Kammergericht
Elßholzstraße 30-33
10781 Berlin
Berlin, den
In der Strafsache
./. Harald Glöde u.a.
- 2 StE 11/00 (4/2000)
wird zu dem Schreiben der BAW vom 28.3.2003 wie folgt Stellung
genommen:
1.
Nachdem am 12.3.03 der Verteidigung überraschenderweise Ermittlungsergebnisse
von März/ April 2001 zu einer konspirativen Wohnung in der
Oranienstraße übersandt wurden, belegte die Verteidigung
in dem Antrag vom 14.3.03 (Seite 3-5) erneut, daß sowohl die
BAW als auch der Senat wiederholt wahrheitswidrig die Vollständigkeit
der Akten und der vorgelegten Teile der Strukturverfahren behauptete.
Noch in der Stellungnahme vom 15.1.2003 leugnete die BAW die Unvollständigkeit.
Dort heißt es:
"eine Beiziehung angeblich "immer noch fehlender Strukturakten"
....sei nicht zu begründen".
Der Senat übernimmt diese Formulierung wörtlich von der
Stellungnahme der BAW vom 15.1.2003 und unterstellt damit der Verteidigung,
sie behaupte - wahrheitswidrig - die Unvollständigkeit der
Strukturakten.
In den Ausführungen des Senats in dem Beschluß vom 31.1.2003,
heißt es auf Seite 8 inzwischen sogar fettgedruckt:
"eine Beiziehung angeblich "immer noch fehlender Strukturakten"
....sei nicht zu begründen".
Am 28.3.2003 stellt die BAW nun selbst unmißverständlich
fest, daß die bisher vorgelegten Teile der Strukturakten unvollständig
sind. Auf insgesamt vier Seiten wird bisher allerdings nur Auskunft
darüber erteilt, welche Aktenbände zu dem Verfahren 2
BJs 169/99 vorliegen (sollen).
Eine Auflistung für das Verfahren 2 BJs 64/00 fehlt immer
noch. Eine vollständige Herausgabe beider Strukturverfahren
wird verweigert.
Nur am Rande soll darauf hingewiesen werden, daß der oben
zitierte Passus ebenso wie die Seiten 1-9 (unten) des insgesamt
9 Seiten und drei Zeilen umfassenden Senatsbeschlusses wortwörtlich
aus der Stellungnahme der BAW vom 15.1.2003 übernommen
worden sind. Lediglich die Formatierung, Schriftgröße
und Bild wurden geändert und ein Vierzeiler angefügt.
Rein interessehalber und gegebenenfalls zwecks Weiterleitung an
den Bundesrechnungshof fragt die Verteidigung an, ob der Senat für
das Abschreiben dieser 9 Seiten eine eigene Schreibkraft eingesetzt
hat oder - kostengünstiger - die Stellungnahme der BAW von
dieser zugemailt oder als Diskette bekommen hat, eine Schreibkraft
dann nur noch die Formatierung ändern und einen Vierzeiler
anfügen mußte.
2.
Anspruch auf Akteneinsicht nach §§ 147, 199 Abs. 1 StPO
Die Verteidigung stützt den Antrag auf Beiziehung der Strukturakten
auf §§ 199 Abs. 1, 147 StPO.
Danach gehören zur Ermittlungsakte, die dem Gericht vorzulegen
ist, alle Vorgänge, die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens
entstanden sind, mit Ausnahme der Handakten. Die Staatsanwaltschaft
hat insoweit kein Auswahlrecht. Lediglich bedeutungslose Vorgänge
müssen nicht vorgelegt werden.
Die angelegten Strukturakten enthalten Ermittlungen, die anhand
und aufgrund der Aussage des Kronzeugen geführt wurden, und
zwar mit dem Zweck, seine Aussage zu überprüfen und entweder
durch objektive Beweismittel zu bestätigen oder zu widerlegen.
