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62. Pozesstag: 15. März 2002
Von einem Waffen- und Sprengstoffdepot im MehringHof,
das es nicht gibt, und Patriarchatsauseinandersetzung in den RZ,
die "irgendwie" geführt wurden
Kurzen Aufruhr gab es heute im Prozesssaal, als ca. 20 ZuschauerInnen
lautstark die Freilassung des Angeklagten Harald G. forderten. Der
Saal wurde geräumt. Als wieder "Recht und Ordnung" hergestellt
waren, wurde ein weiteres Video zur Durchsuchung des Mehringhofs
gezeigt. Im Anschluss daran wurde Tarek Mousli von der Verteidigung
zu drei Komplexen befragt: Sprengstoff- und Waffendepot im Mehringhof,
Theorieproduktion der RZ und Bau des Sprengsatzes, der beim Anschlag
auf die "Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber" (ZSA)
zur Anwendung kam.
Die Überraschungen des Tages
Eigentlich begann der Prozesstag wie gewöhnlich. Routiniert
- wie könnte es nach 61 Verhandlungstagen auch anders sein
- stellte die Vorsitzende Richterin Hennig die Anwesenheit der Prozessbeteiligten
fest. Ein weiteres Video zur Durchsuchung des Berliner Kulturzentrums
Mehringhof im Mai 2000 - so war dann zu vernehmen - könne nun
gezeigt werden. Anders als gestern seien die technischen Voraussetzungen
nun vorhanden. Dem folgte ein kurzer Disput zwischen Verteidigung
und Bundesanwaltschaft (BAW), ob der Kronzeuge das Video mit ansehen
dürfe, und dann kam die erste Überraschung des Tages:
ein Gerichtsbeschluss im Sinne der Verteidigung. Mousli musste während
der Vorführung in seinem Versteck verharren. Geübte ProzessbeobachterInnen
diskutierten später, ob dies in der gesamten Hauptverhandlung
der zweite oder dritte Gerichtsbeschluss war, der gegen die Bundesanwaltschaft
und für die Verteidigung gefällt wurde.
Die eigentliche Höhepunkt folgte dann jedoch noch vor der
Filmvorführung: Lautstark forderten ca. 20 ProzessbesucherInnen
die sofortige Freilassung des letzten noch inhaftierten Angeklagten
Harald G. ("Harald muss raus"!). Nach kurzer Rücksprache
veranlasste die Vorsitzende Richterin, den Saal räumen zu lassen,
was die anwesenden Gerichtsdiener mit wenig Gelassenheit besorgten.
Wie später auf den weitläufigen Gängen des Moabiter
Kriminalgerichts von einem Personenschützers von Mousli zu
erfahren war, brach sich einer der Gerichtsdiener dabei einen Finger.
Der Informant sprach in diesem Zusammenhang von einem "Kollateralschaden".
"Gibt's da nen Eisendeckel?" "Nö"
Nach einer 20-minütigen Beruhigungspause wurde der angekündigte
halbstündige Film gezeigt. Zu sehen war erneut die Suche nach
dem angeblichen Depot im Mehringhof. Ob es sich hier um die Aufzeichnungen
einer zweiten Kamera oder um Ausschnitte des Materials handelte,
das gestern schon in Gänze gezeigt wurde, war den Prozessbeteiligten
- und auch der interessierten Öffentlichkeit - nicht klar.
Bundesanwalt Bruns vertrat die These, dass der Polizeibeamte, der
die Übertragungskamera bedient hatte, teilweise auch auf einer
Kassette in der Kamera aufgezeichnet hätte. Dieses Material
würde heute vorgeführt. Das gezeigte Material des gestrigen
Tages wiederum sei die gesamte Übertragung gewesen. Die Brunsche
These klang plausibel und so genau wollte es wohl auch niemand wissen,
denn Neues gab es nun wahrlich nicht zu sehen: Erneut der Fahrstuhlschacht,
ein Putzraum, eine Toilette und zwei weitere Lagerräume. Die
Themen: Eisenplatten, Schächte, Wasserstandspegel und blaue
Mülltüten. Immer wieder im Bild: die BKA-Beamtin Janin,
die nach Anweisung des BKA-Beamten Torsten die Kamera dirigiert,
der - wie wir nicht erst seit gestern wissen - von Mousli dirigiert
wurde. Auch nicht erst seit gestern ist uns das niederschlagende
Ergebnis der aufwendigen Untersuchung bekannt: es gab nie ein Waffen-
und Sprengstoffdepot im Mehringhof.
