33. Prozesstag: 8. November 2001
Bleierne Zeiten im Gerichtssaal
Ein gutes Dutzend ZuschauerInnen wohnten der heutigen Ausgabe des
RZ-Prozesses vor dem Berliner Kammergericht bei. Bevor die Richterin
Hennig das Verfahren mit der Vernehmung weiterer ZeugInnen zum Fall
Korbmacher fortsetzte, standen Beweisanträge der Verteidigung
im Mittelpunkt.
Sind dem BKA Mouslis Kontakte zu "arabischen Terrorgruppen"
bekannt?
Rechtsanwalt (RA) Kaleck beantragte die Offenlegung weiterer Ermittlungsergebnisse
des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Bundesanwaltschaft (BAW) zu
den Aktivitäten des Kronzeugen Mousli. Diese sollen Aufschluss
über seine möglichen Kontakte zu 'arabischen Terrorgruppen'
geben. In der Begründung des Antrages führte der RA aus,
dass sich beide Ermittlungsbehörden in der Vergangenheit mehrfach
auf diese angeblichen Verbindungen Mouslis bezogen hätten.
So wären sie im August 1999 als Teil der Begründung für
eine Telefonüberwachung (TÜ) seines Anschlusses in dem
von ihm betriebenen Sportcenter 'Snoops' angeführt worden.
Diese Maßnahme sei später vom Bundesgerichtshof (BGH)
bestätigt worden. Es könne mit großer Sicherheit
vom Vorhandensein weiterer Ermittlungsergebnisse ausgegangen werden,
da das höchste deutsche Gericht seine Entscheidungen sicher
nicht allein auf Grundlage vager Vermutungen träfe.
Auch im November 1999, bei der Begründung für den Haftbefehl
des Kronzeugen selbst, wären seine angeblichen Verbindungen
zu diesem terroristischen Umfeld im Ausland wiederholt von BKA und
BAW angeführt worden. Da dieses Material wichtige Hinweise
für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen
liefern würde, sei eine Offenlegung prozessnotwendig.
Rasterfahndung auch erfolgreich in Sachen Kronzeuge?
Aber auch aktuellere Informationen über Mouslis angebliche
Kontakte zu 'arabischen Terrorgruppen' forderte RA Kaleck. Er verlangte
Auskünfte, ob die laufende Rasterfahndung nach dem 11. September
2001 neue Hinweise darüber erbracht hätten. Der Kronzeuge
entspräche schließlich den meisten derzeitigen Fahndungskriterien:
er sei in einem arabischen Land geboren worden, er hätte sich
längere Zeit seines Lebens in Libanon aufgehalten, eine Pilotenausbildung
beantragt, ein technisches Studium begonnen, Kontakte in arabische
Länder unterhalten und von dort finanzielle Zuwendungen bezogen.
Schliesslich hätte er sich selber als 'Schläfer' bezeichnet
und es sei ihm der Umgang mit Sprengstoff nachgewiesen worden. Es
sei deshalb davon auszugehen, dass dem BKA oder anderen ausländischen
Diensten neue Erkenntnisse über Mousli zur Verfügung stehen
müssten. Auch diese Informationen seien verfahrenserheblich
und deshalb vom Gericht anzufordern und in das Verfahren einzuführen.
Fotomappe auf Abwegen
Die Verteidigung der Angeklagten Sabine E. schloss sich mit einem
weiteren Antrag an. RA Eisenberg verlangte die Ladung des Dienststellenleiters
sowie des Zimmerkollegen des bereits vernommenen Kriminalbeamten
B. als Zeugen zum Fall Hollenberg. Sie sollen Auskunft über
den Verbleib der Fotomappe geben, die bei den Ermittlungen zum Tathergang
verwendet worden sei. Die Lichtbildsammlung selber und mindestens
zwei weitere Duplikate seien nach Angaben des Kriminalbeamten B.
nicht mehr aufzufinden. Diese Mappen sollen u.a. ein Bild der Angeklagten
E. enthalten. Ein Zeuge und der Verletzte selbst hätten damals
- nach Vorlage der Fotos - bei einer abgebildeten Frau Ähnlichkeiten
mit einer Tatbeteiligten festgestellt. Diese Merkmale hätten
aber keine Übereinstimmung mit dem Aussehen seiner Mandantin.