Diese Ermittlungen gehören also unmittelbar in die hiesigen
Sachakten und können nicht durch eine Absonderung in sogenannte
Strukturverfahren der Akte entzogen werden.
Bisher wurden drei Bände der Strukturakten mit Schreiben vom
11.3.2002 und ein weiterer Band am 28.3.2003 übergeben.
Diese Akten belegen bereits, daß es sich um unmittelbar zu
den Angaben des Kronzeugen geführte Ermittlungen handelt:
a.
Nachdem die Verteidigung am 20.2.2003 einen Antrag zu der angeblich
von Wolfgang B. zur Verfügung gestellten konspirativen Wohnung
in der Oranienstraße 7 oder 9 gestellt hatte, erhielt die
Verteidigung überraschend einen Vermerk des Zeugen KOK Igelmund,
aus dem sich umfangreiche Ermittlungen des BKA zu den Wohn- und
Meldeverhältnissen von Wolfgang B. als vermeintlichem Wohnungsgeber
und den Bewohnern der Oranienstraße 9 in den Jahren 1985-1990
ergeben.
Diese Ermittlungen wurden zwischen dem 6.2.2001 und dem 8.3.2001
geführt. Sie betreffen Anschlußermittlungen zu der Behauptung
des Zeugen Mousli, daß Wolfgang B. für die RZ eine Wohnung
in der Oranienstraße zwischen der ehemaligen Pizzeria Samira
und dem Heinrichplatz angemietet haben soll. Diese Aussage konkretisierte
der Zeuge in seiner eigenen Hauptverhandlung dahin gehend, daß
es die Oranienstraße 7 oder 9 gewesen sei.
Die vom BKA geführten und wohl von der BAW veranlaßten
Ermittlungen ergaben sodann, daß in dem fraglichen Zeitraum
1986 bis Ende 1987 Wolfgang B. zumindest in der Oranienstraße
9 nicht gemeldet war, sondern erst ab dem 1.11.1989.
Bereits dieses Ermittlungsergebnis widerlegt bezüglich der
Oranienstraße 9 die Behauptungen des Zeugen Mousli.
Der Zeuge B. bestätigte in seiner Vernehmung am 14.3.2003
, daß er zu keinem Zeitpunkt eine Wohnung für die RZ
angemietet oder zur Verfügung gestellt habe.
Der 9-seitige Vermerk des KOK Igelmund ist Bestandteil des am 28.3.2003
überreichten "Band 2" der Strukturakten 2 BJs 169/99
und belegt, daß bereits im Februar und März 2001 Ermittlungen
geführt wurden zu der Behauptung des Kronzeugen, daß
Wolfgang B. eine Wohnung in der Oranienstraße angemietet habe.
Dennoch wurden diese entlastenden Ermittlungsergebnisse dem hiesigen
Verfahren entzogen und erst nach einem gezielten Antrag der Verteidigung
zu der konspirativen Wohnung vorgelegt.
b.
Der "Band 5" des Strukturverfahrens 2 BJs 169/99 enthält
umfangreiche Ermittlungen zu Helmut H., von dem der Kronzeuge behauptete,
dieser habe
"durch seine Arbeit beim Bundeszentralregister auch Kontakte
zur Bundesdruckerei gehabt und konnte von daher Ausweisblankos für
Paßfälschungen besorgen". (Urteil ./. Mousli - 2
- 3/00. Seite 20).
Die Ermittlungen der Zeugen KOK'in Pankok und KK Barbian führten
zu dem Ergebnis, daß seit 1971 in der Bundesdruckerei keine
Blankos mehr abhanden gekommen sind. Die RZ bestand zu diesem Zeitpunkt
noch nicht und Helmut H. war auch noch nicht in Berlin.
Auch hier zeigt sich, daß eine belastende Aussage des Kronzeugen
überprüft und diese widerlegt wurde. Allerdings finden
sich auch diese Ermittlungen nicht in den Sachakten sondern in den
Strukturakten.
