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Verteidigung

In der Strafsache gegen

Borgmann, Matthias

(1) 2 StE 11/00 (4/00)

wird beantragt,

das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen, weil ein nicht behebbares Verfahrenshindernis besteht.

Begründung:

Es liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Rechtstaatsprinzip, Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz, Allgemeines Freiheitsrecht, Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz; Artikel 6 Abs. 1 EMRK und Artikel 14 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte) vor.

Der Grundsatz des fairen Verfahrens zählt "zu den Grundpfeilern, der sich immer deutlicher herausbildenden gemeineuropäischen Verfassungsordnung und bildet ein Kernelement des europäischen Verständnisses von Rechtsstaat". (vgl. Pache, EuGRZ 2000, S. 601). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in vielen Entscheidungen zu Artikel 6 EMRK Kriterien zu dieser Verfahrensgarantie entwickelt. Zwei Aspekte sind dabei von besonderer Bedeutung in der Rechtsprechung des EGMR: Der Grundsatz der Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten und die Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens als kontradiktorisches Verfahren (vg. Pache a.a.O., S. 604 ff.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Artikel 6 Rdnr. 71 ff.).

Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof haben ebenfalls in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz des fairen Verfahrens anerkannt. Er wird teilweise aus dem Rechtsstaatsprinzip, Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz, teilweise aus dem allgemeinen Freiheitsrecht, Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz sowie Artikel 6 Abs. 1 EMRK hergeleitet. Die Ausgestaltung des Prinzips und der Anwendungsbereich des Grundsatzes sind im einzelnen höchst umstritten. Es haben sich jedoch eine Reihe von Fallgruppen herauskristallisiert, die das Prinzip für das Strafverfahren konkretisieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss dem Angeklagten als Ausfluss des Grundsatzes des rechtsstaatlichen Verfahrens "die Möglichkeit eingeräumt sein, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen". (vgl. BVerfG NJW 1983, S. 2762, 2763; NJW 1978, S. 151; NJW 1969, S. 1423, 1424) Der Beschuldigte darf im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein (vgl. BverfG NJW 1960, a.a.O.). Das Fair Trial-Prinzip gebietet die verfahrensrechtliche Waffengleichheit von Anklagebehörde und Beschuldigtem. Es "dient damit im besonderen Maße dem Schutze des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld streitet" (vgl. BVerfG NJW 1975, S. 103). Dies kann in einzelnen Fällen bedeuten, dass es aufgrund des Prinzips des fairen Verfahrens geboten ist, auf die Verwertung eines Beweismittels ganz zu verzichten (vgl. BGH NJW 1980, S. 464). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fordert, dass alle Beweise in öffentlicher Hauptverhandlung mit Blickrichtung auf eine kontradiktorische Argumentation erhoben werden. Auch im Vorverfahren erlangte Aussagen können als Beweise verwandt werden. Dies ist für sich allein betrachtet noch kein Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 und Abs. 3 der ERMK. Vorausgesetzt ist allerdings, "dass die Verteidigungsrechte gewahrt wurden" (vgl. EGMR, Strafverteidiger 1991, S. 193). Den wenigen vom Europäischen Menschengerichtshof entschiedenen Fällen zur Kronzeugenproblematik ist zumindest zu entnehmen, dass der Gerichtshof die Verwendung eines Zeugnisses eines Mittäters, das unter Freistellung von der Strafverfolgung gewonnen wurde, die Fairness des Verfahrens für die von diesem belastete Person in Fragen stellen kann (vgl. E 7306/1975 (1976), 7 DR 115; Fall Erdem gegen Bundesrepublik Deutschland, 38321/97). Wendet man diese mehr oder weniger abstrakten Leitsätze der Europäischen, der Bundesverfassungsgerichts- sowie der BGH-Rechtsprechung auf den Fall der hier Angeklagten an, kommt man zu dem Schluss, dass hier zwei grobe Verstöße gegen das Prinzip des fairen Verfahrens vorliegen und dass somit ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorliegt, das die Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO gebietet.

Die Verteidigung ist sich darüber im klaren, dass die Rechtsprechung im allgemeinen bei Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren nicht die Konsequenz zieht, ein Verfahrenshindernis anzunehmen. Der Unterzeichnende ist aber der Auffassung, dass hier ein extrem gelagerter Ausnahmefall vorliegt, in dem ein Teil der Literatur ein solches Verfahrenshindernis in Erwägung zieht (vgl. SK-Rogall, vor § 133 StPO, Rn. 102ff., 105 m.w.N.).

1. Beweiserhebung in einem kontradiktorischen Verfahren

Ohne die Aussagen des inzwischen verurteilten Kronzeugen Tarek Mousli bestünde kein hinreichender, geschweige denn ein dringender Tatverdacht gegen die Angeklagten. Bezüglich des Angeklagten Borgmann ist er - neben wenigen spärlichen Indizien § das einzige Beweismittel der Bundesanwaltschaft. Das Gebot eines kontradiktorischen Verfahrens würde daher § angewandt auf die hiesige Hauptverhandlung § bedeuten, dass der somit für den Verfahrensausgang entscheidende Zeugenbeweis Mousli in mündlicher öffentlicher Hauptverhandlung erhoben werden müsste.

