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Verteidigung

Presseerklärung der Verteidigung im Berliner RZ-Verfahren:

Kronzeuge Tarek Mousli in der Hauptverhandlung am 15.6.2001

Am insgesamt elften Verhandlungstag im Berliner RZ-Verfahren vor dem 1. Strafsenat des Berliner Kammergerichts soll der Kronzeuge Tarek Mousli erstmals vernommen werden. Die fünf Angeklagten in diesem Verfahren wurden praktisch ausschließlich aufgrund der Aussagen des Kronzeugen unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Sie befinden sich seit Dezember 1999 bzw. April 2000 in Untersuchungshaft. Mousli selbst war wegen seiner Aussagebereitschaft nach kurzer Untersuchungshaft von 23.11.1999 bis 27.04.2000 vorzeitig entlassen und am 18.12.2000 vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden.

Ohne irgendeine Beteiligung der Verteidigung war Mousli von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt allein zwischen seiner Festnahme am 23.11.1999 und dem 24.01.2001 nach Aktenlage 44 Mal vernommen worden. Daneben fanden zahlreiche Vorgespräche, Gespräche, Besprechungen mit den Staatsschutzbeamten statt, von denen die Verteidigung weiß, die aber inhaltlich aktenmäßig nicht nachvollziehbar sind. In diesen Gesprächen ging es um die Kronzeugenregelung, Vergünstigungen für Mousli in der Haftfrage, das Zeugenschutzprogramm, inklusive der monatlichen Alimentierung von DM 2.400,00 plus Miete, Krankenversicherung, Mietwagen und Telefongrundgebühren, sowie nicht zuletzt um die Inhalte von Mouslis Aussagen.

Die Verteidigung ist sich mit zahlreichen Bürgerrechtsorganisationen und auch einem Teil der Bundestag vertretenen Parteien in der Ablehnung der Kronzeugenregelung einig. Der Zeugenbeweis ist ohnehin der Unsicherste im Strafprozess. Der Kronzeuge hat alle Möglichkeiten und viele gute Gründe zur Falschaussage. Auch wenn er nach eigenen Angaben in bestimmte Geschehensabläufe verwickelt war, spricht dies gerade nicht für wahrheitsgemäße Aussagen. Er kann nach eigenem Belieben, den eigenen Tatbeitrag schmälern und andere Personen, aus welchen Gründen auch immer, ent- bzw. belasten. Vor allem im angloamerikanischen Rechtsraum wird daher eine Verurteilung allein aufgrund der Aussage eines Kronzeugen für mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar erachtet. Im Falle von Mousli kommt dazu, dass in den Akten eine Vielzahl von Hinweisen enthalten sind, wonach der Kronzeuge nach allen Regeln der Kunst für seine Vernehmung präpariert wurde. Ihm wurden zahlreiche Aktenbestandteile, Zusammenfassungen von Zeugenaussagen und Urkunden während des Verlaufes seiner Aussage zur Verfügung gestellt. Mehrfach gaben ihm die Beamten die Möglichkeit, seine mit objektiven Feststellungen nicht in Einklang zu bringende Aussage noch während der laufenden Vernehmungen zu berichtigen.

Die Verteidigung hatte daher während der zahlreichen Haftprüfungen immer wieder ihre grundsätzlichen Bedenken gegen den Einsatz des Kronzeugen vorgebracht. Schon zu Beginn des Verfahrens war ein Antrag auf Einstellung des Verfahrens gestellt worden, weil der Einsatz des Kronzeugen Mousli gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstößt.

Die Vorbehalte der Verteidigung wurden durch den bisherigen Verhandlungsverlauf noch verstärkt. Zunächst wurde bekannt, dass der Zeugenbeistand und Mousli selbst, unter Umgehung des Kammergerichts, von der Bundesanwaltschaft Teilakteneinsicht erhielten. Die entsprechenden Auskunftsanträge der Verteidigung sind bis zum jetzigen Zeitpunkt von der Bundesanwaltschaft unbeantwortet geblieben. Bisher sind zwei der Vernehmungsbeamten Mouslis in der Hauptverhandlung vernommen worden. Am 07.06.2001 berichtete der pensionierte KHK Schulzke aus dem Bundeskriminalamt über die Vernehmungen mit Mousli. Obwohl er der hauptsächlich mit Mousli befasste Beamte war, konnte er sich bezeichnenderweise an Einzelheiten von Absprachen zur Kronzeugenregelung selbst nach Vorhalt entsprechender Hinweise aus den Akten nicht erinnern. Er wusste allerdings zu berichteten, dass Mousli sich nach erfolgter Verurteilung durch das Kammergericht mit dem inzwischen schon pensionierten Beamten im Bundeskriminalamt traf, um sich bei diesem dafür zu bedanken, dass das Verfahren so "rechtsstaatlich" ablief. Der am 08.06.2001 vernommene Bundesanwalt Griesbaum musste zugeben, dass er über den Akteninhalt hinaus Gespräche mir dem Kronzeugen geführt hatte, über die keine schriftlichen Vermerke angefertigt wurden. Er habe dies für nicht notwendig gehalten, ohne dass er irgendeine plausible Begründung hierfür geben konnte. Hierdurch wurde die notwendige Aufklärung und damit die Kontrolle der Gesprächsinhalte erheblich erschwert.

Aus diesen Gründen hält die Verteidigung das Beweismittel Mousli bereits vor seiner Ausage für entwertet. Da sich aber das Gericht dieser Auffassung bisher noch nicht anschließen konnte, wird die Verteidigung alles daran setzen, im einzelnen die Fragwürdigkeit der Kronzeugenaussage nachzuweisen.

Für die Verteidigung:

Wolfgang Kaleck, Rechtsanwalt Edith Lunnebach, Rechtsanwältin

Hans Wolfgang Euler, Rechtsanwalt Jasper von Schlieffen, Rechtsanwalt

Silke Studzinsky, Rechtsanwältin Andrea Würdinger, Rechtsanwältin

Nicolas Becker, Rechtsanwalt

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