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72. Prozesstag: 3. Mai 2002

Erste Vernehmung einer Zeugin der Verteidigung

Am heutigen 72. Prozesstag wurde der BKA- Beamte van Elkan erneut als Zeuge befragt und musste erneut die Unterschlagung von Beweismitteln durch die Verteidigung aufgedeckt werden. Zudem wurde als eine erste Zeugin der Verteidigung die damalige Hausmeisterin des MehringHofs zu dem angeblichen Sprengstoffdepot und ihrer Arbeit vernommen. Der Prozesstag endete mit der als wiederholte Einschüchterung der Angeklagten zu verstehenden Behauptung, die Angeklagten Sabine E. und Matthias B. kämen als Rädelsführer der Revolutionären Zellen (RZ) in Betracht.

"Wir hätten gern etwas über das Leben von Herrn H[...] erfahren"

Der unvereidigt entlassene Zeuge, BKA- Mann van Elkan, gab den schulischen und beruflichen Werdegang des Angeklagten Axel H. wieder. Grund- und Oberschulzeiten, Abitur sowie Biologie- und Politologiestudium kamen dabei ebenso zur Sprache wie die Tätigkeit im Kneipenkollektiv "Spektrum", die Beschäftigung im Weinhandel und dann als Hausmeister im MehringHof. Zum von der Vorsitzenden Richterin als "Umfeld" bezeichneten Freundeskreis konnte van Elkan keine Angaben machen, wusste jedoch zu berichten, das Axel H. den im Oktober 1988 aus der Haft entlassenen Harry Stürmer (Bewegung 2. Juni) von der Justizvollzugsanstalt, also aus dem Knast, abgeholt habe. Auch Familien- und die finanziellen Verhältnisse kamen zur Sprache.

Ein zweiter Vernehmungsgegenstand betraf die Durchsuchung des Dachbodens im Wohnhaus des Angeklagten Matthias B. Dort habe er, van Elkan, Zeitschriften gefunden, unter denen sich auch das Magazin "interim" befunden habe. Nachdem bereits in der vergangenen Woche von der Verteidigung bemängelt wurde, dass das Aufzählen diverser Zeitschriften keinen Sinn mache, verzichtete die Vorsitzende Richterin auf einen erneuten Ritt durch den bundesrepublikanischen Blätterwald.

Auch der Zeuge van Elkan bestätigte sodann abschließend, dass er auf dem Dachboden keine Dinge gefunden habe, "die darauf schließen lassen, dass der Dachboden Herrn Borgmann gehört." Unvereidigt verließ er den Gerichtssaal.

Gerichtskollegen verneinen unbefangen Befangenheit

Nicht Gegenstand der heutigen Hauptverhandlung, indes bereits in der vergangenen Woche beschlossen, war der Antrag auf Befangenheit des 1. Senats durch die Verteidigung von Harald G.. Er wurde vom 2. Strafsenat mit der Begründung abgelehnt, es habe sich nicht um eine gezielte Benachteiligung der Verteidigung des Angeklagten Harald G. gehandelt. Vielmehr sei den zuständigen Beschäftigten ein "Irrtum" unterlaufen, so die lapidare "Begründung", als sie es verabsäumt hätten, ausgerechnet nur der Verteidigung von Harald G. ein entsprechendes Fax zu senden. Die Verteidigung von Harald G. war als einzige nicht von Verhandlungen unterrichtet worden, die zwischen dem Gericht und der Verteidigung von Rudolf Sch. stattgefunden hatten und zu dessen Einlassung sowie der Haftverschonung führten.

