Übersicht
Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund
Mailingliste
Mail
Suche
Übersicht:
Erklärungen
Verteidigung
|
In der Strafsache gegen
Borgmann, Matthias
(1) 2 StE 11/00 (4/00)
wird beantragt,
das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen, weil
ein nicht behebbares Verfahrenshindernis besteht.
Begründung:
Es liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens
(Rechtstaatsprinzip, Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz, Allgemeines
Freiheitsrecht, Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz; Artikel 6 Abs. 1 EMRK und
Artikel 14 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische
Rechte) vor.
Der Grundsatz des fairen Verfahrens zählt "zu den
Grundpfeilern, der sich immer deutlicher herausbildenden
gemeineuropäischen Verfassungsordnung und bildet ein Kernelement des
europäischen Verständnisses von Rechtsstaat". (vgl. Pache,
EuGRZ 2000, S. 601). Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte hat in vielen Entscheidungen zu Artikel 6 EMRK Kriterien zu
dieser Verfahrensgarantie entwickelt. Zwei Aspekte sind dabei von
besonderer Bedeutung in der Rechtsprechung des EGMR: Der Grundsatz der
Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten und die Ausgestaltung des
Gerichtsverfahrens als kontradiktorisches Verfahren (vg. Pache a.a.O., S.
604 ff.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Artikel 6 Rdnr. 71 ff.).
Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof haben ebenfalls
in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz des fairen Verfahrens
anerkannt. Er wird teilweise aus dem Rechtsstaatsprinzip, Artikel 20 Abs. 3
Grundgesetz, teilweise aus dem allgemeinen Freiheitsrecht, Artikel 2 Abs. 1
Grundgesetz sowie Artikel 6 Abs. 1 EMRK hergeleitet. Die Ausgestaltung des
Prinzips und der Anwendungsbereich des Grundsatzes sind im einzelnen
höchst umstritten. Es haben sich jedoch eine Reihe von Fallgruppen
herauskristallisiert, die das Prinzip für das Strafverfahren
konkretisieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss
dem Angeklagten als Ausfluss des Grundsatzes des rechtsstaatlichen
Verfahrens "die Möglichkeit eingeräumt sein, zur Wahrung
seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu
nehmen". (vgl. BVerfG NJW 1983, S. 2762, 2763; NJW 1978, S. 151; NJW
1969, S. 1423, 1424) Der Beschuldigte darf im Rechtsstaat des Grundgesetzes
nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein (vgl. BverfG NJW 1960,
a.a.O.). Das Fair Trial-Prinzip gebietet die verfahrensrechtliche
Waffengleichheit von Anklagebehörde und Beschuldigtem. Es "dient
damit im besonderen Maße dem Schutze des Beschuldigten, für den
bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld streitet" (vgl.
BVerfG NJW 1975, S. 103). Dies kann in einzelnen Fällen bedeuten, dass
es aufgrund des Prinzips des fairen Verfahrens geboten ist, auf die
Verwertung eines Beweismittels ganz zu verzichten (vgl. BGH NJW 1980, S.
464). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fordert,
dass alle Beweise in öffentlicher Hauptverhandlung mit Blickrichtung
auf eine kontradiktorische Argumentation erhoben werden. Auch im
Vorverfahren erlangte Aussagen können als Beweise verwandt werden.
Dies ist für sich allein betrachtet noch kein Verstoß gegen
Artikel 6 Abs. 1 und Abs. 3 der ERMK. Vorausgesetzt ist allerdings,
"dass die Verteidigungsrechte gewahrt wurden" (vgl. EGMR,
Strafverteidiger 1991, S. 193). Den wenigen vom Europäischen
Menschengerichtshof entschiedenen Fällen zur Kronzeugenproblematik ist
zumindest zu entnehmen, dass der Gerichtshof die Verwendung eines
Zeugnisses eines Mittäters, das unter Freistellung von der
Strafverfolgung gewonnen wurde, die Fairness des Verfahrens für die
von diesem belastete Person in Fragen stellen kann (vgl. E 7306/1975
(1976), 7 DR 115; Fall Erdem gegen Bundesrepublik Deutschland, 38321/97).
Wendet man diese mehr oder weniger abstrakten Leitsätze der
Europäischen, der Bundesverfassungsgerichts- sowie der
BGH-Rechtsprechung auf den Fall der hier Angeklagten an, kommt man zu dem
Schluss, dass hier zwei grobe Verstöße gegen das Prinzip des
fairen Verfahrens vorliegen und dass somit ein nicht behebbares
Verfahrenshindernis vorliegt, das die Einstellung des Verfahrens
gemäß § 260 Abs. 3 StPO gebietet.
Die Verteidigung ist sich darüber im klaren, dass die
Rechtsprechung im allgemeinen bei Verletzungen des Rechts auf ein faires
Verfahren nicht die Konsequenz zieht, ein Verfahrenshindernis anzunehmen.
Der Unterzeichnende ist aber der Auffassung, dass hier ein extrem
gelagerter Ausnahmefall vorliegt, in dem ein Teil der Literatur ein solches
Verfahrenshindernis in Erwägung zieht (vgl. SK-Rogall, vor § 133
StPO, Rn. 102ff., 105 m.w.N.).
