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Freitag, den 6.02.2009

Nachdem die Sitzung am 29. Januar wegen Erkrankung eines Mitglieds des Senats ersatzlos gestrichen worden war und das Gericht aufgrund der unbefriedigenden Aussagen des KHK Wolff am 23. Januar einen zusätzlichen polizeilichen Zeugen geladen hatte, drehte sich der vierte Verhandlungstag fast ausschließlich um die Ermittlungsergebnisse des BKA. Bevor es losging, wies RA Heinrich Comes den Senat allerdings zunächst darauf hin, dass die Öffentlichkeit nur bedingt gewährleistet sei, wenn dem Publikum bei den Einlasskontrollen Papier und Bleistift abgenommen würden. Die Vorsitzende sah darin keine Einschränkung der Öffentlichkeit und erklärte, dass Schreibgeräte als Wurfgeschosse benutzt oder aber deponiert werden könnten, um sie im parallel laufenden Prozess gegen die DHKP-C zum Einsatz zu bringen. Der sonst eher schweigsame Bundesanwalt Monka stärkte ihr diesbezüglich den Rücken, so dass Berichte wohl auch in Zukunft aus dem Gedächtnis geschrieben werden müssen.

Dann also waren die Zeugen an der Reihe. Derer drei waren aus Wiesbaden angereist: Bernd Deutesfeld, Jürgen Kühlemeyer und Angelika Baumert. Während J. Kühlemeyer wiederum generelle Aussagen zur RZ machen sollte, da er verantwortlich zeichnete für einen entsprechenden Sachstandsbericht aus dem Jahr 1992, sollten die beiden anderen vortragen, welche Erkenntnisse sie zu Thomas zusammengetragen hatten.

Dabei nahm vor allem die Befragung des Zeugen Kühlemeyer fast schon slapstickartige Züge an. Er war nicht nur schlecht vorbereitet, sondern auch ausgesprochen unwillig und mundfaul, so dass selbst der Senat ihn zweimal ermahnen musste, seinen Pflichten als Zeuge nachzukommen. Das Publikum erteilte ihm die Note: Setzen Sechs! Schon einleitend stellte er klar, dass von ihm nicht viel zu erwarten war: er habe 1991 und 1992 diesen Bericht geschrieben, sei aber weder davor noch danach mit eigenen Ermittlungen betraut gewesen und kenne die RZ deshalb eigentlich nur vom Hörensagen. Einen historischen Abriss konnte er nicht geben und auf die Frage nach der Bedeutung des Begriffes Miez antwortete er, dass der ihm völlig neu sei. Als die Vorsitzende dann mit ihm eine von ihm erarbeitete Liste von Anschlägen Revue passieren lassen wollte, die den RZ und der Roten Zora seit 1985 zugeschrieben werden, erklärte er knapp, dass ihm diese Anschläge nicht präsent seien, was die Richterin zu der Bemerkung veranlasste: 'Ich dachte, Sie haben sich auf die Vernehmung vorbereitet.' Um überhaupt zu einem Ergebnis zu kommen, musste J. Kühlemeyer schließlich die Liste zur Hand nehmen und anhand der Aufzeichnungen erläutern, nach welchen Kriterien Anschläge darin aufgenommen worden seien [Zielrichtung / Bekennung / Tatortspuren]. Dann wurde mit verteilten Rollen Anschlag für Anschlag vorgetragen, bis der Zeuge plötzlich keine Lust mehr hatte und erklärte: 'Das steht doch alles hier.' Damit handelte er sich allerdings eine Rüge von dem zweiten Richter ein, der ihm unter die Nase rieb, dass wir zwar alle selbst lesen könnten, lt. Strafprozessordnung aber nur die Dinge im Urteil berücksichtigt werden dürften, die mündlich in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien. Das half insofern, als im folgenden der Richter Datum und Ort des Anschlags vorlas und der Zeuge dies um Ziel und Tatmittel ergänzte. Am Ende wurde er noch kurz zu einer Einschätzung der Größenordnung der entstandenen Sachschäden befragt und dann durfte er schließlich - nach einer knappen Stunde - gehen.