Diese Zeugenvernehmung Mouslis könnte in Entsprechung der zitierten Rechtsprechung die Gewinnung eines Beweises in einem kontradiktorischen Verfahren bedeuten, in dem alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere auch die Verteidiger und die Angeklagten, das Recht hätten, durch Befragung des Kronzeugen und andere Verfahrenshandlungen seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen und damit auch Möglichkeit, den Anklagevorwurf zu entkräften.

Diese Chance ist jedoch nur theoretischer Natur. Die Realität des Verfahrens sieht grundlegend anders aus. Es wird wohl niemand ernsthaft behaupten wollen, dass der Kronzeuge Mousli, wenn er im hiesigen Verfahren als Zeuge vernommen wird, seine persönlichen Wahrnehmungen über in der Vergangenheit liegende Ereignisse bekunden wird, also dass er das wiedergibt, was er aus seiner heutigen Erinnerung heraus über die Geschehnisse der Jahre 1985 ff. weiß. Mousli wird vielmehr das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit von 1 ½ Jahren mit den Beamten des Bundeskriminalamtes und den Bundesanwälten in der Hauptverhandlung präsentieren wollen. Seine Aussage wird eine Mischung aus konkreten Erinnerungen, Hinzu- und Hinweggedichtetem, Erlerntem, nach Vorhalt durch die Ermittlungsbehörden Korrigiertem u.a. sein. Dies ist angesichts der anderthalbjährigen Arbeit gar nicht anders denkbar.

Die Arbeit sah im einzelnen so aus :

Mousli wurde § soweit hier bekannt und aktenmäßig nachvollziehbar - allein 44 mal zwischen seiner erneuten Festnahme am 23.11.1999 und der letzten uns bekannten Vernehmung am 24.1.2001 vernommen. Dazu kommen noch seine Auftritte als Zeuge in der Strafsache gegen Klein und Schindler vor dem Schwurgericht in Frankfurt/Main und seine eigene Hauptverhandlung.

Lediglich in den ersten beiden Vernehmungen am 25. und 26.11.2000 schildert in freien Berichten Mousli Sachverhalte aus seinem Gedächtnis. Danach werden ihm in weiteren Vernehmungen mehrere Lichtbildmappen mit einer Vielzahl von Einzelbildern vorgelegt. Außerdem fängt Mousli an, Skizzen sowie Notizen zu einzelnen Komplexen und Personen zu fertigen.

Dann werden ihm in den verschiedenen Vernehmungen § ohne die Daten und den Zusammenhang hier im einzelnen wiederzugeben - zwei mutmaßliche RZ-Papiere "Geschlechterkampf im Untergrund § 2. Teil" und ein Brief "Lieber Luka", die Erklärung "This is not a lovesong", das Bekennerschreiben zum Anschlag Dr. Korbmacher, eine sechsseitige Zusammenfassung seiner eigenen Aussagen zum Angeklagten Axel Haug, zum Angeklagten Harald Glöde, zu Lothar Ebke, zu "Malte" und "Lea", zu "Toni", Auszüge aus "Radikal" vom Juni sowie November, eine Zusammenfassung der Erkenntnisse zur Person mit dem Decknamen "Heiner", die Strategiepapiere der RZ vom Sommer 1987 "Zur KSV-Diskussion" und "Was ist der Zugang zur sozialen Frage und was nicht?", eine Zusammenfassung aus seinen eigenen Vernehmungen zum Anschlag auf die ZSA, eine Zusammenfassung der Erkenntnisse zum Schusswaffenanschlag auf Dr. Korbmacher, die RZ-Schriften "Gerd Albartus ist tot" und "Das Ende unserer Politik" sowie Zeitungsausschnitte und Artikel vom Bundeskriminalamt vorgelegt und zur weiteren Bearbeitung überlassen.

Er wurde darüber hinaus von den Ermittlungsbehörden häufig mit Widersprüchen in seiner Aussage konfrontiert und hatte bereits Gelegenheit, diese zu glätten. Weiterhin ist er mit einer Vielzahl von Aktenbestandteilen bekannt gemacht worden. Ihm wurden immer wieder Zusammenfassungen seiner eigenen Aussagen sowie weiteren Erkenntnissen zu einzelnen Personen und Tatkomplexen von seinen Vernehmern übergeben. Die mittlerweile vollkommen unklare Verfahrensrolle von Mousli, Rädelsführer oder Mitglied einer terroristischen Vereinigung, Mitbeschuldigter, gesondert Verfolgter, Kronzeuge, Zeuge gipfelt darin, dass er ausweislich des Vermerks des BKA vom 22.09.2000 (Bd. 80 S. 246 ff.) mit der Erstattung eines Gutachtens zu den mutmaßlichen Vordenkern der RZ beauftragt wurde, dass er auftragsgemäß am 06.10.2000 (Bd. 80, S. 248 ff.) erstattete.

