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91. Prozesstag: 22. August 2002

Weitere Untiefen im Lügensumpf 'Seegraben'

Ein Zeuge und eine Sachverständige waren heute geladen, um beim Fischen im Trüben des Seegrabens beizutragen. Beide entledigten sich ihrer Aufgabe mit sachlicher Unaufgeregtheit, verständlicher Sprache, kompetentem Fachwissen und offenbar vorhandenem 'gesunden' Menschenverstand. Für das halbe Dutzend BesucherInnen ein z.T. sehr wohltuender Kontrast zum Auftreten der juristisch geformten ProzessakteurInnen.

Die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen zu den angeblichen Vorgängen in und um dieses Gewässer in Pankow-Nord rückt immer mehr ins Zentrum des Verhandlungsgeschehens. Er hatte behauptet, dort vier Jahre vor seiner Festnahme Sprengstoff der Marke Gelamon 40 in einem plastikumhüllten Paket entsorgt zu haben, den er von Mitgliedern der RZ erhalten haben will. Da sich dieser Fund, trotz exakter Ortsangabe, erst bei einer zweiten Suchaktion immerhin über 150 Meter entfernt bestätigte, nährte diese Version von Prozessbeginn an starke Zweifel.

Der 36jährige Bauingenieur Harald K. ist seit 1994 bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wasserbaulich für den Seegraben zuständig. Nachdem der Graben seit 1985 seine Aufgabe als Vorfluter für die umliegenden Rieselfelder verloren hätte, wären keinerlei Veränderungen, Reparaturen oder vergleichbare Maßnahmen in diesem Gebiet vorgenommen worden, mit Ausnahme einer kleinen Reparatur am Straßendurchlass. Durch regelmäßige 14tägige Kontrollen der eingebauten Stauköpfe (Wehre) und monatliche Kontrollgänge entlang des gesamten Grabenbereiches hätte er ständig einen aktuellen Überblick. Alle Besonderheiten, z.B. Müllablagerungen, Fischesterben, Überflutungen, u.ä. würden in einem Buch festgehalten und durch geeignete Maßnahmen begegnet werden. Bis heute seien für den Seegraben keinerlei Eintragungen von den 'Grabenläufern' vorgenommen worden. Überflutungen, Überspülungen oder Strömungsschwankungen hätten mit Sicherheit nicht stattgefunden. Natürliche Gründe für die Bewegung eines Paketes über mehr als 100 m entgegen der Strömung und ein Wehr passierend seien auszuschließen.

Die Eindeutigkeit dieser Aussage stellte die Beisitzer aber nicht zufrieden. Mit an Peinlichkeit grenzendem Frageniveau, z.B. ob denn Entengrütze dort vorhanden sei und diese mit Wasserlinsen gleichzusetzen sei, versuchte Richter Hanschke die offenbar ungeliebten wasserdichten Zeugenaussagen zu verwässern. Richter Lechner ließ sich sogar dazu hinreißen, 50 cm Rohrdurchmesser am Staukopf vom Zeugen mit den Händen vermessen zu lassen, nur um dann erstaunt festzustellen: "Ach, das ist ja doch ganz ordentlich groß...". Die Hoffnung stirbt zuletzt, auch beim höchsten Berliner Gericht.

RAin Lunnebach stellte fest, dass aus dem Asservat 'Plastikfolie und Klebeband' des angeblich aufgefundenen Sprengstoffpaketes Teile verschwunden sind. Dabei handelt sich ausgerechnet um Brocken getrocknete Schlammreste, die zur Analyse der Wasserliegedauer des Fundes benötigt würden.

KieselalgeDazu wurde die emeritierte Professorin für Hydrobiologie der FU Berlin, Fr. G., befragt, die bis heute schwerpunktmäßig zum Algenstandort Berlin forscht. Im Rahmen einer informativen Befragung gab sie Auskunft über die wissenschaftlichen Grenzen und Möglichkeiten, die Verweildauer von Gegenständen in freien Gewässern durch das Algenwachstum nachträglich zu bestimmen. Ausführlich wurden alle Prozessbeteiligten besonders in die Welt der Diatomeen (Kieselalgen), ihrem Vorkommen, Wachstum und ihren Ablagerungen kenntnisreich eingeführt. Die Wissenschaftlerin beschrieb nachvollziehbar und verständlich die Voraussetzungen und die Grenzen für Beweise, die durch das Studium vorhandenem Algenbewuchses möglich sind. Bei dem zur Verfügung stehenden Restmaterial sei dies durchaus denkbar, zumal mit bloßem Auge auf vorhandenen Fotos Algenbewuchs bereits feststellbar ist. Ob dadurch verwertbare zeitliche Aussagen getroffen werden können, wäre erst durch das Ergebnis der gutachterlichen Untersuchung klar.

Wie immer beim Thema 'Seegraben' erfaßte große Nervosität den Gerichtssaal. Wurde die Zeugin zur Inaugenscheinnahme von Fotos an den RichterInnentisch gebeten, so scharrten sich ausnahmslos alle anwesenden 17 JuristInnen um die grauhaarige Pensionärin. Die Bundesanwälte brechen sofort ihre transzendenten Yogaübungen ab und interessieren sich plötzlich brennend für alle Details der Untersuchungsmethode. Selbstverständlich allein um Kieselalgeanschließend alle theoretischen Bedenken zu äußern. Besonders Bundesanwalt Wallenta darf hier aus dem Windschatten der Großkaliber Bruns und Maegerle treten und eigenständige Fragen formulieren. Die pseudowissenschaftliche Qualität seiner Einwände, z.B. durch die intensive kriminaltechnische Behandlung der Asservate würde eine wissenschaftliche Begutachtung gar nicht mehr möglich sein, wollen wir der verehrten LeserInnenschaft an dieser Stelle ersparen. Weder bohrende Fragen des Gerichtes, noch ein zitiertes BKA-Gutachten, die Kieselalgen-Bestimmung würde letztlich zu keinen verwertbaren Aussagen führen, konnten die Sachverständige beirren. So sehr sich die 'Nordkurve' im Gerichtssaal auch bemühte, die offensichtlich sehr erfahrene Wissenschaftlerin ließ sich zu keinen spekulativen Aussagen verführen. Aufschluß darüber würde letztlich erst die Untersuchung selber erbringen und die sei mit gewissen Erfolgsaussichten durchaus angebracht, trotz des erstaunlich geringen vorhandenen Materials. Genau daran haben Gericht und Bundesanwaltschaft offenbar mehr als nur kein Interesse. Ob das Gutachten nun beauftragt wird? Die Auflösung auch dieses Rätsels folgt natürlich aktuell nur bei der Online-Redaktion unter www.freilassung.de.

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