Erneute Unterschlagung aufgedeckt

Die Verteidigerin von Harald G., Silke Studzinsky, belegte sodann in einem Antrag, dass wieder einmal Beweismaterial - ohnehin nur stückchenweise von der Bundesanwaltschaft (BAW) herausgegeben - unterschlagen wurde. Telefonüberwachungsbänder wurden am 10. Januar 2001 in einer ersten Lieferung 274 herausgegeben, weitere 241 am 24. Oktober 2001 und erneut 473 Bänder am 5. November 2001. Insgesamt also 988. Diese, alle aus der Telefonüberwachung Tarek Mouslis stammenden Bänder stellen aber nach den Unterlagen des Bundeskriminalamtes (BKA) keineswegs den gesamten Bestand an Überwachungsbändern dar. Vielmehr konnte in dem heutigen Antrag nachgewiesen werden, dass es sich tatsächlich um insgesamt 1.084 Beweisbänder handelt, so dass mithin 96 Bänder der Verteidigung und dem Gericht vorenthalten wurden und werden. Da nach wie vor ungeklärt ist, ob die Telefonüberwachung Mouslis im Zeitraum zwischen 26. Mai und 8. September 1999 tatsächlich eingestellt wurde und es nun erneut belegt ist, dass Bänder vorenthalten werden, geht die Verteidigung von einer "gezielten Falschinformation" aus.

Auf diesen Antrag folgte, da die neue Zeugin erst für 10.15 Uhr geladen war, eine dreißigminütige Pause.

"Wir Kellerkinder"

Als erste Zeugin der Verteidigung wurde heute die damalige Hausmeisterin des MehringHofes, Uta K., vernommen. Die 43- jährige Heilpraktikerin berichtete ausführlich über die Verteilung von Schlüsseln an die jeweiligen im MehringHof tätigen Projekte sowie an die dort beschäftigten HausmeisterInnen und berichtete über ihre Tätigkeit.

Sie habe bereits 1986 aushilfsweise als Hausmeisterin gearbeitet. Von Oktober 1987 an habe sie, meist gemeinsam mit zwei Kollegen, unter ihnen der in Kanada lebende Lothar E., bis Mitte 1991 dann fest im MehringHof gearbeitet. Sie sei daher sicher, dass Axel H. dort vor August 1989 nicht tätig war. Dass er seine Tätigkeit im Sommer - ob Juli oder August sei ihr präzise nicht mehr erinnerlich - 1989 aufgenommen habe, wisse sie deshalb genau, weil sie zu diesem Zeitpunkt nur zwei Hausmeisterstellen gehabt, für das Decken eines Daches in dem großen Gebäudekomplex aber eine dritte Kraft dringend gebraucht hätten. Der MehringHof sei - der Beisitzende Richter Hanschke wollte das "mit Ihren eigenen Worten" erklärt haben - ein 1976 von selbstverwalteten Betrieben gekauftes Projekt, in dem soziale und politische Projekte, Schulen und Vereine gemeinsam arbeiten.

Tarek Mousli, der behauptet, im MehringHof sei in einem Fahrstuhlschacht Sprengstoff gelagert worden, zu dem nur die Hausmeister des MehringHofes Zugang gehabt hätten, ist für die weiteren Fragen des Gerichts verantwortlich. Aus den Antworten der Zeugin wurde deutlich, dass jedes Projekt im MehringHof eigene Schlüssel für seine Räume hatte und zusätzlich einen so genannten Halbgeneral, mit dem alle Tore und sämtliche Aufgänge geöffnet werden können. Die HausmeisterInnen waren mit einem Generalschlüssel ausgestattet, mit dem man zu allen Räumen des MehringHofes Zugang hat.

Tarek Mousli sei ihr seit Anfang der 80er Jahre bekannt gewesen, da im Verein "Tung Dojo" im MehringHof Kampfsport gemacht habe, er sei aber dort auch "allgemein bekannt" gewesen. Außer Karate habe er keine weiteren Tätigkeiten übernommen, sei in dem Verein vermutlich aber im Vorstand tätig gewesen.

Auch er habe einen Halbgeneralschlüssel besessen, mit dem er - wie alle anderen Nutzer des MehringHofes - Zugang zu allen Toren, allen Höfen, allen insgesamt fünf Aufgängen, zur Besenkammer, zum vorderen Fahrstuhl und zum Aufgang der Nottreppe (also dem Elektroraum) gehabt hätte. Im Elektroraum habe es keine Möglichkeit gegeben, ein Paket zu verstecken und auch der Fahrstuhlschacht käme dafür nicht in Betracht, denn dieser sei regelmäßig, aber ohne Vorankündigung, durch eine Wartungsfirma kontrolliert worden. Zudem hätte der TÜV, ebenso wie die Wartungsfirma, den Fahrstuhl selbst, den Schacht, den entsprechenden Motor und die Seile von oben und unten einmal jährlich kontrolliert; die Wartungsfirma sei etwa alle zwei bis drei Monate dort gewesen.