1. Beweiserhebung in einem kontradiktorischen Verfahren
Ohne die Aussagen des inzwischen verurteilten Kronzeugen Tarek Mousli
bestünde kein hinreichender, geschweige denn ein dringender
Tatverdacht gegen die Angeklagten. Bezüglich des Angeklagten Borgmann
ist er - neben wenigen spärlichen Indizien § das einzige
Beweismittel der Bundesanwaltschaft. Das Gebot eines kontradiktorischen
Verfahrens würde daher § angewandt auf die hiesige
Hauptverhandlung § bedeuten, dass der somit für den
Verfahrensausgang entscheidende Zeugenbeweis Mousli in mündlicher
öffentlicher Hauptverhandlung erhoben werden müsste.
Diese Zeugenvernehmung Mouslis könnte in Entsprechung der zitierten
Rechtsprechung die Gewinnung eines Beweises in einem kontradiktorischen
Verfahren bedeuten, in dem alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere auch
die Verteidiger und die Angeklagten, das Recht hätten, durch Befragung
des Kronzeugen und andere Verfahrenshandlungen seine Glaubwürdigkeit
in Frage zu stellen und damit auch Möglichkeit, den Anklagevorwurf zu
entkräften.
Diese Chance ist jedoch nur theoretischer Natur. Die Realität des
Verfahrens sieht grundlegend anders aus. Es wird wohl niemand ernsthaft
behaupten wollen, dass der Kronzeuge Mousli, wenn er im hiesigen Verfahren
als Zeuge vernommen wird, seine persönlichen Wahrnehmungen über
in der Vergangenheit liegende Ereignisse bekunden wird, also dass er das
wiedergibt, was er aus seiner heutigen Erinnerung heraus über die
Geschehnisse der Jahre 1985 ff. weiß. Mousli wird vielmehr das
Ergebnis der gemeinsamen Arbeit von 1 ½ Jahren mit den Beamten des
Bundeskriminalamtes und den Bundesanwälten in der Hauptverhandlung
präsentieren wollen. Seine Aussage wird eine Mischung aus konkreten
Erinnerungen, Hinzu- und Hinweggedichtetem, Erlerntem, nach Vorhalt durch
die Ermittlungsbehörden Korrigiertem u.a. sein. Dies ist angesichts
der anderthalbjährigen Arbeit gar nicht anders denkbar.
Die Arbeit sah im einzelnen so aus :
Mousli wurde § soweit hier bekannt und aktenmäßig
nachvollziehbar - allein 44 mal zwischen seiner erneuten Festnahme am
23.11.1999 und der letzten uns bekannten Vernehmung am 24.1.2001 vernommen.
Dazu kommen noch seine Auftritte als Zeuge in der Strafsache gegen Klein
und Schindler vor dem Schwurgericht in Frankfurt/Main und seine eigene
Hauptverhandlung.
Lediglich in den ersten beiden Vernehmungen am 25. und 26.11.2000
schildert in freien Berichten Mousli Sachverhalte aus seinem
Gedächtnis. Danach werden ihm in weiteren Vernehmungen mehrere
Lichtbildmappen mit einer Vielzahl von Einzelbildern vorgelegt.
Außerdem fängt Mousli an, Skizzen sowie Notizen zu einzelnen
Komplexen und Personen zu fertigen.
Dann werden ihm in den verschiedenen Vernehmungen § ohne die Daten
und den Zusammenhang hier im einzelnen wiederzugeben - zwei
mutmaßliche RZ-Papiere "Geschlechterkampf im Untergrund §
2. Teil" und ein Brief "Lieber Luka", die Erklärung
"This is not a lovesong", das Bekennerschreiben zum Anschlag Dr.
Korbmacher, eine sechsseitige Zusammenfassung seiner eigenen Aussagen zum
Angeklagten Axel Haug, zum Angeklagten Harald Glöde, zu Lothar Ebke,
zu "Malte" und "Lea", zu "Toni", Auszüge
aus "Radikal" vom Juni sowie November, eine Zusammenfassung der
Erkenntnisse zur Person mit dem Decknamen "Heiner", die
Strategiepapiere der RZ vom Sommer 1987 "Zur KSV-Diskussion" und
"Was ist der Zugang zur sozialen Frage und was nicht?", eine
Zusammenfassung aus seinen eigenen Vernehmungen zum Anschlag auf die ZSA,
eine Zusammenfassung der Erkenntnisse zum Schusswaffenanschlag auf Dr.
Korbmacher, die RZ-Schriften "Gerd Albartus ist tot" und
"Das Ende unserer Politik" sowie Zeitungsausschnitte und Artikel
vom Bundeskriminalamt vorgelegt und zur weiteren Bearbeitung
überlassen.
Er wurde darüber hinaus von den Ermittlungsbehörden
häufig mit Widersprüchen in seiner Aussage konfrontiert und hatte
bereits Gelegenheit, diese zu glätten. Weiterhin ist er mit einer
Vielzahl von Aktenbestandteilen bekannt gemacht worden. Ihm wurden immer
wieder Zusammenfassungen seiner eigenen Aussagen sowie weiteren
Erkenntnissen zu einzelnen Personen und Tatkomplexen von seinen Vernehmern
übergeben. Die mittlerweile vollkommen unklare Verfahrensrolle von
Mousli, Rädelsführer oder Mitglied einer terroristischen
Vereinigung, Mitbeschuldigter, gesondert Verfolgter, Kronzeuge, Zeuge
gipfelt darin, dass er ausweislich des Vermerks des BKA vom 22.09.2000 (Bd.
