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88. Prozessra: 8. August 2002
100 Gramm Dynamit im Böcklerpark verschollen!
Der erste Prozesstag nach der Sommerpause führte zahlreiche
braungebrannte Prozessbeteiligte, hingegen kaum ZuschauerInnen in
den Sitzungssaal des Kammergerichts. Wer noch in Urlaubsträumen
schwelgte erwachte spätestens jetzt unsanft im Prozessalltag,
der bis Ende Januar 2003 bereits vorgeplant ist.
Strapazierte Beamtenhirne
Der erste Zeuge des Tages, ein 57-jähriger Kriminalbeamter,
war geladen worden, um Licht in das Verschwinden zweier Fotomappen
zu bringen, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Es wird
sich nicht klären lassen, ob der Beamte seine Rolle als tumber
Stubenhocker nur gut eingeübt hatte oder aber wirklich ....:
Er habe die beiden mit "Männer" und "Frauen" beschrifteten
DIN-A5- Ordner wohl Mitte 2001 im Zuge von Aufräumarbeiten
in seinem Büro durch den Papierschredder geschoben. "Ich war
davonausgegangen, dass die nichts mehr zu bedeuten haben", sagte
er. Die Befragung durch die VerteidigerInnen brachte jedoch zutage,
dass es schon ein ziemlicher Zufall sei, dass der Beamte die Mappen
kurz vor einem Anruf der Vorsitzenden Richterin zum laufenden RZ-Verfahren
und 5 Jahren nachdem er in das besagte Büro zum bereits vernommenen
Beamten Bredlow gezogen war sowie zwei Jahre nach dessen Ausscheiden
aus dem Dienst, beseitigen zu müssen glaubte. Zumal er von
dem RZ-Verfahren nicht nur gewußt, einzelne Hinweise Ende
der 80-er Jahre sogar selbst bearbeitet hatte und sogar die Namen
Sabine Eckle und Rudolf Schindler auf den den Mappen beigefügten
Namenslisten gelesen haben will. Wann er sich noch mal mit dem Ex-Kollegen
Bredlow getroffen oder mit ihm telefoniert habe und in welchemZusammenhang
das mit dem Anruf der Vorsitzenden und Bredlows Zeugenaussage stehe,
konnte der Zeuge nicht sagen: "Sie stapazieren mein Gehirn ganz
schön", erwiderte er auf die Befragung. Auffällig war
dennoch, dass solcheAktenvernichtungsaktionen nicht allzu oft vorkommen,
genauer mit des Zeugen Worten gesagt: "Dies eine Mal." Dass es sich
hier um einen "komischen Zufall" gehandelt habe, dass er so "plötzlich
und überraschend" gerade zum Zeitpunkt des laufenden Verfahrens
ausgerechnet die verfahrensrelevanten Originallichtbildmappen geschreddert
habe, bemerkteRechtsanwältin Studzinsky spitz.
Explosionsgefahr in Berliner
Parks
Auch die Geschichte des zweiten Zeugen des Tages war geeignet,
eine im Hintergrund der Verfahren laufende Verschleierungstaktik
übergeordneterBehörden vermuten zu lassen: Der im Jahre
1995 ermittelnde Kriminalbeamte Bernd K., heute 55-jährig frühverrentet,
war mit dem Fund von 4,8 Kilo Sprengstoff befasst. Ein Jüngling
war von seinem Onkel wegen des Besitzes des Sprengstoffes angezeigt
worden, nachdem er in dessen Anwesenheit versucht hatte, eine der
24 Dynamit-Stangen zu zünden. Dabei sei eine Hälfte der
Stange abgebrochen, jedoch nicht explodiert. Sie blieb im Park liegen
(vielleicht bis heute). Bei einer Hausdurchsuchung wurde damals
derSprengstoff - der später Mousli und den RZ zugeschrieben
wurde - gefunden und beschlagnahmt. Der junge Mann wollte ihn auf
einer Parkbank im Böcklerpark gefunden haben. Irritierend an
dem polizeilichen Verfahren ist jedoch, dass es keine richtige Analyse
des Sprengmittels gab, dass selbst das Gewicht des Fundes von der
PTU-Einwage erheblich abwich und dass Spuren schlicht nicht verfolgt
wurden. So hätte sich auch nach der Beschlagnahme des Explosivstoffes
die halbe Stange davon, die beim Zündungsversuch abgebrochen
sein soll, in dem Park befunden haben: keine bekannte Polizeieinheit
soll den Blindgänger je gesucht haben, zumindest keine, die
das protokolliert hätte (nicht Staatsschutz, nicht BKA, nicht
sonst jemand hat sich interessiert....). Auch den Hinweis eines
Zeugen, eines Freundes des beschuldigten Sprengstoffbesitzers, dass
derSprengstoff natürlich nicht auf der Bank im Park gefunden
worden sei, sein Kumpel vielmehr gesagt habe, er habe ihn aus "einem
Keller im Osten", ist nicht weiter nachgegangen worden.
