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Verteidigung
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Plädoyer der Verteidigung Matthias Borgmann
vom 18.12.2003
Wolfgang Kaleck
I .
Dieser Prozess ist ein Akt politischer Justiz -
und zwar in dem Sinne, in dem Otto Kirchheimer den Begriff in seiner
klassischen Untersuchung gebraucht :
" Dass der Begriff 'Politische Justiz' auf
den dubiosesten Abschnitt der 'Rechtspflege' angewandt wird, in
dem die Vorkehrungen und Einrichtungen des staatlich betreuten Rechts
dazu benutzt werden, bestehende Machtpositionen zu festigen oder
neue zu schaffen, entspricht dem traditionellen Sprachgebrauch und
hat nichts Zynisches an sich. Das griechische Ideal tritt in dieser
Ebene nur noch stärker profiliert hervor, weil Justiz in politischen
Dingen so viel schwindsüchtiger ist als in allen anderen Bezirken
der Rechtsprechung, weil sie hier so leicht zur Farce werden kann.
"
(aus : Politische Justiz, Frankfurt a.M. 1981,
S.11)
Natürlich hat diese Hauptverhandlung in ihrem
äusseren Ablauf wenig mit einem klassischen politischen Prozess
- oder in der Begrifflichkeit der Bundesanwaltschaft (BAW) einem
klassischen Terroristenverfahren- gemeinsam. Es gibt keine politischen
Erklärungen der Angeklagten, keine Ausschlüsse von Zuschauern
oder Angeklagten, keine Ehrengerichtsverfahren gegen die VerteidigerInnen.
Der Unmut der ZuschauerInnen richtete sich überwiegend gegen
die ungerechtfertigte und überlange Untersuchungshaft - und
wurde von der Vorsitzenden nicht geahndet. Natürlich leben
wir nicht mehr in den 70er Jahren der Terroristenhetze, der übelsten
Meinungsmache nicht nur gegen Verdächtige von Straftaten, sondern
auch gegen ihre VerteidigerInnen, ihre Familienangehörige und
UnterstützerInnen oder schlicht Leute, die eine eigene Meinung
äusserten. Auch haben sich die "Revolutionären Zellen"
- je nach Auffassung - Anfang der 90er Jahre, spätestens 1995,
aufgelöst. Das alte Feindbild scheint selbst bei den traditionell
auf Verfolgung linker politischen Bewegungen ausgerichteten Staatsschutzbehörden
verblasst - obwohl der Ermittlungsaufwand wegen zweier Brandanschläge
in Magdeburg und die anschliessende Anklageerhebung wegen Mitgliedschaft
in einer terroristischer Vereinigung und die Verfolgung von GlobalisierungskritikerInnen
nach dem EU-Gipfel in Göteborg im Juni 2001 zeigen, dass die
alten Beissreflexe nach links immer noch gut funktionieren.
Diese Unterschiede dürfen aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass in diesem Verfahren das Arsenal des in
den 70er Jahren geschaffenen Massnahme- und Sonderstraf- und Strafprozessrecht
mehr oder weniger zur Anwendung kam:
- Nur die am 18.8.1976 zum Zwecke der besseren
Strafverfolgung der RAF in das StGB eingefügte Vorschrift des
§ 129 a StGB ermöglicht im hiesigen Verfahren eine Einbeziehung
der als Körperverletzungsdelikte bereits verjährten Schusswaffenanschläge
auf die Herren Hollenberg 15.10.1986 und Korbmacher am 1.9.1987.
Die oftmals kritisierte Vorschrift und ihre Vorläufer dienten
von der Vergangenheit bis heute nicht nur der Kriminalisierung und
der Ausspähung von politisch missliebigen Bewegungen von der
alten Arbeiterbewegung bis zur Anti-Atomkraftbewegung, der Verfolgung
von normalerweise straflosen Vorbereitungs- und Unterstützungshandlungen
und der Bestrafung von Meinungsäusserungen. § 129 a StGB erleichtert
vor allem auch die Beweisführung - wie es im hiesigen Verfahren
wunderbar am Beispiel des gescheiterten Anschlages auf die Siegessäule
am 15.1. 1991 nachzuvollziehen ist, zu dem die BAW im Schlussplädoyer
in entlarvender Offenheit feststellt, dass zwar konkrete Tatbeiträge
der einzelnen Angeklagten nicht bekannt seien, aber der Anschlag
und seine Vorbereitung so "arbeits- und personalintensiv"
waren, dass es der Mitarbeit aller damaligen Zellenmitglieder bedurfte.
- Die Vorschrift des § 129 a StGB ermöglicht
darüberhinaus die Anwendung zahlreicher strafprozessualer Sonderregelungen.
So wurden die Ermitttlungsverfahren nicht von der
Staatsanwaltschaft Berlin geführt, die für Körperverletzungs
- und Sprengstoffdelikte ansonsten zuständig wäre. Vielmehr
ist nach § 142 a GVG die Bundesanwaltschaft - allerdings erst nach
Wiederaufnahme der alten Ermittlungen nach dem Auftauchen des Kronzeugen
Mousli - zuständig gewesen.
Die erstinstanzliche Zuständigkeit liegt nicht
bei einer normalen Strafkammer des Landgerichts Berlin, sondern
aufgrund der Sonderzuständigkeitsbestimmung des § 120 Abs.
2 Nr. 2 GVG beim Kammergericht Berlin. Für Haftbeschwerden
ist somit der Bundesgerichtshof zuständig.
Die im Rahmen dieses Verfahrens festgenommenen
Angeklagten erfreuten sich zumindest zu Beginn des Verfahrens eines
besonderen Haftregimes. Es wurde nicht nur der besondere Haftgrund
des § 112 Abs. 3 StPO angenommen, der eine Untersuchungshaft bei
dringendem Tatverdacht gemäss § 129 a StGB auch ohne weitere
Haftgründe erlaubt. Die Angeklagten wurden in räumlich
weit auseinanderliegenden Haftanstalten, nämlich Frankfurt,
Düsseldorf, Wuppertal und Berlin gefangenhalten - anders als
Tatverdächtige in Mord-, Totschlags-, Raub- und Vergewaltigungstaten,
bei denen eine strenge Trennung von Mittätern innerhalb der
Untersuchungshaftanstalt Moabit für ausreichend erachtet wird.
Anders auch als bei diesen der Schwerstkriminalität Verdächtigen
wurde bei den hier Angeklagten als § 129 a - Verdächtigen in
den ersten Monaten der Untersuchungshaft gemäss § 148 Abs.
2 StPO der schriftliche Verkehr mit den Verteidigern überwacht
und die mündlichen Besprechungen, zu denen ein Teil der VerteidigerInnen
von Berlin nach Wuppertal und Düsseldorf anreisen musste, fanden
hinter Trennscheiben statt.
Aus der zu Beginn der Hauptverhandlung erörterten
Sicherheitsverfügung der Vorsitzenden wurde bekannt, dass den
Zeugenschutzbeamten, die den Kronzeugen Mousli in den Gerichtssaal
begleiteten, das Tragen von Schusswaffen erlaubt war - auch dies
eine absolute Ausnahme, die in vergleichbaren Verfahren den Begleitern
der dortigen Zeugen im Zeugenschutzprogramm nicht erlaubt wird.
Die Abschaffung dieses Sonderstraf- und Strafprozessrechts
ist heute Common sense auf Strafverteidigertagen und bei andereren
Anwaltsorganisationen bis weit in liberale Kreise hinein und bis
ins Programm der Regierungspartei der Grünen, weil diese Vorschriften
mit einem rechtstaatlichen Strafrecht nicht vereinbar sind. Der
§ 129 a StGB existiert zwar im materiellen Strafrecht ebenso wie
die auf ihr basierenden Sonderkompetenzen nach wie vor.
Angesichts der weitreichenden Kritik wäre
allerdings eine sensibler Umgang mit der Vorschrift und den durch
sie aufgeworfenen Problemen das Mindeste gewesen, was man hätte
erwarten dürfen. Doch die einmal geschaffenen Normen und Kompetenzen
werden - wie immer in solchen Fällen- genutzt, auch wenn der
spezifische historische und sachliche Kontext und die behaupteten
Probleme, zu deren Lösung dieses Massnahmerecht dienen sollte,
schon lange nicht mehr bestehen.
So haben die Anwendung des § 129 a StGB und der
prozessualen Sondervorschriften im hiesigen Prozess viel Unheil
angerichtet: sie schufen seit Beginn des Verfahrens eine der Verurteilung
dienliche Atmossphäre, in der ein offenes und faires Verfahren
kaum denkbar war, sorgten mit dafür, dass die Angeklagten rechtswidrig
lange in Untersuchungshaft sassen, ein erhebliches, wenn nicht entscheidendes
Präjudiz für das gesamte Verfahren, und beeinflussten
schliesslich - wie bereits ausgeführt - den Verfahrensausgang
auch inhaltlich enorm.