80 S. 246 ff.) mit der Erstattung eines Gutachtens zu den
mutmaßlichen Vordenkern der RZ beauftragt wurde, dass er
auftragsgemäß am 06.10.2000 (Bd. 80, S. 248 ff.) erstattete.
Eine intensivere Auseinandersetzung mit der Kronzeugenproblematik und
insbesondere mit der Problematik, inwieweit Mousli glaubwürdig ist,
fand weder in dessen eigener Hauptverhandlung vor dem Kammergericht statt,
noch sind Bundesanwaltschaft oder Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof
im Vorverfahren auf die abstrakten und konkreten Bedenken der Verteidigung
eingegangen. So zeugt es von ausgesprochen schwach ausgeprägter
rechtstaatlicher Sensibilität, wenn die Bundesanwaltschaft meint, dass
die damaligen Erörterungen der Verteidigung "von vornherein
nichts zur Entkräftung der Glaubwürdigkeit des Tarek Mousli
beizutragen" vermögen, so ausdrücklich in der Stellungnahme
der BAW vom 21.6.2000.
Es können an dieser Stelle nicht alle die Bedenken wiedergeben
werden, die in Literatur und Rechtsprechung im In- und Ausland dagegen
vorgebracht werden (vgl. dazu mein Schriftsatz vom 05.06.2000), warum eine
Verurteilung allein auf Grund eines Kronzeugen mit rechtstaatlichen
Prinzipien nicht vereinbar ist oder warum zumindest erhebliche Zweifel an
der Aussage eines Zeugen angebracht sind, der nicht nur viele Gründe,
sondern auch viele Möglichkeiten zu einer Falschaussage hatte. Der
selbständige Unternehmer Mousli hat sich nicht nur in dem gegen ihn
gerichteten Strafverfahren wegen Rädelsführerschaft in einer
terroristischen Vereinigung immense Vorteile erhofft. Er hat durch seine
Aussagen zudem immense finanzielle Vorteile erhalten. Durch seine erste
Festnahme am 14.04.1999 verlor er seinen festen Job als Verbandstrainer im
Karateverband. Dies war jedoch laut Haftbefehlsantrag der BAW und laut
Haftbefehl des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof seine
"wesentliche Einnahmequelle", die für die Zukunft wegfallen.
Mit diesem sozial und finanziell unsicheren Status wurde die Fluchtgefahr
begründet. Seine heutige finanzielle Situation ist demgegenüber
deutlich verbessert: als Angestellter im Zeugenschutzprogramm und freier
RZ-Sachverständiger für das Bundeskriminalamt wird er seit Mai
2000 mit 2400 DM monatlich plus Miete, Krankenversicherungs- und
Mietfahrzeugskosten sowie Telefongrundgebühren alimentiert.
Der ganze Verlauf seiner Aussagen seit seiner ersten Festnahme belegt
darüber hinaus, dass er seit Beginn seiner Vernehmungen ein rein
taktisches Verhältnis zur Wahrheit hat. Er be- und entlastet sich
selbst und andere Personen nach freiem Belieben bzw. nach taktischen
Gesichtspunkten. Dies lässt sich beispielhaft nachvollziehen, ohne in
diesem Zusammenhang im einzelnen darauf einzugehen, wenn man den
Aussageverlauf bezüglich einzelner von ihm belasteter Personen
nachvollzieht. Neben den Angeklagten Axel Haug und Matthias Borgmann ist
hier insbesondere der von Mousli ebenfalls Beschuldigte Lothar Ebke zu
nennen. Diesen hat Mousli in seinen ersten Vernehmungen nicht als RZ-
Angehörigen benannt. Erst am 30.12.1999, also einen Tag vor Ablauf der
Kronzeugenregelung, bezeichnete Mousli Lothar Ebke als ein Mitglied der
Revolutionären Zellen in Berlin.
Das Erschreckende jedoch an dem Umgang der Ermittlungsbehörden mit
dem Kronzeugen Mousli ist die Art und Weise, wie sich darum bemüht
wurde, die Vielzahl von Widersprüchen zum objektiven Geschehen und zu
anderen Erkenntnissen im nachhinein zu glätten. Dabei fällt auf,
dass die Widersprüche, die Mousli in seinen ersten Aussagen zu
bestimmten Personen und Tatkomplexen produziert hatte, im nachhinein
entweder in der Weise von den Ermittlungsbehörden beseitigt wurden,
dass man ihm Vorhalte aus anderen Aktenbestandteilen machte und ihn so zu
einer Änderung seiner Aussagen veranlasste. Andere Widersprüche
wurden durch bestimmte Wertungen und Erklärungen der
Ermittlungsbehörden als nebensächlich ausgeräumt. Als
Beispiele seien im Nachfolgenden kurz zentrale Widersprüche des
Kronzeugen Mousli zu den Anschlägen Hollenberg, 28.10.1986, Dr.
Korbmacher, 01.09.1987 und ZSA, 05./06.02.1987 gemacht.
1) Anschlag Hollenberg 28.10.1986
So beschrieb Mousli beim Anschlag auf Herrn Hollenberg den angeblich von
ihm selbst ausgekundschafteten Fluchtweg falsch. Er sprach von einer
kleinen S-Bahn-Brücke statt richtigerweise von einem
Bahnübergang. Das Fluchtfahrzeug war entgegen der ersten Aussage
Mousli nicht gestohlen, sondern gekauft worden.