J. Kühlemeyer war der zweite Zeuge des Tages; vor ihm hatte Bernd Deutesfeld seinen Auftritt. Er war deutlich besser präpariert und spurte so, wie man es von einem Zeugen des BKA erwarten darf. Er berichtete von dem Emes-Wecker und dem Fahndungsprogramm, das vom BKA in dem Zusammenhang 1984 entwickelt worden ist. Indirekt sei man darüber auf Thomas gestoßen. Da er beim BKA kein Unbekannter gewesen wäre, habe man ab März 1987 bis zu seinem Abtauchen dessen Telefon abgehört und dabei festgestellt, dass er in drei Fällen zu Hause nicht erreichbar gewesen wäre, während zeitgleich Mitglieder der RZ oder der Roten Zora andernorts aktiv geworden seien. Da ein anderer Aufenthaltsort für diese Zeiten nicht ermittelbar war, bestand der Verdacht, dass er an diesen Aktivitäten teilgenomen hatte. Konkret ging es um einen Sprengstoffdiebstahl in Salzhemmendorf, eine Serie von Brandanschlägen gegen den Bekleidungskonzern Adler und um einen Brandanschlag auf LKW's der Firma Rewe in Wesel. Außerdem habe man auf diese Weise den Anruf einer unbekannten weiblichen Person aufzeichnen können, durch den er am 17.12.1987 vor der für zwei Tage später geplanten bundesweiten Polizeirazzia gegen RZ und Rote Zora gewarnt worden sei.

Hier wurde der Zeuge kurz unterbrochen, um den Anruf im Gerichtssaal zu dokumentieren. Da die Tontechnik schlecht und der Text kaum zu verstehen war, wird er hier im Wortlaut wiedergegeben:

Ja?
Thomas?
Ja!
Du weißt nicht, wer ich bin, aber packt eure Sachen und haut ab. Morgen erlebt ihr ein Wunder. Ich weiß nicht, ob du weißt, was ich meine, ich geb dir nur einen guten Rat. Alle, die da bei euch drin hängen, macht das. Und außerdem, ihr werdet abgehört.'

Die Hausdurchsuchungen seien dann zwar vorgezogen, Thomas aber nicht mehr in seiner Hamburger Wohnung angetroffen worden. Die Auswertung der bei dieser und einer weiteren Hausdurchsuchung beschlagnahmten Gegenstände habe ebenfalls nichts ergeben. Der Revolutionäre Zorn Nr. 4 und eine Broschüre zur Imperialistischen Flüchtlingspolitik waren deshalb die einzigen Asservate, die in diesem Zusammenhang eingeführt und von den Prozessbeteiligten in Augenschein genommen wurden.

Nach 1990 war B. Deutesfeld dann noch mit der Auswertung der MfS-Unterlagen befasst. Dabei sei man auf einen Vorgang Separat und auf einen Vorgang Schlag gestoßen. Die Auswertung habe ergeben, dass Thomas zwischen 1979 und 1982 vermutlich mehrfach Johannes Weinrich auf dem Gebiet der DDR getroffen habe.

Auf die Frage nach der Zielrichtung und der Art der Anschläge der RZ antwortete Deutesfeld, dass es seit Anfang der 1970er Jahre ca. 200 Anschläge gegeben habe. Trauriger Höhepunkt wäre die Ermordung des Hessischen Wirtschaftsministers Karry, der nach einem Attentat verblutet sei. Sonst hätte die RZ immer Wert darauf gelegt, Unbeteiligte zu schonen. Man müsse sich aber vergegenwärtigen, dass bei der Art des Vorgehens - irgendwo eine Bombe ablegen, die erst Stunden später explodiert - viel mehr hätte passieren können, als tatsächlich passiert ist. Schwerpunkte wären Angriffe gegen den Bau der Startbahn West, gegen die Gentechnologie und die Asylpolitik gewesen. Ob es den RZ eher darum gegangen sei, Anhänger zu gewinnen oder aber Einfluss auf Behörden oder Entscheidungsträger zu nehmen, wusste der Zeuge nicht zu beantworten, er meinte allerdings, dass die RZ realistisch genug gewesen wären, um zu wissen, dass sie etwa den Bau der Startbahn nicht verhindern konnten.

Die Befragung des Zeugen dauerte ca. 30 Minuten und fiel damit um einiges kürzer aus als die seines Kollegen Kühlemeyer. Seine Aussagen waren allerdings auch weitaus flüssiger.