II. Persönlicher Strafaufhebungsgrund
des § 129 a V i.V.m. § 129 VI StGB
Ein unzureichendes, aber immerhin kleines Korrektiv
dieser rechtstaatswidrigen Norm könnte der persönliche
Strafaufhebungsgrund des § 129 a V i.V.m. § 129 VI StGB darstellen,
der zwingend eine Nichtbestrafung für den Fall der Auflösung
einer Vereinigung bei gleichzeitigem ernsthaften und freiwilligen
Bemühen des Einzelnen vorsieht. Der behauptete Grund für
die Anwendung des § 129 a StGB, die spezifische Gefährlichkeit
der terroristischen Vereinigung, fällt durch deren Auflösung
weg. Daher soll nach den Regeln der Absätze 5 und 6 der zitierten
Vorschriften von einer Strafe abgesehen werden.
Das Oberlandesgericht Naumburg hat in dem von Anträgen
der Verteidigung zitierten Beschluss vom 22.8.2003 diese Regel erstmals
praktisch umgesetzt und seine Rechtsauffassung in den rechtskräftigen
Beschlüssen vom 21.11.2003, in denen die Haftentlassung der
dortigen Angeklagten angeordnet wird, bestätigt. Diese Beschlüsse
müssten für die hiesigen Angeklagten die Folge der Nichtbestrafung
wegen des Tatvorwurfes nach § 129 a StGB haben.
- Denn es gibt die (mutmassliche) terroristische
Vereinigung jedenfalls spätestens seit 1995 nicht mehr, da
sich die Berliner Revolutionäre Zelle der Gesamtgruppierung
"Revolutionäre Zellen" aufgelöst und ihre Aktivitäten
komplett eingestellt hat. Dabei kommt es auf eine offizielle Auflösungserklärung
nicht an. Das tatsächliche Nicht- Fortführen der Vereinigung
kann zweifelsfrei festgestellt werden. (vgl. vor allem LK- v. Bubnoff,
§ 129, Rn. 85 m.w.N.).
- Nach erfolgter und abgeschlossener Beweiswürdigung
muss in Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo davon ausgegangen,
dass alle 1993/1995 noch verbliebenen Mitglieder an der beschlossenen
Auflösung der terroristischen Vereinigung mitwirkten. Denn
als Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass alle Beschlüsse
der Revolutionären Zellen vom gemeinschaftlichen Willen der
Gruppenmitglieder getragen waren und keine Befehle oder Anordnungen
in einem formalen Hierarchieverhältnis erfolgten. Es müssen
die verbleibenden - nach Mousli- 4 Gruppenmitglieder die Selbstauflösung
der Berliner Zelle entweder einstimmig oder zumindest mehrheitlich
beschlossen haben. Spätestens die Umsetzung des Beschlusses
erfolgte dann durch alle noch verbleibenden Mitgliedern gemeinsam.
Andere Feststellungen konnten nicht getroffen werden. Da die Beweiswürdigung
zu keinem anderen Ergebnis geführt hat , muss zugunsten aller
an dem Auflösungsprozess beteiligten Mitgliedern in Anwendung
der Entscheidungsregel "in dubio pro reo" auf das
freiwillige und ernsthafte Bemühen des Einzelnen um die Auflösung
der Berliner RZ geschlossen werden- wenn nicht getreu dem Motto
verfahren wird, dass die der Strafverfolgung dienlichen Teile der
Vorschrift des § 129 a StGB genutzt werden, Grenze jeder Auslegung
jedoch bleiben muss, dass sie den Angeklagten nicht zugute kommt.
So aber das Ergebnis der BAW, die den Strafaufhebungsgrund für
nicht gegeben ansieht.
Dieses von der BAW vorgeschlagene Ergebnis zeigt
einmal mehr, dass mit zweierlei Mass gemessen werden soll: die Mitwirkung
an der objektiv feststehenden, von der Gruppe durchgeführten
Auflösung soll den einzelnen Angeklagten deswegen nicht zugute
kommen, da ein konkreter Beitrag des Einzelnen nicht feststellbar
sei - währenddessen auf der anderen Seite der angeblich von
derselben Gruppe begangene Siegessäulenanschlag allen Einzelnen
mittäterschaftlich zugerechnet werden soll, ohne dass konkrete
Beiträge der Angeklagten feststünden. Letzeres gilt auch
für den Anschlag auf die ZSA : im Verlaufe der Vernehmungen
von Mousli wuchs die Zahl der Beteiligten immer weiter an, so dass
seine Aussage zu der absurden und von ihm auch in keiner Weise aufgeklärten
Konsequenz führte, dass praktisch alle Mitglieder beiden Zellen
der Berliner RZ bei dem Anschlag anwesend gewesen sein sollen. Unter
Beibehaltung des strikten Abschottungsprinzip sollen Personen, die
sich nach Mouslis Aussage bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannten,
quasi auf Nachbarhügeln gehockt haben, ohne zu wissen, wer
die Person nebenan ist und auf wen oder was eigentlich aufzupassen
ist. Da in das von Mousli so angerichte Durcheinander beim besten
Willen keine Ordnung hereingebracht werden kann, lässt es die
BAW auch bei diesem Anschlag dabei bewenden, die Teilnahme von Heiner,
Siggi, Anton, Sebastian und Toni festzustellen, ohne ihnen auch
nur irgendeine Funktion oder konkreten Tatbeitrag zuzuordnen.
III.
Die Feststellung, dass es sich hier um einen Akt
politischer Justiz handelt, bedeutet jedoch nicht - zumindest für
die Verteidigung Borgmann -, dass wir die Einladung der BAW annehmen
werden, um hier und jetzt über die politische Dimensionen und
den politischen Hintergrund des hier angeklagten Geschehens zu sprechen.
Ob der Mythos der RZ verblasst ist - wie die BAW zu Beginn seines
Plädoyers hervorhob - mag an einem anderen Ort unter anderen
Bedingungen diskutiert werden - ebenso wie die Fragen, ob es einen
solchen Mythos gab, worin er bestand, ob dieser Prozess und die
von der BAW festgestellte kleinbürgerliche Verzagtheit der
Angeklagten oder schon der Verlust des Jungstars Mousli durch seinen
Seitenwechsel den massgeblichen Anteil am Niedergang der RZ hatten
und ob die RZ an ihren Nachwuchsproblemen gescheitert ist oder ob
der politische Ansatz der RZ sein historisches Verfallsdatum überschritten
hat - wie Sabine Eckle in ihrer Erklärung zuletzt nahelegte.
Die Nachwuchstheoretiker aus Karlsruhe jedenfalls
setzten sich mit ihrem Ausflug in linke Politische Theorie und Psychologie
in erstaunlicher Weise von ihren Kollegen Staatsanwälten in
sonstigen politischen Verfahren ab. Diese lassen normalerweise keine
Gelegenheit aus, um zu betonen, dass es sich um ganz normale Strafverfahren
handele. Kriminelles Unrecht und nicht politische Betätigung
stünden zur Verhandlung. Politische Erklärungen täten
nichts zur Sache. Anders die BAW: Sie beschweren sich darüber,
dass die Angeklagten die politische Dimension "ihrer"
Taten nicht genügend reflektiert hätten. Ihrer Taten -
ja, richtig gehört - ihrer Taten. Das abzusehende Ergebnis
der Beweiswürdigung wurde damit von der BAW vorweggenommen.
Spricht da die persönliche Enttäuschung
der aus Karlsruhe anreisenden Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft,
dass keine linke Theoriedebatte stattfand, dass nicht mehr los war
in Berlin ? Oder wollen sie ein letztes Mal versuchen, die Angeklagten
aus der Reserve zu locken, zu provozieren, indem ihnen vorgeworfen
wird, in ihrer linksrevolutionären Idylle zu verharren und
ihre politischen Überzeugungen nicht dargestellt zu haben ?
Oder - und diesem Schluss neige ich zu - bedienen
sie sich eines billigen rhetorischen Tricks, um von vornherein in
den politischen Diskurs einzusteigen. Denn wer sich als Angeklagter
politisch bekennt oder distanziert, dem muss nicht mehr mühsam
juristisch nachgewiesen werden, was er oder sie begangen hat. Dabei
weiss die BAW sehr wohl, dass hier bei ausschliesslicher Anlegung
juristischer Kriterien Verfahrensergebnisse herauskommen müssten,
die ihnen nicht passen würden. Für diesen Befund spricht
die despektierlich gemeinte Beschreibung der Verteidigungsstrategie
durch die BAW als die einer Autoschieberbande, die mit prozessualer
Spiegelfechtereien arbeite. Damit meinen sie offensichtlich, dass
sich die Angeklagten der Mittel klassischer Strafverteidigung bedienten.