Diese Widersprüche werden in der Anklageschrift (Seite 100 ff.)
damit erklärt, dass der Fluchtweg und der Plan hinsichtlich des
Fluchtfahrzeuges dann wohl "nachträglich ohne Unterrichtung
Mouslis geändert" wurden.
Die Schilderung Mouslis, der Schütze sei "Jon" gewesen,
steht zwar im Widerspruch zum Flugblatt "Geschlechterkampf im
Untergrund-Teil 2" und vor allem zu der insoweit klaren Zeugenaussage
des Geschädigten, Herrn Hollenberg selbst, der eine weibliche
Schützin bemerkt haben will. Dieser Widerspruch wird durch die BAW so
aufgelöst, dass die Verfasser des Flugblattes mit den Worten
"Schliesslich war es eine Frau, die dem... Hollenberg die Knie
durchschossen hat... " von der politischen Verantwortung sprachen und
der Zeuge, Herr Hollenberg, das Geschehen ohnehin nicht richtig
wahrgenommen habe.
2. Anschlag Dr. Korbmacher 01.09.1987
Zum Anschlag auf Dr. Korbmacher meinte Mousli, das Tatmotorrad sei mit
gestohlenen Kennzeichen bestückt worden. Angesprochen auf den
Widerspruch zu den anderslautenden Erkenntnissen der
Ermittlungsbehörden, dass nämlich die Kennzeichen
Neuprägungen waren, berichtigt Mousli dann, "Jon" habe aus
Verschleierungsgründen die Unwahrheit gesagt.
Den Ort des Diebstahls des gestohlenen Fluchtfahrzeuges, des VW-Passats
verwechselt der Kronzeuge ebenso wie den Modus des Diebstahls. Aber
immerhin könnte man ihm, wenn man sarkastisch wäre, zugute
halten, dass der von ihm geschilderte und der tatsächliche
Diebstahlsort beide in Berlin-Schöneberg liegen und bei der
Schilderung der Ausführung habe er halt nur die beiden Anschläge
Hollenberg und Dr. Korbmacher durcheinandergebracht. Bei der falschen
Darstellung hinsichtlich der angeblich gestohlenen, in Wirklichkeit aber
auch hier legal beschafften Autokennzeichen des Fluchtfahrzeuges wird auf
die Erklärung der geringfügigen Abweichung gleich verzichtet.
Der Wert der Aussage von Frau Tollkühn, der er laut deren erster
Aussage erzählt haben will, er sei Fahrer des Motorrades sowie
Schütze gewesen, wird mit dem kaum nachvollziehbaren Argumenten
geschmälert, da habe sie wahrscheinlich etwas durcheinandergebracht
(Anklageschrift S.100 ff.).
3. Anschlag ZSA 5./6.02.1987
Bei der ZSA gibt Mousli zunächst an, "Jon" habe den
Sprengsatz gebaut, dann, dass "Jon" und "Judith"
ausschließlich den Sprengsatz gebaut und entwickelt haben. Die
Entwicklung dieser Aussage soll nach Auffassung der Bundesanwaltschaft
deutlich machen, "dass sie nicht widersprüchlich sind, sondern
vielmehr eine geschlossene Einheit bilden".
Harald Glöde war zwar in der Tatnacht im Polizeigewahrsam und
nicht, wie Mousli zunächst geschildert hatte, bei der Sicherung des
Anschlags beteiligt. Hier findet die Bundesanwaltschaft die
Lösungsformel, Mousli habe sich immerhin um eine
wahrheitsgemäße Aussage bemüht, da er zwischen sicheren und
weniger sicheren Erinnerungsteilen differenziert habe. Für den
unbefangenen Betrachter ist das Hervorheben eines Bemühens an und
für sich immer das sichere Indiz dafür, dass da jemand in seinem
Bemühen nicht sonderlich vorangeschritten ist.
Nach Mouslis Aussage sollte zwar die zentrale Computeranlage der ZSA
getroffen werden, während der Anschlag tatsächlich nur den
Versorgungstrakt betraf. Es sei aber "ohne weiteres denkbar, dass
Matthias Borgmann insoweit nur über unzureichende Informationen
verfügte". Die Wahrnehmungen Mouslis hinsichtlich des verwendeten
Sprengstoffs sind zwar mit "dem durch Sachverständigengutachten
festgestellten objektiven Befund nicht vollständig in Einklang zu
bringen", so gesteht selbst die BAW zu. Aber auch hier ist ein Ausweg
schnell gefunden: die anderen am Anschlag Beteiligten hätten
"ohne sein Wissen" eine andere Mischung verwendet (Anklageschrift
S.106ff.).
Es bleibt mithin eine imposante Ansammlung von Widersprüchen bei
den Schilderungen der Details der einzelnen Anschläge festzuhalten,
die in einem "normalen" Verfahren ausreichen würden, die
Aussagen Mouslis zu diskreditieren, jedenfalls keine Haftbefehle gegen
weitgehend unbestrafte und in geordneten Verhältnissen lebenden
Menschen zu begründen.
Die aufgezählten Widersprüche seien hier nur beispielhaft
genannt. Es soll an dieser Stelle nicht im einzelnen auf sie ankommen.