Eine intensivere Auseinandersetzung mit der Kronzeugenproblematik und insbesondere mit der Problematik, inwieweit Mousli glaubwürdig ist, fand weder in dessen eigener Hauptverhandlung vor dem Kammergericht statt, noch sind Bundesanwaltschaft oder Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof im Vorverfahren auf die abstrakten und konkreten Bedenken der Verteidigung eingegangen. So zeugt es von ausgesprochen schwach ausgeprägter rechtstaatlicher Sensibilität, wenn die Bundesanwaltschaft meint, dass die damaligen Erörterungen der Verteidigung "von vornherein nichts zur Entkräftung der Glaubwürdigkeit des Tarek Mousli beizutragen" vermögen, so ausdrücklich in der Stellungnahme der BAW vom 21.6.2000.

Es können an dieser Stelle nicht alle die Bedenken wiedergeben werden, die in Literatur und Rechtsprechung im In- und Ausland dagegen vorgebracht werden (vgl. dazu mein Schriftsatz vom 05.06.2000), warum eine Verurteilung allein auf Grund eines Kronzeugen mit rechtstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar ist oder warum zumindest erhebliche Zweifel an der Aussage eines Zeugen angebracht sind, der nicht nur viele Gründe, sondern auch viele Möglichkeiten zu einer Falschaussage hatte. Der selbständige Unternehmer Mousli hat sich nicht nur in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung immense Vorteile erhofft. Er hat durch seine Aussagen zudem immense finanzielle Vorteile erhalten. Durch seine erste Festnahme am 14.04.1999 verlor er seinen festen Job als Verbandstrainer im Karateverband. Dies war jedoch laut Haftbefehlsantrag der BAW und laut Haftbefehl des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof seine "wesentliche Einnahmequelle", die für die Zukunft wegfallen. Mit diesem sozial und finanziell unsicheren Status wurde die Fluchtgefahr begründet. Seine heutige finanzielle Situation ist demgegenüber deutlich verbessert: als Angestellter im Zeugenschutzprogramm und freier RZ-Sachverständiger für das Bundeskriminalamt wird er seit Mai 2000 mit 2400 DM monatlich plus Miete, Krankenversicherungs- und Mietfahrzeugskosten sowie Telefongrundgebühren alimentiert.

Der ganze Verlauf seiner Aussagen seit seiner ersten Festnahme belegt darüber hinaus, dass er seit Beginn seiner Vernehmungen ein rein taktisches Verhältnis zur Wahrheit hat. Er be- und entlastet sich selbst und andere Personen nach freiem Belieben bzw. nach taktischen Gesichtspunkten. Dies lässt sich beispielhaft nachvollziehen, ohne in diesem Zusammenhang im einzelnen darauf einzugehen, wenn man den Aussageverlauf bezüglich einzelner von ihm belasteter Personen nachvollzieht. Neben den Angeklagten Axel Haug und Matthias Borgmann ist hier insbesondere der von Mousli ebenfalls Beschuldigte Lothar Ebke zu nennen. Diesen hat Mousli in seinen ersten Vernehmungen nicht als RZ- Angehörigen benannt. Erst am 30.12.1999, also einen Tag vor Ablauf der Kronzeugenregelung, bezeichnete Mousli Lothar Ebke als ein Mitglied der Revolutionären Zellen in Berlin.

Das Erschreckende jedoch an dem Umgang der Ermittlungsbehörden mit dem Kronzeugen Mousli ist die Art und Weise, wie sich darum bemüht wurde, die Vielzahl von Widersprüchen zum objektiven Geschehen und zu anderen Erkenntnissen im nachhinein zu glätten. Dabei fällt auf, dass die Widersprüche, die Mousli in seinen ersten Aussagen zu bestimmten Personen und Tatkomplexen produziert hatte, im nachhinein entweder in der Weise von den Ermittlungsbehörden beseitigt wurden, dass man ihm Vorhalte aus anderen Aktenbestandteilen machte und ihn so zu einer Änderung seiner Aussagen veranlasste. Andere Widersprüche wurden durch bestimmte Wertungen und Erklärungen der Ermittlungsbehörden als nebensächlich ausgeräumt. Als Beispiele seien im Nachfolgenden kurz zentrale Widersprüche des Kronzeugen Mousli zu den Anschlägen Hollenberg, 28.10.1986, Dr. Korbmacher, 01.09.1987 und ZSA, 05./06.02.1987 gemacht.

1) Anschlag Hollenberg 28.10.1986

So beschrieb Mousli beim Anschlag auf Herrn Hollenberg den angeblich von ihm selbst ausgekundschafteten Fluchtweg falsch. Er sprach von einer kleinen S-Bahn-Brücke statt richtigerweise von einem Bahnübergang. Das Fluchtfahrzeug war entgegen der ersten Aussage Mousli nicht gestohlen, sondern gekauft worden.

Diese Widersprüche werden in der Anklageschrift (Seite 100 ff.) damit erklärt, dass der Fluchtweg und der Plan hinsichtlich des Fluchtfahrzeuges dann wohl "nachträglich ohne Unterrichtung Mouslis geändert" wurden.

