Kammergericht
Berlin, den 28.03.2002
In der Strafsache
./. Harald Glöde u.a.
2 StE 11/00 (4/2000)
wird beantragt,
den Sachverständigen des Bundeskriminalamtes, Dr. Ibisch zu
laden.
Der Sachverständige wird bekunden, daß ihm Gegenstände
mit Anhaftungen von TNT und Ammoniumnitrat, Teile eines Weckergehäuses
eines Quarzweckers der Marke Ruhla, Kaliber 62 zur Begutachtung
sowie Teile eines Kontrollbirnchens übergeben wurden.
Diese Teile wurden unmittelbar am Tatort nach dem Anschlag auf die
ZSA als Teil des verwendeten Sprengsatzes sichergestellt. (Bd. 61,
Bl. 175 f.)
2.) den Geschäftsführer der Firma Gardé, ehemals
Firma Ruhla, Herrn Kamp, Bahnhofstraße 26, 99842 Ruhla als
Zeugen zu laden und zu hören zum Beweis der Tatsache,
daß bei sämtlichen Ausführungen der von 1985 bis
1987 durch die Firma Ruhla hergestellten Quarzwecker grundsätzlich
die Einstellrädchen für die Weck- und Uhrzeit sowie die
Klappe für die Batterie auf der Rückseite angebracht waren.
Begründung:
Der Zeuge Mousli gab an, der Sprengsatz für die ZSA sei einige
Tage vor dem Anschlag in der konspirativen Wohnung in der Oranienstraße
gebaut worden. Er sei beim Bau von Anfang bis Ende dabei gewesen.
In seiner Gegenwart sei außen ein Quarzwecker auf einen Pappkarton
aufgeklebt worden. Ausweislich der vom Zeugen Mousli gefertigten
Skizze des Sprengsatzes mit Wecker ( Bd. 18, Bl. 738 R) und seinen
diesbezüglichen Erläuterungen in der Hauptverhandlung
am 15.3.02 war der Wecker mit der Rückseite auf dem Pappkarton
aufgeklebt, die Einstellrädchen sollen sich an einer Seite
befunden haben.
Die Uhrzeit sei dann am Tatort beim Ablegen des Sprengsatzes eingestellt
worden.
Der Zeuge Kamp wird bekunden.
Er habe in den 80 er Jahren bei der Firma Ruhla als Fachdirektor
für Forschung und Entwicklung gearbeitet. 1985 wurden durch
die Firma Ruhla erstmalig Quarzwecker hergestellt. Es gab zehn verschiedene
Ausführungen dieser Quarzwecker mit dem Uhrwerk Kaliber 62.
Bei allen Ausführungen waren die Einstellrädchen für
Weck- und Uhrzeit sowie die Klappe für die Batterie auf der
Rückseite der Wecker angebracht.
Durch die Beweiserhebung werden die Angaben des Zeugen Mousli zum
Aufbau des Sprengsatzes, insbesondere der Anbringung des Weckers
widerlegt.
Das Einstellen eines Zündzeitpunktes am Tatort an einem wie
von Mousli beschriebenen bereits am Sprengsatz festgeklebten Weckers
ist aufgrund der Konstruktion des Weckers ausgeschlossen.
Ferner wird beantragt
3.) ein Sachverständigengutachten einzuholen zum
Beweis der Tatsachen,
daß der von Mousli beschriebene Sprengsatz
a)-eine unkonventionelle Brand- oder Sprengvorrichtung (USBV)ist,
die nicht genügend Sprengwirkung entwickeln kann, um den bei
der ZSA festgestellten Schaden zu verursachen
b)- eine maximale Sprengwirkung und eine Richtungsweisung kann
weder - wie von Mousli behauptet - durch die Faltung
noch durch eine geringere Verdämmung an dem von ihm in der
Mitte des Deckels eingezeichneten Punkts (Bd. 18, Bl. 738 R) erreicht
werden.
c) daß der benutzte Sprengsatz TNT und Ammoniumnitrat enthielt
und nicht mit einem Zünder aus mit Streichholzköpfen präparierten
Blitzlichtbirnchen gezündet werden kann, sondern nur mit einem
gewerblichen Zünder.
Begründung:
Der Zeuge Mousli bekundete in der Hauptverhandlung am 24.8.2001
und am 15.3.2002 anhand der Skizze Bd. 18, Bl. 738 R, daß
der in der Mitte des Deckels des Pappkartons eingezeichnete Punkt,
der Punkt maximaler Sprengwirkung gewesen sein soll. Dies sei durch
die Faltung erreicht worden. Der Karton sei oben mit 4 Dreiecken
zusammengefaltet worden, um eine punktförmige Sprengrichtung
zu erreichen. Wegen der geringen Verdämmung an diesem Punkt
habe genau dort die Sprengwirkung austreten können. Dieser
Punkt sei auf die Mauer der ZSA ausgerichtet worden.