Wasser marsch

Da es sowohl regelmäßig ein Problem mit dem Grundwasser gab und bei stärkeren Gewitterregen ebenfalls das Abschöpfen von Wasser notwendig war, seien auch sie gezwungen gewesen, regelmäßig im Schacht tätig zu werden. Die Lagerung von Sprengstoff - "Wer das an mich herangetragen hätte, den hätte ich für bekloppt erklärt" - sei daher auszuschließen. Damit ist Mouslis Version - er hatte sich zunächst auf den Fahrstuhlschacht festgelegt, dann begonnen den Elektroraum für einen der denkbaren Lagerorte zu halten - nach zwei vergeblichen Durchsuchungsaktionen der Polizei - erneut als Lüge belegt.

Auch die Bundesanwaltschaft befragte die Zeugin. Ob bauliche Veränderungen dazu geführt hätten, dass Schächte entstanden seien, in denen man hätte Dinge unter einer Metallplatte verstecken können, verneinte die Zeugin. Zwar sei im Fahrstuhlschacht wegen der Wasserproblematik ein neuer Estrich gelegt worden, es habe sich aber auch vorher dort nur Estrich befunden. In dem - nicht unterkellerten -Elektroraum habe es hingegen nie eine Wasserproblematik gegeben, so dass es dort auch keine baulichen Veränderungen gab. Es habe im Bierkeller noch einen Schacht gegeben, der als Sickergrube für auslaufendes Bier gedient habe, aber offen einsehbar nur mit einem Gitter versehen gewesen ist.

Mousli, der offensichtlich eine besondere Affinität zu Wasser, aber keine zur Wahrheit hat - schon am Seegraben befand sich kein Sprengstoff an der von ihm angegebenen Stelle, der angebliche Lagerort des Sprengstoffes im MehringHof war offensichtlich besser besucht als die Bundesgartenschau und nass wie die Aquarien des Zoologischen Gartens - steht so mitten in zwei uneidlichen Falschaussagen.

Die lieben Kollegen...

Ebenfalls von der Bundesanwaltschaft befragt zu ihrem damaligen Hausmeisterkollegen Lothar E., gab die Zeugin an, Lothar E. habe dort von 1985/86 bis Anfang der 90er Jahre im MehringHof gearbeitet und sie seien zu dieser Zeit auch befreundet gewesen. Wann er nach Kanada gegangen sei - "vermutlich Mitte der 90er Jahre" - könne sie nicht genau sagen, denn sie habe zu diesem Zeitpunkt schon keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. Lothar E. sei auch mit Tarek Mousli befreundet gewesen, sie habe darüber aber keine detaillierten Kenntnisse.

Dass ihr Harald G. näher bekannt ist, darf inzwischen als ausgeschlossen gelten, denn auf diese Frage des Richters Hanschke zeigte sie spontan auf Matthias B. und benannte ihn als Harald G. - eine besonders pikante Verwechslung, ist doch der Angeklagten Matthias B. schon öfter als jemand anderes identifiziert worden und wird ihm derzeit zur Last gelegt, das RZ- Mitglied mit dem Namen "Heiner" zu sein. Von Harald G. hingegen, so die Zeugin entschuldigend, "dachte ich, sie gehören vielleicht zu den Anwälten."

Dass sich Tarek Mousli und Axel H. kannten, sei ihr schon so erschienen, ob sie aber befreundet waren, könne sie nicht sagen.

Sie selbst habe Axel H. "erst 1982 richtig" kennen gelernt, als er dort im Kneipenkollektiv "Spektrum" gearbeitet habe; einen Generalsschlüssel habe er aber erst 1989 mit dem Beginn seiner Hausmeistertätigkeit erhalten. Überhaupt sei über die Vergabe von allen Schlüsseln Buch geführt worden, bis 1986/87 habe die Verwaltung des MehringHofes die Verwaltung der Schlüssel gemeinsam mit den HausmeisterInnen unternommen, danach hätten das die HausmeisterInnen allein getan. Sie bestätigte auch, dass Axel H. bis Ende Mai 1984 im "Spektrum" tätig gewesen sei.

