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8. Prozesstag: 21. Juni 2001

Schweigende Zeugen - zuschauendes Gericht - Vorsitzende Richterin will nachdenken

Im Mittelpunkt des heutigen Verhandlungstages standen die weitere Befragung des Kronzeugen der Anklage T. Mousli und des Leiters der Dienststelle für Zeugenschutz beim Bundeskriminalamt (BKA) Elmar Graf. Weiterhin wurden mehrere ablehnende Entscheidungen des Gerichtes zu Anträgen der Verteidigung getroffen bzw. verkündet, die u.a. ein detaillierteres Aussageverhalten der gehörten Zeugen zum Gegenstand hatten.

Der Kronzeuge verweigert weiter konkrete Aussagen

Der Kronzeuge Mousli erschien wieder in Begleitung seines Zeugenbeistandes Birkhoff und vier Personenschützern. Zunächst verweigerte er - wie auch am letzten Verhandlungstag - die Angaben über den Inhalt eines Telefonates mit seiner damaligen Freundin, unmittelbar bevor er sich der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge anbot. Mit Hinweis auf eine abgegebene Verpflichtungserklärung im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes, lehnte er auch bei der weiteren Befragung alle Aussagen über konkrete Einzelheiten des Zustandekommens und der Inhalte getroffener Absprachen ab. Die Vorsitzende Richterin Hennig ließ bei ihrer bedächtigen Befragung auch kein nachdrückliches Interesse an der Aufhellung dieser Hintergründe erkennen. Mousli räumte ein, dass eine mögliche Aufnahme in den Zeugenschutz schon bei seiner ersten Verhaftung Gesprächsgegenstand war, ausführlich sei dies aber erst am 24 November durch den BKA Beamten Schulzke und den Bundestaatsanwalt Griesbaum mit ihm erörtert worden.

Kronzeuge bedankt sich für Rechtsstaatlichkeit

Durch zusätzliche und ergänzende Fragen aus Reihen der VerteidigerInnen, wurden Mousli zumindest Angaben über Aktivitäten im Vorfeld dieses Prozesses entlockt. So wurden ihm vier Aktenbände mit Zeugen- und Beschuldigtenaussagen von der BAW über den Zeugenschutz zur Einsicht ausgehändigt. Auch hätte er diese nur flüchtig durchgeblättert, enthaltene Zusammenfassungen, Bearbeitungsvermerke etc. aber nicht eingehend studiert. Ein vom BAW Griesbaum anberaumtes Gespräch im April 2001 diente angeblich nur der Versicherung, dass der Kronzeuge, so wörtlich: "...keine Leichen im Keller habe...". Tarek Mousli selbst wollte sich lediglich ganz allgemein über den Ablauf des bevorstehenden Verfahrens, sowie über die beteiligten RechtsanwältInnen der Verteidigung informieren. Die Auswahl seines Zeugenbeistandes wurde nicht von ihm getroffen, sondern dieser sei ihm zur Seite gestellt worden. Weiterhin regte er ein Treffen mit dem leitenden Ermittlungsbeamten des BKA Schulzke an, angeblich um sich bei ihm für die faire Behandlung und die Rechtsstaatlichkeit beim Verfahrensablauf zu bedanken. Für ungewohnte Heiterkeit in der sonst zeitweilig sehr hektischen Atmosphäre sorgte seine abschließende Aussage, dass ihm dadurch zu einem "neuen Leben" verholfen wurde. Ähnlichen Erfolg hatte die Vorsitzende Richterin Hennig mit der Nachfrage, wie ihm denn überhaupt Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit kommen konnten. Diese Reaktion war aber offensichtlich ungewollt, denn die Räumung des Gerichtssaales bei anhaltendem Gelächter wurde humorlos angedroht.

Nach knapp zwei Stunden wurde der Kronzeuge für heute entlassen, um mehr Aufschluß über den Sachverhalt aus den Aussagen des BKA-Beamten Graf zum Zeugenschutz abzuwarten.

Verkündung von Entscheidungen

Das Gericht setzte die Verkündigung ablehnender Entscheidungen über Anträge der Verteidigung fort. BAW Griesbaum muss u.a. keine dienstliche Erklärung darüber abgeben, warum er vorab die Anklageschrift und andere Schriftstücke aus diesem Verfahren dem Zeugenbeistand von T. Mousli zustellte.

Im Einverständnis mit der Angeklagten Sabine E. wird in Zukunft auf die ständige Anwesenheit einer Ärztin verzichtet, bei Bedarf kann die Verhandlungsunfähigkeit auch auf anderen Wege kurzfristig festgestellt werden.

LKA Berlin beobachtet Prozeß

Offensichtlich ohne Wissen aller Beteiligten wohnte ein Beamter des LKA den heutigen Gerichtstermin auf den Presseplätzen bei. Nachdem das Gericht vom Verteidiger v. Schlieffen darauf aufmerksam gemacht wurde, mußte dieser seine Identität und Tätigkeit beim Zeugenschutz in Berlin preisgeben. Ohne intensive Nachfragen bezüglich seines Auftrages, verneinte er eine direkte Beteiligung seiner Dienststelle und definierte sich selbst als Beobachter.