Ja, es stimmt, es wurde Strafverteidigung - wenn auch nicht immer
stilvollendet - praktiziert, aber doch Strafverteidigung: also den
Mandanten gegen einen strafrechtlichen Vorwurf zu verteidigen und
dabei so zu handeln, als ob in einem Strafverfahren, in dem aufgrund
eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters am BGH wegen terroristischer
Vereinigung zu Prozessbeginn bereits seit 1- 1 1/2 Jahren Untersuchungshaft
vollstreckt wurde, sich ein unabhängiges Gericht dem rationalen
Austausch der Argumente unter Wahrung der strafprozessualen Regeln
stellen würde, um in diesem Rahmen zu einem gerechten Ergebnis
zu kommen. Die BAW meint also, wir hätten dies lassen sollen,
wir hätten uns ihrem pragmatischen Ergebnis anschliessen sollen.
Schliesslich hat der Kronzeuge so vieles erzählt und haben
sich nicht einige seiner Erzählungen als wahr erwiesen, da
kann man auch den Rest, die Fünfe gerade sein lassen. Dies
mag die nachvollziehbare, wenn auch nicht zu respektierende Sicht
der Strafverfolger sein. Wir halten es für unsere Aufgabe zu
dem zu kommen, was die BAW in ihrem Schlussplädoyer wohlweislich
zu erörtern unterlassen hat : der Anwendung allgemeiner rechtlicher
Standards zur Beurteilung der Anklagevorwürfe bezüglich
der einzelnen Angeklagten.
IV. Zum Kronzeugen allgemein
Dabei muss man sich zunächst mit der Kronzeugenproblematik
im allgemeinen und mit dem Kronzeugen Mouslis im besonderen auseinanderzusetzen.
Einer der profiliertesten deutschen Journalisten auf diesem Gebiet,
Heribert Prantl brachte die Dramatik die dem Thema innewohnt, zuletzt
in der SZ vom 8.12.2003 so auf den Punkt:
" Die Kronzeugen- Regelung ist, das zeigt
die Erfahrung aus Drogenprozessen, eine gesetzliche Anstiftung
zur Falschaussage" - Kommentar unter dem Titel " Ein
Wiedergänger der Rechtspolitik".
Es entwertet das Plädoyer der Bundesanwälte
insgesamt, dass dieses für die Hauptverhandlung zentrale Thema
noch nicht einmal angeschnitten, geschweige denn intensiv abgehandelt
wurde. Schon während der gesamten Hauptverhandlung wollte sich
die BAW dem Problem mit einer Orwellschen Sprachregelung zu entziehen:
sie selbst sprach ausschliesslich vom Zeugen und nicht vom Kronzeugen
und in Erwiderung der Verteidigerrhetorik allenfalls vom sogenannten
oder dem von der Verteidigung so bezeichneten Kronzeugen. Der zutreffende
und gängige Begriff des Kronzeugen sollte nicht mehr gebraucht
und damit das offenkundige Problem kaschiert werden. Es erscheint
daher eine Begriffsklärung notwendig.
Es steht ausser jeder Frage, dass es Kronzeugen
gibt, seit es Strafprozesse gibt und nicht erst seit der Einführung
von Gesetzen mit Kronzeugenregelungen. In der Literatur wird der
Kronzeuge als eine Person bezeichnet, "die selbst der Begehung
einer Straftat verdächtigt oder beschuldigt ist, ihr Wissen
über die Straftaten anderer offenbart und der Staat dieses
Verhalten durch völliges Absehen von der Bestrafung oder eine
mildere Bestrafung honoriert". ( vgl. Florian Jeßberger,
Kooperation und Strafzumessung, Köln 1999, S. 25f. m.w.N.;
Uwe Mühlhoff/ Stefanie Mehrens, neue Kriminalpolitik 2000,
S.12; ders./ Christian Pfeiffer, ZRP 2000, S.121, 122).
Wie den ersten Aussagen des Beschuldigten Mousli
zu entnehmen ist, wurde er über die Regelungen des Kronzeugengesetzes
belehrt und er hat zumindest einen Teil der Aussagen in Erwartung
der Anwendung dieses Gesetzes gemacht. Er hat dann - was im einzelnen
zu erörtern sein wird- nach Abschluss einer Vereinbarung mit
der BAW spätestens im November 1999 in Erwartung von Vorteilen
zahlreiche Aussagen über tatsächliche und vermeintliche
Mitbeteiligte an Straftaten gemacht. Damit ist Mousli nach der obigen
Begriffsbestimmung, ohne dass in seinem Verfahren explizit die Kronzeugenregelung
angewandt wurde, ein Kronzeuge.
Das Modell Kronzeuge wird in Rechtsprechung und
Literatur kritisch diskutiert, ohne dass sich in der bundesdeutschen
Diskussion die Position hätte durchsetzen können, dass
eine Verurteilung allein aufgrund der Aussagen eines Kronzeugen
mit rechtstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar wäre. Dies
ist schon deswegen bedauerlich, weil sowohl in der Geschichte als
auch aktuell in anderen Ländern Erfahrungen mit Kronzeugen,
Staatszeugen ("state's witness"), Supersingvögeln
("supergras"), Reuigen ("pentiti") oder wie
man sie auch immer nennen mag gemacht wurden, die diese Konsequenz
nahelegen würden. Beachtenswert scheint dabei insbesondere
das nordirische Beispiel zu sein. Dort kam der in 2. Instanz mit
dem Problem befasste Court of Appeal in einer Reihe von Terrorismusverfahren
in den 80er Jahren zu dem Schluss, "ein supergrass habe einen
dermaßen starken Anreiz zur Lüge, dass man in Ermangelung
der Bestätigung seiner Aussagen durch weitere Beweismittel
-also corrobation- den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen nicht mit
dem Grad an Sicherheit feststellen könne, der in einem rechtstaatlichen
Strafverfahren für eine Verurteilung erforderlich sei"
( so die Zusammenfassung von Mark Denny in ZStW 103 (1991) S.269ff.,
298). In den USA gilt deswegen teilweise das Corrobation-Prinzip,
dass also bei einer Verurteilung weitere, sogenannte unabhängige
Beweismittel zur Aussage des Kronzeugen hinzutreten müssen.
Diese zusätzlichen Beweismittel sollen die Verbindung zwischem
dem Beschuldigten und der fraglichen Straftat dokumentieren (vgl.
nur Jeßberger, a.a.O., S. 153ff mit vielen weiteren Nachweisen.)
- Interessanterweise hatte die BAW in ihrem Plädoyer
aus einer entsprechenden Passage in der laufenden Beschwerde des
Herrn Borgmann vor dem Europäischen Menschengerichtshof zitiert
und vollmundig behauptet, es gäbe diese zusätzlichen Beweismittel.
Die Aufzählung derselben blieb sie allerdings schuldig. Zu
den einzelnen Anschlägen benannte sie zwar jeweils eine Vielzahl
von Tatortzeugen und Ermittlungsbeamten als Beweismittel. Diese
können allerdings nur dem Beweise dafür dienen -und daran
hat wirklich niemand Zweifel gehabt-, dass die Anschläge tatsächlich
stattgefunden und die äusseren Geschehensabläufe sich
wie allgemein bekannt zugetragen haben. Zu der Vor- und Nachbereitung
der jeweiligen Anschlägen sowie zur personellen Zuordnung der
Tatbeiträge formulierte die BAW floskelhaft, diese seien durch
die Angaben Mouslis belegt - kein Wort nach keinem Anschlag zu weiteren
Beweismitteln (ausser den von Schindler eingeräumten Selbstbelastungen).
Damit sind sie aber dem selbstgesteckten Anspruch gerade nicht gerecht
geworden. Denn zur Bestätigung der Kronzeugenaussage durch
das Corrobation- Prinzip gehört gerade der Nachweis einer Verbindung
der Angeklagten zur Tat durch ein zusätzliches unabhängiges
Beweismittel, das hier nicht geliefert wurde.
Hintergrund dieser angloamerikanischen Umgangsweise
mit Kronzeugen ist ein in langer rechtstaatlicher Tradition gereiftes
Bewusstsein darüber, dass Kronzeugen nicht nur viele Gründe,
sondern auch viele Möglichkeiten zu einer Falschaussage haben.
"Kaum lösbares Paradoxon des Modells Kronzeuge ist, daß
der besonderen Aufklärungseignung des Kronzeugen eine besondere
Disposition zur Falschaussage korrespondiert. Gerade seine besondere
Nähe zum Tatgeschehen - Garantie für die Menge aufklärungsrelevanten
Wissens - bedingt eine für die Glaubhaftigkeit seiner Aussage
unheilvolle Konstellation aus eigener Tatverstrickung und damit
verbundener Tendenz zur Bagatellisierung des eigenen Tatbeitrags
und detaillierter, weil selbst erlebter Kenntnis der Tatumstände
und damit täuschend realitätsnahen Manipulationsmöglichkeiten
durch den einfachen Austausch einzelner Sachverhaltselemente, bspw.
die Umverteilung der Tatbeiträge. Der vom Kronzeuge angestrebte
Vorteil - Straflosigkeit für bisweilen schwerste Straftaten
- ist kaum zu übertreffen, der Kronzeuge hat also allen Grund
zur Lüge. Zudem ist Detailreichtum gerade ein Indiz für
die Glaubhaftigkeit einer Aussage, der Kronzeuge ist mithin ein
besonders guter Lügner. Zusätzlich - und das unterscheidet
den Kronzeugen vom gewöhnlichen mitbeschuldigten Zeugen - trifft
ihn eine besondere von den Strafverfolgungsbehörden an ihn
herangetragene oder (vorauseilend) selbst produzierten Erwartungshaltung,
er steht unter Erfolgsdruck, denn nur wenn er in der gewünschten
Weise aussagt oder sogar seine Aussage das gewünschte Ergebnis
hat, darf er ernsthaft auf die Gewährung der Vergünstigung
hoffen. Der Kronzeuge hat also ein doppeltes Eigeninteresse."