Nach Angaben des Zeugen Mousli wurde der Sprengsatz aus Unkraut-Ex
und Puderzucker hergestellt. Er konnte nicht ausschließen,
daß er selbst den Puderzucker gekauft und die verwendeten
Blitzlichtbirnen präpariert hat. Er habe schon Monate zuvor
mit Sebastian die Methode entwickelt, Blitzlichtbirnen mit Streichhölzern
zu bekleben. Einmal habe er eine kleine Probe selbst gekauftes Unkraut-Ex
mit solchen Blitzlichtbirnen entzündet.
Wenige Tage vor dem Anschlag sei der Sprengsatz in seiner und Sebastians
Anwesenheit von Jon unter Mitwirkung von Judith gebaut worden. Er
sei von Anfang bis Ende beim Bau dabei gewesen. Ihn habe die Anfertigung
des Sprengsatzes besonders interessiert, da er dies für sich
als eine Art Ausbildung/Fortbildung nutzen wollte, um bei Bedarf
später eigenständig solche Sprengsätze bauen zu können.
Ihm sei bis zu diesem Zeitpunkt aufgrund diverser RZ-Handbücher
und -Bauanleitungen lediglich der Bau von Sprengsätzen in Feuerlöschern
bekannt gewesen.
Der Sprengsatz wurde seiner Ansicht nach auch verwendet. In den
Nachbesprechungen wurde ihm keine Abweichung vom Tatplan bekannt
gegeben.
Der Sachverständige wird bekunden,
daß eine maximale Sprengwirkung nicht durch eine Faltung
des Pappkartondeckels erreicht wird. Auch eine geringere Verdämmung
an diesem Punkt führt nicht zu einer maximalen Sprengwirkung.
Der Sachverständige wird weiter feststellen, daß weder
durch die Faltung des Kartondeckels noch durch die geringere Verdämmung
am Deckel eine Richtungsweisung der Sprengkraft erreicht werden
kann.
Im Gegenteil findet eine Explosion der von dem Zeugen beschriebenen
USBV gerade nicht statt, wenn an einem Punkt eine schwache Verdämmung
gewählt wird. Das gezündete Gemisch aus Unkraut-Ex und
Puderzucker verbrennt und verpufft lediglich.
Der Sachverständige wird ausschließen, daß der
Sprengsatz, den der Zeuge Mousli beschrieben und aufgezeichnet hat,
der bei der ZSA verwendete Sprengsatz gewesen ist, da dieser kein
30 x 40 cm großes Loch in das Mauerwerk des Gebäudes
der ZSA hätte reißen können, sondern lediglich abgebrannt
wäre.
Der tatsächlich bei der ZSA verwendete Sprengsatz enthielt
TNT und Ammoniumnitrat, also gewerblichen Sprengstoff und mußte
mittels eines gewerblichen Zünders gezündet werden. Die
Zündung mit präparierten Blitzlichbirnchen ist ausgeschlossen.
Das ebenfalls am Tatort aufgefundene Natriumchlorat als Hauptbestandteil
von Unkraut-Ex
ist nicht zwingend Bestandteil des Sprengsatzes, sondern wurde
als Unkrautvernichtungsmittel an Bahndämmen eingesetzt.
Die Beweiserhebung ist erforderlich, da die Angeklagten Schindler
und Eckle in ihren Einlassungen den Bau des Sprengsatzes bestreiten,
sondern angeben, daß dieser vom Zeugen Mousli gefertigt worden
sei.
Der Senat hat sich sehr wohl auch mit der Frage der bewußten
Verschleierung eigener Tatbeiträge des Zeugen und damit intensiv
auch mit der Plausibilität der Angaben Mouslis auseinanderzusetzen.
Bei dieser Sachlage hat der Senat umfangreich weitere Beweise zu
erheben, die die Aufklärung möglicher anderer Tatbeiträge
Mouslis zum Gegenstand haben, denn die Verschleierung eigener anderer
Tatbeiträge geht immer auch einher mit einer Falschbelastung
anderer Angeklagter.
Bei den bestreitenden und schweigenden Angeklagten sind für
die Überprüfung der Angaben des Zeugen Mouslis die vom
BGH zur Konstellation "Aussage gegen Aussage" entwickelten
Kriterien anzuwenden.
Hierzu gehören u.a. Aussagekonstanz, Plausibilität, mögliche
Verschleierung eigener Tatbeiträge mit der Möglichkeit
der Falschbelastung anderer. Dies gilt um so mehr, wenn der Zeuge
selbst verstrickt ist.
