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19. Februar 2009: Sechster und letzter Tag

Schmutziger Donnerstag [in Stuttgart statt Weiberfastnacht]

Der Tag begann mit der Verlesung des Urteils: zwei Jahre auf Bewährung wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen, von denen zwei Monate wegen der Überlänge der Verfahrensdauer bereits als vollstreckt gelten.

Dann brauchte die Vorsitzende Rebsam-Bender etwas mehr als eine Stunde, um die bereits weitgehend ausgearbeitete Urteilsbegründung zu verlesen. Darin ging es zunächst um die Geschichte der RZ und deren Strukturen. Obwohl auf die Autonomie und die Eigeninitiative der Zellen großer Wert gelegt worden wäre, hätte die Organisation doch den Charakter einer von einem Gesamtwillen getragenen Vereinigung. Grundlegende Entscheidungen wären gemeinsam getroffen und die politischen Leitlinien verbindlich vorgegeben worden. Für die Existenz eines Gesamtverbands sprächen auch:

  • der fünfzackige Stern mit der Inschrift RZ als gemeinsames Symbol
  • die regelmäßige Herausgabe des Revolutionären Zorn als 'Verbandszeitschrift'
  • die Berufung auf die Kontinuität der Organisation
  • die Zeitgleichheit und inhaltliche Bezugnahme von Anschlägen
  • identische Tatmittel verschiedener Gruppen [Wecker, gewerbliche Sprengstoffe]
  • enge persönliche Bindungen trotz unterschiedlicher Lebensräume

Ende der 1970er habe es dann wohl Brüche gegeben, die auch mit personellen Verlusten einher gegangen seien. Im Revolutionären Zorn 6 wäre zudem das in die Krise geratene Verhältnis zwischen legaler Linker und bewaffneten Gruppen dokumentiert. Das wäre die Ausgangslage, auf deren Hintergrund das Konzept der Flüchtlingskampagne entstanden sei.

Thomas wäre spätestens Mitte der 1970er Jahre in die RZ aufgenommen worden, die näheren Umstände konnten aber nicht ermittelt werden. Da er bereits 1976 in den Blick der Polizei geraten sei, hätte er in den RZ schnell als verbrannt gegolten. Ab 1985 hätte er sich verstärkt in die Diskussion um die Flüchtlingskampagne eingemischt und deshalb auch im selben Jahr an einem außerordentlichen Treffen in Österreich teilgenommen, das so bedeutend war, dass er es in seiner Einlassung als Gipfeltreffen bezeichnet hätte. Außerdem hätte er an der Herausgabe und am Vertrieb einer Extraausgabe des Zorn mitgewirkt und gemeinsam mit Enno Schwall das Interview vorbereitet, das dieser im Rahmen des Film Projekt Arthur gegeben habe. Nachdem er aufgrund eines Warnanrufs in den Untergrund gegangen war, hätte er an einem zweiten außerordentlichen Treffen Ende Dezember 1987 teilgenommen, bei dem es um die Bedingungen der Illegalität und die politische Reaktion auf die bundesweite polizeiliche Durchsuchungsaktion am 18. Dezember 1987 gegangen sei. Aus dem Untergrund heraus hätte er sich, obgleich nur indirekt, auch weiterhin für die Flüchtlingskampagne stark gemacht. Die Nachricht vom Tod von Gerd Albartus hätte ihn veranlasst, einen Entwurf zu dem Papier Gerd Albartus ist tot zu verfassen. In diesem Papier hätte er für eine Fortsetzung bewaffneter Politik plädiert und sich damit gegen die Auflösungstendenzen Anfang der 1990er Jahre ausgesprochen.

Ein persönliches Bild könne sich der Senat aufgrund seiner biografischen Angaben machen, die sich deckten mit Funden in seiner 1987 durchsuchten Wohnung [Lebenslauf, Bewerbungsunterlagen etc.]. Auch seine heutigen Lebensumstände seien bekannt. Nur zwischen dem 17.12.1987 und dem 4.12.2006, als er sich den Ermittlungsbehörden gestellt habe, klaffe eine Lücke, die trotz polizeilicher Maßnahmen nicht geschlossen werden konnte.

Als bewiesen sah das Gericht die Mitgliedschaft an aufgrund seiner Einlassung, die im Einklang stünde mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme, d.h. den Aussagen der BKA-Beamten, vorangegangenen RZ-Urteilen und vor allem der umfangreichen Selbstdarstellung in der Verbandszeitschrift. Er sei ein assoziiertes Mitglied aus dem Traditionszusammenhang der RZ, dessen 'Stimme Gewicht gehabt' hätte, ein 'Denker', der nur aus taktischen Erwägungen nicht an praktischen Dingen teilgenommen hätte. Zwar sei die Dauer der Mitgliedschaft schwerwiegend, strafmildernd müsse aber berücksichtigt werden, dass

  • die Taten sehr lange zurückliegen
  • er sich selbst gestellt und durch seine Einlassung wesentlich dazu beigetragen hätte, dass ein Verfahren schon nach sechs Verhandlungstagen zu Ende gegangen sei, was Monate hätte dauern können
  • ihm keine Mitwirkung an Anschlägen hätte nachgewiesen werden können
  • die Vereinigung nicht mehr besteht.

Abschließend betonte die Vorsitzende, dass der Senat keine politische Gesinnung oder Einstellung verurteile und durchaus sehe, dass es im Bereich der Flüchtlingspolitik nach wie vor viele ungelöste Probleme gäbe. Das Urteil richte sich vielmehr gegen die Mittel der RZ, die mit ihren Anschlägen ein friedliches Zusammenleben der Menschen gefährdet habe.

Dann wurde Thomas noch belehrt, dass er gegen das Urteil trotz der Absprachen Revision einlegen könne und mit einer Aufhebung der Bewährung rechnen müsse, wenn er sich in den nächsten drei Jahren strafbar machen würde.

Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig. Revision können beide Parteien bis zum nächsten Donnerstag einlegen, was allerdings niemand so recht erwartet.

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http://www.freilassung.de/prozess/thomas/prozess_06.htm