(Jeßberger, a.a.O., S. 127f.).
Die Verteidigung ist sich darüber im klarem,
dass im Schrifttum und auch in der Rechtsprechung nur wenige die
Konsequenz aus den obigen sicherlich von vielen geteilten Bedenken
ziehen und eine Verurteilung allein aufgrund einer Kronzeugenaussage
ablehnen. Vielmehr wird von den meisten Kommentatoren auf das Prinzip
der freien Beweiswürdigung verwiesen, mit dem sich eine derartige
feste Beweisregel nicht vertragen würde. Unstrittig ist jedoch
in Literatur und Rechtsprechung, dass eine angemessene und sorgfältige
Überprüfung der Angaben des Kronzeugen vorzunehmen ist.
V. Glaubwürdigkeitsprüfung der Aussage
Mouslis
Die nachfolgende Ausführungen lassen sich
nur als ein Beitrag zur umfangreichen Loseblattsammlung ' Glaubwürdigkeitsprüfung
der Aussage Mouslis' verstehen, die einer Ergänzung durch die
KollegInnen der Verteidigung und einer Fortschreibung über
diesen Prozess hinaus bedarf.
In Fallkonstellationen wie der vorliegenden, wo
die Belastungen ausschliesslich auf der Kronzeugenaussage beruhen
und zudem noch dessen Aussage gegen die Aussage anderer Beteiligter,
namentlich Schindler, aber auch Eckle und Haug sowie der Zeuginnen
von W., Elisabeth E. und T., steht, wird von der Rechtsprechung
eine besondere Glaubwürdigkeitsprüfung der belastenden
Zeugenaussage gefordert. Dabei spielen neben anderen Kriterien,
auf die andere Verteidiger im weiteren Verlaufe der Plädoyers
eingehen werden, die Aussageentstehung und die Aussagemotivation
eine wichtige Rolle (vgl. insoweit Nack, StV 2002, S. 558 ff. mit
zahlreichen w.N.).
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen der Verteidigung
in diesem Verfahren muss davon ausgegangen werden, dass der Kronzeuge
sowohl mit den Vernehmungsbeamten des Bundeskriminalamtes, den Bundesanwälten,
als auch den Zeugenschutzbeamten des Bundeskriminalamtes und weiteren
unbekannten Personen eine Vielzahl von Gesprächen über
den Verfahrensgegenstand geführt hat. Auf die gesamte Problematik
des hiesigen Einstellungsantrages zu Prozessbeginn wegen des Bestehens
eines Verfahrenshindernisses sei hier nur kurz verwiesen. Das damalige
Kernargument lautete, dass die Aussage die der Kronzeuge in der
hiesigen Hauptverhandlung nicht mehr seine originäre Wiedergabe
von persönlichen Erinnerungen an in der Vergangenheit liegende
Ereignisse sein wird, sondern die Präsentation eines Ergebnisses
von anderthalb Jahren intensiver gemeinsamer Arbeit mit den Beamten
des BKA und der BAW.
Schon anhand der Akte ist annähernd nachvollziehbar,
dass sich diese Gesprächskontakte nicht nur auf förmliche
Vernehmungen beschränkten, die möglicherweise korrekt
wiedergegeben in Vernehmungsprotokollen auftauchen. Vielmehr wurden
von Beginn an mit dem Kronzeugen Gespräche geführt, die
nur zu einem Bruchteil durch Vermerke festgehalten wurden. Schon
die wenigen festgehaltenen Vermerke belegen jedoch, wie die Ermittlungsbehörden
steuernd auf Mousli einwirkten. Dazu kommen die im Verlaufe der
Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse darüber, dass auch
die Beamten des Bundesamtes für den Verfassungsschutz in bisher
kaum nachvollziehbarer Weise den Kronzeugen präparierten.
Noch einmal an dieser Stelle in der gebotenen Kürze
:
Bekanntlich wurde Tarek Mousli am 23.11.1999 gegen
5.50 Uhr in seiner Wohnung in Schönow zum wiederholten Male
festgenommen. Er fuhr dann gemeinsam mit dem festnehmenden Beamten
in einem Dienst-Pkw des BKA nach Karlsruhe. Dort wurden weitere
Gespräche mit ihm geführt. Am Abend des 23.11.1999 soll
Herr Mousli dann um ein Gespräch gebeten haben, in dem es um
die Kronzeugenregelung ging (vgl. Vermerk der BKA-Beamten van Elkan
und Schulzke Bd. 15, Bl.1 und 2). Es soll dann weiterhin am 24.11.1999
noch zu einem längeren Gespräch zwischen 12.35 Uhr und
14.55 Uhr während des Transportes von Karlsruhe nach Köln-Ossendorf
gekommen sein. Über dieses Gespräch existiert kein Vermerk.
Vielmehr schreiben die Beamten in ihrem Vermerk vom 26.11.1999,,
dass der Gesprächsverlauf während der Fahrt von Karlsruhe
nach Köln-Ossendorf zwischen dem Beschuldigten und EKHK Schulzke
in der Vernehmung vom 25.11.1999 niedergelegt sei.
Am 24.11.1999 kam es dann (ausweislich Bd. 11,
S. 95 bis 97) zu einem Gespräch zwischen dem Kronzeugen und
Oberstaatsanwalt Monka. Im Beisein der BKA-Beamten Schulzke und
von Elkan. In dem Vermerk von Oberstaatsanwalt Monka vom 29.11.1999,
der überschrieben ist mit - Ermittlungsverfahren gegen Tarek
Mousli wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen
Vereinigung u.a. - heißt es dann unter anderem: "Eingangs
wies ich den Beschuldigten darauf hin, dass er nun gehört habe,
was ihm inzwischen vorgeworfen wird. ... Ich hielt ihm vor, dass
er sich bewusst sei, in welcher schlechten Position er sich nun
befinden würde. ... Im ungünstigsten Fall, so erklärte
ich ihm, hätte er mit umfangreichen Ermittlungen, einer langen
Ermittlungsdauer und einer langen Hauptverhandlung zu rechnen, bei
der eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten wäre.
Ich sprach von fünf bis sechs Jahren Freiheitsstrafe."
Zur Begründung des selbst in dem Haftbefehl gegen Mousli noch
angenommenen dringenden Tatverdacht wegen Rädelsführerschaft
diente damals die als glaubwürdig eingestufte Aussage der ehemaligen
Freundin des Kronzeugen, Frau Karmen Tollkühn. Diese hatte
nämlich berichtet, dass sich der Mousli ihr gegenüber
eingehend geäußert habe, dass er eine führende Rolle
innerhalb der Organisation inne gehabt habe. Er habe ihr gegenüber
selbst eingeräumt, dass er im Falle des verletzten Richters,
gemeint war Dr. Korbmacher, selbst geschossen hat. Von diesen damals
noch als glaubwürdig eingestuften, weil als Druckmittel benötigten
Aussagen und den rechtlichen Schlussfolgerungen, nämlich die
Annahme einer Rädelsführerschaft, rückte man dann
im weiteren Verlaufe des Verfahrens gegen Mousli ab. Es wurden die
Aussagen von Mousli selbst als durchweg glaubhaft bezeichnet und
die Aussage der Karmen Tollkühn in ihrer Bedeutung immer weiter
herabgestuft.
Das durch diesen Druck auf den Kronzeugen angestrebte
Ziel wird von Oberstaatsanwalt Monka in seinem Vermerk vom 29.11.1999
so formuliert:
"Auf der anderen Seite gäbe es den günstigsten
Fall, der dann verwirklicht wäre, wenn er ein Geständnis
ablegen würde, wenn es zu einer schnellen Hauptverhandlung
kommen würde und wenn er Aufklärungshilfe liefern würde
im Sinne der Kronzeugenregelung, die zum Jahresende ausläuft.
Die Aufklärungshilfe müsste in diesem Fall dahingehen,
dass die Ermittlungsbehörden durch ihn weiterer Täter
habhaft werden könnten. Ich sprach in diesem Zusammenhang von
Knüllern."
