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63. Prozesstag: 21. März 2002
Soufflieren, das in Geschrei endete
Rausschmiss folgt auf Rausschmiss. Hatte es am letzten Hauptverhandlungstag
einen Teil des Publikums getroffen, die sich lautstark für
die Freilassung von Harald G. eingesetzt hatten, so wurden heute
die VerteidigerInnen kurzer Hand vom Gericht "vor die Tür
gesetzt". Ob ein Missverständnis oder die schützende
Hand des Gerichts die Ursache dafür waren, ließ sich
heute nicht mehr klären. Damit nahm ein Verhandlungstag, der
aus der Befragung des Kornzeugen zu den Themen Bau eines Zündsatzes,
Abschottungs- und Sicherheitskonzept der RZ sowie den Umständen
einer angeblichen Geldübergabe an "Siggi" bestand,
ein fulminantes und vor allem lautes Ende.
Neu = modifiziert
Die Befragung von Tarek Mousli erfolgte heute einmal mehr durch
die Verteidigung von Harald G. Zuerst ging es dabei um die Zündvorrichtung,
die beim Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber
(ZSA) benutzt worden war. Dabei handelte es sich um eine Blitzlichtbirne,
deren Folie entfernt und die mit Streichholzköpfen beklebt
worden war. Gezündet wurde diese Vorrichtung über einen
Wecker, der über eine Blockbatterie mit der Blitzlichtbirne
verbunden war. Wie der Kronzeuge heute aussagte, sei diese Zündvorrichtung
von ihm und "Sebastian" (laut Mousli Lothar E.) entwickelt
worden.
Am Bethaniendamm in Berlin- Kreuzberg hätten sie im Sommer/
Herbst 1986 in unmittelbarer Nähe zur Mauer mehrere Tests mit
Blitzbirnen unternommen, wobei sie Blitzlichter benutzen, von denen
sie die Folie abgekratzt hätten, von anderen nicht. Außerdem
hätten sie, um die Zündwirkung zu verstärken, die
Birnen mit Streichholzköpfen umklebt. Nur bei den mit abgekratzter
Folie sei das zu diesem Zweck in eine Erdaushebung gefüllte
Unkraut- Ex entflammt. Diese Neuerung (Folie abkratzen und angeklebte
Streichholzköpfe) hätten sie dann der Gruppe mitgeteilt.
Wer, ob er selbst oder "Sebastian", das in die Gruppe
hinein getragen habe, und wann und wo, dazu konnte Mousli heute
wegen mangelnder Erinnerung keine Angaben machen.
Wie sich nach einigen Vorhalten der Verteidigung herausstellte,
war die Idee mit der Folie und den Streichholzköpfen allerdings
nicht zu innovativ und neu, wie Mousli das glauben machen will.
Beides konnte entweder bereits 1978 im "Revolutionären
Zorn" Nr. 5 oder in einer RZ- Broschüre aus dem Jahre
1981 nachgelesen werden. Dabei darf davon ausgegangen werden, dass
der Kronzeuge diese Druckerzeugnisse kannte. Hatte er doch zuvor
gestanden, dass er sich mit solchen Fragen bereits vor seinen aktiven
Zeit in den RZ beschäftigt habe. "Ich kann ihnen nicht
100%ig sagen, wie wir auf diese Idee gekommen sind, Streichholzköpfe
um das Birnchen herumgeklebt zu haben", so räumte dann
Mousli irgendwann ein. Zuvor hatte er hinhaltenden Widerstand geleistet,
weil in den Anleitungen davon die Rede war, man solle die rote Schwefelmasse
der Streichhölzer verwenden. Er habe aber doch immer von Streichholzköpfen
geredet (Dass es zu Beginn seiner Aussage noch ganze Streichhölzer
waren, die an die Blitzbirne geklebt worden sein sollen, wen interessieren
solche Kleinigkeiten da noch).