Aber ich weiß das doch vom Hörensagen
Durch die nun folgenden Befragung von Rechtsanwalt Jasper von Schlieffen
wurde deutlich, dass Mousli nach wie vor an seiner Waffendepot-Geschichte
im Mehringhof festhält. Er erinnere sich, so der Zeuge, dass
ihm "Sebastian" (nach Mousli der Deckname von Lothar E.)
1990 oder 1991 bei einem gemeinsamen Sparziergang am Berliner Landwehrkanal
davon erzählt habe. Das Depot im Mehringhof sei von ihm ("Sebastian")
und "Anton" (laut Mousli Deckname von Axel H.) betreut
worden und nachdem "Sebastian" Berlin in Richtung Kanada
verlassen habe, hätte dies "Anton" alleine gemacht. Auf Befragung
musste Mousli allerdings zugeben, dass dieses "Wissen"
allein auf "Hörensagen" beruhe. Dies hatte ihn allerdings
nicht daran gehindert, so wurde auf Vorhalt von Rechtsanwalt von
Schliefen deutlich, beispielsweise in einer Vernehmung vom 4.1.2000
zu sagen: "'Sebastian' hat das Depot angelegt, 'Anton' wusste
davon." Eine klare, eindeutige Aussagen des Zeugen. "Ich
habe versucht das heute zu differenzieren", verteidigte sich
der Zeuge auf den Vorwürfe, er hätte Zusammenhänge
falsch dargestellt.
Da gab's auch Diskussionen
Mit zwei anderen Themenkomplex beschäftigten sich heute die
Rechtsanwältinnen Studzinsky und Würdinger. Mousli, der
bis zu seinem angeblichen Einstieg in die RZ Mitglied im Redaktionskollektiv
der Zeitschrift "radikal" war, konnte heute zu inhaltlichen
Auseinandersetzungen in den RZ nahezu keine Angaben machen. So konnte
er sich nicht an das Anfang der 80er Jahre höchst umstrittene
RZ-Buch "Der Weg zum Erfolg" erinnern. Der Titel war ihm schlicht
unbekannt. Es habe in diesem Zusammenhang wohl "irgendwie eine Patriarchatsauseinandersetzung"
gegeben, wie und welchen Inhalts aber sei ihm nicht erinnerlich.
Auch seine Unkenntnis über Texte der RZ vor allem der frühen
80er Jahre dürfte für jemanden, der in dieser Zeit Mitglied
gewesen und alles Wesentliche diskutiert haben will, als beispiellos
gelten.
"Ich war von Anfang bis Ende dabei"
Ähnlich fraglich waren seine lückenhaften Angaben beim
letzten Fragekomplex des heutigen Verhandlungstages: dem Bau des
Sprengsatzes, der für den Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle
für Asylbewerber (ZSA) verwandt worden sei. Mousli, der angibt
von Anfang bis Ende den Bau des Sprengsatzes beobachtet zu haben
("mehrere Stunden"), will zwar noch wissen, dass "Judith"
und Jon" den Sprengsatz gebaut hätten, auch kann er den
grundsätzlichen Aufbau beschreiben, bei Fragen, die sich jedoch
mit Details beschäftigen, musste er passen. So konnte er sich
nicht erinnern, wer die verschiedenen Bauutensilien besorgt hatte
oder welche Art von Wecker als Auslöser des Zünders benutzt
wurde, auch nicht wo der Wecker angebracht worden war oder wie der
Zündzeitpunkt eingestellt worden sei. Es sei der erste und
einzige Sprengsatz gewesen, dessen Bau er, gemeinsam mit seinem
Freund "Sebastian", beobachtet habe. "Uns hat das
interessiert, wir kannten bis dahin nur andere Sprengsätze
aus Anleitungen", erklärte der Zeuge heute.
Die Verhandlung geht weiter am Donnerstag, den 21.3. um 9:15
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