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48. Prozesstag: 3. Januar 2002
Und weiter geht's
Nicht das 'dreckige Dutzend' sondern ein unerschrocken hartnäckiger
Kern verfolgte auf den ZuschauerInnenbänken den ersten Auftritt
des Kronzeugen nach gut dreimonatiger Abstinenz. Am ersten vollständigen
Verhandlungstag im neuen Jahr wurde Tarek Mousli vom Kammergericht
durch ein Potpourri von Fragen zu verschiedenen bereits verhandelten
Komplexen vernommen. Seine Zeugenaussagen enttäuschten auch
diesmal nicht, sie schlossen nahtlos an das bereits bekannte Aussageverhalten:
detailliert bei belastenden Feststellungen, ahnungslos bei seiner
eigenen Mitwirkung bzw. dem Erwerb seines angeblichen Wissens. Die
scheinbar planlose Verhandlungsführung des Kammergerichtes
tat das Seinige, um den Prozessbeteiligten ein schlüssiges
Folgen möglichst schwer zu machen. Davon völlig unberührt
blieb - wie gewohnt - die wie immer schwergewichtig besetzte Bank
der Bundesanwaltschaft (BAW). Das neues Gesicht am heutigen Tag,
der Bundesanwalt Balenta, reihte sich störungsfrei bei den
bisherigen Herren des Verfahrens ein, obwohl sein Volumen noch etwas
ausbaufähig erschien.
Probleme bei der Vergegenwärtigung, wer kennt
sie nicht?
Beim Anschlag auf das ZSA-Gebäude hätte er bei früheren
Vernehmungen die Beteiligung des Angeklagten Harald G. absolut sicher
zu Protokoll gegeben. Heute in der Verhandlung könne er die
Anwesenheit des Angeklagten am Tatort und -tag nicht mehr so bestätigen.
Sicher hätte jedenfalls nach der Aktion ein Nachbereitungstreffen
mit 'Judith', 'John' und 'Heiner' stattgefunden, dem der Zeuge damals
angeblich die Mitwirkung des 'Siggi' entnommen haben will. Einzelheiten
beim Zustandekommen des o.g. Treffens, wie auch bei den Tatvorbereitungen
für den Anschlag..."könne er sich derzeit nicht mehr
vergegenwärtigen."
Die ersten Überlegungen in 'seiner Gruppe' für einen
Anschlag auf die Siegessäule hätten Mitte/Ende 1989 begonnen.
Er selber hätte das Vorhaben natürlich für schwachsinnig
gehalten, symbolisiere die Siegessäule doch eine ganz andere
Bedeutung, z.B. für die Schwulenbewegung durch ihre gleichnamige
Zeitung. Nach der Aktion wäre er gelegentlich mit 'Sebastian'
am Tatort vorbei gefahren und dieser hätte ihn über Details
(Beschaffung von Nachschlüsseln, Positionierung des Sprengstoffes
und Fehlzündung eines Teiles der Ladung) informiert. Von 'Siggi'
will er wiederum gehört haben, dass auch 'Heiner', 'Anton'
und er selbst daran beteiligt gewesen sein sollen. Wo und wann dieses
Gespräch stattgefunden hätte, mit welchem Inhalt oder
weiteren Beteiligten konnte er nicht angeben. Auf alle Fälle
hätten 'John' und 'Judith' den Anschlag angeblich befürwortet.
Auf Vorhalt der Richterin Henning wurde deutlich, dass der Zeuge
bei seiner Vernehmung im August 2000 in diesem Punkt offensichtlich
genau das Gegenteil erklärt hatte. Damals hätten die beiden
Vorgenannten den Plan missbilligt. Selbst fragmentarische Frageversuche
des Beisitzenden Richters Alban zu diesem Widerspruch blieben ohne
die erhoffte Aufklärung. Auch zur Herstellung, Lagerung und
Transport des angeblich verwendeten Sprengstoffes könne er
keinerlei Angaben machen, ... "das wäre jetzt reine Spekulation
von mir."
