www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  

Übersicht

Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund

 

Mailingliste
Mail
Suche

 

Übersicht:
Erklärungen
Verteidigung

Kammergericht

In der Strafsache

./. Harald G[...] u.a.

  1. 2 StE 11/00 (4/2000)

Berlin, den 27.06.02

wird gem. § 257 StPO zur Vernehmung des Diplom-Chemikers Dr. Hartwig am 20.6.02 folgende Erklärung abgegeben:

Der Sachverständige Dr. Hartwig ist in der Abteilung für Fertigungstechnik und Materialforschung des Fraunhofer-Instituts als Diplom-Chemiker beschäftigt.

Dieses Institut beschäftigt sich seit ca. 30 Jahren mit Klebetechnik. In diesem Bereich sind etwa 100 Mitarbeiter aus den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen beschäftigt, er selbst arbeitet in diesem Bereich seit etwa neun Jahren.

Besonderer Wert wird auf interdisziplinäre Zusammenarbeit gelegt.

Der Sachverständige Dr. Hartwig kam im Rahmen seines Gutachtenauftrags, wie lange das asservierte Klebeband dem Wasser / Schlick im Seegraben ausgesetzt war, zu folgendem Ergebnis:

Mittels IR-spektroskopischer Untersuchung hat er festgestellt, daß die Klebemasse des asservierten Klebebandes auf Naturkautschuk basiert und der Träger aus PVC besteht. Anhand der spezifischen Prägung kam er zu dem Ergebnis, daß es sich bei diesem Klebeband um ein Produkt der Firma Beiersdorf mit dem Handelsnamen "Tesa 4100" handelt.

Es wird als Industriebedarf vertrieben und ist/war nicht im Einzelhandel erhältlich.

Schon bei äußerer Betrachtung stellte er fest, daß in dem Gewässer, in dem das Band gelagert war, eine hohe biologische Aktivität besteht und diese einen Haupteinfluß auf das Klebeband ausgeübt hat.

Er bemerkte, daß die Klebemasse an allen Stellen im wesentlichen intakt ist.

Diese Tatsache wertete er als ein deutliches Zeichen dafür, daß sie erst kurze Zeit dem Wasser/Schlick des Seegrabens ausgesetzt war.

"Kurze Zeit" bedeutet einige Wochen oder Monate, jedenfalls nicht mehrere Jahre.

Der Sachverständige untersuchte drei Proben:

  1. eine Stelle aus der Mitte eines Klebestreifens, der zusätzlich von einem weiteren Klebestreifen abgedeckt war
  2. an einer nicht bewachsenen Stelle des 4,5 cm langen nicht festgeklebten Stückes des Klebebandes
  3. an einem von oben stark bedeckten Randbereich, der jedoch nicht abgelöst war.

Anhand von IR- spektroskopischer Untersuchung stellte er fest, daß an allen drei untersuchten Stellen keine signifikanten Unterschiede zu bemerken waren.

Dies ist insbesondere bei der Probe unter 2.), die die ganze Zeit dem Wasser ausgesetzt war besonders auffällig, da die Klebemasse weiterhin in vollem Umfang selbstklebend war.

An sechs Stellen wurde das Klebeband mittels Rasterelektronenmikroskop (REM) untersucht .

(Im vorläufigen schriftlichen Gutachten Proben 2-7)

Dies diente der Abbildung von Oberflächenstrukturen und der Elementenanalyse.

Die Analyse ergab, daß sich an allen untersuchten Stellen das für die Klebemasse charakteristische Titan nachweisen ließ, und zwar sogar an einer stark mit Algen bewachsenen, die also die ganze Zeit dem Schlick und Wasser ausgesetzt war. (Probe Nr. 2)

Es war zu erwarten, daß das Titan bei einer längeren Liegedauer ausgespült worden wäre.

Gleichzeitig war kein Transport der im Wasser befindlichen Stoffe in die Klebemasse hinein festzustellen.

