Kammergericht
Berlin, den 9. Januar 2003
In der Strafsache
./. Harald Glöde u.a.
1. 2 StE 11/00 (4/2000)
wird beantragt,
- KOK'in Pankok
- KK Barbian
als Zeugen zu laden und zu hören.
Die Zeugen werden bekunden, daß sie mit den Anschlußermittlungen
zu den Aussagen des Zeugen Mousli zu einer Person mit dem Spitznamen
"Drogentod", den er als Helmut H. identifizierte, beauftragt
waren.
Sie gingen von folgenden Angaben des Zeugen Mousli aus den Vernehmungen
vom 9.12.99, 14.12.99 und 30.12.99 aus:
Eine Person mit dem Spitznamen "Drogentod" habe "Blankos"
für den Neuaufbau von Reisepässen für die RZ beschafft.
"Drogentod" soll für das Programm des Zentralrechners
des Bundeszentralregisters in Berlin verantwortlich gewesen sein.
Durch seine Arbeit im Bundeszentralregister habe "Drogentod"
Kontakte zur Bundesdruckerei besessen und darüber die Reisepässe
für die RZ beschafft.
Am 30.12.99 gab der Zeuge Mousli zu Protokoll, daß er zusätzlich
von Lothar (Lothar Ebke) Informationen zu "Drogentod"
erhalten habe. Lothar habe erklärt, daß "Drogentod"
"Blankos" aus der Bundesdruckerei beschafft habe, mit
denen die "Wälder" ausgestattet werden.
Die Zeugen ermittelten, indem sie die Personalakte auswerteten
und Mitarbeiter beim Bundeszentralregister und bei der Bundesdruckerei
befragten. Sie kamen zu folgendem Ergebnis:
Helmut H. war als Organisationsprogrammierer in den Bereichen Teletex
und Dateitransfer beim Bundeszentralregister tätig. Dienstlich
hatte er keine Kontakte mit der Bundesdruckerei und da er als Einzelgänger
galt und stets allein in die Kantine ging, wo Kontakte mit anderen
Personen, die nicht dem BZR angehören, theoretisch denkbar
wären, sind zu keinem Zeitpunkt bemerkt worden.
Bei der Bundesdruckerei wurden zwar häufiger Ermittlungen
wegen Diebstahls oder Unterschlagung von sogenannten "Blankos"
geführt, jedoch seit 1971 ist kein Fall von verschwundenen,
entwendeten oder unterschlagenen "Blankos" mehr bekannt
geworden.
Bedingt durch die Sicherheitskontrollen bei der Herstellung der
Blanko- Formulare war ein unbemerktes "Verschwinden" ausgeschlossen.
Der Zeuge Barbian wird bekunden, daß er in seinem Bericht
vom 21.3.00, in dem er eine Durchsuchung bei Helmut H. anregt, allerdings
seine Erkenntnisse, daß seit 1971 keine Blankos mehr abhanden
gekommen sind, nicht erwähnt.
Da die Aussage des Zeugen Mousli, daß H. beim Bundeszentralregister
gearbeitet, sich in der linken Szene bewegt hat und mit Axel Haug
befreundet war, durch die Ermittlungen bestätigt wird, wobei
keiner dieser Umstände strafbar ist, genügt dies für
die Durchsuchungsanregung.
Der Zeuge wird bekunden, daß er die Information der Bundesdruckerei,
daß seit 1971 keine Blankos abhanden kamen, nicht in seinen
Bericht zur Anregung der Durchsuchung aufgenommen hat, da durch
dieses Ermittlungsergebnis die belastenden Angaben des Zeugen Mousli
widerlegt waren.
Die Beweiserhebung ist erforderlich.
Die Behauptung des Zeugen Mousli, Helmut Hergt habe über seine
Tätigkeit beim Bundeszentralregister Kontakte zur Bundesdruckerei
gehabt, über die dann Blankos für abgetauchte RZler besorgt
worden seien, wird widerlegt, denn seit 1971 kamen bei der Bundesdruckerei
keine "Blankos" abhanden.
Die RZ gab es 1971 noch nicht, Helmut Hergt lebte auch noch nicht
in Berlin und arbeitet folglich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht
beim Bundeszentralregister.