Letztlich sei ein Duplikat der besagten Bilddatei dem BKA übergeben
worden, aber auch von dort bisher nicht mehr herausgegeben worden.
Beflissentlich räumte die Richterin ein, dem auch von sich
aus schon nachgegangen zu sein.
"Knallzeugen" sind auch Zeugen
Nun begann der für heute angekündigte Zeugen-Reigen.
Dabei erschwerten die vergangenen 14 Jahre nicht nur das Erinnerungsvermögen
der ZeugInnen, sondern auch die Aufmerksamkeit des Publikums.
Es begann mit der Befragung von Joachim H. (55), der bei einem
Spaziergang in der Schottmüllerstraße das Motorrad erkannt
haben wollte, das zuvor in den Medien als Tatfahrzeug beschrieben
worden war. Er habe daraufhin sofort die Polizei verständigt,
erinnerte sich aber an keine Einzelheiten mehr.
Der Nächste war der 1. Kriminalkomissar a.D. Georg P. (70).
Er sei damals an den Tatort gerufen worden, habe aber lediglich
30 bis 45 Minuten damit zugebracht, Patronenhülsen auf dem
Gehweg zu suchen und Befragungen in den umliegenden Häusern
vorzunehmen. Soweit er sich erinnere, habe es nur "Knallzeugen",
keine Augenzeugen gegeben. Auf sämtliche Vorhalte des Gerichts
z.B. über die Anzahl der gefundenen Patronenhülsen, konnte
er nur erwidern, daß zuviel Zeit vergangen sei. Er wußte
auch nicht mehr, daß er den Tatortbericht unterschrieben hatte.
Und selbst wenn, habe er bestimmt nicht den gesamten Bericht verfaßt
und gelesen - was Richterin Hennig sehr erzürnte.
Georg P. war der erste Zeuge aus dem Staatsdienst, der aus dem
Gedächtnis berichten wollte, anstatt Inhalte von Polizeiakten
vorzutragen. Die Vorsitzende war auch darüber sehr ungehalten
und kritisierte, er habe sich nicht auf seine Befragung vorbereitet.
RA Euler erfragte, wie die Meldung über den Anschlag auf Dr.
Korbmacher zum Staatsschutz gelangt sei, ob es eventuell Aufzeichnungen
über Funkverkehr gebe. Der Zeuge konnte darüber keine
Auskunft geben.
Die Hausfrau Ute H. (71) konnte auch nur vermuten, daß das,
was sie im September 1987 zu Protokoll gegeben hatte, den Tatsachen
entsprochen habe: sie habe im Vorbeigehen gesehen, daß vor
ihrem Grundstück in der Schottmüllerstaße ein Motorrad
abgestellt gewesen sei.
Die Zeugin Helga K. (65), Diplom-Bibliothekarin, die ebenfalls
in der Schottmüllerstraße wohnt, erinnerte sich in erster
Linie an die Wut, die sie empfunden habe. Sie sei vormittags zu
ihrem Wagen gegangen, und ein Motorrad sei so dicht neben der Beifahrertür
geparkt gewesen, daß sie sich ernsthafte Sorgen um ihren Außenspiegel
gemacht habe. Sie beschrieb ihre damaligen Vermutungen: "das
muß doch gestohlen sein, sonst stellt man das nicht so ab".
Es sei wahrscheinlich schwarz gewesen, zum Typ des Motorrads konnte
sie aber keine Angaben machen. Wahrscheinlich hatte es ein Berliner
Kennzeichen, an die Nummer erinnerte sie sich aber nicht.