Da der Zeuge Mousli das einzige Beweismittel ist, kommt es für
die Beurteilung der Glaubwürdigkeit darauf an, seine Aussage
insgesamt zu überprüfen.
Folglich handelt es sich um Akten, die dem Senat vorgelegt werden
müssen und dem Akteneinsichtsrecht unterliegen.
Dennoch sonderte die BAW diese Erkenntnisse in den Strukturakten
ab und enthielt sie unter Verletzung des § 199 Abs. 1 StPO dem Senat
und der Verteidigung vor.
Beide Beispiele zeigen bereits, daß Inhalt der Strukturakten
Ermittlungen sind, die zur Überprüfung der Aussage des
Kronzeugen geführt haben und deshalb sämtlichst
vorzulegen sind.
3.
Die BAW lehnt in dem Schreiben vom 28.3.03 die Herausgabe bisher
noch nicht vorgelegter Strukturakten, die unter den Aktenzeichen
2 BJs 64/00 und 2 BJs 169/99 geführt werden, mit der Begründung
ab, eine Vorlage weiterer Aktenteile sei
- aus rechtlichen Gründen nicht geboten und
- entweder für die Entscheidung über die Schuld- und
Straffrage nicht von Bedeutung
- oder die Ermittlungen dauerten noch an und der Ermittlungszweck
sei durch eine Aktenvorlage gefährdet.
Die BAW bezieht sich dabei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
BVerfGE 63,45 ff.
Diese Bezugnahme geht völlig fehl, denn in dieser Entscheidung
geht es um die Frage der Beiziehung von sämtlichen Hinweisakten,
die angesichts von Ermittlungen zu einem Entführungsfall angelegt
wurden, deren Inhalt mit dem der Strukturakten überhaupt nicht
vergleichbar ist.
4.
Selbst wenn man dieser abwegigen Meinung folgen wollte, die Strukturakten
seien nicht Aktenbestandteil der hiesigen Sachakte und unterlägen
deshalb nicht dem Akteneinsichtsrecht, sind die Strukturakten dennoch
vorzulegen und vom Senat beizuziehen, da diese für die Schuld-
und Straffrage von erheblicher Bedeutung sind.
a.
Im einzelnen:
Band 1 -
Ermittlungs- und Auswertungskomplex Revolutionäre Viren
und Amazonen
Unabhängig davon, ob die Brandanschläge dieser Gruppen
verjährt sind, behauptet der Kronzeuge in seiner Vernehmung
vom 8.11.2000, Wolfgang B., Hauke B.r, Ursula V., Armin M. und Claudia
O. seien Mitglieder der Revolutionären Viren und Sigi habe
versucht, diese Gruppe in die RZ zu integrieren.
Wie sich aus dem Schreiben der BAW vom 28.3.03 ergibt, wurden offensichtlich
in diesem Komplex Ermittlungen geführt. Angesichts der bereits
entlastenden Ermittlungsergebnisse zum Komplex konspirative Wohnung
Oranienstraße und Helmut H., die in Strukturakten niedergelegt
sind, ist auch hier zu erwarten, daß die Behauptungen des
Kronzeugen ebenfalls widerlegt wurden.
Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen,
der das einzige Beweismittel ist, ist es von erheblicher Bedeutung,
wenn er Dritte mit erheblichen Straftaten falsch belastet.
b.
Koordinierungsausschuß
Diese Ermittlungen werden weiterhin zurück gehalten und in
Strukturakten statt in die hiesigen Sachakten sortiert.
Da der Angeklagte Glöde durch die Aussage des Kronzeugen belastet
wird, Mitglied in dem
Koordinierungsausschuß gewesen zu sein, wird die Vorlage
sämtlicher Ermittlungen zu diesem Komplex ebenfalls beweisen,
daß die Aussagen des Kronzeugen widerlegt sind. Diese Ermittlungen
scheinen Gegenstand des Verfahren 2 BJs 64/00 zu sein, welches vollständig
vorzulegen ist. Es handelt sich um originär zur Aussage Mousli
geführte Ermittlungen
Im Durchsuchungsbeschluss zum Mehringhof (SAO 76,
1 (5)) heißt es:
"Nach Tarek Mouslis Angaben befinden sich
im Mehringhof auch die Räumlichkeiten des "Koordinierungsausschusses",
der für die Verteilung der Gelder zuständig war, die den
im Untergrund lebenden "RZ"-Mitgliedern zum Bestreiten
ihres Lebensunterhaltes zur Verfügung gestellt wurden."