Die Beweiserhebung wird erweisen, daß auf die zahlreichen
Angaben des Zeugen Mousli über Dinge, die er angeblich vom
Hören- Sagen weiß, kein Verlaß ist.
Erneut belastet der Kronzeuge wahrheitswidrig eine Person, strafbare
Handlungen begangen zu haben.
Auch wenn er seine Behauptungen als Wissen vom Hören-Sagen
darstellt, zeigt sich, wie der Zeuge Aussagen produziert:
Der Zeuge Mousli verknüpft allgemeines Alltagswissen über
die linke Szene und Personen, die sich in ihr bewegen, mit zusätzlich
frei Phantasiertem über Straftaten dieser Personen.
Er befriedigt damit das Ermittlungsinteresse des BKA.
Die Kette von Verknüpfungen und die Vorgehensweise des Zeugen
Mousli bei der Aussageproduktion soll im folgenden detailliert dargestellt
werden:
Dem Zeugen Mousli wird ein Bild vorgelegt. Darauf erkennt er eine
Person mit Vornamen Helmut. Zu dieser Person kann er den Spitznamen
"Drogentod" liefern, einen Zusammenhang mit Axel Haug,
dem Haus W.straße x, einer Verbindung zur linken Szene und
dem Arbeitsplatz von Helmut H. beim Bundeszentralregister herstellen.
Bis zu diesem Punkt handelt es sich sämtlichst um Angaben,
die strafrechtlich nicht relevant sind.
Sodann benutzt der Zeuge Mousli auf der einen Seite sein Wissen
darum, daß Axel Haug, den er bereits als RZ Mitglied belastet
hat, mit Helmut H. bekannt oder befreundet ist dazu, ihn zum Unterstützer
der RZ zu machen, indem er die Tatsache, daß Helmut H. beim
Bundeszentralregister gearbeitet hat mit der Nähe zu einer
weiteren Bundesbehörde verknüpft, nämlich der Bundesdruckerei
und sodann die falsche Behauptung anfügt, daß Helmut
H. dort über seine dienstlichen Bezüge an Blankos gekommen
sei.
Die Assoziationskette scheint auf den ersten Blick überzeugend:
jemand der Axel Haug von der RZ kennt und sich in der linken Szene
bewegt, nutzt seinen Arbeitsplatz bei einer Bundesbehörde zur
Beschaffung von Blankos von der Bundesdruckerei aus.
Doch dieses Mal hat das BKA die Angaben des Kronzeugen überprüfen
können und festgestellt, daß die Behauptungen des Zeugen
Mousli soweit sie den strafbaren Teil betreffen, unwahr sind und
nur die allgemeinen Kenntnisse, die strafrechtlich allerdings irrelevant
sind, bestätigt wurden.
Doch statt pflichtgemäß die Ermittlungsergebnisse in
die Akte einzubringen, werden diese schlicht unterschlagen.
Die Beweiserhebung wirft also auch ein Schlaglicht darauf, mit
welchen Methoden die BAW und das BKA arbeiten, um keinesfalls den
Kronzeugen zu erschüttern.
Die Anschlußermittlungen zu Helmut H. wurden bewußt
nicht in dem hiesigen Verfahren geführt, sondern in dem sogenannten
"Strukturverfahren" 2 BJs 169/99-2 abgelegt, damit dem
Gericht und auch der Verteidigung nicht bekannt wird, daß
der Zeuge Mousli durch die Ermittlungen des BKA an diesem Punkt
widerlegt wurde.
Zur Erlangung eines Durchsuchungsbeschlusses wurden sogar die Ermittlungsergebnisse,
nach denen eine Entwendung von Blankos aus der Bundesdruckerei im
fraglichen Zeitraum 1985- 1990 grundsätzlich und somit auch
durch Helmut H. ausgeschlossen ist, dem Ermittlungsrichter gegenüber
einfach nicht erwähnt.
Ihm wurden nur die Durchsuchungsanregung des BKA, die kein Wort
zu den wesentlichen Ermittlungsergebnissen von der Bundesdruckerei
enthält und die Vernehmungsprotokolle des Zeugen Mousli vorgelegt.
