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HILFSBEWEISANTRAG

Az: 2 StE 11/00

In der Strafsache

./. Borgmann

beantrage ich namens und in Vollmacht des Angeklagten,

die Einvernahme des forensisch tätigen Aussagepsychologen Prof. Günter Köhnken, Universität Kiel

zum Beweis der Tatsache, daß die Lichtbildvorlage beim Zeugen Mousli am 27.01.2000 gravierende Mängel enthält, und ihr wegen der suggestiven Vorgeschichte keine aussagekräftige Bedeutung zukommt.

Begründung:

Der Zeuge Mousli hatte erstmal bei seiner Vernehmung am 30.11.1999, bei der ihm 40 Einzellichtbilder von Frauen und Männern, die dem Augenschein nach zumindest überwiegend aus polizeilichen Observationen stammten, vorgelegt wurden, Angaben zu der männlichen Person auf dem Lichtbild Nr. 4 gemacht.

Hierbei war er von den Polizeibeamten einleitend wie folgt gefragt' worden:

"Vorhalt: Herr Mousli. wir möchten Ihnen einige Lichtbilder vorlegen und Sie darum bitten. Personen. die Sie auf den Lichtbildern erkennen, zu bezeichnen. "

Der Zeuge äußerte sich darauf zunächst zum Lichtbild Nr. 3 und Nr. 2, dann zum Lichtbild Nr. 4, auf dem die Person U. D. abgebildet war, wie folgt:

"Zu Bild Nr. 4: Ich glaube. diese männliche Person in der zweiten Hälfte der 80-iger Jahre, möglicherweise auch noch Anfang der 90-iger Jahre öfter in der "Montagsrunde" im "Ex" gesehen zu haben. Ich glaube. er heißt mit Vornamen Martin oder Matti. Er ist älter als ich und beleibter. Bei dieser Aussage bin ich mir nicht sicher. "

Die Lichtbildmappe aus Band 15, Seite 41 ff wurde in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen.

Ohne daß in der Hauptverhandlung geklärt werden konnte, warum der Zeuge angeblich von sich aus am 07.12.1999 auf die Vernehmung vom 26.11.1999 (Anmerkung der Unterzeichnerin: tatsächlich vom 30.11.1999) zurückkommen will, heißt es in der Vernehmung vom 07.12.1999 wie folgt:

"Frage: Herr Mousli. würden Sie so nett seien und weitere Informationen zu bisher nicht identifizierten RZ-Mitgliedern mitteilen?

Antwort: Ja. ich möchte nochmals auf meine Vernehmung vom 26.11.1999 zurückkommen. Mir wird die Seite 4 dieser Vernehmung auf meine Bitte hin ausgehändigt. Ich möchte meine Angaben zu der auf Bild Nr. 4 abgebildeten Person ergänzen. Ich habe eine ähnlich aussehende Person in der Zeit von 1986 bis 1993 öfters bis regelmäßig im Mehringhof in der Montagsrunde gesehen. Ich habe bei dieser Person im Umgang mit Sigi eine Vertrautheit in Erinnerung. wie sie durchaus im Verein üblich war. Mit Verein sind die revolutionären Zellen gemeint. Von konspirativem Verhalten möchte ich in diesem Zusammenhang nicht reden, die Tendenz ging jedoch in diese Richtung. Ich würde dieser männlichen Person. die so ähnlich aussah. wie die auf dem Lichtbild dargestellte, den Decknamen Heiner zuordnen, weil ich das aus späteren Äußerungen von Sigi schließen konnte. Ich glaube nicht, daß die auf dem Lichtbild dargestellte Person Heiner ist. Diese Aussage treffe ich vor dem Hintergrund. daß mir gerade erklärt wurde. diese Person habe sich von Ende 1987 über 10 Jahre im "Wald" befunden. "

Bevor ihm bei dieser Vernehmung, also seitens der Ermittlungsbehörden, gesagt worden war, daß es diese Person nicht sein konnte, hat der Zeuge Mousli angegeben, einer der auf dem Lichtbild ähnlich aussehenden Personen den Decknamen Heiner zuordnen zu können.