Der Mehringhof mit explosivem Aufzug?
Zum angeblichen Sprengstofflager im Mehringhof: 1988 hätte
er von 'John' erfahren, dass ca. 20 kg des Materials auf die 'Insel'
kommen sollen. Nach kontroverser Debatte wäre auf Vorschlag
von 'Sebastian' der Mehringhof als Depot ausgesucht worden, der
(später dann 'Anton') auch das Lager verwaltet hätte.
Sebastian hätte dem Zeugen später dann einmal das Depot
gezeigt, das sich angeblich, mit einem schweren Metalldeckel verschlossen,
in einem Aufzugsschacht gegenüber der damaligen Kneipe EX mindestens
bis 1990 befunden haben soll. 'John', 'Judith', 'Anton' und vermutlich
auch 'Heiner' ("... weil die sowieso immer über alles
gesprochen haben ...") hätten von dem Versteck gewußt,
in dem der Sprengstoff, eine Pistole und eine Maschinenpistole aufbewahrt
worden wäre. Der Kronzeuge selber will nie etwas von diesen
Dingen gesehen oder berührt haben. Die Erfolglosigkeit zweier
gründlicher Durchsuchungen des von ihm exakt bezeichnetes Schachtes
durch das Bundeskriminalamt (BKA) fand keine Erklärung. Die
beim zweiten Anlauf vom Kronzeugen Mousli videogelenkten Beamten
konnten nicht einmal Staubproben von Sprengmaterial aufspüren.
Eine nachträgliche Einschätzung dieser ergebnislosen Bemühungen
des BKA wäre zumindest mit ihm angeblich nicht vorgenommen
worden.
Der beim Anschlag auf Hollenberg (Leiter der damaligen Ausländerbehörde)
gefertigte Brandsatz hätte mit dem o.g. Sprengstoff angeblich
nichts zu tun gehabt, der wäre aus anderem Material gefertigt
worden, gab der Kronzeuge an. Wer diesen gefertigt hätte, in
welchem Behältnis er sich befand, wer ihn transportiert hätte
und wie, darüber wollte aber Tarek Mousli keine Erinnerung
mehr besitzen. Zu der verwendeten Handfeuerwaffe konnte sich der
Zeuge hingegen ganz genau erinnern und angeben, dass 'John' für
diese zuständig gewesen sein soll. Was ihn zu dieser Annahme
verleitet hat, wo die Waffe gelagert und anschließend verwahrt
worden sei, ob sie entsorgt wurde, usw. konnten seinem Gedächtnis
hingegen nicht entlockt werden. Das ungläubige, intensive Nachfragen
der Verteidigung zu diesem Punkt veranlasste die Vorsitzende Richterin
ihre Schutzfunktion auszuüben: ..."aber der Zeuge weiß
doch nichts ...". Das würde auch für die benutzte
Waffe beim Anschlag auf den Richter Dr. Korbmacher gelten, fügte
der Kronzeuge hinzu. Sein Erinnerungsvermögen erhellte sich
dann aber zusehend bei den Aussagen, er selber habe nie eine Waffe
in der Hand gehabt und wäre auch nie mit einem Fahrzeug gefahren,
von dem aus geschossen worden ist.
Ein Brief wurde verlesen, der mit 'Hallo Langer' beginnen und mit
'Anton' enden würde. Sein spezieller Spitzname wäre diese
Anrede nicht, erklärte der Zeuge, auch hätte er diesen
Brief nie erhalten (er stammt aus der Rekonstruktion eines aufgefundenen
Karbonfarbbandes einer Schreibmschine). Grüße von einem
'Anton' seien ihm einmal von seinem damaligen Rechtsanwalt Frank
Assner übermittelt worden, der wiederum die Nachricht von dem
Anwalt Thomas H. erhalten haben will. Der Zeuge selber will aber
vom Rechtsanwalt von H. nicht direkt die Grüße ausgerichtet
bekommen haben ..... alles noch soweit klar am Kammergericht?