Die Schilderung Mouslis, der Schütze sei "Jon" gewesen, steht zwar im Widerspruch zum Flugblatt "Geschlechterkampf im Untergrund-Teil 2" und vor allem zu der insoweit klaren Zeugenaussage des Geschädigten, Herrn Hollenberg selbst, der eine weibliche Schützin bemerkt haben will. Dieser Widerspruch wird durch die BAW so aufgelöst, dass die Verfasser des Flugblattes mit den Worten "Schliesslich war es eine Frau, die dem... Hollenberg die Knie durchschossen hat... " von der politischen Verantwortung sprachen und der Zeuge, Herr Hollenberg, das Geschehen ohnehin nicht richtig wahrgenommen habe.

2. Anschlag Dr. Korbmacher 01.09.1987

Zum Anschlag auf Dr. Korbmacher meinte Mousli, das Tatmotorrad sei mit gestohlenen Kennzeichen bestückt worden. Angesprochen auf den Widerspruch zu den anderslautenden Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden, dass nämlich die Kennzeichen Neuprägungen waren, berichtigt Mousli dann, "Jon" habe aus Verschleierungsgründen die Unwahrheit gesagt.

Den Ort des Diebstahls des gestohlenen Fluchtfahrzeuges, des VW-Passats verwechselt der Kronzeuge ebenso wie den Modus des Diebstahls. Aber immerhin könnte man ihm, wenn man sarkastisch wäre, zugute halten, dass der von ihm geschilderte und der tatsächliche Diebstahlsort beide in Berlin-Schöneberg liegen und bei der Schilderung der Ausführung habe er halt nur die beiden Anschläge Hollenberg und Dr. Korbmacher durcheinandergebracht. Bei der falschen Darstellung hinsichtlich der angeblich gestohlenen, in Wirklichkeit aber auch hier legal beschafften Autokennzeichen des Fluchtfahrzeuges wird auf die Erklärung der geringfügigen Abweichung gleich verzichtet.

Der Wert der Aussage von Frau Tollkühn, der er laut deren erster Aussage erzählt haben will, er sei Fahrer des Motorrades sowie Schütze gewesen, wird mit dem kaum nachvollziehbaren Argumenten geschmälert, da habe sie wahrscheinlich etwas durcheinandergebracht (Anklageschrift S.100 ff.).

3. Anschlag ZSA 5./6.02.1987

Bei der ZSA gibt Mousli zunächst an, "Jon" habe den Sprengsatz gebaut, dann, dass "Jon" und "Judith" ausschließlich den Sprengsatz gebaut und entwickelt haben. Die Entwicklung dieser Aussage soll nach Auffassung der Bundesanwaltschaft deutlich machen, "dass sie nicht widersprüchlich sind, sondern vielmehr eine geschlossene Einheit bilden".

Harald Glöde war zwar in der Tatnacht im Polizeigewahrsam und nicht, wie Mousli zunächst geschildert hatte, bei der Sicherung des Anschlags beteiligt. Hier findet die Bundesanwaltschaft die Lösungsformel, Mousli habe sich immerhin um eine wahrheitsgemäße Aussage bemüht, da er zwischen sicheren und weniger sicheren Erinnerungsteilen differenziert habe. Für den unbefangenen Betrachter ist das Hervorheben eines Bemühens an und für sich immer das sichere Indiz dafür, dass da jemand in seinem Bemühen nicht sonderlich vorangeschritten ist.

Nach Mouslis Aussage sollte zwar die zentrale Computeranlage der ZSA getroffen werden, während der Anschlag tatsächlich nur den Versorgungstrakt betraf. Es sei aber "ohne weiteres denkbar, dass Matthias Borgmann insoweit nur über unzureichende Informationen verfügte". Die Wahrnehmungen Mouslis hinsichtlich des verwendeten Sprengstoffs sind zwar mit "dem durch Sachverständigengutachten festgestellten objektiven Befund nicht vollständig in Einklang zu bringen", so gesteht selbst die BAW zu. Aber auch hier ist ein Ausweg schnell gefunden: die anderen am Anschlag Beteiligten hätten "ohne sein Wissen" eine andere Mischung verwendet (Anklageschrift S.106ff.).

Es bleibt mithin eine imposante Ansammlung von Widersprüchen bei den Schilderungen der Details der einzelnen Anschläge festzuhalten, die in einem "normalen" Verfahren ausreichen würden, die Aussagen Mouslis zu diskreditieren, jedenfalls keine Haftbefehle gegen weitgehend unbestrafte und in geordneten Verhältnissen lebenden Menschen zu begründen.

Die aufgezählten Widersprüche seien hier nur beispielhaft genannt. Es soll an dieser Stelle nicht im einzelnen auf sie ankommen.