Der Kronzeuge bemühte sich dann in seinen
Vernehmungen nach dem 24.11.1999, diese Vorgabe zu erfüllen
und "Knüller" zu liefern. Dabei fällt bei der
Betrachtung der einzelnen Vernehmungen auf, dass der Grad der Belastungen
von verschiedenen Personen gegen Jahresende, zum Zeitpunkt des Ablaufes
der Kronzeugenregelung hin, zunimmt.
Einen Tag vor Fristablauf, am 30.12.1999 kommt
es dann zu einer Vernehmung in der JVA Köln-Ossendorf. Dort
führt Mousli zunächst aus: "In der Zeit vom 23.11.1999
bis heute ist mir so einiges durch den Kopf gegangen. Auch auf die
Gefahr hin, dass später jemand versucht, mit dieser Aussage
meine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen, gebe ich diese Erklärung
ab." Weiter unten heißt es: "Aus Sorge um die Sicherheit
von Karmen habe ich mich dazu entschlossen auch die Identität
von Sebastian preiszugeben. Bei dem RZ-Mitglied mit dem Decknamen
Sebastian handelt es sich um Lothar Ebke. Lothar Ebke und ich gingen
zusammen in die RZ. Er war also nicht nur Unterstützer, wie
ich bisher immer angegeben habe. Er war Mitglied der RZ."
In der Aussage des vernehmenden Polizeibeamten
EKHK Schulzke in der Hauptverhandlung vor dem 2. Strafsenat des
Kammergerichts gegen Tarek Mousli am 13.12.2000 hört sich die
Geschichte allerdings etwas anders. Auf die entsprechende Frage
des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Dr. Dietrich: "Es
fällt auf, dass Ende Dezember 1999 ein gewisser Wandel in der
Aussage auftaucht?" antwortet der Zeuge Schulzke sinngemäss,
man habe den Eindruck gehabt, dass Mousli zu der einen oder anderen
Person hätte mehr sagen können. Das habe man ihm deutlich
gemacht und zwar Ende Dezember. Am 20./21.12.1999 sei man noch einmal
bei Mousli in der JVA gewesen und habe ihn darauf aufmerksam gemacht,
dass die Kronzeugenregelung für ihn nur dann greift, wenn er
rückhaltlos Angaben macht und am 30.12.1999 diese Möglichkeit
für ihn auslaufen wird und er sich noch einmal überlegen
soll, ob nicht die eine oder andere Sache zu sagen wäre. Zwischen
Weihnachten und Neujahr habe er dann gebeten, zu kommen. Zwischen
Weihnachten und Neujahr sind dann diese Aussagen entstanden.
Ein Vermerk über die Gespräche von Herrn
Schulzke und seinen Kollegen mit dem Kronzeugen ist den hiesigen
Akten nicht zu entnehmen. Nur durch die Anwesenheit einzelner Verfahrensbeteiligter
während der Hauptverhandlung gegen Tarek Mousli vor dem 2.
Strafsenat des Kammergerichts wurde die Tatsache, dass weitere Gespräche
zwischen den BKA-Beamten und Mousli geführt wurden, bekannt.
Es liegt auf der Hand, dass alle diese Gespräche für die
Entwicklung der Aussage Mousli von entscheidender Bedeutung sind.
Versucht man die Aussagenentwicklung beim Kronzeugen
und einzelne Wendungen und Wandlungen im Inhalt seiner Aussagen
nachzuvollziehen, stösst man zum einen auf das gerade geschilderte
Problem, dass wesentliche Gespräche zwischen Mousli und den
Ermttlungsbeamten nicht dokumentiert wurden. Die Akten sind insofern
höchst unvollständig. Die BAW weist in ihrem Plädoyer
zurecht auf einen auch aus Sicht der Verteidigung in diesem Zusammenhang
wichtigen Umstand hin: Mousli Aussagen zum Seegraben sind zu einem
frühen Zeitpunkt - nämlich im Juni 1999 - erfolgt, als
angeblich von seiner umfassende Aussagebereitschaft keine Rede war.
Andererseit taucht der Topos 'Kronzeugenregelung' auch vor dem November
1999 in mehreren Vernehmungen, zuletzt noch am 6.10.1999, ohne dass
einer der hierzu Befragten, insbesonder Mousli selbst hierzu irgendeine
Aufklärung geben könnte. Hierbei ist vor allem frappierend,
wie die massgeblich für die Ermittlungen verantwortlichen Beamten
Schulzke und Trede in der Hauptverhandlung vermieden, zu den entscheidenden
Fragen der Vorgeschichte der Kronzeugenaussage Mousli wahrheitsgemäss
auszusagen. So ist der gesamte Verlauf der Ermittlungen im Sommer
1999 bis zum jetzigen Zeitpunkt unaufgeklärt- ein schwarzes
Loch. Der der Rädelsführerschaft in einer terroristischen
Vereinigung verdächtige Mousli wird am 7.7.1999 von der weiteren
Untersuchungshaft verschont - obwohl sich der angeblich für
diese Haftentlassung massgebliche Hinweis auf den angeblichen Fundort
des restlichen Sprengstoffes im Seegraben nach zweimaligem Absuchen
durch Polizeikräfte als Ente erwies. Der immer noch Verdächtige,
der glaubhaft versicherte, weiteren Sprengstoff nach dem Einbruchsdiebstahl
1995 besessen zu haben, der sich nicht auffinden liess, der die
Ermittlungsbehörden in einem abgehörten Telefonat erfahren
liess, dass er noch sehr viel mehr wisse, der vielversprechende
Aufschlüsse über weitere potentielle Verdächtige
Mitglieder einer Terroristischen Vereinigung verhiess, diesen Verdächtigen
wollen die Hauptermittler Schulzke und Trede am 7.7.1999 einfach
so in die Freiheit ziehen lassen haben. Und zwar ohne dass sie ein
Ermittlungskonzept für diese Zeit gehabt haben wollen, ohne
dass sie ihn observiert haben lassen wollen, ohne dass sie die bis
Ende August 1999 gültige richterliche Erlaubnis zur Telefonüberwachung
ausgenutzt haben wollen. Diese Darstellungen oder besser Nichtdarstellungen
der entscheidenden Ermittlungsphase im Sommer 1999 sind in hohem
Masse unglaubhaft und werden noch unglaubhafter, wenn man sich die
Zeugenaussagen der Herren Schulzke und Trede noch einmal vor Augen
führt.
- Der Zeuge Schulzke zog sich auf die banale Erklärung
zurück, dass alle Gespräche mit Mousli und die Ermittlungen
so stattgefunden hätten, wie sie in den Ermittlungsakten dokumentiert
seien. Alle Nachfragen bezüglich der zahlreichen Leerstellen
in den Akten, wo nämlich bestimmte Gesprächsinhalte oder
Teilinhalte gerade nicht dokumentiert waren, und vor allem Nachfragen
bezüglich der zahlreichen sich aus den Akten ergebenden Widersprüche
- meine Kollegin Lunnebach wird dies gesondert für die uns
wichtige Phase der Aussage Mousli im Januar 2000 anlässlich
der angeblichen Identifizierung "Heiner" ausführen
- zog sich Schulzke gebetsmühlenartig auf seine oben zitierte
Floskel zurück. Auf seine Angaben kann deswegen keine einzige
Sachverhaltsfeststellung gestützt werden, die nicht anderweitig
belegt ist.
Noch bemerkenswerter waren die Aussagen des zweiten
Mannes der Ermittlungen, des Zeugen Trede in der hiesigen Hauptverhandlung.
Auf sie soll im nachfolgenden aus zwei Gründen intensiver eingegangen
werden:
- Der Zeuge Trede war neben dem Zeugen Schulzke
massgeblich für die gesamten entscheidenden Ermittlungen zwischen
Frühjahr und November 1999 verantwortlich und der Zeuge war
derjenige, der den angeblichen Fund des Sprengstoffs nach Mouslis
Haftentlassung am 24. August 1999 ermöglichte. Er war somit
einer der Hauptpersonen in dem zweifelhaftesten Akt in dem Schauspiel
um den Kronzeugen.
- Der Zeuge Trede hat in der hiesigen Hauptverhandlung
in mehrfacher Weise falsch ausgesagt : Seine Vernehmungen am 13.
und 14. sowie am 20.12.2001 hatten die Ereignisse vor dem Fund von
Sprengstoff im Seegraben in Berlin-Buch am 24.08.1999 zum zentralen
Themen.
Trede machte zu diesem Komplex in seiner Aussage
am 13., 14. und 20.12.2001 die Angabe, dass er sich einmal und zwar
am 15.06.1999 mit Mousli am Seegraben befunden hätte. Er sei
mit Handschellen an Mousli gekettet gewesen und sei mit diesem entlang
des Parkplatzes und eine kleines Stück entlang des Seegrabens
gelaufen. Mousli habe die vorbenannte Stelle am Parkplatz als Einwurfort
bezeichnet. Soweit die erste Vernehmung von Trede in der Hauptverhandlung.