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen der Verteidigung in diesem Verfahren
muss davon ausgegangen werden, dass der Kronzeuge sowohl mit den
Vernehmungsbeamten des Bundeskriminalamtes, den Bundesanwälten, als
auch den Zeugenschutzbeamten des Bundeskriminalamtes und weiteren
unbekannten Personen eine Vielzahl von Gesprächen über den
Verfahrensgegenstand geführt hat. Schon anhand der Akte ist
annähernd nachvollziehbar, dass sich diese Gesprächskontakte
nicht nur auf förmliche Vernehmungen beschränkten, die
möglicherweise korrekt wiedergegeben in Vernehmungsprotokollen
auftauchen. Vielmehr wurden von Beginn an mit dem Kronzeugen Gespräche
geführt, die nur zu einem Bruchteil durch Vermerke festgehalten
wurden. Schon die wenigen festgehaltenen Vermerke belegen jedoch, wie die
Ermittlungsbehörden steuernd auf Mousli einwirkten.
Bekanntlich wurde Tarek Mousli am 23.11.1999 gegen 5.50 Uhr in seiner
Wohnung in Schönow festgenommen. Er fuhr dann gemeinsam mit dem
festnehmenden Beamten in einem Dienst-Pkw des BKA nach Karlsruhe. Dort
wurden weitere Gespräche mit ihm geführt. Am Abend des 23.11.1999
soll Herr Mousli dann um ein Gespräch gebeten haben, in dem es um die
Kronzeugenregelung ging (vgl. Vermerk der BKA-Beamten van Elkan und
Schulzke Bd. 15, Bl.1 und 2). Es soll dann weiterhin am 24.11.1999 noch zu
einem längeren Gespräch zwischen 12.35 Uhr und 14.55 Uhr
während des Transportes von Karlsruhe nach Köln-Ossendorf
gekommen sein. Über dieses Gespräch existiert kein Vermerk.
Vielmehr beschreiben die Beamten in ihrem Vermerk vom 26.11.1999, dass der
Gesprächsverlauf während der Fahrt von Karlsruhe nach
Köln-Ossendorf zwischen dem Beschuldigten und EKHK Schulzke in der
Vernehmung vom 25.11.1999 niedergelegt sei.
Am 24.11.1999 kam es dann (ausweislich Bd. 11, S. 95 bis 97) zu einem
Gespräch zwischen dem Kronzeugen und Oberstaatsanwalt Monka im Beisein
der BKA-Beamten Schulzke und von Elkan. In dem Vermerk von Oberstaatsanwalt
Monka vom 29.11.1999, der überschrieben ist mit - Ermittlungsverfahren
gegen Tarek Mousli wegen Rädelsführerschaft in einer
terroristischen Vereinigung u.a. - heißt es dann unter anderem:
"Eingangs wies ich den Beschuldigten darauf hin, dass er nun
gehört habe, was ihm inzwischen vorgeworfen wird. ... Ich hielt ihm
vor, dass er sich bewusst sei, in welcher schlechten Position er sich nun
befinden würde. ... Im ungünstigsten Fall, so erklärte ich
ihm, hätte er mit umfangreichen Ermittlungen, einer langen
Ermittlungsdauer und einer langen Hauptverhandlung zu rechen, bei der eine
mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten wäre. Ich sprach von
fünf bis sechs Jahren Freiheitsstrafe." Zur Begründung des
selbst in dem Haftbefehl gegen Mousli noch angenommenen dringenden
Tatverdacht wegen Rädelsführerschaft diente damals die als
glaubwürdig eingestufte Aussage der ehemaligen Freundin des
Kronzeugen, Frau Carmen Tollkühn. Diese hatte nämlich berichtet,
dass sich der Mousli ihr gegenüber eingehend geäußert habe,
dass er eine führende Rolle innerhalb der Organisation inne gehabt
habe. Er habe ihr gegenüber selbst eingeräumt, dass er im Falle
des verletzten Richters, gemeint war Dr. Korbmacher, selbst geschossen hat.
Von diesen damals noch als glaubwürdig eingestuften, weil als
Druckmittel benötigten Aussagen und den rechtlichen
Schlussfolgerungen, nämlich die Annahme einer
Rädelsführerschaft, rückte man dann im weiteren Verlaufe des
Verfahrens gegen Mousli ab. Es wurden die Aussagen von Mousli selbst als
durchweg glaubhaft bezeichnet und die Aussage der Carmen Tollkühn in
ihrer Bedeutung herabgestuft.
Aber darauf kam es zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr an. Denn das von
Oberstaatsanwalt Monka in seinem Vermerk vom 29.11.1999 formulierte Ziel
war bereits erreicht. In dem Vermerk heißt es nämlich
weiterhin:
"Auf der anderen Seite gäbe es den günstigsten Fall, der
dann verwirklicht wäre, wenn er ein Geständnis ablegen
würde, wenn es zu einer schnellen Hauptverhandlung kommen würde
und wenn er Aufklärungshilfe liefern würde im Sinne der
Kronzeugenregelung, die zum Jahresende ausläuft. Die
Aufklärungshilfe müsste in diesem Fall dahingehen, dass die
Ermittlungsbehörden durch ihn weiterer Täter habhaft werden
könnten. Ich sprach in diesem Zusammenhang von
Knüllern."