Explosivstoffe von alten Seilschaften?
Es
galt also zu klären, welche anderen Dienstsstellen möglicherweise
mit der Sache befasst waren; der Beamte, der zunächst vorgab,
sich an nichts erinnern zu können, schilderte dann, das Verfahren
nach Sprengstofffunden: Es gehe eine Sprengstoff- Sofortmeldung
an das Bundeskriminalamt, beim zuständigen Landeskriminalamt
Berlin an zwei Abteilungen sowie an die beim mutmaßlichen
Herstellungsort zuständige Dienstsstelle, in diesem Falle Schönebeck
in Sachsen-Anhalt. Außerdem habe er den Explosivstoff zur
PTU (Polizeilich Technische Untersuchungsanstalt) wegen eines Gutachtens
eingereicht. Es sei ihm dann mitgeteilt worden, dass es sich um
24 Stangen zu 200 Gramm des gewerblichen Sprengstoffs Gelamon 40
handele. Von der zuständigen Polizeidirektion Magdeburg wurde
mitgeteilt, dass der besagteSprengstoff aus einem einstigen DDR-Betrieb
stamme und dort nur an Sonderbedarfsträger wie das MfS oder
die NVA ausgegeben worden sei. Ob man angesichts solcher Hinweise
nicht hätte nachfragen müssen, wollte Frau Lunnebach wissen.
"Soweit ich mich erinnern kann, haben wir das nicht so gesehen",
meinte der Zeuge. Rechtsanwalt Kaleck nannte es "einigermaßen
unglaublich", dass es im besagten Park keine Nachsuche durch die
Kripo gegeben habe, der Zeuge stimmte ihm grundsätzlich zu.
Nicht mehr Sonderbehandlung mochte Rechtsanwältin Lunnebach
das Geschehen um den Sprengstoff Mouslis zwischen 1995 und 1997
nennen, eher sonderlich. Einer der Bundesanwälte kommentierte:
"In jeder Behörde verschwindet schon mal was..." Q.e.d. Eine
schöne Bemerkung des Zeugen soll den treuen LeserInnen nicht
vorenthalten werden. Auf die Frage, ob er zwischendurch auch bei
anderen Dienststellen als der Sprengstoff- und illegale Waffen-
Abteilung gearbeitet habe meinte er: "Ich hab auch mal illegalen
Menschenhandel gemacht..."
Sprengstoff wirklich gut versteckt
Der dritte Zeuge konnte mit seinen kurzen aber klaren Aussagen
einmal mehr die Angaben des Bundesanwalts Homann entkräften,
es sei nicht sehr gründlich nach dem Sprengstoff im Mehringhof
gesucht worden. Er und seine sieben Kollegen haben mit der Entfernung
von Wand- und Deckenverkleidung, Probebohrungen, dann noch Spezialisten
vom BKA mit Sonden und Sprengstoffhunden zumindest den Musikraum
und einen Schuppen bis in den letzten Winkel gescannt. Weitere Kollegen
des 29-Jährigen sind zur Aussage für die kommenden Verhandlungstage
vorgeladen.
Im Falle eines Falles: Tesa oder Nopi
Enttäuscht hat der Gutachter der Firma Tesa (Beiersdorf) nur
durch seine Ergebnisse, weniger durch seine Scherze: So nannte er
das vom Gericht eingereichte Klebeband etwa das "Terrortape". Seine
ursprüngliche Aussage, es sei kein Band von Tesa musste er
insoweit revidieren, als es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um
ein Band aus der Produktion der dänischen Firma Nopi gehandelt
hat. Diese Firma wurde Anfang der 70-er Jahre vonTesa aufgekauft,
das in Frage stehende Klebeband in deren Flensburger Firma von 1985
bis 1996 hergestellt. Nun soll ein alter "Nopi-Hasi", auch "Nopi-Opi"
genannt, als Zeuge zu dem Produkt Nopi 4065 geladen werden, um über
das Seegraben- Band Aufschluss zu geben. Der Gutachter war erstaunt
über den bereits spürbaren Sachverstand der Prozessbeteiligten
und es wurde kurz erörtert, ob nicht die Vorsitzende Richterin
Hennig in des Gutachters Abteilung bei Tesa anfangen könnte.
