere Zeit nicht bewegt
worden und, versteckt unter einem Helm, wäre ein unkonventioneller
Brandsatz (Benzinkanister mit Kabeln) entdeckt worden, der sich
aber nicht entzündet hätte. Die Polizeitechnische Untersuchungsstelle
(PTU) hätte das Fahrzeug untersucht, Einzelheiten wären
ihm aber nicht mehr gewahr: "...die Sache ist schon 'ne ganze Weile
her." Wie wahr.
Erbarmen mit den ZuhörerInnen hatte dann endlich der letzte
Zeuge des Tages, Werner W., 58, auch Kriminalbeamter aus Berlin.
Er hatte einfach keinen Schimmer mehr. Das änderte sich auch
nicht, nachdem ihm die Vorsitzende Richterin Hennig in ihrer einmaligen
und einfühlsamen Art den gesamten Inhalt eines angeblich damals
von ihm verfassten Berichtes referiert hatte.
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