Aufgrund der bisherigen Erfahrungen der Verteidigung in diesem Verfahren muss davon ausgegangen werden, dass der Kronzeuge sowohl mit den Vernehmungsbeamten des Bundeskriminalamtes, den Bundesanwälten, als auch den Zeugenschutzbeamten des Bundeskriminalamtes und weiteren unbekannten Personen eine Vielzahl von Gesprächen über den Verfahrensgegenstand geführt hat. Schon anhand der Akte ist annähernd nachvollziehbar, dass sich diese Gesprächskontakte nicht nur auf förmliche Vernehmungen beschränkten, die möglicherweise korrekt wiedergegeben in Vernehmungsprotokollen auftauchen. Vielmehr wurden von Beginn an mit dem Kronzeugen Gespräche geführt, die nur zu einem Bruchteil durch Vermerke festgehalten wurden. Schon die wenigen festgehaltenen Vermerke belegen jedoch, wie die Ermittlungsbehörden steuernd auf Mousli einwirkten.

Bekanntlich wurde Tarek Mousli am 23.11.1999 gegen 5.50 Uhr in seiner Wohnung in Schönow festgenommen. Er fuhr dann gemeinsam mit dem festnehmenden Beamten in einem Dienst-Pkw des BKA nach Karlsruhe. Dort wurden weitere Gespräche mit ihm geführt. Am Abend des 23.11.1999 soll Herr Mousli dann um ein Gespräch gebeten haben, in dem es um die Kronzeugenregelung ging (vgl. Vermerk der BKA-Beamten van Elkan und Schulzke Bd. 15, Bl.1 und 2). Es soll dann weiterhin am 24.11.1999 noch zu einem längeren Gespräch zwischen 12.35 Uhr und 14.55 Uhr während des Transportes von Karlsruhe nach Köln-Ossendorf gekommen sein. Über dieses Gespräch existiert kein Vermerk. Vielmehr beschreiben die Beamten in ihrem Vermerk vom 26.11.1999, dass der Gesprächsverlauf während der Fahrt von Karlsruhe nach Köln-Ossendorf zwischen dem Beschuldigten und EKHK Schulzke in der Vernehmung vom 25.11.1999 niedergelegt sei.

Am 24.11.1999 kam es dann (ausweislich Bd. 11, S. 95 bis 97) zu einem Gespräch zwischen dem Kronzeugen und Oberstaatsanwalt Monka im Beisein der BKA-Beamten Schulzke und von Elkan. In dem Vermerk von Oberstaatsanwalt Monka vom 29.11.1999, der überschrieben ist mit - Ermittlungsverfahren gegen Tarek Mousli wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung u.a. - heißt es dann unter anderem: "Eingangs wies ich den Beschuldigten darauf hin, dass er nun gehört habe, was ihm inzwischen vorgeworfen wird. ... Ich hielt ihm vor, dass er sich bewusst sei, in welcher schlechten Position er sich nun befinden würde. ... Im ungünstigsten Fall, so erklärte ich ihm, hätte er mit umfangreichen Ermittlungen, einer langen Ermittlungsdauer und einer langen Hauptverhandlung zu rechen, bei der eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten wäre. Ich sprach von fünf bis sechs Jahren Freiheitsstrafe." Zur Begründung des selbst in dem Haftbefehl gegen Mousli noch angenommenen dringenden Tatverdacht wegen Rädelsführerschaft diente damals die als glaubwürdig eingestufte Aussage der ehemaligen Freundin des Kronzeugen, Frau Carmen Tollkühn. Diese hatte nämlich berichtet, dass sich der Mousli ihr gegenüber eingehend geäußert habe, dass er eine führende Rolle innerhalb der Organisation inne gehabt habe. Er habe ihr gegenüber selbst eingeräumt, dass er im Falle des verletzten Richters, gemeint war Dr. Korbmacher, selbst geschossen hat. Von diesen damals noch als glaubwürdig eingestuften, weil als Druckmittel benötigten Aussagen und den rechtlichen Schlussfolgerungen, nämlich die Annahme einer Rädelsführerschaft, rückte man dann im weiteren Verlaufe des Verfahrens gegen Mousli ab. Es wurden die Aussagen von Mousli selbst als durchweg glaubhaft bezeichnet und die Aussage der Carmen Tollkühn in ihrer Bedeutung herabgestuft.

Aber darauf kam es zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr an. Denn das von Oberstaatsanwalt Monka in seinem Vermerk vom 29.11.1999 formulierte Ziel war bereits erreicht. In dem Vermerk heißt es nämlich weiterhin:

"Auf der anderen Seite gäbe es den günstigsten Fall, der dann verwirklicht wäre, wenn er ein Geständnis ablegen würde, wenn es zu einer schnellen Hauptverhandlung kommen würde und wenn er Aufklärungshilfe liefern würde im Sinne der Kronzeugenregelung, die zum Jahresende ausläuft. Die Aufklärungshilfe müsste in diesem Fall dahingehen, dass die Ermittlungsbehörden durch ihn weiterer Täter habhaft werden könnten. Ich sprach in diesem Zusammenhang von Knüllern."