Bei beiden Vernehmungen äußert sich der Zeuge ansonsten nicht zu Wiedererkennungsmerkmalen der Person, weil er bis zum 30.12.1999 noch durchgehend angibt, die Person mit dem Decknamen Heiner nie gesehen zu haben und demzufolge auch auf Lichtbildern nicht identifizieren zu können.

Er will also lediglich gehört haben, daß die ihm als Matti bekannte Person möglicherweise Heiner sei.

Am 30.12.1999 gibt der Zeuge dann an, daß er die Person mit dem Namen Heiner doch einmal 1989 oder 1990 gesehen haben will. Als Beschreibung zu der Person gibt er dann an:

"müßte heute ca. 50 Jahre alt sein. ungefähr so groß wie Sigi, untersetzte kräftige Statur. Schnurrbart und dunkle Haare. "

Am 04.01.2000 füllt der Zeuge für die Ermittlungsbehörden das in Augenschein genommene Formular vom 04.01.2000 aus, in dem er Decknamen und Klarnamen der angeblichen RZ- Mitgliedern mitteilt. Von den 8 Personen, die dort erwähnt sind, ist lediglich bei der Person mit dem Namen Heiner vom Zeugen nur eine Schätzung abgegeben und angegeben, daß er diesen aus der Kneipe kennen will. Am 18.01.2000 soll er nach den Angaben des Zeugen Dr. Morre ihm gegenüber zur Beschreibung des Heiner angegeben haben:

"adipös. stattliche Erscheinung, volles dunkles Haar, Schnauzbart".

In den handschriftlichen Anmerkungen, die er zwischen dem 20. und 27.01.2000 auf Bitten der Ermittlungsbehörden gefertigt hat, ergänzt er diese Beschreibung noch durch eine Größenangabe:

"ca. 1.85 cm groß".

Bereits am 18.01.2000 hatte er auf den Hinweis des Zeugen Dr. Morre, das RZ- Mitglied Thomas K. sei ein Mitschüler des Sohnes seiner Klassenlehrerin mit dem Namen Matthias Borgmann, aufgeregt reagiert und angegeben:

"ja, Mattis. Mattis so ist doch Heiner einmal genannt worden. "

Aufgrund der hoch emotionalen Reaktion des Zeugen Dr. Morre war dem Zeugen Mousli klar, daß die Ermittlungsbehörden nun die Person des Matthias Borgmann in Verdacht hatten.

Am 27.01.2000 wurden dem Zeugen dann die Lichtbilder auf Blatt 662 bis 682 vorgelegt. In der Hauptverhandlung hat der Vernehmungsbeamte Schulzke hierzu angegeben, daß dem Zeugen um 15.10 Uhr 21 Lichtbilder aus einer Lichtbildmappe mit 51 Fotos vorgelegt wurden, von denen er 30 Lichtbilder bereits am 20.01.2000 gesehen hatte. Am 20.01.2000 wurden ihm aus dieser Lichtbildmappe mit 51 Einzellichtbildern männliche und weibliche Personen vom 19.01.2000, die in der Hauptverhandlung aus Band 18, Seite 623 bis 652, 1 und 662 bis 684 in Augenschein genommen wurde, 30 Lichtbilder vorgelegt, wobei sich hierbei auf Lichtbild Nr. 7 erneut ein Lichtbild des U. D. befindet (Seite 630) zu dem der Zeuge in seiner Vernehmung vom 20.01.2000 aber keinerlei Angaben macht.

Am 27.01.2000 sind ihm dann die restlichen 21 Lichtbilder vorgelegt worden und zwar Männer und Frauen.

Hierbei ist der Beginn der Vernehmung mit 15.10 Uhr protokolliert und es folgen auch zunächst Angaben des Zeugen zu den Lichtbildern 32, 33, 34,40,41. Als "Vernehmung in der Vernehmung" ist dann für die Zeit ab 15.45 Uhr bis 16.30 Uhr, protokolliert, was der Zeuge zu Lichtbild Nr 36 gesagt hat. Zuvor wurde dem Zeugen Mousli gesagt, daß es nunmehr thematisch um die Person Heiner gehe und ihm wurden die diesbzgl. Aufzeichnungen des Zeugen, die unter Seite 688 bis 689 aktenkundig sind, vorgelesen. Es folgt dann die Protokollierung wie folgt:

"Die auf Lichtbild Nr. 36 abgebildete männliche Person ist mit 100- iger Sicherheit Heiner. "

Zuvor heißt es in der Vernehmung:

"Es ist beabsichtigt, Ihnen weitere Lichtbilder ab Lichtbild Nr. 31 vorzulegen. "

Als Antwort des Zeugen ist festgehalten:

"Zu den Personen auf den Lichtbildern Nr. 32 bis 36 kann ich Angaben machen. "

Auf den Lichtbildern 32, 33 und 34 sind Frauen abgebildet. Auf Bild 35 ist ein Mann ohne Brille und Blatt 36 mit Brille die Person Matthias Borgmann abgebildet. In der Lichtbildmappe insgesamt (Lichtbild 31 bis 51) befindet sich erneut mit Nr. 46 ein Lichtbild des U. D.

Von den Fakten her ist interessant, daß sowohl das Lichtbild Nr.4 als auch die oben bezeichneten weiteren Lichtbilder des U. D. jeweils eine Person mit fülligem Gesicht und Brille zeigen, ein Merkmal, das für das Lichtbild Nr. 36 ebenfalls zutrifft. Bei den Lichtbildern der Lichtbildmappe vom 19.01.2000 ab Lichtbild Nr. 31 trifft dieses Merkmal (männlich und Brille) ansonsten überhaupt nur noch für das Lichtbild Nr. 49, eine deutlich blonde männliche Person und für das Lichtbild Nr. 43, eine deutlich lebensjüngere Person zu.

In der Hauptverhandlung konnte mit 100 %-iger Sicherheit nicht geklärt werden, wie die Vernehmung in der Vernehmung durchgeführt wurde.

Die Gesamtdauer der Vernehmung vom 27.01.2000 mit Beginn 15.10 Uhr ist bis 17.55 Uhr dokumentiert.

Die Vernehmung in der Vernehmung zur Person Heiner und zu den Lichtbildern Nr. 32 bis 36 von 15.45 Uhr bis 16.25 Uhr.

Offensichtlich ist nur eins, auch wenn es der Zeuge Schulzke immer so behauptet hat, entspricht die Lichtbildvorlage schon deshalb nicht Nr. 18 der Richtlinien für das Strafverfahren, weil dem Zeugen nur RZ- verdächtige Personen vorgelegt wurden. Bei der Vernehmung in der Vernehmungssituation unter Hinweis auf Heiner, sogar nur die Lichtbilder Nr. 32 bis 36. Selbst wenn aber der Zeuge bereits um 15.10 Uhr die Gelegenheit gehabt hätte, die Restlichtbildvorlage bis Blatt 50 (21 Lichtbilder) durchzublättern, so hätte er erneut das Lichtbild des U. D. gesehen, der ihm, wie erwähnt, bereits am 30.11.1999 per Lichtbild vorgehalten war und der erneut mit einem anderen Bild Nr. 7 am 20.01.2000 in der Lichtbildmappe erscheint, die ihm vorgelegt worden war. Dem Zeugen war nun aber schon am 07.12.1999 hinreichend deutlich gemacht worden, daß es sich bei der Person des D. nicht um den Matti, der Heiner sein soll, handeln kann, so daß in jedem Fall eine Einengung auf das Lichtbild Nr. 36 in suggestiver Form erfolgte.

Durch die Vorgeschichte war dem Zeugen, wie dargelegt, zudem klar, daß ihm nunmehr ein Bild des Matthias Borgmann gezeigt werden sollte.

Zu keinem Zeitpunkt waren zuvor vom Zeugen individualisierbare 'Merkmale weder der Person Matti noch der Person des Heiner mitgeteilt worden. Vor dem 30.12.1999 hatte der Zeuge ja angegeben, er vermute lediglich, Matti sei Heiner. Aber auch nach dem 30.12., nachdem er angegeben hat, er könne Heiner möglicherweise identifizieren, weil er ihn einmal gesehen habe, werden von ihm keine individualisierbaren Merkmale genannt.

Von den Vernehmungsbeamten wird nach dem 27.01. auch nicht gefragt, warum er sich nunmehr bei dem Lichtbild des Borgmann sicher sei, und wie es sich mit den früheren Einstufungen zum Bild Nr. 4 (Uli D.) verhält.