Die Beschreibung eines funktionsuntauglichen Sprengsatzes durch
den Zeugen Mousli läßt drei unterschiedliche Thesen zu:
1.) Der Zeuge Mousli hat den Sprengsatz nicht gebaut, war aber
beim Bauen dabei und hat ihn falsch beschrieben.
2.) Der Zeuge Mousli war beim Bau des Sprengsatzes überhaupt
nicht anwesend.
3.)Der Zeuge Mousli hat den Sprengsatz selbst gebaut und versucht
durch die bewußt wahrheitswidrige Beschreibung eines funktionsuntauglichen
Sprengsatzes seinen eigenen Tatbeitrag zu verschleiern.
Zu 1.)
Diese These ist die Unwahrscheinlichste. Denn der Zeuge Mousli
hätte aufgrund seines besonderen Interesses an dem Bau und
seiner Absicht, nach der Schulung, einen solchen Sprengsatz auch
eigenständig herstellen zu können sowie seiner eigenen
Experimente in der Lage sein müssen, den tatsächlich bei
der ZSA verwendeten Sprengsatz zu beschreiben.
Zu 2.)
Diese Möglichkeit läßt sich nicht ausschließen.
Dann macht der Zeuge wahrheitswidrige Angaben .
Zu 3.)
Für diese Variante spricht die Behauptung des Angeklagten
Schindlers, der Zeuge Mousli habe den Sprengsatz selbst gebaut und
abgelegt. Dann hätte er einen funktionsfähigen Sprengsatz
beschreiben können. Daß er dies nicht getan hat, dient
der Verschleierung des eigenen Tatbeitrages.
Daß die Schlußfolgerung zu 3.) eine durchaus naheliegende
ist, zeigt das Aussageverhalten des Zeugen Mousli auch in anderen
Bereichen.
So hat der Zeuge den Angeklagten Glöde zunächst dahingehend
wahrheitswidrig belastet, sowohl in die Vor- und Nachbereitung eingebunden
als auch in der Tatnacht auf dem Bahndamm gewesen zu sein. Er hat
erst seine Angaben zum Angeklagten Glöde geändert, als
ihm das BKA mitteilte, daß der Angeklagte Glöde sich
zum Zeitpunkt der Tat im Polizeigewahrsam befand.
Der Zeuge war bei der weiteren Befragung in der Hauptverhandlung
nicht in der Lage, irgendwelche Angaben dazu zu machen, die sich
aufgrund der Inhaftierung des Angeklagten Glöde am Tattag geradezu
aufdrängen:
- Wurde das Fehlen des Angeklagten Glödes in der Tatnacht
festgestellt?
- Wurde erörtert, ob die Aktion abgebrochen wird?
- Wer hat den Tatbeitrag übernommen?
- Sollte ein Bekennerschreiben zurückgehalten werden, bis
der Verbleib des Angeklagten Glöde geklärt ist?
- Wurde beim Nachbereitungstreffen eine Woche später der Verbleib
des Angeklagten Glöde besprochen?
- Welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?
Daß die Einlassung des Angeklagten Schindler, er und nicht
der Zeuge Mousli habe gegenüber der ZSA am Kanal gesessen,
zutreffend ist, spricht folgender Umstand:
Nach Aussagen Mouslis waren ihm aufgrund des Abschottungsprinzips
die Mitglieder der anderen Gruppe nicht bekannt, Schindler hingegen
kannte nach den Angaben Mouslis sämtliche Mitglieder beider
Gruppen.
Damit wäre nur Schindler auf seinem Beobachtungsposten in
der Lage gewesen, zwischen "Freund und Feind" zu unterscheiden.
Mit diesem Problem in der Hauptverhandlung konfrontiert, antwortete
der Zeuge auf die Frage, was er gemacht hätte, wenn Dritte
vor der ZSA aufgetaucht wären, lediglich:
"Das sei nicht vorgesehen gewesen"
Welchen Sinn dann der von Mousli eingenommene Beobachtungsposten
hätte haben sollen, bleibt völlig im unklaren.
Der Zeuge Mousli gab in seiner Vernehmung vom 2.12.99 ohne Einschränkung
an, Jon habe gefunkt. Inzwischen änderte er seine Angabe dahingehend,
daß er diesen Tatbeitrag mit nahezu 100% iger Sicherheit Sebastian
zuordnet. Der Zeuge räumte ein, daß er bereits zum Zeitpunkt
der Bezichtigung Jons Sebastian im Kopf hatte, er diesen zum damaligen
Zeitpunkt jedoch nicht benennen wollte. In der Hauptverhandlung
räumte der Zeuge ein, richtig wäre es gewesen, die Angabe
"Jon habe gefunkt" mit einer Einschränkung zu versehen.