Rechtsanwalt Euler regte an, sie dort in einer einzurichtenden "Unterwasser-
Abteilung" einzusetzen.Er spielte damit darauf an, dass Tesa keine
Unterwasser- Versuche mit seinen Klebeprodukten veranstalte (mit
welchen man Aufschluss bekäme über deren Feuchtigkeitsresistenz
und so über "unser" Seegraben-Paket ....), wohl aber Lagerversuche
bei 40 Grad Celsius.
Weiter Wühlen im Schlamm der Geschichte
Die Bundesanwaltschaft erklärte heute zur nicht erfolgten
Vereidigung, gegen die Zeugin der Verteidigung, Elisabeth E., die
vor der Sommerpause ausgesagt hatte, laufe seit dem 2.1.2001 ein
Ermittlungsverfahren wegender Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung nach § 129a und sie habe durch ihre Aussage diesen
Verdacht noch erhärtet, weshalb eine Vereidigung zu unterlassen
war. Sie sei insbesondere der Beihilfe zumSprengstoff- Anschlag
auf das Gentechnische Institut in Berlin im Oktober 1986 verdächtig,
zu welchem sich die "Rote Zora" bekannt habe. Sie habe erklärt
mit einigen der Angeklagten und einer weiteren Entlastungszeugin
in einem philosophisch- literarischen Zirkel zusammen gekommen zu
sein. Nach Meinung der BAW habe sie auch im Gerichtssaal eine radikal-
feministische Grundhaltung zugegeben, welcher mit dem Zirkel neue
geistige Grundlagen gegeben werden sollten, welche in militanter
Politik aus agiert werden sollten. Ihre Nähe zu den illegalen
Militanten sei durch ihre Teilnahme am Zirkel, die eine große
Erfahrungs- und Vertrauensbasis erfordert habe, hinreichend bewiesen.
Schließlich habe der Angeklagte Schindler zugegeben, dass
die RZ eine hoch klandestine Organisation mit ausgeklügeltemSicherheitskonzept
gewesen sei, zitierte Bundesanwalt Bruns. Richterin Hennig erinnerte
daran, dass sie eine Vereidigung wegen des Verdachts der Strafvereitelung
nicht vollziehen wollte. Rechtsanwalt König wies diese Einschätzungen
zurück und stellte selbst einen entfernten Verdacht gegen Elisabeth
E. in Abrede. Er erklärte, nur der Kronzeuge phantasiere eine
derart enge und freundschaftliche Beziehung zu den Angeklagten und
RZ-Verdächtigen. Elisabeth E. habe sich mit einigen Angeklagten
nach deren Ausstieg aus den RZ erst getroffen und sich an deren
Versuchen einer politischen Neuorientierung beteiligt.
Dem Terrortape auf den Grund gehen
Anträge von den Rechtsanwälten von Frau Eckle und Herrn
Glöde zu den "Terrortapes" sowie einen zu einem Ortstermin
am Seegraben lehnt die BAW ab. Auch einen TÜV- Sachverständigen
zum unverputzten Fahrstuhlschacht im Mehringhof will die BAW nicht
hören. Doch in Sachen "Seegraben" bleibt es spannend: Die Rechtsanwätin
Lunnebach besteht auf ihrem Ortstermin in Berlin Buch an jenem Gewässer;
sie will auch den BKA- Experten noch einmal hören, der sagte,
das Sprengstoffpaket wäre zu einem Drittel über der Oberfläche
des Seegrabens geschwommen, wenn alles lief wie von Mousli beschrieben;
sie will auch das Bundesamt für Materialprüfung mit der
Untersuchung des gefundenen Sprengstoffs beauftragen, da sie davon
ausgeht, dass es sich nicht um das Gelamon handelt, als welches
es derzeit "gehandelt" wird; außerdem will sie die Anhaftungen
des Sprengstoffpakets paläolimnologisch untersuchen lassen,
da sie davon ausgeht, dass nur Sommeralgen dem Paket anhaften können.
Rechtsanwalt Euler erkundigte sich noch nach dem Gesundheitszustand
des Kronzeugen und forderte Einsichtnahme in das ärztliche
Attest.
Die Verhandlung wird am Freitag, 9. August, um 10 Uhr fortgesetzt.
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