Der Kronzeuge bemühte sich dann in seinen Vernehmungen nach dem 24.11.1999, diese Vorgabe zu erfüllen und "Knüller" zu liefern. Dabei fällt bei der Betrachtung der einzelnen Vernehmungen auf, dass der Grad der Belastungen von verschiedenen Personen gegen Jahresende, zum Zeitpunkt des Ablaufes der Kronzeugenregelung hin, zunimmt.

Einen Tag vor Fristablauf, am 30.12.1999 kommt es dann zu einer Vernehmung in der JVA Köln-Ossendorf. Dort führt Mousli zunächst aus: "In der Zeit vom 23.12.1999 bis heute ist mir so einiges durch den Kopf gegangen. Auch auf die Gefahr hin, dass später jemand versucht, mit dieser Aussage meine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen, gebe ich diese Erklärung ab." Weiter unten heißt es: "Aus Sorge um die Sicherheit von Carmen habe ich mich dazu entschlossen, auch die Identität von Sebastian preiszugeben. Bei dem RZ-Mitglied mit dem Decknamen Sebastian handelt es sich um Lothar Ebke. Lothar Ebke und ich gingen zusammen in die RZ. Er war also nicht nur Unterstützer, wie ich bisher immer angegeben habe. Er war Mitglied der RZ." Das liest sich nett, man möchte meinen, da habe einer produktiv die Weihnachtstage genutzt.

In der Aussage des vernehmenden Polizeibeamten EKHK Schulzke in der Hauptverhandlung vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts gegen Tarek Mousli am 13.12.2000 hört sich die Geschichte allerdings etwas anders. Auf die entsprechende Frage des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Dr. Dietrich: "Es fällt auf, dass Ende Dezember 1999 ein gewisser Wandel in der Aussage auftaucht?" antwortet der Zeuge Schulzke sinngemäß, man habe den Eindruck gehabt, dass Mousli zu der einen oder anderen Person hätte mehr sagen können. Das habe man ihm deutlich gemacht und zwar Ende Dezember. Am 20./21.12.1999 sei man noch einmal bei Mousli in der JVA gewesen und habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass die Kronzeugenregelung für ihn nur dann greift, wenn er rückhaltlos Angaben macht und am 30.12.1999 diese Möglichkeit für ihn auslaufen wird und er sich noch einmal überlegen soll, ob nicht die eine oder andere Sache zu sagen wäre. Zwischen Weihnachten und Neujahr habe er dann gebeten, zu kommen. Zwischen Weihnachten und Neujahr sind dann diese Aussagen entstanden.

Ein Vermerk über die Gespräche von Herrn Schulzke und seinen Kollegen mit dem Kronzeugen ist unseren Akten nicht zu entnehmen. Nur durch die Anwesenheit einzelner Verfahrensbeteiligter während der Hauptverhandlung gegen Tarek Mousli vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts wurde die Tatsache, dass weitere Gespräche zwischen den BKA-Beamten und Mousli geführt wurden, bekannt. Es liegt auf der Hand, dass die Gespräche für die Entwicklung der Aussage Mousli von entscheidender Bedeutung sind. Dies sollte jedoch nicht die letzte Überraschung der Verteidigung über nicht aktenkundige Gespräche zwischen Staatsschutzbehörden und Kronzeugen gewesen sein.

Mit Schreiben vom 09.01.2001 wandte sich der Unterzeichner an das Kammergericht und bat darum, ihm ein, in seinen Akten nicht befindlichen Vermerk von Bundesanwalt beim BGH Dr. Morré vom 17.05.2000 zu übersenden. Das Kammergericht teilte zunächst mit, dass der Vermerk in den Akten des Kammergerichts ebenfalls nicht vollständig vorhanden war. Am 18.01.2001 wurde dem Unterzeichner dann von Staatsanwalt Mägerle bei der Bundesanwaltschaft ein Schreiben übersandt, in dem es hieß, "dass aufgrund eines nicht mehr nachvollziehbaren Versehens beim Kopieren der Akten es zu der fraglichen Lückenhaftigkeit gekommen sei", es wurde der Vermerk vom 17.05.2000 übersandt. Der Inhalt des Vermerks vom 17.05.2000 bezog sich auf eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung mit dem Kronzeugen am 18./19.01.2000 in der JVA Köln-Ossendorf durch Bundesanwalt Dr. Morré.