Wegen der besonderen Entwicklungsgeschichte der Identifizierung sind hier zwei Varianten zu erörtern.

Die eine ist die, daß der Zeuge durchgängig, und zwar ab Lichtbild Nr. 4 die Person beschrieben hat, die als Matti aus der Montagsrunde kennt und zu der er auch sonstige biographische Daten, die auf die Person Matthias Borgmann ebenso wie auf eine Vielzahl anderer Personen zutreffen können, angibt. Dann wäre die Identifizierungsleistung des Zeugen dahingehend zu bewerten, daß er sich bzgl. des Lichtbild des Uli D. nicht 100 % -ig sicher war, bzgl. des Lichtbildes Matthias Borgmann nun 100 %-ig sicher sein will, dieser sei Matti.

Hierbei wird der Aussagepsychologe zu bewerten haben, inwieweit von den äußeren Merkmalen her (Beleibtheit, dunkle Haare, Brille) es zu Verwechslungseffekten gekommen sein könnte. Hierbei ist von dem Sachverständigen zu bewerten, in welcher Situation der Zeuge die Person des Matti kennen gelernt haben will; (mehrere Treffen in der Kneipe) in den Jahren 1986 -1993, d.h. 7 bis 14 Jahre vor der Indentifizierungsleistung.

Der Aussagepsychologe hätte natürlich auch in Betracht zu ziehen, daß, was aus Sicht der Verteidigung mehr als unwahrscheinlich ist, es tatsächlich einen Waldspaziergang und eine einmalige Begegnung mit einer Person Heiner gegeben hat. Dann hätte der Zeuge eine Identifizierungsleistung erbringen müssen, die sich auf ein 10 bis 11 Jahre zurückliegendes Treffen bezieht. Hierbei ist dann zu diskutieren, wie sich die eminenten Fehler der Lichtbildvorlage (4 Bilder, 2 weiblich) hierbei ausgewirkt haben.

Für beide Fallvarianten ist vom Aussagepsychologen zu erörtern, welche Rolle es spielt, daß zu keinem Zeitpunkt bei der äußeren Beschreibung durch den Zeugen das Merkmal Brille, welches für beide Personen zutrifft, angegeben wird. ,

Der erkennende Senat hat ersichtlich nicht ausreichende Sachkunde, um die Fehler dieses Identifizierungsvorgangs zu bewerten.

Dies wurde aus den Äußerungen des Senats in der Hauptverhandlung deutlich und spiegelt damit die Haltung der Ermittlungsbehörden wieder, die diese Lichtbildvorlage nicht wie eine Wahlbildvorlage, sondern eher wie ein Fahndungsersuchen behandelt haben.

Hierbei verkennt der Senat ebenso wie die Bundesanwaltschaft offensichtlich, daß die äußeren Merkmale, die der Zeuge Mousli zu dem Matti angegeben hat; TU, Tochter, Friesenstrasse, durchaus auf Matthias Borgmann zutreffen können. Dies besagt aber nichts für die Identifizierung als Heiner.

Der BGH hat vielfältig deutlich gemacht, daß ein Wiedererkennen durch einen Zeugen genauer Überprüfung bedarf. Das Wiedererkennen beruht nämlich auf dem Vergleich zwischen gegenwärtigen visuellen Eindruck (des Bildes) mit dem Erinnerungsbild über die frühere Wahrnehmung. Ein solches Wiedererkennen ist schon dann problematisch, wenn es sich auf einen sehr lange zurückliegenden Zeitpunkt bezieht. Die vielfältigen Einflüsse, denen der Zeuge ersichtlich unterworfen war, bedürfen vorliegend genauester Überprüfung.

Da die Angaben des Zeugen zumal die einzigen belastenden Angaben gegen den Angeklagten Borgmann darstellen, ist die Bewertung durch die beantragten Aussagepsychologen erforderlich.

Dieser Antrag wird hilfsbeweislich für den Fall gestellt, daß das Gericht ein Urteil auf die Identifizierungsleistung des Heiner durch den Zeugen zu stützen beabsichtigt.

Lunnebach

Rechtsanwältin

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