Schon wenige Tage nach dieser Aussage von Trede,
am 04.01.2002, machte der Zeuge Mousli zu dem Seegraben-Komplex
eine Aussage, wonach er sich ein zweites Mal, nämlich am 08.07.1999
gemeinsam mit Trede und zwei weiteren Personen am Seegraben befunden
habe. Mousli machte detaillierte Ausführungen zu diesem zweiten
Ortstermin.
Am 19.09.2002 wurde der damalige Kollege von Herrn
Trede, KHK Barbian in der Hauptverhandlung vernommen. Er bestätigte
die Aussagen Mouslis anhand von Kalendereintragungen, wonach am
08.07.1999 ein längerer Termin von Trede, Barbian und Mousli
am Seegraben stattgefunden habe. Es kann also als sicher angesehen
werden, dass neben den in den Akten dokumentierten Ortstermin am
16.06.1999, wohin Mousli ausgeführt worden war, ein weiterer
Ortstermin am Seegraben stattgefunden hat. Dieser ist bisher in
den Akten weder in Form eines Vermerks noch eines Berichtes noch
in sonst irgendeiner Weise dokumentiert. Der Beschuldigte Trede
hat diesen Ortstermin während seiner ersten Vernehmung am 13.,
14. und 20.12.2001 gänzlich verschwiegen.
Am 30.08.2002 und 06.09.2002 wurde Trede erneut
zu diesen Vorgängen in der Hauptverhandlung vernommen. Dabei
ging es zunächst um die Frage, wann er wie darauf aufmerksam
wurde oder gemacht wurde, dass es einen zweiten Termin am Seegraben
gab und welche Erinnerung er nunmehr an diesen Vorgang habe. Trede
sagte dazu, er habe die Vorladung zu seiner Vernehmung am 30.08.2002
erhalten und habe sich darauf hin von sich aus mit dem Gericht und
zwar mit der Vorsitzenden Richterin Hennig in Verbindung gesetzt.
Diese habe ihm darauf hin gesagt, dass als Beweisthema unter anderem
der Seegraben in Betracht käme. Die Vorsitzende habe ihn dann
auf den zweiten Seegrabengang angesprochen. Das Gespräch mit
der Vorsitzenden hat etwa neun Tage vor der Hauptverhandlung stattgefunden.
Wenige Tage danach habe er noch mit seinem Kollegen Lothar Barbian
besprochen und ebenfalls das Thema des zweiten Seegrabenganges erörtert.
Der Zeuge betonte auf mehrfache Nachfragen, dass er erst bei dem
Gespräch mit der Vorsitzenden etwa neun Tage vor dem Gerichtstermin
am 30.08.2002 von einem möglichen zweiten Seegrabengang erfahren
habe. Dieses Thema sei dann wenige Tage danach mit seinem Kollegen
Barbian vertieft worden. Auf die ausdrückliche Frage der Kollegin
Studzinskiy, ob er seit seinen ersten Vernehmungen am 13., 14. und
20.12.2002 noch einmal mit jemand über das Thema zweiter Seegrabengang
gesprochen habe, betonte Trede, dass dies nicht der Fall gewesen
sei. Vielmehr sei das bereits angesprochene Gespräch mit der
Vorsitzenden das erste Mal gewesen, dass er zu diesem Thema mit
einer anderen Person gesprochen habe.
Überraschenderweise machte der Zeuge Barbian
in seiner schon zitierten Vernehmung am 19.9.2002 Angaben dazu,
wann er mit dem Zeugen Trede über den möglichen zweiten
Seegrabengang gesprochen habe. Er teilte mit, dass er nach der Zeugenvernehmung
von Trede, also nach dem 20.12.2001 mit dem Verfahren deswegen befasst
sei, weil er nach seiner Erinnerung Beweisanträge der Verteidigung,
er sprach von einem Antrag vom Unterzeichner, bearbeiten musste.
Er habe dann sich im Internet über den Prozess informiert und
habe Prozessberichte über die Vernehmung seines Kollegen Trede
am 13., 14. und 20.12.2001 gelesen. Bei dem Lesen dieser Berichte
sei ihm aufgefallen, dass Trede den zweiten Seegrabengang nicht
erwähnt habe. Er habe dann am 28.12.2001 oder kurz davor mit
seinem Kollegen telefoniert und habe ihn darauf angesprochen, dass
man doch gemeinsam ein zweites Mal beim Seegraben gewesen sei und
zwar am 08.07.1999 und er davon ausgehe, dass sich auch Trede daran
erinnern müsse. Allerdings habe er festgestellt, dass Herrn
Trede "fremd war", dass er dort gewesen sein soll.
Es geht also einmal um das Aussageverhalten des
Zeugen Trede am 13., 14. und 20.12.2001 und zum zweiten um sein
Aussageverhalten am 30.08. und 06.09.2002. Bei der ersten Aussage
hat er den zweiten Seegrabengang nicht geschildert. Angesichts der
zentralen Bedeutung der Aussage des Zeugen Trede grundsätzlich
und der zentralen Aussagebedeutung des Themas Seegraben könnte
von einem Polizeibeamten erwartet werden, dass er sich umfassend
auf seine Aussage vorbereitet. Der Zeuge ist insgesamt an drei Tagen
vernommen worden. Er ist mehrfach auf dieses Thema angesprochen
worden. Die Bedeutung des Themas dürfte ihm klargeworden sein.
Nichtsdestotrotz hat er objektiv die Unwahrheit gesagt und einen
zentralen Vorgang der Ermittlungen in seiner Aussage in der Hauptverhandlung
verschwiegen.
In seiner Aussage am 30.08. und 06.09.2002 hat
Trede ebenfalls objektiv die Unwahrheit gesagt. Er hat auf mehrfache
Nachfragen betont, erstmals mit der Vorsitzenden Richterin am Kammergericht
Hennig über einen zweiten Seegrabengang gesprochen zu haben.
Er hat die Abläufe genau geschildert von seinem ersten Anruf
bis über einen weiteren Anruf bei seinem Kollegen Barbian und
an seiner Vorbereitung für die Hauptverhandlung am 30.08.2002.
Er hat das Telefonat mit seinem Kollegen Lothar Barbian am 28.12.2001
oder kurz davor verschwiegen und damit objektiv die Unwahrheit gesagt.
Auf die Aussage dieses Zeugen kann daher eine Verurteilung
nicht gestützt werden. Vielmehr ist das geschilderte Aussageverhalten
der beiden Hauptermittler Schulzke und Trede geeignet, grundsätzliche
Zweifel in die Entstehungsgeschichte der Aussage Mouslis zu wecken,
ohne dass die Hauptverhandlung hier letzten Aufschluss bringen konnte.
Noch ein Wort an dieser Stelle zu den Vorwürfen
der BAW und des Gerichtes, die Verteidigung habe zuviel Phantasie,
wenn sie die Hypothese in den Raum stelle, Mousli habe den restlichen
Sprengstoff zwischen seiner Haftentlassung am 7.7.1999 und am 24.8.1999
mit oder ohne Wissen buw. mit oder ohne Beteiligung der Ermittlungsbehörden
eingeworfen. Im Umgang mit Staatsschutzbehörden und Geheimdiensten
kann man als Verteidiger nicht genügende Phantasie aufbringen.
Als Lehrstück soll nachfolgend geschilderte Originalpassage
aus dem Schmücker-Urteil des Landgerichts Berlin vom 28.1.1991
( in : Strafverteidiger 1991, S. 371ff., 387) dienen:
"Aufgrund der Angaben Bodeux's vom 20. 12.
1974 erteilte noch "am 23. 12. 1974 KHM Trach per Fernschreiben
den Auftrag, an der von ]ürgen Bodeux bezeichneten Stelle nach
der Schreibmaschine zu suchen. Mit Fernschreiben vom 27. 12. 1974
teilte das LKA Hannover dem Polizeipräsidenten in Berlin mit,
daß eine am selben Tage von einem Taucherzug mittels eines
Speziaigeräts durchgeführte Suche erfolglos verlaufen
sei. Bei einer am 20.1.1975 auf Ersuchen der StA Berlin erneut durchgeführten
Absuche des Mittellandkanals mit verbesserten technischen Mitteln
wurde in demselben Bereich, in dem zuvor vergeblich gesucht worden
war, eine Schreibmaschine gefunden, die der von Bodeux gegebenen
Beschreibung entsprach. Wahrend Berichte über die am 20.1.
angestellten Ermittlungen zu den Sachakten genommen wurden, verblieb
der Hinweis auf die erste erfolglose Suchaktion in dem polizeilichen
Retent. Eine derartige Aktenführung war nach Aussage der Zeugen
Ribbeck und Warias nicht korrekt. Gründe für dieses Vorgehen
vermochten sie jedoch nicht anzugeben. Ebensowenig konnte der Zeuge
Jaeger erklären, weshalb ein von ihm gefertigter Vermerk vom
5.5.1975 über eine ergänzende Vernehmung des ]ürgen
Bodeux u. a. zu der Schreibmaschine ausdrücklich - ein entsprechender
Zusatz wurde in farblich abgesetzter roter Schrift über dem
Vermerk angebracht - im Retent der Polizei verbleiben sollte.