Ein Seegraben mit Untiefen
Weiter ging es im Galopp durch die Themenkomplexe mit dem angeblichen
Sprengstoffdiebstahl in Mousli's Keller und der Entsorgung des Restmaterials
in dem sprengstoffumwobenen Seegraben bei Berlin- Buch.
'Siggi' hätte ihn im März 1995 angerufen. Bei einem Gespräch
in einem Café habe er dann der kurzzeitigen Einlagerung von
Sprengstoff in seinem Keller zugestimmt. Er habe einen Zweitschlüssel
übergeben und kurze Zeit später hätte er im Keller
auch eine entsprechende Tasche entdeckt. Nach dem Einbruch hätte
er dann den restlichen Sprengstoff eingesammelt und in einem blauen
Müllsack mit Klebeband wasserfest neu verpackt. Da 'Siggi'
angeblich die Rücknahme abgelehnt habe, hätte er am selben
Abend das Paket in besagten Seegraben entsorgt. Die Einwurfstelle
unmittelbar in Parkplatznähe wäre für ihn auch später
bei wiederholten Vorbeifahrten (zu einem Hundetrainingsgebiet) weiterhin
deutlich zu erkennen gewesen, denn die blaue Farbe des Sackes hätte
sichtbar durch das Wasser geschimmert. Genau diese Stelle hätte
er dann später während seiner Untersuchungshaft in der
JVA Moabit auf einem Plan markiert und bei einer Ausführung
in Handfesseln die BKA-Beamten am 16.06.99 ohne Umwege direkt dorthin
führen können. Nachdem dort die Polizeitaucher auch am
darauffolgend Tag keinen Fund hätten machen können, wäre
er einen Tag nach seiner ersten Entlassung (08.07.99) mit den BKA-
Beamten Trede und Barbian sowie einem Forstbeamten ein zweites Mal
zu dieser Stelle gebracht worden. Dabei hätten sie dann den
Grabenverlauf ca. 200 m weiter abgesucht und auch noch einen anderen
ähnlichen benachbarten Graben, wiederum ohne Erfolg. Dass später
bei einer ausgeweiteten Suche im Seegraben sich dann doch noch der
gewünschte Erfolg einstellte, will der Kronzeuge erst bei einer
erneuten Vernehmung im Oktober 1999 erfahren haben. Explizit nachgefragt
beim BKA hätte er nach dem Suchergebnis jedenfalls nicht.
Ja, lüg' ich?
Abschließend stellte die Verteidigung einen Protokollantrag
(gemäß §183 GVG), da nun ein gravierender Widerspruch
zu der Aussage des damals beteiligten Polizisten Trede im Prozess
erkennbar war. Der hatte bei seiner Vernehmung das Gegenteil bezeugt:
er hätte sich bereits bei seinem ersten Ortstermin - an den
Kronzeugen gefesselt - durch ergreifend anstrengende Fußmärsche
mehrere Hundert Meter den Graben entlang gequält. Mousli hätte
mit ihm das ganze Areal großflächig abgesucht, weil sich
der Zeuge nicht genau an die Einwurfstelle hätte erinnern können......
Haben wir den ersten Meineid eines BKA-Beamten in diesem Prozess
erlebt oder sollte sich etwa der Kronzeuge doch als Kronlügner
betätigt haben .......? Die Auflösung erfolgt eventuell
schon morgen in der neuen Ausgabe der Kammerspiele in Moabit. Eines
war für die ProzessbeobachterInnen unübersehbar: der Seegraben
hatte es in sich, ob vorher oder hinterher werden wir vielleicht
noch erfahren, aber bei niedrigem Wasserstand stinkt's da gewaltig!!
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