Trotzdem habe er diesen Tatbeitrag -wider besseres Wissen -Jon zugeordnet.
Der Zeuge korrigierte auch nach der Offenbarung von Lothar Ebke
als RZ Mitglied die Falschbezichtigung Jons nicht.
Weiterer Anhaltspunkt für Falschbelastung und Verschleierung
eigener, durchaus wesentlicher Tatbeiträge ergeben sich auch
aus den Angaben des Zeugen zum Schußwaffenattentat auf Korbmacher.
Der Zeuge gibt an, daß er mehrfach, das beim Anschlag verwendete
Motorrad Probegefahren habe. Er war intensiv in die Vorbereitung
und Nachbereitung des Anschlages eingebunden.
Der Angeklagte Schindler räumte - wie von Mousli angegeben-
ein, tatsächlich der Schütze gewesen zu sein, der Fahrer
des Motorrades sei der Zeuge Mousli selbst gewesen. Dies korrespondiert
mit den von dem Zeugen Mousli eingeräumten mehrfachen Probefahrten,
den Angaben der Zeugin Tollkühn, Mousli hätte ihr gegenüber
eine Beteiligung bei der direkten Anschlagsdurchführung eingeräumt,
sowie des immer wieder angegebenen Erinnerungsloches des Zeugen
zum Fahrer des Motorrades.
Ähnliches gilt für die Angaben des Zeugen zur Entsorgung
des Sprengstoffes in den Seegraben. Konnte der Sprengstoff erst
nach seiner Haftentlassung ( 7.7.99) am 24.8.99 bei der dritten
Absuche an anderer Stelle entgegen der Fließrichtung gefunden
werden, gab die Zeugin Tollkühn darüberhinaus an, daß
zum Zeitpunkt des behaupteten Wegwerfens (März 1995) der Zeuge
diesen Seegraben noch gar nicht kannte. Die Zeugin konnte sowohl
in ihrer polizeilichen Vernehmung als auch in hiesiger Hauptverhandlung
sicher angeben, dass der Zeugen erst zu einem späteren Zeitpunkt
den Seegraben durch sie kennengelernt hat.
Der Zeuge gab an, das Sprengstoffdepot habe sich am Boden des Aufzugsschacht
gegenüber der Kneipe "Ex" befunden. Sebastian habe
ihm einmal die Stelle gezeigt habe, die als Depot genutzt werden
sollte. Dabei habe es sich um einen unter Wasser stehenden Schacht,
der mit einem Metalldeckel abgedeckt war, gehandelt.
Nach der in der Hauptverhandlung durch geführten Inaugenscheinseinahme
des Videos , ist klar, dass sich im Aufzugsschacht kein Metalldeckel
mit einem darunter liegenden weiteren Schacht befindet. Auf dem
Video war aber eindeutig zu hören, daß der Zeuge die
durchsuchenden Beamten beim Blick in den Aufzugsschacht immer wieder
bestätigte mit den Worten " Ihr liegt richtig ; so erkenne
ich es schon mal wieder; das muß da in der Ecke sein ; da
bin ich mir so sicher."
Tatsächlich wurde nichts gefunden, auch nicht an den weiteren
von ihm dann für möglich gehaltenen nunmehr ebenerdigen
und trockenen Stellen , in anderen Räumen und Schächten.
Selbst die Wischproben ergaben keinen Sprengstoffnachweis.
Eine weitere - bereits erwiesene - Falschbelastung im Ermittlungsverfahren
zu Lasten des Angeklagten Glöde stellt seine Behauptung dar,
dieser sei bei der Anschlagsvorbereitung bei Hollenberg beteiligt
gewesen (VN 25.11.99 Bd.15,Bl.21f; VN 2.12.99, Bd.16, Bl. 272 ).
Erst als in der VN vom 29.2.00 ( Bd.18,Bl.907) dem Zeugen mitgeteilt
wird, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
Siggi zum Zeitpunkt des Anschlages Hollenberg noch in Nicaragua
war, schließt der Zeuge die Beteiligung des Angeklagten Glöde
aus und verkauft dies in der Hauptverhandlung vom 13.7.01 als eigene
Erinnerung.
Sowohl für die schweigenden als auch für die bestreitenden
Angeklagten bleibt der Zeuge Mousli das einzige belastende Beweismittel.
Gerade der Angeklagte Haug bestreitet nachvollziehbar und detailreich
seine Beteiligung an den von dem Zeugen Mousli behaupteten Taten.
Studzinsky, Rechtsanwältin
Würdinger, Rechtsanwältin
|