Nach der Mittagspause war dann Angelika Baumert an der Reihe, die ihre männlichen Kollegen an Professionalität um Längen übertraf. Sie brauchte keine Unterlagen und redete so schnell, dass sie zweimal gebremst werden musste. Dies ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass sie seit gut zwanzig Jahren in der Materie steckt und nicht zuletzt verantwortlich ist für die aktuellen Berichte über den 'Erkenntnisstand' zu Thomas sowie für die Zusammenstellung der Akten, die der Anklageschrift zugrunde liegen.

Zunächst wiederholte sie in komprimierter Form, was schon B. Deutesfeld über den Gang der Ermittlungen gesagt hatte, um sich in der Folge auf die Aussagen von Mousli zu konzentrieren und gezielte Fragen des Gerichts zu beantworten. Dabei ging es vornehmlich um organisatorische Strukturen der RZ, die regionalen Gruppen und das Verhältnis zwischen diesen Gruppen sowie einer irgendwie gearteten gemeinsamen Diskussions- und Entscheidungsebene, um überregionale Treffen, bei denen Grundsatzfragen debattiert worden sein sollen, um die Rolle der sogenannten Wäldler, um die Flüchtlingskampagne, die ab 1985 unter der zentralen Parole Für freies Fluten konzipiert wurde und in deren Verlauf 21 Anschläge verübt wurden. Es ging wieder um die Größenordnung dieser Anschläge, um die Finanzierung der RZ durch die Verfälschung von Postsparbüchern, um MfS-Dokumente, um die persönlichen Beziehungen zwischen Thomas und J. Weinrich, der Mitte der 1970er dessen Vorgänger in der Politischen Buchhandlung in Bochum war, und schließlich um Gerd Albartus und Enno Schwall, in deren Prozess die RZ erstmals als terroristische Vereinigung festgestellt worden war. Schließlich skizzierte Frau Baumert kurz die beiden Texte Gerd Albartus ist tot und Brief an Luka und ihren Stellenwert für die Diskussion in der Linken und die interne Auseinandersetzung. Lt. Mousli hätte Thomas auch den Brief an Luka geschrieben, ein internes Schreiben, das man bei dem Kronzeugen gefunden hat und in dem es um die Kontroverse zweier Führungspersönlichkeiten der RZ ginge, ob die Politik fortzusetzen sei. Der Verfasser des Briefes würde dies befürworten.

Auf die Frage, ob beim BKA Erkenntnisse darüber vorlägen, wo sich Thomas in den Jahren der Illegalität aufgehalten hätte, musste sie einräumen, dass zwar entsprechende Maßnahmen eingeleitet worden seien, die aber keine Ergebnisse abgeworfen hätten. Sie hätte Adrienne und Thomas erst bei ihrer vorläufigen Festnahme am 4.12.2006 wieder gesehen, nachdem zwischen der BAW und den AnwältInnen die Konditionen einer möglichen Rückkehr ausgehandelt worden waren. Die Vorführung beim Haftrichter hätte ebenfalls keinen Aufschluss über einen möglichen Wohnsitz gegeben.

Nach zwei, drei Rückfragen von Heinrich Comes und Thomas, die dessen vermeintliche Verantwortung für den Brief an Luka sowie die Fahndungsmaßnahmen des BKA mit der vermeintlichen Beteiligung von Frau Baumert zum Gegenstand hatten, war es 14:30 Uhr und Zeit, den Tag abzurunden. Frau Baumert wurde entlassen und die Verhandlung mit dem Hinweis auf das Programm des nächsten Verhandlungstages unterbrochen: dann soll nämlich zunächst das Selbstleseverfahren abgeschlossen werden, ehe zwei weitere RZ-Texte eingeführt werden, aus denen sich möglicherweise Rückschlüsse auf die Existenz einer Ur- bzw. Stammzelle ergeben, die das Treiben der regionalen Gruppen im Auge behält und einschreitet, falls diese aus dem Ruder geraten. Dabei handelt es sich u.a. um ein Schreiben aus dem Februar 1985, das mit Es ist zum Kotzen über- und mit Eine Gruppe aus dem Traditionsverein der RZ unterschrieben ist. Schließlich wurden die Vertreter der BAW und die Rechtsanwälte aufgefordert, sich auf die Plädoyers vorzubereiten, mit denen der 12.02. dann wohl ausklingen wird.

Nächster Termin: Donnerstag 12. Februar, 9:30 Uhr Stuttgart-Stammheim

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