Folglich erging der Durchsuchungsbeschluß, allerdings wird
Helmut H. nicht als Beschuldigter geführt, sondern "nur"
als Betroffener.
Grundsätzlich ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, auch
entlastende Ermittlungsergebnisse vorzulegen. Diese Pflicht ist
gröblich verletzt worden.
Die Beweiserhebung beleuchtet aber auch das fehlende Aufklärungsinteresse
des Senats.
Nachdem die Verteidigung im Rahmen einer Nachlieferung zufällig
durch eine Fußnote die Existenz und die Aktenzeichen der Strukturverfahren
2 BJs 169/99-2 und 2 BJs 64/00-2 erfuhr, wurde erstmals mit Schriftsatz
vom 25.2.01 die Beiziehung dieser Akten beantragt.
Am 5.3.01 wurde erneut versucht die Beiziehung dieser Akten zu
erreichen mit der Begründung, daß sich darin weitere
Vernehmungen des Kronzeugen befinden, nämlich mindestens die
Aussage vom 8.11.00 und Anschlußermittlungen zu Angaben des
Zeugen Mousli geführt wurden und diese Akten deshalb von Relevanz
für das hiesige Verfahren sind.
Am 22.4.01 erinnerte die Verteidigung erneut an den Antrag auf
Beiziehung und wies auf die Relevanz für das hiesige Verfahren
hin.
Der Antrag wurde von der Vorsitzenden mit Schreiben vom 8.5.2001
abgelehnt, da es sich um Beweisanregungen handele und die Aufklärungspflicht
es nicht gebiete, diesen Anregungen nachzugehen. Diese Ablehnungsbegründung
ist identisch mit der vorangegangenen Stellungnahme der BAW.
Die GBA widersprach einer Beiziehung der als Strukturverfahren
geführten Akten, denn Ermittlungen, die eine belastende Aussage
des Kronzeugen widerlegen, sollten weder dem Senat noch der Verteidigung
bekannt werden.
Nachdem die Verteidigung am 15.2.02 erneut den Antrag auf Beiziehung
der unter den Aktenzeichen 2 BJs 169/99-2 und 2 BJs 64/00 -2 geführten
"Strukturverfahren" gestellt hatte, übersandte die
BAW mit Schreiben vom 11.3.02 drei Bände aus dem Verfahren
2 BJs 169/99 - 2, in denen nun die Ermittlungen zu Helmut H. zu
finden sind, sowie die Vernehmung des Zeugen Mousli vom 8.11.2000.
Dieses Verfahren besteht allerdings aus mehr als drei Bänden,
da der Verteidigung bekannt ist, daß unter diesem Aktenzeichen
auch der Originalvermerk des Zeugen Kröschel vom 20.11.2000
abgelegt ist und sich in den drei Bänden nicht befindet.
Die Akten zum Verfahren 2 BJs 64/00-2 werden weiterhin komplett
verweigert.
Darüberhinaus fehlen zum Beispiel immer noch:
- die zu S. geführten Ermittlungen, die unter anderem in
dem Ermittlungsverfahren ./. E. abgelegt sind und bereits vor
der Aussage des Zeugen S. zu seinem Mittäter die Erkenntnis
enthalten, daß es sich dabei um den Zeugen Andreas W. gehandelt
hat,
- die komplette Einbürgerungsakte des Zeugen Mousli mit den
Erkenntnissen des Verfassungsschutzes und
- die Akte 1 AR 620/95 von der Generalstaatsanwaltschaft beim
Kammergericht.
Nachdem mit der beantragten Beweiserhebung nachgewiesen ist, daß
die BAW wesentliche Aktenbestandteile zurückgehalten hat, die
den Kronzeugen in einem weiteren Punkt widerlegen, wird der Senat
aufgefordert,
die vollständige Beiziehung der immer noch fehlenden Strukturakten
zu beschließen
und
die BAW aufzufordern,
sämtliche Ermittlungsvorgänge, die im Zusammenhang mit
den Aussagen des Kronzeugen Mousli geführt wurden, und die
noch beim BKA und bei der BAW und anderen Behörden liegen,
endlich vorzulegen.
Studzinsky, Rechtsanwältin
Würdinger, Rechtsanwältin
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