Bei einer lang andauernden Verweilzeit wäre ein solcher Unterwanderungsprozeß zu erwarten gewesen.

An einer dem Wasser ausgesetzten Falte (Probe 6 im schriftlichen vorläufigen Gutachten) war auffällig, daß nicht die Klebeschicht der gesamten Falte von Sedimenten aus dem Grabenwasser bedeckt war.

Die Tatsache, daß die Klebemasse nicht vollständig Ablagerungen enthielt, sei ein starker Hinweis auf eine nur kurze Liegezeit. Auch wenn in dieser Falte eine Luftblase gewesen sein sollte, die den Bewuchs gehindert hätte, wäre diese innerhalb von ein bis zwei Tagen vom Wasser heraus gedrückt bzw. in dem Wasser gelöst worden.

Der Bewuchs wäre danach unvermindert fortgesetzt worden und die Ablagerungen flächendeckend ausgebreitet gewesen.

Das asservierte Klebeband beruht auf Naturkautschukbasis. Die Zersetzung findet im wesentlichen durch Bakterien statt. Bei diesem Abbauprozeß büßt die Klebemasse ihre Klebefähigkeit ein.

Deshalb wandte sich der Sachverständige Dr. Hartwig zur Vervollständigung seines Gutachtens an den Mikrobiologen Dr. rer.nat. Jendrossek, der auf dem Gebiet des mikrobiellen Abbaus von Naturkautschuk langjährige Forschungen vorgenommen hat.

Er hat für sein schriftliches Gutachten nicht nur einen Aufsatz dieses Mikrobiologen heran gezogen, sondern auch in einem Fachgespräch mit diesem die Problematik erörtert.

Danach ist davon auszugehen, daß in nahezu allen hiesigen Gewässern und Böden Bakterien vorhanden sind, die Naturkautschuk abbauen.

Da das untersuchte Klebeband jedoch überraschender weise noch an allen Stellen selbstklebend war, hat noch kein Abbau durch Bakterien statt gefunden.

Dadurch wird die Aussage des Sachverständigen Dr. Hartwig, das Klebeband habe nur wenige Wochen im Wasser /Schlick gelegen, zusätzlich untermauert.

Nachdem der Sachverständige ausführte, seine Feststellungen seien im naturwissenschaftlichen Sinne als Hinweise und nicht als Beweise zu verstehen, gab er auf Nachfrage sein Ergebnis in Wahrscheinlichkeiten auszudrücken an, daß mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % davon auszugehen ist, daß die Liegezeit des Klebebandes im Seegraben nur wenige Wochen angedauert haben kann.

So weit die Bundesanwaltschaft sich auf den dem Gutachten beigefügten Aufsatz von Dr. Jendrossek (Seite 186, Punkt 3.3.) bezog, in dem beschrieben wird, daß der Abbau von Naturkautschuk bei gleichzeitigem Vorhandensein von Glucose oder Succinaten unterdrückt werde, und daraus schlußfolgerte, daß der mangelnde Abbau des Naturkautschuks beim asservierten Klebeband nichts über die Liegezeit aussage, ist diese Schlußfolgerung falsch.

In dem Artikel wird ein Laborversuch beschrieben (Seite 181 ff.), bei dem verschiedensten Bakteriengruppen sowohl Naturkautschuk als auch Glucose und Succinate fortwährend zum Verzehr angeboten wurden.

Es handelt sich um ein abgeschlossenes künstliches System.

In diesen Versuchen ziehen die meisten Bakterienstämme einen Abbau von Glucose und Succinaten dem Naturkautschuk vor. Sein Abbau wird folglich unterdrückt oder gehemmt.

Die durch diese Befragung entstandene Unsicherheit konnte durch eine Rücksprache der Verteidigung mit Dr. Jendrossek am 21.6.02 beseitigt werden.

Der beschriebene Versuchsaufbau ist nicht mit den Bedingungen eines natürlichen Fließgewässers zu vergleichen, da es sich hierbei gerade nicht um ein geschlossenes System handelt, dem fortwährend Glucose und Succinate zugeführt werden, sondern ein ständiger Austausch der vorhandenen Nährstoffe stattfindet.