Allgemeine Belehrung über das Zeugenschutzprogramm

Nach der Mittagspause wurde der Prozess mit der Zeugenbefragung des Dienststellenleiters des Zeugenschutzprogramms beim Bundeskriminalamt, Elmar Graf, fortgesetzt. Er erläuterte, dass ein Zeuge in diesem Programm zur Geheimhaltung aller in diesem Zusammenhang stehenden Vorgänge Dritten gegenüber verpflichtet sei. Dazu gehören die gesamte Zeugenschutzakte, sämtliche Gespräche, Kontakte, Inhalte und Maßnahmen. Dies wird formularmäßig in einer Verpflichtungserklärung festgehalten, die Inhalte dem Betroffenen erläutert, mit Nachfragen auf Verständnis überprüft und abschließend unterzeichnet. Als Rechtsgrundlage für dieses Verfahren - so gab der Zeuge an - diene das Verpflichtungsgesetz, der § 353 b Strafgesetzbuch, die §§ 6 und 26 des BKA-Gesetzes, die Gemeinsame Richtlinien der Innen- und Justizminister der Länder von 1993, sowie interne Dienstanweisungen.

Die Eignung einer Person für das Programm wird zunächst in der ermittlungsführenden Dienststelle einer ersten Prüfung unterzogen, die letztendliche Überprüfung und Entscheidung bleibt aber der Zeugenschutzdienststelle vorbehalten. Die allgemeinen Kriterien seien dabei die Schwere des Tatvorwurfs, die Aussagebereitschaft des Zeugen und die Gefährdung für Leib und Leben des Zeugen.

Beredtes Schweigen

Zu den Einzelheiten, die zur Aufnahme des Zeugen Tarek Mousli geführt haben, machte der Zeuge folgende Angaben: Seine Behörde hätte diesen "Fall" sorgfältig geprüft und sei zu einem sehr eindeutigen Urteil gekommen. Folglich wurde von ihm eine entsprechende Verpflichtungserklärung am 22.12.99 unterschrieben, die auch alle Vorgänge vor Abschluß dieser Erklärung einschließe, also in jedem Fall auch rückwirkend alle Ereignisse im Vorfeld. Alle weiteren Nachfragen zu den konkreten Umständen bei dem Kronzeugen Mousli beantwortete der Zeuge in den folgenden vier Stunden stereotyp mit "ich darf diese Frage nicht beantworten" und dem Verweis auf die Beschränkung in der schriftlichen Aussagegenehmigung seines Vorgesetzten, dem Abteilungspräsidenten Hofmeyer. Lediglich die Bestätigung des aktenkundigen Tatbestandes hinsichtlich der monatlichen Alimentierung von Mousli in Höhe von 2.400 DM bestätigte er auf Vorhalt, ergänzt um die allgemeine Aussage: ein Zeuge soll durch das Programm nicht besser oder schlechter gestellt werden.

Weder der Inhalt der Erklärung selbst, noch wer sie unterschrieben hat, wer anwesend war, wie die Berechnung der Alimentierung erfolgte, wie die Gefährdung oder Eignung des Zeugen Mousli festgestellt wurde, auf welche Vorgänge sich die Verschwiegenheit für welche Zeit erstreckt, das alles unterliege dem Geheimhaltungsgebots, dürfe weder dem Gericht noch anderen Dritten offenbart werden.

Selbst die Verweigerung Antwort auf die Frage der Rechtsanwältin Lunnebach: "Wann haben sie zuletzt mit dem Zeugen Mousli persönlich über die Konkretisierung seiner Verpflichtungserklärung gesprochen?" wurde nach einer zehnminütigen Pause von der Vorsitzenden Richterin aufgrund der Aussagebeschränkung akzeptiert. Letztlich konnte nicht festgestellt werden, ob der Zeuge überhaupt Angaben zu eigenen Beobachtungen machen konnte, mitgewirkt hat, wo und wie er zu seinem Wissen gelangt ist oder lediglich aus Aktenstudium oder vom Hörensagener sein Wissen bezieht. Auch dazu machte Graf keine Angaben, " ..sie müssen mir schon glauben, dass alles ordnungsgemäß abgelaufen ist...dafür stehe ich ein!", war der Schlußkommentar des Zeugen. Mit diesem gab sich das Gericht in seinem letzten Beschluß für heute auch zufrieden.

Das Gericht denkt nach

Rechtsanwalt Becker äußerte anschließend die Kritik, die Vorsitzende Richterin Hennig hätte zu der ungenügenden Aussagebereitschaft dadurch beigetragen, dass sie in der Vorladung lediglich die Klärung der Frage verfügt habe, ob und nicht mit welchem Inhalt der Kronzeuge Tarek Mousli eine Verpflichtungserklärung unterschrieben habe. Rechtsanwalt Euler bat das Gericht zu überprüfen, inwieweit durch eine weitere Auslegung dieser allgemeinen Aussagegenehmigung der Zeuge zum Zeugengehorsam angemahnt werden könne oder ob durch eine "ordentliche Beschreibung des Beweisthemas" eine zusätzliche Aussagegenehmigung zu erreichen sei. Darüber wolle das Gericht nachdenken.

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