Auf die Frage, ob die im Mittellandkanal geborgene
Schreibmaschine dort -ähnlich wie bei der "Aktion Brücke"
die Waffen und Überfallpläne - auf Veranlassung des LfV
Berlin versenkt und auf einen ebenfalls vom LfV initiierten Hinweis
Bodeux's später dort "gefunden" wurde, antwortete der Zeuge
Natusch, daß er sich an einen solchen Vorgang nicht erinnern
könne. Grundsätzlich halte er ein derartiges Vorgehen
jedoch für zulässig, wenn für den Verfassungsschutz
klar sei, daß es sich um ein wichtiges Beweismittel handele,
das ohne Gefährdung der Quelle (im vorliegenden Fall Weingraber)
nur mit "geheimdienstlichen Mitteln" den Ermittlungsehörden
zugänglich gemacht werden könne."
Ohne Äpfel mit Birnen vergleichen oder Legendenbildung
betreiben zu wollen, zeigt die unter zahlreichen ähnlichen
Passagen aus dem Urteil gewählte Sequenz, zu was Ermittlungsbehörden
unter bestimmten Umständen fähig sind und dass mehr Phantasie
dazu gehört, derartige Machenschaften aufzudecken, als im hiesigen
Verfahren von den Beteiligten bei Gericht und BAW aufgebracht wurde.
VI. Zeuge vom Hörensagen
Noch krasser stellt sich das Problem der Glaubwürdigkeitsüberprüfung
der Aussagen Mouslis, die er nur vom Hören-Sagen machte. Denn
zusätzlich zu den ohnehin durchschlagenden Zweifeln wegen der
fragwürdigen und nicht aufgeklärten Entstehung der Aussagen
und der fragwürdigen Motivation des Kronzeugen kommen die bekannten
grundsätzlichen Bedenken gegen Zeugen vom Hören- Sagen.
Dies gilt umso mehr bei den Aussagen Mouslis, weil er selbst und
ihm folgend die Ermittlungsbehörden hinsichtlich zahlreicher
Widersprüche zwischen seinen Aussagen und den Feststellungen
der Ermittler die scheinbar bestechende Erklärung gefunden
haben, dass er hinsichtlich des falsch geschilderten Vorgangs von
seinen Chefs "Jon" und "Judith" falsch informiert
worden sei oder man ohne sein Wissen und Zutun die Abläufe
zu einem späteren Zeitpunkt geändert habe. Zugespitzt
wird diese These von der BAW bei der Würdigung der den objektiven
Feststellungen vollkommen widersprechenden Beschreibung des bei
der ZSA eingesetzten Sprengsatzes gebraucht : Die Altmitglieder
Jon und Judith hätten den Rest der Gruppe getäuscht und
ihr entscheidendes Herrschaftswissen vorbehalten.
Bisher wird dieser "Änderungs- und
Herrschaftswissensvorbehalt" von der BAW nur hinsichtlich
der bereits jetzt festgestellten Widersprüche in Mouslis Aussage
gemacht, um nämlich die Widersprüche zu glätten und
Mouslis Aussage zu retten. Wenn aber dieser Vorbehalt überhaupt
gelten soll, muss er generell Wirkung entfalten : entweder alle
Teile von Mouslis Aussagen werden davon erfasst oder keine. Entweder
die Widersprüche bleiben - zumindest mit diesem Vorbehalt nicht
erklärbar oder alle Aussagen Mouslis vom Hören- Sagen
sind zweifelhaft.
Folgt man der zweiten Alternative, muss festgehalten
werden, dass praktisch alle Schilderungen hinsichtlich konkreter
Tatbeiträge der sogenannten zweiten Berliner Zelle um die Personen
"Heiner", "Anton" und "Toni" davon
erfasst sind. Nun kann man sich bei den Vor- und Nachbereitungshandlungen
noch auf die von der BAW bei dem Anschlag auf die Siegesäule
entwickelten Theorie behelfen "personal- und arbeitsintensiv
- deswegen waren alle Zellenmitglieder dabei". Bei den konkreten
Personen zugeordneten Tatbeiträgen funktioniert dieser Behelf
hingegen nicht mehr. Alle Zweifel, die die BAW zugunsten Mouslis
zur Erklärung seiner Widersprüche galten, müssen
nunmehr jeweils jedes einzelnen konkreten Tatbeitrages gelten.
Dies betrifft vor allem die nach Auffassung der
BAW Rädelsführerschaft begründenden Beiträge
des "Heiner". Der Kronzeuge sah oder erlebte "Heiner"
nach eigener Auskunft kein einziges Mal in Aktion. Alle Erzählungen
Mouslis beruhen auf Hören-Sagen, insbesondere die Teilnahme
und Beiträge auf den überregionalen Treffen, die Mitwirkungen
an Bekennerschreiben und die Vorbereitung der Taten innerhalb der
Flüchtlingskampagne.
Bezüglich der von der BAW angenommenen Anfertigung
des Brandsatzes im Fluchtauto Auto beim Anschlag Hollenberg durch
die Person "Heiner" kann im übrigen jenseits der
Hören-Sagen- Stille Post- Problematik mit derselben Berechtigung
mit der die BAW die Zeugin von Werder als Schützin bei Hollenberg
ausgeschlossen wurde, Heiner als Bauer des Brandsatzes ausgeschlossen
werden. Denn wenn Jon sowohl der Schütze der RZ als
auch der ausgewiesene Sprengstoff -Fachmann der RZ war, warum
hat er dann nicht neben der Schützen- auch die Rolle des Brandsatzbastlers
übernommen ?
Noch zweifelhafter sind die Schilderungen Mouslis
zum sogenannten Insiderwissen von "Heiner", die die BAW
in ihren letzten Erwägungen zur Strafmessung noch in der Weise
überhöht, dass sie behauptet, ohne die Insider-Erkenntnisse
des Herrn Borgmann hätte es die Anschläge auf die Herren
Hollenberg und Korbmacher nicht gegeben.
Noch einmal zur Klarstellung - eingeführt
wurde dies in die Hauptverhandlung durch den Lebenslauf und die
Vernehmung des Zeugen Kramm von der TU : zur Zeit der sogenannten
Flüchtlingskampagne 1986/1987 hat Herr Borgmann in der Allgemeinen
Sudienberatung der TU Berlin gearbeitet, erst lange nach den Anschlägen,
im September/Oktober 1989 wechselte er in das Akademische Auslandamt
der TU. Weit vor den Anschlägen, nämlich 1982-1984, arbeitete
er als Studentische Hilfskraft am Akademischen Auslandsamt. - Meinte
die BAW ernsthaft diese Tätigkeit, als sie im Plädoyer
von der "langjährigen Tätigkeit" des Herrn Borgmann
im Ausländerbereich der TU sprachen, bei der er die notwendigen
Hintergrundkenntnisse (und den Schlüssel zum Raum im Gebäude
am Ernst-Reuter-Platz) erwarb oder haben sie sich wirklich vertan
und haben übersehen, dass Borgmann erst nach 1989 wirklich
verantwortlich im Akademischen Auslandsamt tätig wurde ? Sei
es drum: Es liegt auf der Hand, dass die Tätigkeit 82-84 überhaupt
nichts mit Asylantragstellern zu hatte - denen ist nach deutschen
Gesetzen bekanntlich verboten, einer sinnvollen Erwerbstätigkeit
oder einem Studium nachzugehen - sondern die Hilfe und Betreuung
für ausländische Studenten beinhaltete. Mit der ZSA, der
Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber, hatte er daher von
vornherein beruflich und persönlich ebensowenig zu tun wie
mit dem Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Korbmacher. Niemand
wird im weiteren behaupten können, dass eine studentische Hilfskraft
bei der TU in Angelegenheiten von ausländischen Studenten mit
dem damaligen Leiter der Ausländerbehörde Hollenberg zu
tun hatte. Es wurde im übrigen weder vom Kronzeugen noch von
der Anklagebehörde jemals dargelegt worin die angeblichen Insiderkenntnisse
stammten und auf welchem Wege sie ausgerechnet der Angeklagte Borgmann
erfahren haben soll. Ein beispielhafter Hinweis : die mögliche
Insiderkenntnis, wo der Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr.
Korbmacher wohnte, ergibt sich zwanglos aus einem Telefonbuch der
damaligen Zeit, wo der Eintrag
"Korbmacher
- Günter Dr. Bundesrichter 45 Murtener
2"
sowie zwei Telefonnummern zu finden sind. Die berufliche
Tätigkeit Dr. Korbmachers lässt sich über eine Vielzahl
von Artikel, auch stark kritischen Artikeln, vor allem zu den damaligen
Urteilen des BVerwG nachvollziehen, dass Folter nicht generell ein
Asylgrund sei und die Tamilen in Sri Lanka nicht als Gruppe verfolgt
würden. Diese Informationen liessen sich also zwanglos für
den Zeitungs- und Telefonbuchlesers ermitteln, der studentischen
Hilfskraft Borgmann im Akademischen Auslandsamt der TU Berlin bedurfte
es also nicht dazu.