Um eine dauerhafte Unterdrückung oder eine erhebliche Hemmung des bakteriellen Abbaus von Naturkautschuk wie im Laborversuch zu erreichen, müsse schon eine ständige Zufuhr in erheblicher Menge von bevorzugteren Nahrungsstoffen stattgefunden haben.

Eine solche Zufuhr ist nach unseren Ermittlungen auszuschließen.

Dr. Jendrossek hält einen mehrwöchigen Versuch im Jahre 2002 mit Schlick und Wasser aus dem Seegraben im Labor für durchführbar und aussagekräftig.

Die Durchführung des Versuchs im Seegraben selbst sei nicht erforderlich, da die natürlichen Schwankungen keinen signifikanten Einfluß auf das Versuchsergebnis haben.

Bei einer Versuchsdauer von einigen Wochen trete auch keine Gefährdung durch Fäulnis auf.

Seiner Ansicht nach ist die Wasser- und Schlickzusammensetzung des Seegrabens in Bezug auf die Naturkautschuk abbauenden Bakterien ausreichend identisch mit der der vergangenen Jahre, sofern es keine wesentlichen Änderungen am Seegraben gegeben hat. Als wesentliche Änderung bezeichnete er beispielhaft, daß der Seegraben vor längerer Zeit vollkommen trockengelegt wurde.

Zu der schriftlichen Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 25.6.2002 wird wie folgt erwidert:

Zu I. 1)

Die Behauptung der Bundesanwaltschaft, es gäbe ernsthafte Zweifel, Tesa 4100 sei nicht identisch mit dem aufgefundenen Klebeband, ist unzutreffend.

Insoweit hat der Sachverständige in der Hauptverhandlung klargestellt, daß aufgrund der spezifischen Prägung auf dem PVC-Träger und des Spektrums der Klebmasse Identität zwischen asserviertem Klebeband und dem Tesa 4100 besteht.

Die einzige Abweichung beim asservierten Klebeband bei Bande 1537 führt er auf oxidative Schädigung zurück.

Diese oxidative Schädigung ist sehr wahrscheinlich vor Einlagerung im Seegraben oder nach der Bergung entstanden, da alle drei Proben eine identische Schädigung bei Bande 1537 aufwiesen, obwohl sie unterschiedlich dem Wasser und Licht ausgesetzt waren. Eine Probe

z. B. war überhaupt nicht mit Wasser oder Schlick in Berührung gekommen und wies dieselbe Beschädigung bei Bande 1537 auf wie eine andere Probe, die stark dem Wasser/Schlick ausgesetzt war.

Sollte das Gericht nicht von der Identität ausgehen, so wird hiermit beantragt,

ein Gutachten der Firma Beiersdorf, Hamburg, einzuholen.

Die Firma Beiersdorf wird nach Untersuchung der Inhaltsstoffe des asservierten Klebebandes bestätigen, daß es sich zweifellos um das von ihr hergestellte Tesa 4100 handelt.

Die von der Bundesanwaltschaft hierzu zitierte Stelle auf Seite 3 des Gutachtens, die Abweichung der Bande 1537 könne seine Ursache auch in der Nichtidentität haben, ist zunächst eine vorangestellte These des Sachverständigen, die in der weiteren Untersuchung verneint wird (s. Seite 5 des Gutachtens).

Zu I.3.

Soweit unter I.3 ausgeführt wird, daß der Gutachter aufgrund der äußerlichen Betrachtung (intensiver Algenbewuchs) von einer hohen biologischen Aktivität im Seegraben ausgegangen ist, ist die Angabe so zutreffend wiedergegeben.

Ebenfalls zutreffend ist wiedergegeben, daß sich dieser Algenbewuchs nicht überall auf dem Band befand.

Die These der Bundesanwaltschaft, daß dies für eine niedrige biologische Aktivität sprechen würde, ist unsinnig.