Im Durchsuchungsbeschluß vom 14.12.99 (SAO
76/10). /. Axel Haug heißt es:
"Der Beschuldigte gehörte darüber
hinaus während seiner Mitgliedschaft für die "RZ"
dem sogenannten Koordinierungsausschuss an, der für die Verteilung
der Gelder an die aktiven und an die abgetauchten Mitglieder der
"RZ" zuständig war."
In den hiesigen Verfahrensakten befindet sich weder
eine Aussage Mouslis, daß Axel Haug zum Koordinierungsausschuß
gehören soll noch eine Aussage, daß dieser im Mehringhof
ansässig sein soll.
Dies zeigt, daß weiterhin nach dem 131. Verhandlungstag
immer noch Aussagen des Kronzeugen von der BAW unter Verschluß
gehalten werden.
c.
Auswertungskomplex Rote Zora
Aus dem Schreiben der BAW vom 28.3.03 ergibt sich,
daß ein gesonderter Ermittlungskomplex der "Roten Zora"
gewidmet wurde.
Auch hier gilt, daß die Angaben des einzigen
Belastungszeugen offensichtlich überprüft wurden und diese
Anschlußermittlungen für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit
von Bedeutung sind, da wie sich an den bereits aufgeführten
Beispielen zeigt, entlastende Ermittlungsergebnisse von der BAW
systematisch vorenthalten werden.
d.
Komplex Elisabeth E., Birgit G. und Barbara W.
Der Kronzeuge belastet die beiden letzt genannten
Frauen, den Anschlag auf das gentechnische Institut am 17./18.10.1986
begangen zu haben. Bezüglich dieser beiden Frauen ist er sich
absolut sicher. Die Zeugin E. rückt er in die Nähe der
Roten Zora.
(Vermerk vom 9.11.2000 von EKHK Kröschel)
Aufgrund der Aussage des Kronzeugen wurden gleich
gegen alle drei Frauen Ermittlungsverfahren wegen Beteiligung an
diesem Anschlag eingeleitet.
Die dazu geführten Ermittlungen sind ebenfalls
vorzulegen, da sie die Angaben des Kronzeugen widerlegen. Bereits
die Angaben der Zeugin E. in der Hauptverhandlung am 11.7.2002,
sie sei an dem Anschlag nicht beteiligt gewesen, sondern von 1984
bis 1988 in Nicaragua, werden dazu geführt haben, diese Aussage
zu überprüfen und das Ergebnis erbracht haben, daß
diese Angabe der Zeugin zutreffend ist und die Behauptungen des
Kronzeugen widerlegen.
Für die Glaubwürdigkeit des Zeugen Mousli
ist es unerläßlich, die zu diesem Komplex geführten
Ermittlungen beurteilen zu können, da ebenfalls wieder Falschbelastungen
Dritter zu Tage treten und für die Gesamtaussage des Zeugen
und ihre Beurteilung erforderlich ist.
Selbst falls sich die BAW weiterhin weigern sollte,
die Strukturakten offen zu legen, hat der Senat wenigstens dafür
zu sorgen, daß endlich die Akte vollständig vorgelegt
wird und nicht durch die willkürliche Abtrennung von Aktenteilen
und der Vergabe von neuen Aktenzeichen diese der Verteidigung und
dem Senat vorenthalten wird.
Studzinsky, Rechtsanwältin Siegfried,
Rechtsanwalt, bestellter Vertreter für
Rechtsanwältin Würdinger
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