Der Kronzeuge bemühte sich dann in seinen Vernehmungen nach dem
24.11.1999, diese Vorgabe zu erfüllen und "Knüller" zu
liefern. Dabei fällt bei der Betrachtung der einzelnen Vernehmungen
auf, dass der Grad der Belastungen von verschiedenen Personen gegen
Jahresende, zum Zeitpunkt des Ablaufes der Kronzeugenregelung hin,
zunimmt.
Einen Tag vor Fristablauf, am 30.12.1999 kommt es dann zu einer
Vernehmung in der JVA Köln-Ossendorf. Dort führt Mousli
zunächst aus: "In der Zeit vom 23.12.1999 bis heute ist mir so
einiges durch den Kopf gegangen. Auch auf die Gefahr hin, dass später
jemand versucht, mit dieser Aussage meine Glaubwürdigkeit in Frage zu
stellen, gebe ich diese Erklärung ab." Weiter unten heißt
es: "Aus Sorge um die Sicherheit von Carmen habe ich mich dazu
entschlossen, auch die Identität von Sebastian preiszugeben. Bei dem
RZ-Mitglied mit dem Decknamen Sebastian handelt es sich um Lothar Ebke.
Lothar Ebke und ich gingen zusammen in die RZ. Er war also nicht nur
Unterstützer, wie ich bisher immer angegeben habe. Er war Mitglied der
RZ." Das liest sich nett, man möchte meinen, da habe einer
produktiv die Weihnachtstage genutzt.
In der Aussage des vernehmenden Polizeibeamten EKHK Schulzke in der
Hauptverhandlung vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts gegen Tarek
Mousli am 13.12.2000 hört sich die Geschichte allerdings etwas anders.
Auf die entsprechende Frage des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Dr.
Dietrich: "Es fällt auf, dass Ende Dezember 1999 ein gewisser
Wandel in der Aussage auftaucht?" antwortet der Zeuge Schulzke
sinngemäß, man habe den Eindruck gehabt, dass Mousli zu der
einen oder anderen Person hätte mehr sagen können. Das habe man
ihm deutlich gemacht und zwar Ende Dezember. Am 20./21.12.1999 sei man noch
einmal bei Mousli in der JVA gewesen und habe ihn darauf aufmerksam
gemacht, dass die Kronzeugenregelung für ihn nur dann greift, wenn er
rückhaltlos Angaben macht und am 30.12.1999 diese Möglichkeit
für ihn auslaufen wird und er sich noch einmal überlegen soll, ob
nicht die eine oder andere Sache zu sagen wäre. Zwischen Weihnachten
und Neujahr habe er dann gebeten, zu kommen. Zwischen Weihnachten und
Neujahr sind dann diese Aussagen entstanden.
Ein Vermerk über die Gespräche von Herrn Schulzke und seinen
Kollegen mit dem Kronzeugen ist unseren Akten nicht zu entnehmen. Nur durch
die Anwesenheit einzelner Verfahrensbeteiligter während der
Hauptverhandlung gegen Tarek Mousli vor dem 2. Strafsenat des
Kammergerichts wurde die Tatsache, dass weitere Gespräche zwischen den
BKA-Beamten und Mousli geführt wurden, bekannt. Es liegt auf der Hand,
dass die Gespräche für die Entwicklung der Aussage Mousli von
entscheidender Bedeutung sind. Dies sollte jedoch nicht die letzte
Überraschung der Verteidigung über nicht aktenkundige
Gespräche zwischen Staatsschutzbehörden und Kronzeugen gewesen
sein.
Mit Schreiben vom 09.01.2001 wandte sich der Unterzeichner an das
Kammergericht und bat darum, ihm ein, in seinen Akten nicht befindlichen
Vermerk von Bundesanwalt beim BGH Dr. Morré vom 17.05.2000 zu
übersenden. Das Kammergericht teilte zunächst mit, dass der
Vermerk in den Akten des Kammergerichts ebenfalls nicht vollständig
vorhanden war. Am 18.01.2001 wurde dem Unterzeichner dann von Staatsanwalt
Mägerle bei der Bundesanwaltschaft ein Schreiben übersandt, in
dem es hieß, "dass aufgrund eines nicht mehr nachvollziehbaren
Versehens beim Kopieren der Akten es zu der fraglichen
Lückenhaftigkeit gekommen sei", es wurde der Vermerk vom
17.05.2000 übersandt. Der Inhalt des Vermerks vom 17.05.2000 bezog
sich auf eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung mit dem Kronzeugen am
18./19.01.2000 in der JVA Köln-Ossendorf durch Bundesanwalt Dr.
Morré.