Der Wert der Topinformation, dass sich hinter dem
Ablageort des Sprengsatzes an der ZSA deren zentrale Computeranlage
verberge, die laut Mouslis vom Insider "Heiner" stammen
sollte, erschliesst sich von selbst - die ZSA hatte keine zentrale
Computeranlage, die Informationen waren auf PC gespeichert. Dafür
kriegt Mousli für seine ZSA-Aussage im Zeugnis der BAW auch
nur ein äusserst dürftiges "Bemühen um die wahrheitsgemässe
Aussage" attestiert.
Am deutlichsten wird aber die Problematik der Belastung
vom Hören-Sagen durch den Kronzeugen bei dessen Schilderungen
zum Anschlag auf die Siegessäule.
Wie dürftig die Beweislage schon zum Zeitpunkt
des Erlasses des Haftbefehls und der Anklageerhebung war, demonstrieren
die insoweit verwendeten Formulierungen.
Im Haftbefehl des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof
heißt es:
"Die konkreten Handlungen des Beschuldigten
für die Tat vom 15.01.1991 sind bislang nicht bekannt.
Aus der oben dargelegten Gruppenstruktur und den aufwendigen Tatvorbereitungen
ist aber zu schließen, dass der Beschuldigten mit anderen
"RZ"-Mitgliedern zumindest den Tatort aufgeklärt
und den Anschlag abgesichert hat."
Die sich in der Benutzung des Wortes "bislang"
ausdrückende Hoffnung des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof
erfüllte sich im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens
nicht. Ohne dass irgendwelche weiteren Erkenntnisse hinzukamen,
heißt es in der Anklageschrift vom 30.10.2000:
"Die konkreten Tatbeiträge der Angeschuldigten
Glöde, Haug, Borgmann und Ebke für die Tat vom 15.01.1991
sind nicht bekannt. Aus der gemeinsamen Tatplanung, der Gruppenstruktur
und den aufwendigen Tatvorbereitungen ist aber zu schließen,
dass die genannten Angeschuldigten arbeitsteilig den Tatort aufgeklärt,
den Anschlag abgesichert und den Sprengsatz abgelegt haben."
Eine Erklärung dafür, warum bei gleichem
Ermittlungsstand dem Angeklagten Borgmann im Haftbefehl zunächst
nur die Tatortaufklärung und die Anschlagsabsicherung, in der
Anklageschrift aber zusätzlich das Ablegen des Sprengsatzes
vorgeworfen wird, bleibt die BAW schuldig. In dem Schlussplädoyer
wird als Erklärung für die Annahme der zweiten Variante
die Arbeits- und Personalintensität des Anschlages bemüht,
ohne dass hierzu in der Beweisaufnahme irgendwelche Feststellungen
gemacht wurden und ohne die Möglichkeit der Beteiligung anderer
bisher nicht benannter Personen auch nur in Erwägung zu ziehen.
Die Angaben Mouslis zu dem Anschlag erschöpfen
sich in den kargen Auskünften, die er bereits am 30.12.1999
gegenüber den Ermittlungsbehörden gemacht hatte. Er habe
von "Sebastian"/ Lothar über den Anschlag erfahren.
Dieser habe angegeben,
- dass zu der Tür, durch die Besucher das
Innere der Siegessäule erreichen können, ein Nachschlüssel
gefertigt wurde
- zwei Sprengsätze deponiert worden seien,
einer am Bein und einer an einer Stützstange der Figur. Einer
der Sprengsätze soll nicht gezündet haben, die Figur deswegen
stehengeblieben sein.
In der Hauptverhandlung vom 3.1.2002 schilderte
er als weiteres Detail, das er von Lothar/Sebastian als Täterwissen
erfahren habe, dass
- die Täter über einen unterirdischen
Zugang zur Siegessäule gelangt seien.
Soweit also das von Mouslis aus erster Hand erfahrene
Täterwissen.
Die in der Hauptverhandlung verlesenen Zeitungsartikel
der gängigen Berliner Zeitungen ergaben, dass sowohl die Tatsache
der Verwendung eines Nachschlüssels (in der Bild-Zeitung vom
17.01.1991) als auch der Ablageort eines der Sprengsätze, nämlich
am Stützpfeiler der Figur (Bild, Taz, Welt vom 17.01.1991)
und noch detaillierter in der Berliner Morgenpost vom !9.01.1991
die Tatsache, dass zwei Sprengsätze von jeweils drei Kilo an
der Figur angebracht und eine zu früh gezündet und daher
die andere vom Sockel gesprengt habe.
Die ersten beiden von Mouslis geschilderten Tatsachen,
die sein Täterwissen belegen sollen, konnten daher mühelos
aus Zeitungswissen stammen.
Dazu passt im übrigen Mouslis eigene Ausage
in der polizeilichen Vernehmung vom 29.3.2003 (Bd. 19, Bl. 1001ff.,
1007), dass er nach seinem "Ausscheiden aus der RZ" in
der Zeitung gelesen habe, dass ein Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule
in Berlin durch die RZ stattgefunden habe.
Die dritte als einzige über das Zeitungswissen
hinausgehende Tatsache, nämlich dass die Täter über
einen unterirdischen Zugang zur Siegessäule gelangt seien,
erwies sich in der Hauptverhandlung als unzutreffend oder zumindest
äusserst unwahrscheinlich. Denn wie die Zeugen Kalass und Hofmann
ausgeführt hatten, gibt es zwar einen unterirdischen Zugang
zu der Verkehrsinsel, auf der die Siegessäule steht, nicht
aber zur Siegessäule selbst. Selbst wenn man die semantischen
Verrenkungen der BAW mitmachen will, Mouslis habe entgegen des klaren
Wortlautes seiner Äusserungen nicht den Zugang zum Monument
selbst, sondern den Zugang zwischen der Verkehrsinsel und zwei am
Rande des Kreisverkehrs gelegenen Tunnelhäuschen gemeint, entbehrt
diese Deutung jedweder Rationalität, weil nämlich beide
Zeugen ausgeführt hatten, dass die Türen der Tunnelhäuschen
und damit der Zugang zum Fussgängertunnel nachts von einer
Sicherheitsfima verschlossen wurden. Die Tätergruppe hätte
somit sowohl einen Nachschlüssel für die Schließanlage
der Fußgängertunnel als auch einen Nachschlüssel
für die Siegessäule selbst machen müssen. Abgesehen
davon, dass diese Deutung mit dem klaren Wortlaut von Mouslis Aussage
nicht vereinbar wäre, würde es auch keinen Sinn machen,
für diesen Fußgängertunnel Nachschlüssel zu
besorgen. Denn die Verkehrsinsel mit der Siegessäule ist nachts
unproblematisch zu Fuß dadurch erreichbar, dass man den Kreisverkehr
überquert.
Eine weitere relevante Einschränkung seiner
eigenen Aussagen mit den unbedingten Belastungen gegen die Personen
mit dem Decknamen Sigi, Anton, Sebastian und Heiner ergab sich im
übrigen auch aus Mouslis Befragung in der Hauptverhandlung
durch den Vortragenden. Mousli wurde auf die gegen ihn selbst gerichtete
Hauptverhandlung vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts angesprochen.
Da der Inhalt seiner Äusserungen in dem dortigen Verfahren
zu diesem Zeitpunkt nicht ordentlich in das hiesige Verfahren eingeführt
wordeb war, fragte ihn der Vortragende, ob es sein könne, dass
er in der gegen sich gerichteten Hauptverhandlung zu der Beteiligung
der Personen mit dem Decknamen Heiner und Anton an dem Siegesäulenanschlage
gesagt habe, dass er glaube, sie seien an dem Anschlag beteiligt
gewesen. Mousli hatte zwar keine konkrete Erinnerung mehr an diesen
Vorgang, bekundete jedoch, dass seine Aussage so gelautet haben
könnte. Damit schränkt er selbst den Grad der Belastung
gegen diese beiden Personen erheblich ein.
Im Prinzip sollte allerdings zu den gesamten Tatvorwürfen
nach 1990 ff. der eine Satz genügen, den ein - zumindest in
diesem Moment - rechtsstaatlich gesonnenes Gericht, das Landgericht
Frankfurt am Main im Schindler- Verfahren in seinen Beschluss, Bd.
121, Bl. 76 hineinschrieb:
" Entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft
genügt nicht das Fehlen von Anhaltspunkten für einen Ausstieg
aus der Terrororganisation für die Annahme einer fortdauernden
Mitgliedschaft, sondern es muss umgekehrt nach rechtstaatlichen
Maßstäben Anhaltspunkte für eine Fortdauer der Mitgliedschaft
geben, sonst würde einem Angeklagten zugemutet werden, den
Beweis für seinen Ausstieg zu erbringen."
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