Ohne jetzt im Einzelnen auf den Inhalt des Vermerkes einzugehen, kann festgehalten werden, dass der Vermerk die für das Wiedererkennen und damit für die Anklageerhebung gegen Matthias Borgmann entscheidende Situation wiedergegeben hat. Dies bedeutet, dass ein Geschehen, das am 18./19.01.2000 stattgefunden hat, mit wenigen Worten in einen Vermerk vom 17.05.2000 niedergelegt wird und dieser dann letztlich am 18.01.2001, also ein Jahr nach den Geschehnissen und neun Monate nach Inhaftierung von Matthias Borgmann der Verteidigung Borgmanns zur Kenntnis gelangt. Ohne dass an dieser Stelle im einzelnen auf die Entstehungsgeschichte oder die mögliche Entstehungsgeschichte des Vermerks oder die Hintergründe des Gespräches eingegangen werden soll, bleibt doch festzuhalten, dass das ganze Geschehen ein Schlaglicht auf die Manipulationsmöglichkeiten der Staatsschutzbehörden in diesem Verfahren wirft. Die Staatsschutzbehörden hatten den Kronzeugen seit dem 23.11.1999 in der Hand. Sie haben ihn am 23./24.11.1999 mit der Drohung einer fünf- bis sechsjährigen Freiheitsstrafe wegen Rädelsführerschaft unter Druck gesetzt. Sie haben ihn zu einem weiteren Zeitpunkt, der bis zum heutigen Tage vermerksmäßig nicht in unseren Akten erfasst ist, nochmals unter Druck gesetzt, um weitere "Knüller" zu liefern. Schließlich hat ein Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof entscheidend an der angeblichen Identifizierung eines der Angeklagten mitgewirkt.

Diese drei Vorkommnisse, auf die sicherlich im einzelnen zu einem späteren Zeitpunkt noch eingegangen werden muss, belegen die Ausgangsthese, dass die Vernehmung Mousli in der hiesigen Hauptverhandlung nicht gleichbedeutend mit der Erhebung eines Zeugenbeweises in kontradiktorischen Verfahren ist. Vielmehr werden Gericht und Verteidigung die Arbeitsergebnisse der Ermittlungsbehörden zur Kenntnis nehmen dürfen und je nach Standpunkt diese für eine Verurteilung ausreichend oder eben nicht ausreichend halten. Der Zeugenbeweis Tarek Mousli kann jedoch in dieser Hauptverhandlung nicht mehr erhoben werden, als Zeuge ist Tarek Mousli unbrauchbar gemacht worden. Niemand wird mehr nachvollziehen können, welche Angabe von Mousli in der hiesigen Hauptverhandlung auf welchen Erkenntnisquellen beruhen.

Einen Vorgeschmack konnte man bereits in der Hauptverhandlung gegen Mousli vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts bekommen. Diese Verhandlung hatte wenig mit der Wahrheitserforschung mit strafprozessualen Mitteln zu tun. In den schriftlichen Urteilsgründen wird auf knapp 45 Seiten der persönliche Werdegang sowie die Feststellungen zu den Revolutionären Zellen, wie sie der Kronzeuge referiert hatte, niedergelegt. Auf einer Seite findet dann eine "Beweiswürdigung" statt. Dort heißt es dann lapidar, die "Feststellungen beruhen in erster Linie auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten, der sich nach seiner inneren Abkehr von den Revolutionären Zellen und deren Methoden den Ermittlungsbehörden in einer Art Lebensbeichte geöffnet und auch in der Hauptverhandlung sein gesamtes Insiderwissen preisgegeben hat". Weiter heißt es dann: "Es konnte daher nicht ausbleiben, dass er sich hin und wieder in Details widersprochen hatte, ohne dass dies den Wahrheitsgehalt seiner Aussage insgesamt in Frage gestellt hätte. Vielmehr wäre das Fehlen solcher, der Schwäche menschlichen Erinnerungsvermögens geschuldeten Abweichen[s] Grund zu Misstrauen in die Verlässlichkeit seiner Angaben gewesen." (S. 47, 48 der Urteilsabschrift)

2. Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten

Bekanntermaßen kann man im deutschen Strafverfahren ohnehin nur begrenzt von der sogenannten Waffengleichheit zwischen Anklagebehörde und Verteidigung sprechen, da das Verfahren nicht als Parteiverfahren ausgestaltet ist. Passender erscheint daher die Kategorie der Chancengleichheit.

Hier liegt ein Verstoß gegen das Gebot der Waffengleichheit zwischen Anklagebehörde und Verteidigung in der Form vor, dass angesichts des oben Ausgeführten, nämlich einer massenhaften Produktion von Aussagen durch die Ermittlungsbehörden im Vorverfahren, die Inhalt und Ergebnis der Hauptverhandlung praktisch vor weg nehmen, Verteidigungsrechte praktisch nicht existiert haben.

Dazu kommt, dass die Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren schon in der Theorie, also nach der Strafprozessordnung, äußerst schwach ausgestaltet sind, der Ruf nach Chancengleichheit mithin eher rechtspolitische Bedeutung hätte. Aber auch die Gerichte sind an dieses Gebot in dem Sinne gebunden, "dass sie im Rahmen des verfahrensrechtlich Zulässigen auf Chancengleichheit zu achten haben" ( so SK-Rogall, a.a.O. Rn. 108 f.).