Der Gutachter hat aus dem geringeren Bewuchs an einigen Stellen des Klebebandes auf eine kurze Verweildauer im Seegraben geschlossen, da mit zunehmender Liegezeit (4,5 Jahre) sämtliche den Algen zugängliche Stellen komplett bewachsen gewesen wären.

Zu I.5

Soweit unter I.5 zu Probe 6 (Falte) ausgeführt wird, diese Falte könne durch erhebliche mechanische Einwirkung durch Strömung oder Ähnliches entstanden sein, hat dies der Gutachter aufgrund der Art der Falte auf Befragen der Bundesanwaltschaft ausdrücklich verneint.

Dies gilt auch für den Teil des Klebebandes, der nach Ansicht des Gutachters die ganze Zeit dem Wasser ausgesetzt war, da physikalisch die benötigte Kraft zum Aufreißen des Klebebandes größer ist als die Kraft, die für das weitere Lösen des Klebebandes hätte aufgewendet werden müssen. Insoweit hätte das Klebeband sich zum großen Teil von der Oberfläche lösen müssen und nicht nur 4,5 cm.

Das aufgefundene Paket hatte eine Höhe und Breite von 10-12 cm und eine Länge von 45 cm (SAO Bd. 40, Bl. 4), so daß die These der Staatsanwaltschaft ausgeschlossen ist.

Zu I.6

Soweit die BAW problematisiert, es sei nicht festgestellt, ob es sich bei dem Klebeband um Naturkautschuk oder synthetisch hergestellten handelt, hat der Gutachter in der Hauptverhandlung klargestellt, daß für die hier in Rede stehenden Untersuchungen diese Unterscheidung keine Rolle spielt. Der dem schriftlichen Gutachten darüberhinaus beigefügten Produktbeschreibung von Beiersdorf ist zu entnehmen, daß die Klebemasse aus Naturkautschuk besteht.

Völlig unsinnig ist die These der Bundesanwaltschaft, daß "gereinigter Naturkautschuk nicht ohne weiters mit solchem verglichen werden könne, der sich in der besonderen Umgebung einer Klebemassenformulierung befindet", denn der Naturkautschuk selbst ist die Klebemasse und wird wie der Gutachter ausführte für die Verwendung in Klebebändern ebenfalls vorher gereinigt.

Wenn die Bundesanwaltschaft als weiteren Unsicherheitsfaktor nennt, daß auch Biozide in dem Klebeband verwendet worden sein können, hielt der Sachverständige den Einsatz von Bioziden in diesem Klebeband für höchst unwahrscheinlich, da für den Verwendungszweck (Paketklebeband) der Einsatz von Bioziden keinen Sinn macht. Außerdem wären möglicherweise vorhandene Biozide durch Wasser ausgewaschen.

Nach telefonischer Auskunft von Dr. Jendrossek ist die mikrobiologische Zusammensetzung über Jahre stabil und von äußeren, von der Bundesanwaltschaft beschriebenen Einflüssen im wesentlichen unabhängig. Nur wesentliche, wie oben bereits beschriebene, Veränderungen könnten hier eine solche Untersuchung ungeeignet erscheinen lassen.

Da Dr. Jendrossek angab, daß die hier interessierenden bakteriellen Bodenbewohner regelmäßig auch im Wasser und Schlick vorhanden sind, sind die Untersuchungen, die er durchgeführt hat, grundsätzlich auch hier aussagekräftig.

Daß sich im Wasser und Schlick des Seegrabens Bakterien befinden, die Naturkautschuk abbauen, läßt sich durch die einfache Untersuchung einer Wasser- und Schlickprobe feststellen.

Demnach gebietet es die Aufklärungspflicht des Gerichts, ein weiteres mikrobiologisches Gutachten, welches möglich und auch für den Zeitraum 1999 aussagekräftig ist, einzuholen.

Würdinger, Rechtsanwältin

Studzinsky, Rechtsanwältin

Suche     Mail
http://www.freilassung.de/prozess/ra/270602.htm