Motorradsitz mit Sprungfedern?
Nach der Mittagspause erschien der Zeuge Cornelius S. (38), ein
Programmierer aus Neuss. Er war Besitzer eines Motorrades Marke
Yamaha 550, blau-silber-metallic lackiert, mit weißer Sitzbank,
das ihm in Neuss gestohlen worden war. 9 Monate später wurde
er darüber informiert, daß sein Fahrzeug aufgefunden
worden sei, und er wurde zum Zweck der Identifizierung nach Berlin
geflogen. Obwohl es überlackiert worden sei, habe er es sofort
wiedererkannt. Aus dem Zustand der Reifen und des Motors schloß
Herr S., daß sein Motorrad keine große Entfernung zurückgelegt
haben könne. Der Tachostand käme ihm daher sehr unwahrscheinlich
vor.
Die Verteidiger Euler und Eisenberg interessierten sich für
die Beschaffenheit der Sitzbank, besonders die des hinteren Teils.
Sportlich- hart, gesäßfreundlich oder mit Sprungfedern?
Der Zeuge wußte es nicht, er habe immer nur auf dem vorderen
Teil gesessen, und der sei "ganz normal" gewesen.
Beobachtungen im Grenzbereich
Kriminalkomissar Detlef K. (50), bis 1989 beim Staatsschutz tätig,
setzte den Schlusspunkt. Er hatte seiner Erinnerung mit intensivem
Aktenstudium vorher Mut gemacht. Er habe auf Hinweis von HausbewohnerInnen
das Pol. Kennzeichen des als Tatmittel verwendeten Motorrades erhalten.
Es sei dann auch später am Tag aufgefunden worden. Die Überprüfung
des Halters B. mit dem Originalkennzeichen hätte ergeben, dass
es sich dabei um keine Doublette gehandelt habe, auch sei sein Fahrzeug
in einem deutlich besseren Zustand gewesen. Außerdem hätte
Herr B. für die Tatzeit ein bestätigtes Alibi.
Einen Tag später will das Ehepaar F. das angeblich beteiligte
Motorrad mit zwei Personen am Kontrollpunkt Drewitz beim Warten
auf die Grenzabfertigung beobachtet haben. Da sie selber Motoradinteressierte
seien, wäre ihnen der schwarz übersprühte Tank, die
unvollständige Motorradbekleidung und ein untypisches Verhalten
der Personen aufgefallen. Das Ehepaar F. hätte das Kraftrad
später eindeutig identifiziert. Nach Angaben der beiden ZeugInnen
seien damals zwei Phantombilder gefertigt worden, die anschließend
von allen Prozessbeteiligten in Augenschein genommen wurden.
Der Kriminalbeamte bestätigte, dass Herr und Frau F. auf ihnen
vorgelegten Fotos Gerd W. als eine ähnliche Person bezeichnet
hätten. Die Vorsitzende Hennig hielt ihm aus den Vernehmungsprotokollen
vor, damals sei aber der Name Jörg K. als ähnlich aussehend
genannt worden. Auch blieb unklar, ob es sich bei den eingesetzten
Fotos um die "hiesige Teil-Lichtbild-Vorzeigekartei" (eine
Sammlung des Staatsschutzes mit vermuteten interessanten Personen
aus der linken Szene) gehandelt habe oder um eine "polizeilichen
Lichtbildsammlung". Es konnte auch nicht geklärt werden,
ob die Lichtbilder möglicherweise bereits in den beiden A 5-Schnellheftern
enthalten waren, die der bereits vernommene Kriminalbeamte B. zusammengestellt
hatte. RA Euler versuchte auch über diesen Zeugen den amtsinternen
Meldeweg beim Staatsschutz zu erforschen. Leider wieder ohne Erfolg.
Fortsetzung Freitag, den 09.11.01 um 9.15 Uhr mit Einvernahme weiterer
ZeugInnen.
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