Das Gebot der Chancengleichheit wurde im bisherigen Verfahren nicht eingehalten:

Die Verteidigung hat sich im hiesigen Verfahren von Anfang an darum bemüht, umfassende Akteneinsicht zu erhalten. Im Mai/Juni 2000 wurde der Verteidigung zum einen eine teilweise geschwärzte Serie von Aussagen des Kronzeugen Mousli zur Verfügung gestellt. Daneben erhielt die Verteidigung drei Bände Sachakten. Umfassende Akteneinsicht wurde erst am 10.11.2000 durch die zur Verfügungstellung von 119 Sachakten gewährt. Dies war bei Durchsicht der 119 Leitz- Ordner nur wenig verständlich. Denn über 95 % der Ordner enthielten Material, das zum einen durch die Vernehmungen des Kronzeugen Mousli bereits bekannt war, das teilweise die Ursprungsermittlungen zu den einzelnen Anklagevorwürfen betraf sowie weiterer Ermittlungsergebnisse, deren Kenntnisnahme jedenfalls keine Gefährdung des Untersuchungszwecks im Sinne des § 147 Abs. 2 StPO bedeutet hätte. Die Verteidigung hätte also zu einem viel früheren Zeitpunkt vollständige Akteneinsicht erhalten müssen, als § wie geschehen - erst nach Anklageerhebung.

Daneben hat sich die Verteidigung Borgmann darum bemüht, bei weiteren Vernehmungen des Mitbeschuldigten Mousli geladen zu werden. Mit Schriftsatz vom 07.08.2000 war beantragt worden, bei allen künftigen staatsanwaltschaftlichen sowie richterlichen Vernehmungen des Mitbeschuldigten Mousli geladen zu werden, die in irgendeinem Sachzusammenhang mit den dem Angeklagten Borgmann zur Last gelegten Taten stehen. Weiterhin war beantragt worden, von der Anklageerhebung und gegebenenfalls vom Hauptverhandlungstermin gegen den Mitbeschuldigten Mousli unterrichtet zu werden, falls das Verfahren gegen diesen Angeklagten abgetrennt und gesondert verhandelt werden sollte.

In der Antwort des Generalbundesanwaltes vom 15.08.2000 hieß es dazu, dass ein solcher Anspruch nicht bestehe. Es wurde auf die gesetzlichen Regelungen der §§ 163 a Abs. 3 Satz 2, 168 c Abs. 1 und 2 StPO und die Kommentierung bei Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO verwiesen.

Besonders eklatant wird die mangelnde Waffengleichheit zwischen Anklagebehörden und Verteidigung, wenn man sich die Verfahrensweise der Bundesanwaltschaft bei der Anklageerhebung gegen Tarek Mousli auf der einen und gegen die hiesigen Angeklagten auf der anderen Seite anschaut. Denn wie der Kollege von Schlieffen in seinem Schriftsatz an den 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zur Frage der Haftdauer vom 01.03.2001 überzeugend ausführt, waren die Ermittlungen zu den einzelnen Anschlägen im Frühsommer 2000 weitestgehend abgeschlossen. Im Verfahren gegen Tarek Mousli wurde im September 2000 Anklage erhoben und ab dem 06.12.2000 gegen den Kronzeugen verhandelt. Die Anklageschrift gegen die hiesigen Angeklagten datiert auf den 30.10.2000. Sie ist inhaltlich in weiten Zügen deckungsgleich mit der Anklage gegen Tarek Mousli. Wie weitgehend die Bundesanwaltschaft bei der Fertigung der Anklage auf Textbausteine zurückgegriffen hat, zeigt der Schlussantrag auf Seite 116. Dort wird nämlich beantragt, das Hauptverfahren zu eröffnen und die Anklage zur Hauptverhandlung vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts Berlin zuzulassen. Dort war gegen Tarek Mousli verhandelt worden. Hier ist der 1. Strafsenat zuständig.

Dieses Vorgehen lässt darauf schließen, dass man mit der isolierten Anklageerhebung und Verhandlung gegen Tarek Mousli vermeiden wollte, dass die Verteidigung der von ihm Belasteten die Möglichkeit hat, das Verfahren in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Dieser Eindruck wird noch durch folgenden Vorgang bestätigt:

Zuletzt hatte die Verteidigung Borgmann noch mit Schriftsatz vom 03.12.2000, der in Kopie beigefügt wird, gegenüber dem 2. Strafsenat des Kammergerichts § (2) 2 StE 9/00 (3/00) § beantragt, in der ab dem 06.12.2000 stattfindenden Hauptverhandlung gegen Tarek Mousli als Verfahrensbeteiligter zugelassen und ein Fragerecht eingeräumt zu bekommen.

Dieses Begehren wurde mit Schreiben des Kammergerichts 2. Strafsenat vom 04.12.2000, das ebenfalls in Kopie beigefügt wird, abgelehnt.

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass der Verlauf des Vorverfahrens den Eindruck erweckt, als bliebe der mündlichen Hauptverhandlung vorbehalten, lediglich die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit Mouslis mit den Staatsschutzbehörden nachzuvollziehen. Dies verstößt sowohl gegen den Grundsatz, wonach das Verfahren kontradiktorisch ausgestaltet werden muß, als auch gegen den Grundsatz der Waffengleich bzw. Chancengleichheit zwischen Anklagebehörde und Verteidigung. Dieser schwere Verstoß gegen das Prinzip des fairen Verfahrens ist nicht behebbar, das Verfahren muß demgemäß eingestellt werden.

Kaleck

Rechtsanwalt

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