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22. Prozesstag: 20. September 2001
Beweisunterschlagung ist kein Grund zur
Aussetzung des Verfahrens
Heute begann der Prozesstag mit einer Stellungnahme von Bundesanwalt
Homann, in der er sich mit dem Antrag der Verteidigerinnen Silke Studzinsky und Andrea
Würdinger vom vohergehenden Verhandlungstage befaßten. Die
Verteidigerinnen hatten gefordert die Hauptverhandlung auszusetzen und die
Haftbefehle aufzuheben. Bundesanwalt Homann berichtete zunächst, dass
das Bundeskriminalamt (BKA) zwischenzeitlich 23 Ordner mit
Gesprächsprotokollen an die Bundesanwaltschaft (BAW) überstellt
habe. Die fehlenden 955 Kassetten seien dem Senat zwischenzeitlich
zugestellt worden. Homann sprach sich gegen die Aussetzung der
Hauptverhandlung aus, da, nach Ansicht der BAW, das Abhören der 955
Kassetten für alle Prozessbeteiligten auch während des laufenden
Verfahrens zumutbar sei. Er gehe grundsätzlich davon aus, dass das BKA
die Meinung vertreten habe, dass das Material aus den
Telefonüberwachungen "nicht relevant" sei. Zwar habe auch er
noch keine Gelegenheit gehabt in die Tonträger hinein zu hören,
er hege jedoch keine Zweifel an der Meinung des BKA, dass die Kassetten
"nicht von Beweisbedeutung" seien. Ohne weitere Begründung
wies er auch den zweiten Teil des Antrags der Verteidigung auf Aufhebung
der Haftbefehle zurück.
"Schwerwiegende Fehler der BAW"
In einer vorbereiteten Stellungnahme von Rechtsanwalt von Schlieffen
vertrat dieser die Ansicht, dass der BAW "schwerwiegende Fehler"
unterlaufen seien. Diese sei verpflichtet "sämtliche
Ermittlungsschritte" und damit auch Telefonüberwachungen offen zu
legen. Die Beweisbedeutung des Materials liege auf der Hand, da davon
Rückschlüsse auf Aussagemotivation, Tatbeteiligung und
Verdunklungshandlungen des Zeugen Mousli zu erwarten seien. Auch bei
arbeitsteiliger Vorgehensweise innerhalb der Verteidigung, müsse
für die Auswertung mindestens vier Wochen veranschlagt werden.
Rechtsanwältin Lunnebach trat der Darstellung von Homann entgegen,
dass das neue Beweismaterial gleichsam "schicksalhaft"
aufgetaucht sei. Ihr habe sich vielmehr der Eindruck aufgedrängt, dass
die bisherige Unterschlagung der Tonträger "Methode" habe.
Auch Rechtsanwalt König war nicht in der Lage der Argumentation von
Homann zu folgen. Vielmehr sei es unumgänglich das Material zu
sichten, bevor mit der Vernehmung des Kronzeugen fortgefahren werden
könne. Entgegen der Absicht der Verteidigerinnen Würdinger und
Studzinsky, die den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens mit der Aufhebung
der Haftbefehle unmittelbar verknüpft hatten, sprach sich König,
im Falle der Nichtaussetzung des Verfahrens dafür aus, die für
die Auswertung der Tonträger benötige Zeit damit zu
überbrücken die Befragung von Mousli auszusetzen und andere
Zeugen vorzuziehen.
Die Rechtsanwältinnen Würdinger und Studzinsky erklärten,
dass die bisherigen Erfahrungen mit der Auswertung von Tonträgern
deutlich gemacht hätten, dass alle 955 Kassetten angehört werden
müßten. Rechtsanwalt Euler wiederum richtete an den Senat die
Frage, wie er gedenke diesen zeitlichen Aufwand zu leisten.
Schließlich müsse auch der Senat das gesamte Beweismaterial zur
Kenntnis nehmen.