Ohne jetzt im Einzelnen auf den Inhalt des Vermerkes einzugehen, kann
festgehalten werden, dass der Vermerk die für das Wiedererkennen und
damit für die Anklageerhebung gegen Matthias Borgmann entscheidende
Situation wiedergegeben hat. Dies bedeutet, dass ein Geschehen, das am
18./19.01.2000 stattgefunden hat, mit wenigen Worten in einen Vermerk vom
17.05.2000 niedergelegt wird und dieser dann letztlich am 18.01.2001, also
ein Jahr nach den Geschehnissen und neun Monate nach Inhaftierung von
Matthias Borgmann der Verteidigung Borgmanns zur Kenntnis gelangt. Ohne
dass an dieser Stelle im einzelnen auf die Entstehungsgeschichte oder die
mögliche Entstehungsgeschichte des Vermerks oder die Hintergründe
des Gespräches eingegangen werden soll, bleibt doch festzuhalten, dass
das ganze Geschehen ein Schlaglicht auf die Manipulationsmöglichkeiten
der Staatsschutzbehörden in diesem Verfahren wirft. Die
Staatsschutzbehörden hatten den Kronzeugen seit dem 23.11.1999 in der
Hand. Sie haben ihn am 23./24.11.1999 mit der Drohung einer fünf- bis
sechsjährigen Freiheitsstrafe wegen Rädelsführerschaft unter
Druck gesetzt. Sie haben ihn zu einem weiteren Zeitpunkt, der bis zum
heutigen Tage vermerksmäßig nicht in unseren Akten erfasst ist,
nochmals unter Druck gesetzt, um weitere "Knüller" zu
liefern. Schließlich hat ein Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
entscheidend an der angeblichen Identifizierung eines der Angeklagten
mitgewirkt.
Diese drei Vorkommnisse, auf die sicherlich im einzelnen zu einem
späteren Zeitpunkt noch eingegangen werden muss, belegen die
Ausgangsthese, dass die Vernehmung Mousli in der hiesigen Hauptverhandlung
nicht gleichbedeutend mit der Erhebung eines Zeugenbeweises in
kontradiktorischen Verfahren ist. Vielmehr werden Gericht und Verteidigung
die Arbeitsergebnisse der Ermittlungsbehörden zur Kenntnis nehmen
dürfen und je nach Standpunkt diese für eine Verurteilung
ausreichend oder eben nicht ausreichend halten. Der Zeugenbeweis Tarek
Mousli kann jedoch in dieser Hauptverhandlung nicht mehr erhoben werden,
als Zeuge ist Tarek Mousli unbrauchbar gemacht worden. Niemand wird mehr
nachvollziehen können, welche Angabe von Mousli in der hiesigen
Hauptverhandlung auf welchen Erkenntnisquellen beruhen.
Einen Vorgeschmack konnte man bereits in der Hauptverhandlung gegen
Mousli vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts bekommen. Diese Verhandlung
hatte wenig mit der Wahrheitserforschung mit strafprozessualen Mitteln zu
tun. In den schriftlichen Urteilsgründen wird auf knapp 45 Seiten der
persönliche Werdegang sowie die Feststellungen zu den
Revolutionären Zellen, wie sie der Kronzeuge referiert hatte,
niedergelegt. Auf einer Seite findet dann eine
"Beweiswürdigung" statt. Dort heißt es dann lapidar,
die "Feststellungen beruhen in erster Linie auf dem glaubhaften
Geständnis des Angeklagten, der sich nach seiner inneren Abkehr von
den Revolutionären Zellen und deren Methoden den
Ermittlungsbehörden in einer Art Lebensbeichte geöffnet und auch
in der Hauptverhandlung sein gesamtes Insiderwissen preisgegeben hat".
Weiter heißt es dann: "Es konnte daher nicht ausbleiben, dass er
sich hin und wieder in Details widersprochen hatte, ohne dass dies den
Wahrheitsgehalt seiner Aussage insgesamt in Frage gestellt hätte.
Vielmehr wäre das Fehlen solcher, der Schwäche menschlichen
Erinnerungsvermögens geschuldeten Abweichen[s] Grund zu Misstrauen in
die Verlässlichkeit seiner Angaben gewesen." (S. 47, 48 der
Urteilsabschrift)
2. Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten
Bekanntermaßen kann man im deutschen Strafverfahren ohnehin nur
begrenzt von der sogenannten Waffengleichheit zwischen Anklagebehörde
und Verteidigung sprechen, da das Verfahren nicht als Parteiverfahren
ausgestaltet ist. Passender erscheint daher die Kategorie der
Chancengleichheit.
Hier liegt ein Verstoß gegen das Gebot der Waffengleichheit
zwischen Anklagebehörde und Verteidigung in der Form vor, dass
angesichts des oben Ausgeführten, nämlich einer massenhaften
Produktion von Aussagen durch die Ermittlungsbehörden im Vorverfahren,
die Inhalt und Ergebnis der Hauptverhandlung praktisch vor weg nehmen,
Verteidigungsrechte praktisch nicht existiert haben.
Dazu kommt, dass die Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren schon
in der Theorie, also nach der Strafprozessordnung, äußerst
schwach ausgestaltet sind, der Ruf nach Chancengleichheit mithin eher
rechtspolitische Bedeutung hätte. Aber auch die Gerichte sind an
dieses Gebot in dem Sinne gebunden, "dass sie im Rahmen des
verfahrensrechtlich Zulässigen auf Chancengleichheit zu achten
haben" ( so SK-Rogall, a.a.O. Rn. 108 f.).
