16.01.2009 / Heidenheimer Zeitung
Der Linksterrorist lächelt und schweigt
60-Jähriger wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung
angeklagt
Der letzte Prozess gegen die "Revolutionären Zellen" hat in
Stuttgart begonnen. Der Angeklagte soll ein Drahtzieher der Terrorgruppe
gewesen sein.
Rein äußerlich könnte der Mann glatt als Studienrat
durchgehen. Im langen Berufsleben in Ehren ergraut, mit Häuschen
im Grünen und einem alten Kastenvolvo vor der Garage. Doch
das täuscht. Thomas Kram sitzt nicht im Lehrerzimmer, sondern
im Hochsicherheitstrakt des Zuchthauses in Stammheim.
Und Kram steht trotz seines Permanentlächelns vor der Staatsschutzkammer,
weil er mutmaßlich Mitglied in einer Terroristengruppe war.
Er hat fast zwei Jahrzehnte im Untergrund gelebt. Seit gestern arbeitet
das Stuttgarter Oberlandesgericht ein letztes Stück Selbstjustiz
deutscher Terroristen auf. Angeklagt ist ein 60-Jähriger -
nach Auffassung der Bundesstaatsanwaltschaft einer der Drahtzieher
der "Revolutionären Zellen". Kein Mörder wie die RAF-Terroristen,
die vor ihm im gleichen, bombensicheren Gerichtssaal abgeurteilt
wurden, aber doch "eine dominierende Person", die bei den "Revolutionären
Zellen" zu den Denkern und Drahtziehern gehört habe. Er verfasste
Bekennerschreiben, nachdem Gesinnungsfreunde Richter und hohe Beamte
nach Mafia-Art in die Beine geschossen und schwer verletzt hatten.
Die "Revolutionären Zellen" schossen 1986 dem Bundesverwaltungsrichter
Karl Günther Korbmacher und im Jahr darauf dem Chef der Berliner
Ausländerbehörde Harald Hollenberg in die Beine. Dabei
hatten die Opfer Glück: 1981 war der damalige hessische Wirtschaftsminister
Heinz-Herbert Karry nach einem solchen Attentat verblutet. Welche
Schuld lastet auf Kram? Konkrete Tatvorwürfe fehlen, die Anklage
lautet nur auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.
"Eine ganz vage Geschichte", sagt Krams Anwältin: "Die Staatsanwaltschaft
hat einen Täter, jetzt sucht sie die Tat". Der Angeklagte selbst
schweigt - schließlich müsse die Staatsanwaltschaft die
Richtigkeit ihrer Thesen beweisen und nicht er seine Unschuld. Doch
warum musste sich Kram verstecken und blieb im Untergrund? 1987
verschwand Kram aus der Öffentlichkeit, agierte aber weiter
und verfasste noch 1991 ein Strategiepapier. In diesem Jahr kam
es auch zum zweiten und letzten Anschlag der Gruppe im Land, einem
Sprengstoffattentat auf das Böblinger Landratsamt.
Vor gut zwei Jahren stellte sich Kram. Er handelte mit den Strafverfolgern
aus, von der Untersuchungshaft verschont zu bleiben. Er betritt
und verlässt den Gerichtssaal zurzeit noch als freier Mann,
auch in den knapp zwei Dutzend Verhandlungstagen. Weswegen nicht
nur das geschichtsträchtige Stammheimer Hochsicherheitsgebäude
übertrieben erscheint, sondern auch der Aufwand, jedem Prozessbeobachter
gefährliche Gegenstände abzunehmen - bis hin zum Ehering.
Über all dies kann Kram augenscheinlich nur lachen. Anfang
Februar wird dann der Hauptbelastungszeuge vernommen, dessen Aussagen
bereits in Berlin zur Verurteilung von Krams Lebensgefährtin
geführt haben. Danach wird sich weisen, wer zuletzt lacht.
ANDREAS BÖHME
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