Rechtsanwalt Euler, der die Ausführungen Homanns als
"qualitätsfrei" bezeichnete, versuchte dem Gericht noch
einmal deutlich zu machen, dass eine Lösung gefunden werden
müsse, da bisher mit einem Aktenbestand gearbeitet werde, "der
objektiv unvollständig ist."
Das Gericht beschließt
Nach einer Beratungspause verkündete die Vorsitzende Richterin
Hennig, dass über den Aussetzungsantrag erst dann entschieden
würde, wenn das Gericht die 23 noch ausstehenden Ordner habe einsehen
können. Die Argumentation der Verteidigung sei "sehr
überzeugend ", daher soll die Vernehmung von Mousli
zurückgestellt und "zur Überbrückung"
Sachverständige zum Komplex Hollenberg gehört werden. Allerdings
wolle der Senat Mousli heute noch dazu befragen, über welchen
Telefonanschluss er am 24.11.99 seine Lebensgefährtin Janette O.
erreicht hatte. Erstaunlicherweise taucht dieses Gespräch, dass vom
Vorzimmer des Bundesanwalt Griesbaum geführt worden ist, in den
umfangreichen Mitschnitten der Telefonüberwachung nicht auf.
Außerdem, so die Vorsitzende Richterin, will das Gericht Mousli
noch heute mit den Angaben von Frau T. konfrontieren.
Diese Entscheidung wurde von den Angeklagten und der Verteidigung mit
einigem Unverständnis aufgenommen. Rechtsanwalt Euler stellte
unmittelbar einen Beweisantrag, in dem er forderte die Hauptverhandlung zu
unterbrechen und Janette O., den Oberstaatsanwalt Monka und den
Bundeskriminalbeamten außer Dienst Schulzke als Zeugen zu laden. Die
gesamte Verteidigung beantragte, aufgrund der erneut eingetretenen
Verzögerung, die alleine der "Schlamperei" der BAW
anzurechnen sei (Becker), die Aufhebung der Haftbefehle.
Bundesanwalt Homann erinnert an "Datenschutz"
Wie nicht anders zu erwarten beantragte Bundesanwalt Homann die
Anträge der Verteidigung zurückzuweisen. Die vom Senat
verkündete Umstellung des Programms sei "völlig in
Ordnung". Das Zurückhalten der Abhörprotokolle und Kassetten
begründete er bei diesem erneuten Statement mit dem "Recht der
Abgehörten auf Datenschutz".
Nach der Mittagspause verkündete das Gericht den
folgenden Beschluß:
Die Entscheidung über die Aussetzung der Hauptverhandlung wird
zurückgestellt bis dem Gericht die fehlenden 23 Aktenordner zur
Verfügung stehen. Die Entscheidung über die Aufhebung der
Haftbefehle ergehe auf dem Dezernatswege. Mousli soll - wie schon zuvor
angekündigt - heute zum Telefonat vom 24.11.1999 befragt und mit den
Aussagen seiner früheren Lebensgefährtin Frau T. konfrontiert
werden. Für den 27. und 28. September soll Janette O. geladen werden.
Frau Hennig hatte, wie sie berichtete, ihre Mittagspause genutzt um
herauszufinden, dass Frau O. über den Zeugenschutz zu laden sei.
Bevor der Kronzeuge wieder in den Zeugenstand trat gab die BAW, diesmal
in Gestalt von Herrn Mägerle, eine Stellungnahme zur Würdigung
der bisherigen Einlassungen von Frau T. ab. Zwar hätte die Zeugin T.
durch ihr sichtliches Bemühen die Wahrheit auszusagen
"beeindruckt", allerdings habe auch sie
"Erinnerungsvorbehalte" gemacht. Insgesamt hätten - nach
Auffassung der BAW - die Aussagen von Frau T. die bisherigen Aussagen von
Tarek Mousli nicht erschüttern können.