Das Gebot der Chancengleichheit wurde im bisherigen Verfahren nicht
eingehalten:
Die Verteidigung hat sich im hiesigen Verfahren von Anfang an darum
bemüht, umfassende Akteneinsicht zu erhalten. Im Mai/Juni 2000 wurde
der Verteidigung zum einen eine teilweise geschwärzte Serie von
Aussagen des Kronzeugen Mousli zur Verfügung gestellt. Daneben erhielt
die Verteidigung drei Bände Sachakten. Umfassende Akteneinsicht wurde
erst am 10.11.2000 durch die zur Verfügungstellung von 119 Sachakten
gewährt. Dies war bei Durchsicht der 119 Leitz- Ordner nur wenig
verständlich. Denn über 95 % der Ordner enthielten Material, das
zum einen durch die Vernehmungen des Kronzeugen Mousli bereits bekannt war,
das teilweise die Ursprungsermittlungen zu den einzelnen
Anklagevorwürfen betraf sowie weiterer Ermittlungsergebnisse, deren
Kenntnisnahme jedenfalls keine Gefährdung des Untersuchungszwecks im
Sinne des § 147 Abs. 2 StPO bedeutet hätte. Die Verteidigung
hätte also zu einem viel früheren Zeitpunkt vollständige
Akteneinsicht erhalten müssen, als § wie geschehen - erst nach
Anklageerhebung.
Daneben hat sich die Verteidigung Borgmann darum bemüht, bei
weiteren Vernehmungen des Mitbeschuldigten Mousli geladen zu werden. Mit
Schriftsatz vom 07.08.2000 war beantragt worden, bei allen künftigen
staatsanwaltschaftlichen sowie richterlichen Vernehmungen des
Mitbeschuldigten Mousli geladen zu werden, die in irgendeinem
Sachzusammenhang mit den dem Angeklagten Borgmann zur Last gelegten Taten
stehen. Weiterhin war beantragt worden, von der Anklageerhebung und
gegebenenfalls vom Hauptverhandlungstermin gegen den Mitbeschuldigten
Mousli unterrichtet zu werden, falls das Verfahren gegen diesen Angeklagten
abgetrennt und gesondert verhandelt werden sollte.
In der Antwort des Generalbundesanwaltes vom 15.08.2000 hieß es
dazu, dass ein solcher Anspruch nicht bestehe. Es wurde auf die
gesetzlichen Regelungen der §§ 163 a Abs. 3 Satz 2, 168 c Abs. 1
und 2 StPO und die Kommentierung bei Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO
verwiesen.
Besonders eklatant wird die mangelnde Waffengleichheit zwischen
Anklagebehörden und Verteidigung, wenn man sich die Verfahrensweise
der Bundesanwaltschaft bei der Anklageerhebung gegen Tarek Mousli auf der
einen und gegen die hiesigen Angeklagten auf der anderen Seite anschaut.
Denn wie der Kollege von Schlieffen in seinem Schriftsatz an den 3.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs zur Frage der Haftdauer vom 01.03.2001
überzeugend ausführt, waren die Ermittlungen zu den einzelnen
Anschlägen im Frühsommer 2000 weitestgehend abgeschlossen. Im
Verfahren gegen Tarek Mousli wurde im September 2000 Anklage erhoben und ab
dem 06.12.2000 gegen den Kronzeugen verhandelt. Die Anklageschrift gegen
die hiesigen Angeklagten datiert auf den 30.10.2000. Sie ist inhaltlich in
weiten Zügen deckungsgleich mit der Anklage gegen Tarek Mousli. Wie
weitgehend die Bundesanwaltschaft bei der Fertigung der Anklage auf
Textbausteine zurückgegriffen hat, zeigt der Schlussantrag auf Seite
116. Dort wird nämlich beantragt, das Hauptverfahren zu eröffnen
und die Anklage zur Hauptverhandlung vor dem 2. Strafsenat des
Kammergerichts Berlin zuzulassen. Dort war gegen Tarek Mousli verhandelt
worden. Hier ist der 1. Strafsenat zuständig.
Dieses Vorgehen lässt darauf schließen, dass man mit der
isolierten Anklageerhebung und Verhandlung gegen Tarek Mousli vermeiden
wollte, dass die Verteidigung der von ihm Belasteten die Möglichkeit
hat, das Verfahren in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Dieser Eindruck
wird noch durch folgenden Vorgang bestätigt:
Zuletzt hatte die Verteidigung Borgmann noch mit Schriftsatz vom
03.12.2000, der in Kopie beigefügt wird, gegenüber dem 2.
Strafsenat des Kammergerichts § (2) 2 StE 9/00 (3/00) §
beantragt, in der ab dem 06.12.2000 stattfindenden Hauptverhandlung gegen
Tarek Mousli als Verfahrensbeteiligter zugelassen und ein Fragerecht
eingeräumt zu bekommen.
Dieses Begehren wurde mit Schreiben des Kammergerichts 2. Strafsenat vom
04.12.2000, das ebenfalls in Kopie beigefügt wird, abgelehnt.
Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass der Verlauf des
Vorverfahrens den Eindruck erweckt, als bliebe der mündlichen
Hauptverhandlung vorbehalten, lediglich die Ergebnisse der gemeinsamen
Arbeit Mouslis mit den Staatsschutzbehörden nachzuvollziehen. Dies
verstößt sowohl gegen den Grundsatz, wonach das Verfahren
kontradiktorisch ausgestaltet werden muß, als auch gegen den
Grundsatz der Waffengleich bzw. Chancengleichheit zwischen
Anklagebehörde und Verteidigung. Dieser schwere Verstoß gegen
das Prinzip des fairen Verfahrens ist nicht behebbar, das Verfahren
muß demgemäß eingestellt werden.
Kaleck
Rechtsanwalt
|