"Ein hübscher Junge..."

Rechtsanwalt Euler wollte sodann wissen, ob sie Kenntnisse über die politischen Einstellungen Tarek Mouslis gehabt habe. "Tarek Mousli", so die Zeugin, "gehörte zur autonomen Szene". Euler: "Was bedeutet das in concreto?" Zeugin: "Nichts."

Ansonsten sei ihr erinnerlich, dass er "ein hübscher Junge" war, der "ständig Frauenbeziehungen hatte. Dann sogar 'mal eine für länger. Die fiel auch etwas aus dem Rahmen, weil die wenig selbstbewusst aufgetreten ist." Den Namen habe sie jedoch vergessen.

Alberner Alban

Dann trat Richter Alban, der sonst vor allem durch mürrisch- unqualifizierte Bemerkungen und seine harte Haltung in Bezug auf Haftverschonung für den Angeklagten Harald G. in Erscheinung tritt, zur Befragung der Zeugin an. Nicht zuletzt ihm ist die fortgesetzte Erzwingungshaft von Harald G. zuzuschreiben.

Ihm ging es heute offensichtlich darum, der Zeugin nachzuweisen, sie gehöre zu den UnterstützerInnen der Gefangenen und mitten in die ihm so unangenehme - "ich weiss gar nicht, wie ich das anders sagen soll - Soli- Szene". Ob sie noch Kontakt zum MehringHof habe, ob sie an Veranstaltungen des so genannten "Soli- Bündnisses" teilgenommen oder sich an Demonstrationen für die Gefangenen beteiligt habe, ob sie die Internetseite "www.freilassung.de" und - "Zironenfalter heißt das ja wohl" - kenne, wollte er wissen. Doch da war nichts zu machen, die Zeugin gab an, sich zwar für den Prozess zu interessieren - "immerhin ist mein ehemaliger Arbeitskollege Axel davon betroffen" - und hätte auch 'mal einen "Zitronenfalter" - ein Info-Bulletin mit einer Auflage von mehreren 10.000 Exemplaren des "Bündnisses für Freilassung", dessen letzte Ausgabe im November 2000 erschien - "in den Händen gehalten", sich ansonsten aber nicht an den erwähnten Aktivitäten beteiligt.

Die insgesamt über einstündige Befragung endete mit der Vereidigung der Zeugin in weltlicher Form.

1. Strafsenat macht sich Anregung der BAW zu eigen

In einem Beschluss folgte heute das Kammergericht der "Anregung" der Bundesanwaltschaft (BAW), die Angeklagten Sabine E. und Matthias B. gegebenenfalls auch mit dem Vorwurf der "Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung" belegen zu können. "Die Rädelsführerschaft", so Gisela Hennig, "kommt in Betracht" und damit nach § 129a eine Haftstrafe von "nicht unter drei Jahren." Während sich das bei Sabine E. aus dem Abtauchen "in den Untergrund", ihrer angeblichen Teilnahme an überregionalen Treffen, der maßgeblichen Beteiligung an Diskussionen innerhalb der RZ und dem Kontakt zur zweiten Berliner RZ-Gruppe und dem Verfassen von Bekennerschreiben ergebe, so die Vorsitzende Richterin, sei bei Matthias B. - mit Ausnahme des Untergrunds - von denselben Tatbeständen auszugehen. Während also Mousli für seine beständigen Falschaussagen und Lügen - angeblicher Sprengstoff im Seegraben, angeblicher Sprengstoff im MehringHof, angebliche Identifizierung von Matthias B. als "Heiner" - gelobhudelt wird, geht es dem Gericht nach wie vor um die Einschüchterung der Angeklagten. Die "Anregung" der BAW darf verstanden werden als das, was sie ist: Ein erklärter Verurteilungswille über jedweden Zweifel hinweg und als Versuch, die permanenten Fehltritte Tarek Mouslis in langatmigen Stellungnahmen untergehen zu lassen.

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