Und wieder der Kronzeuge
Die Verhandlung wurde sodann mit der Vernehmung des Kronzeugen
fortgesetzt. Zunächst wurde er dazu befragt über welches Telefon
er das besagte Gespräch am 24.11.1999, unmittelbar vor Inanspruchnahme
der Kronzeugenregelung, mit seiner Lebensgefährtin Janette O.
geführt hat. Mousli gab heute an sich erinnern zu können Frau O.
über ihren Handyanschluss erreicht zu haben.
Es folgte eine Reihe von Vorhalten aus den Aussagen der Zeugin Karmen
T.. Während ihrer Partnerschaft hatte Mousli ihr gegenüber
offenbar eine Reihe von Mitteilungen über seine eigene Beteiligung und
Mitarbeit in der 'Organisation' gemacht. Er widersprach heute ihren
Angaben, er hätte Brillen als Tarnungsmittel bei Treffen mit anderen
Genossen benutzt, eine Person namentlich als ehemaliges Mitglied bezeichnet
und einen Schaltplan für die 'Gruppe' gefertigt. Letzteres
hätte sie wohl mit seinen Aktivitäten in einem Amateurfunkverein
verwechselt. Auch hatte er keine sehr schlüssige Erklärung
dafür, warum die Zeugin seinen Behauptungen widersprochen hatte, sie
wüßte angeblich über eine 'Funkgruppe' Bescheid,
über das Waffenlager in einem Fahrstuhlschacht des Mehringhofs und
über den richtigen Namen der 'Organisation' Revolutionäre
Zellen.
Die Örtlichkeit 'Seegraben', an dem er den restlichen
Sprengstoff aus dem Keller ihrer gemeinsamen Wohnung in der
Schönwalder Allee entsorgt haben will, habe er bereits vorher durch
gelegentliche Ausflüge ins Berliner Umland kennengelernt. Es sei der
pure Zufall, dass seine damalige Lebensgefährtin Karmen T. ihn
ausgerechnet auch zu diesem Flecken geführt hatte, auf der Suche nach
einem Hundeauslauf. Nicht erklären konnte er, dass er damals den
Eindruck auf die Zeugin gemacht haben soll, diesen Ort vorher nicht gekannt
zu haben.
Letztlich will er sich nicht erinnern können, jemals gegenüber
seiner früheren Freundin von Geldwäsche im Zusammenhang einer
zufällig aufgetauchten Schuldanerkenntnis gesprochen zu haben. Er gab
zu, ihr gegenüber den rein fiktiven Charakter dieser handschriftlichen
Vereinbarung als Beruhigung behauptet zu haben. Von einer angeblich damit
verbundenen Geldwäsche will er aber überhaupt nichts wissen und
wies jegliche mögliche Beteiligung an solchen strafbaren Handlungen
weit von sich. Auf Vorhalt der Rechtsanwältin Studzinsky, er habe
diese Behauptung später im April 2000 auch bei einer Vernehmung
gegenüber dem BKA wiederholt, mußte Mousli seine widersprechende
vorherige Aussage dazu zurücknehmen. Die Verbindlichkeit selber
würde aus dem Jahr 1986 stammen und sei lediglich 1995 in
schriftlicher Form niedergelegt worden. Ob und bis wann diese Schuld
tatsächlich bestanden hat, er sie jemals beglich, wem gegenüber
die Fiktion dieser Anerkenntnis wirken und welchem Zweck sie dienen sollte,
auf alle diese Fragen konnte, trotz intensiver Nachfrage, der Kronzeuge
keine nachvollziehbaren Aussagen machen. Auch seine Annahme, diese Schuld
hätte sich längst irgendwie erledigt, konnte er nicht
begründen.
Und weiter gehts
Morgen, am 21.09., soll der Kronzeuge weiter zu den unübersehbaren
Differenzen zu den Aussagen der Zeugin Karmen T. befragt werden. Die
nächsten Prozesstermine sollen dann mit der Vernehmung der Zeugin
Janette O. bestritten werden. Auch die Entscheidungen des Gerichtes zur
Aussetzung des Verfahrens und der Haftbefehle werden dann wohl nicht weiter
aufzuschieben sein.
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