Am Ende der Befragung blieb insofern zweierlei unbeantwortet im
Raum stehen: a) ist die Tatsache, dass man sich nicht mehr die Mühe
macht, die rote Schwefelmasse von den Streichhölzern abzukratzen,
sondern die Streichholzköpfe zu benutzen, nun eine Neuentwicklung
oder nur eine schnöde Innovation, die zwar eine Zeitersparnis
bringt, aber wohl auch den Effektivitätsgrad ein wenig schmälert?
und b) kann man das Bekleben mit Streichholzköpfen unter den
Begriff "mit der Zündmasse panieren" fassen, wie
es etwa in dem RZ- Buch "Der Weg zum Erfolg" ausgedrückt
wird. Schnitzelliebhaber wie die Richter Hanschke und Lechner plädierten
eher für eine enge Auslegung; andere Prozessbeteiligte zeigten
sich durchaus phantasievoller bei der Beantwortung dieser Frage.
Dem "Weg zum Erfolg", der bereits am letzten Verhandlungstag
eine Rolle spielte, galt auch heute noch in einem anderen Zusammenhang
die Aufmerksamkeit. Das in der zweiten Hälfte der 80er Jahre
erschienene Buch enthält eine detaillierte Anleitung zum Bau
eines Zünders. Die Verteidigung wollte wissen, ob Mousli vielleicht
dafür gesorgt hatte, dass seine "Neuentwicklung"
dort Eingang gefunden habe. Was folgte war ein typischer Mousli:
"Ob wir das veröffentlicht haben, kann ich ihnen nicht
sagen. Das ist später wohl veröffentlicht worden, aber
ich kann mich nicht genau erinnern." Erstaunlicher Weise war
sich der Kronzeuge aber dann wieder sicher, dass seine Innovation
über "Siggi" (laut Mousli Harald G.) an die "Revolutionären
Viren" weitergetragen worden sei, die einige Monate später
ebenfalls einen in diesem Fall - gemessen am Sachschaden - erfolgreichen
Anschlag auf die ZSA verübt hatten.
Abschottung nach Mousli
Vor der Mittagspause wurde der Kronzeuge dann erneut zum Sicherheitskonzept
der RZ befragt. Allgemein galten folgende Regeln:
- Man sprach sich untereinander generell nur mit Decknamen an;
- vor jedem Treffen oder jeder Aktion setzte man sich etwa zwei
Stunden vorher ab und benutzte öffentliche Verkehrsmittel
um ans Ziel zu gelangen, die man öfters wechselte;
- Nachrichten wurden codiert ausgetauscht.
Dass man es mit diesen Sicherheitsregeln nicht so genau nahm, zu
diesem Eindruck muss man nach den Schilderungen des Kronzeugen kommen.
Jedenfalls will er außer "Heiner" (laut Mousli Matthias
B.) und "Toni" (bislang unbekannt gebliebenes Berliner
RZ- Mitglied) alle anderen Berliner kennengelernt und mit ihnen
im Rahmen des "Vereins" bzw. außerhalb Kontakt gehabt
haben. Der Versuch der Verteidigung am Beispiel des ZSA- Anschlags
ein wenig Licht in diese Angelegenheit zu bekommen, scheiterte.
Gericht und Bundesanwaltschaft verhinderten ein intensives Nachfragen,
in dem sie dem Zeugen zugestanden, er habe schon ausreichend zu
diesem Sachverhalt ausgesagt und in diesem Zusammenhang Widersprüche
zwischen seinen Angaben in der Hauptverhandlung und während
seiner Vernehmungen ausgeräumt. Hintergrund ist seine Aussage,
fünfzehn Minuten nach Ablegen des Sprengsatzes an der ZSA habe
es einen Funkspruch gegeben, nachdem man sich zurückgezogen
habe. Nun will Mousli die letzte U-Bahn genommen haben, um nach
Hause gekommen zu sein. Jedoch ist die Explosion nach polizeilichen
Ermittlungen um 0.45 Uhr erfolgt, die letzte U-Bahn fährt allerdings
bereits zu einem so frühen Zeitpunkt, dass diese Version nicht
stimmen kann. (vgl. 60. Prozesstag)
Mousli zog sich damals bei diesem Vorhalt mit Erinnerungslücken
aus der Misere.
