www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  

Übersicht

Süddeutsche Zeitung 16.01.2009

Der letzte Prozess

Mutmaßlicher Linksterrorist in Stammheim vor Gericht

Von Bernd Dörries

Stuttgart - In Stuttgart-Stammheim saßen alle wichtigen RAF-Terroristen ein, hier wurde ihnen der Prozess gemacht. Am Donnerstag begann in Stammheim das wohl letzte Verfahren gegen einen mutmaßlichen Linksterroristen dieser Epoche: Thomas K., 60, angeklagt wegen Rädelsführerschaft bei der Terrororganisation Revolutionäre Zellen (RZ). Es ist vielleicht eines der letzten Verfahren in Stammheim überhaupt, die Justiz überlegt seit langem, den ehemaligen RAF-Trakt und das Gerichtsgebäude abzureißen: Es ist alles schon etwas bröckelig.

Der Wachdienst zeigt sich aber noch einmal in großer Form, höchste Gefahrenstufe. Alle Besucher werden durchsucht, müssen Telefone, Gürtel und alle möglichen Gegenstände am Eingang abgeben. Dem Korrespondenten der FAZ wird der Ehering vom Finger gezogen, weil er diesen auf die Richter schleudern könnte, so ein Wachtmeister. Journalisten der FAZ waren bisher nicht dafür bekannt, ihre Eheringe auf Richter zu werfen.

Andreas Baader und Gudrun Ensslin wurden stets durch einen speziellen Eingang ins Gericht gebracht. Thomas K. kommt durch den Zuschauerraum. Er ist ein freier Mann. Nach 19 Jahren auf der Flucht hatte er sich im Dezember 2006 der Polizei gestellt. Er trägt einen schwarzen Kapuzenpulli, hat graue Strubbelhaare und gibt als Beruf Lehrer und IT-Administrator an. Mehr möchte er nicht aussagen. Die Bundesanwaltschaft sieht in ihm eine der "dominierenden Persönlichkeiten" der Revolutionären Zellen und klagt ihn wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung an.

Die Revolutionären Zellen standen nie so im Rampenlicht wie die RAF, ihre Mitglieder agierten nicht aus dem Untergrund, sondern arbeiteten oft in ganz normalen Berufen. Untätig oder ungefährlich waren sie jedoch nicht. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft verübten die Revolutionären Zellen von 1973 bis 1993 etwa 180 Anschläge. RZ-Mitglieder waren an der Entführung einer Air-France-Maschine nach Uganda und dem Überfall auf die Opec-Konferenz in Wien beteiligt. Am Anfang wollten die Revolutionären Zellen ganz allgemein die Verhältnisse in der Bundesrepublik ändern. Mitte der achtziger Jahre begannen sie, ihre Aktionen gegen die Asyl- und Ausländerpolitik zu richten.

Thomas K. wird keiner konkreten Taten beschuldigt, sie sind alle bereits verjährt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm unter dem Aspekt der Rädelsführerschaft aber vor, sich besonders für die Durchführung von zwei Attentaten eingesetzt zu haben: 1986 wurden der Leiter der Berliner Ausländerbehörde und im September 1987 ein Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht mit gezielten Schüssen in die Knie schwer verletzt.

Thomas K. schaut ins Publikum und lächelt, während die Anklage verlesen wird. Dort sitzen etwa 30 Leute, die man früher wohl als Sympathisanten bezeichnet hätte. "Die Bundesanwaltschaft muss ihre Vorwürfe erst einmal beweisen", sagt Edith Lunnebach, die Verteidigerin von Thomas K. Dafür sind nun 19 Verhandlungstage anberaumt.

Suche     Mail
http://www.freilassung.de/prozess/thomas/090116_sz.htm