Beim Geld kommt er ins Schlingern
Immer wenn es um die finanziellen Verhältnisse des Kronzeugen
geht, wird es für Mousli unangenehm - so auch heute. Es ging
um eine Summe von 60.000 Mark, die Mousli 1994 an "Siggi"
weitergegeben haben will, weil es damals "Engpässe bei
der Versorgung der Wäldler" (laut Mousli der RZ-Begriff
für Illegale) gab. Dieses Geld soll von Michael W. gewesen
sein, der über "Schwarzgeld" in Höhe von rund
200.000 Mark verfügt habe. Eine Tante von Michael W., bei der
ein Teil dieses Geldes geparkt gewesen sein soll, habe in diesem
Zusammenhang 50.000 Mark auf das Konto von Mouslis damaliger Lebensgefährtin
Karmen T. überwiesen. Von dieser Summe habe er einige Privatdarlehens
bedient und 25.000 Mark an "Siggi" gegeben. Die restlichen
"35.000 oder 40.000 Mark" habe er aus Barmitteln bezahlt.
In seiner Vernehmung vom 15. Januar 2000 stellte Mousli das ganz
anders dar: "Die Überweisung von Frau B. von 50.000 Mark
und weiter 10.000 Mark gab ich weiter an 'Siggi'." Auf diese
widersprüchliche Darstellung angesprochen, versuchte sich Mousli
mit der Bemerkung "Das ist ein fließender Prozess"
und "Auch hier gilt, ich habe versucht aus der Erinnerung heraus,
wahrheitsgemäße Angaben zu machen" herauszureden.
Denn: "Letztendlich stimmt auch, dass die 50.000 dafür
bestimmt waren, auch wenn nur ein Teil dafür verwendet wurde."
Doch diese Ausflüchte reichten der Verteidigung nicht. Sie
insistierte, Mousli solle sagen, welche seiner Angaben denn nun
richtig seien bzw. ob er bei der damaligen Vernehmung wahrheitsgemäße
Angaben gemacht habe.
Die Vorsitzende Richterin Hennig schritt mit den Worten "Das
liegt doch auf der Hand" ein und wollte damit der Befragung
ein Ende machen. Doch was wollte die Vorsitzende Richterin damit
sagen? Dass der Kronzeuge mauert und sich nicht erinnern kann, womit
die Befragung doch eh keinen Sinn mache und warum immer dieses Nachhaken,
oder (eine Minderheitsmeinung bei den Anwesenden) dass Mousli einmal
mehr Ausflüchte macht und ihm ohnehin (zumindest an diesem
Punkt) nicht zu glauben sei, weil er irgend etwas verschweigt? Frau
Hennig wollte und konnte ihr Motiv nicht erklären, und somit
nahmen die Dinge ihren Lauf. Die Verteidigung beharrte auf der Beantwortung
der Frage. Die BAW nutze die Chance, um ihrem Zeugen beizuspringen.
Rechtsanwältin Studzinsky hatte nämlich in Entgegnung
auf das Gericht einen Teil ihrer Befragungsstrategie kund getan.
Die permanenten Widersprüchlichkeiten im Aussageverhalten des
Kronzeugen wollte sie an diesem Beispiel mit einem weiteren Vorhalt
aus einer früheren Vernehmung nachweisen. Flugs griff die BAW
den Ball auf. Indem sie den Vorhalt der Rechtsanwältin als
unzulässig hinstellte, wollte sie ihrem Zeugen den Inhalt dieser
Vernehmung bekannt machen. Das Gericht zeigte keinen erkennbaren
Willen, diese Soufflieren unterbinden zu wollen. Also griff die
Verteidigung ein - massiv, lautstark und penetrant. Ein Wort folgte
dem anderen. Entnervt unterbrach daraufhin die Vorsitzende Richterin
Hennig kurzer Hand die Hauptverhandlung, was quasi einem Rausschmiss
gleich kam. Ob bis morgen Gelassenheit, Einsicht und Fairness Einzug
halten, darauf darf man gespannt sein.
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