RZ-Prozess: die Farce geht weiter
Anlässlich der nunmehr seit zwei Jahren andauernden Untersuchungshaft
gegen drei der vier Angeklagten im sog. Berliner RZ-Prozess besuchte
die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla
Jelpke, gestern den Angeklagten Axel H. und erklärt dazu:
Am 19. Dezember 1999 wurden zwei Männer und eine Frau unter
dem Vorwurf der Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen
(RZ) nach §129a StGB und der angeblichen Beteiligung an Sprengstoffanschlägen
auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) 1987
und die Berliner Siegessäule 1991 verhaftet. Ein weiterer Mann
wurde im April 2000 verhaftet. Ihre seitdem andauernde Untersuchungshaft
beruht ausschließlich auf den fragwürdigen Aussagen eines
einzigen Kronzeugen.
Zur Eröffnung des Prozesses am 22. März diesen Jahres
war ich als Mitglied der internationalen ProzessbeobachterInnengruppe
anwesend. Bis heute - ein knappes dreiviertel Jahr später -
hat sich hinsichtlich der Vorwürfe gegen die Angeklagten, der
zahlreichen Unklarheiten und Widersprüche in den Zeugenaussagen
noch immer nichts geklärt.
Bei meinem gestrigen Besuch des Angeklagten Axel H. merkte ich
deutlich, dass die lange Haftdauer ohne ein für die Angeklagten
absehbares Ende eine bis an die Grenzen der Belastbarkeit gehende
Härte darstellt.
Dieser Prozess ist der einzige, bei dem die eigentlich schon längst
abgeschaffte Kronzeugenregelung noch angewandt wird. Die massiven
Zweifel, die an der Rechtstaatlichkeit dieser Regelung bestehen,
werden durch das laufende RZ-Verfahren eindrucksvoll bestätigt.
Von Anfang an bestanden an dem Wahrheitsgehalt der Aussagen des
Kronzeugen erhebliche Zweifel. Seine Behauptung, im links-alternativen
Zentrum MehringHof in Berlin befände sich ein Waffen- und Sprengstoffdepot,
erwies sich auch nach zweimaliger Durchsuchung mit einem großen
Polizeiaufgebot und 100.000 Mark Sachschaden als unhaltbar. Auch
die von ihm behauptete Beteiligung eines der Angeklagten an dem
Sprengstoffanschlag auf die ZSA 1987 ist nachweislich falsch: Der
Angeklagte befand sich zu der fraglichen Zeit in Polizeigewahrsam.
Die Kronzeugenregelung birgt grundsätzlich die Gefahr, dass
sich Angeklagte auf Kosten anderer freikaufen und unhaltbare Vorwürfe
formulieren. Aus dem RZ-Prozess muss die Lehre gezogen werden, dass
es eine Neuauflage der Kronzeugenregelung nicht geben darf.
Ein Handel mit der Strafe, in den der Täter sein Täterwissen
gewissermaßen als Geschäftsgrundlage einbringt, ohne
dass an die Tatumstände und die Schuld angeknüpft wird,
ist nicht akzeptabel.
Folgende rechtsstaatliche Prinzipien werden dabei in Frage gestellt:
-
Legalitätsprinzip (Gebot der Strafverfolgung gegen jeden
Verdächtigen)
-
Unvereinbarkeit mit anerkannten Strafzwecken (Die ausgehandelte
Strafe steht in keinem direkten Zusammenhang mehr zur Schwere
der Tat und der Schuld des Täters.)
-
Gebot der Messbarkeit und Verlässlichkeit staatlichen
Handelns
-
Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren ("erkaufte"
Aussagen bedingen eine erhöhte Gefahr von Falschaussagen,
die im Zweifel zu Lasten von Beschuldigten gehen.)
Obwohl Aussagen des Kronzeugen mehrfach widerlegt worden sind,
wird die unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft
gegen die Angeklagten im RZ-Prozess aufrecht erhalten. Bei einer
Überprüfung der Haftgrundlagen wurde keine ernsthafte
Einzelfallprüfung vorgenommen. Stattdessen stützte sich
das Gericht auf eine bloß allgemein begründete angebliche
Fluchtgefahr.
Mit ihrer Verhaftung im Dezember 1999 und April 2000 sind alle
vier Angeklagten aus festen familiären und sozialen Bindungen,
aus zum Teil langjährigen Arbeitsverhältnissen, die allesamt
gegen eine tatsächlich bestehende Fluchtgefahr sprechen, abrupt
herausgerissen worden.
Zudem sind die den Angeklagten gemachten Vorwürfe zum Teil
längst verjährt. Dennoch sollen sie vor Gericht Verwendung
finden und bei einer möglichen Verurteilung das Strafmaß
in die Höhe treiben.
Die Bundesanwaltschaft enthält der Verteidigung bis heute
Beweisstücke vor, die der Verteidigung überlassenen Ermittlungsakten
sind nachweislich unvollständig. Eine faire Verteidigung wird
so systematisch verhindert, das Verfahren mit zahlreichen fadenscheinigen
Begründungen verzögert und unnötig verschleppt.
Die gesetzlich verankerten Rechte von Angeklagten in Strafverfahren
werden vom Gericht in eklatanter Weise mißachtet.
All dies zeigt: In diesem Prozess geht es offenkundig nicht um
den Nachweis einer individuellen Schuld eines der Angeklagten, sondern
darum, ein Exempel nach §129a StGB zu statuieren. Der Berliner
RZ-Prozess knüpft bruchlos an die Terroristenverfolgungen der
70er und 80er Jahre an, ohne anzuerkennen, dass sich die RZ schon
vor Jahren selbst als aufgelöst erklärt haben, ohne anzuerkennen,
dass die historische Phase, aus der heraus die RoteArmeeFraktion
wie auch die Revolutionären Zellen (RZ) entstanden sind, abgeschlossen
ist und eine Aufarbeitung nur jenseits von Strafverfolgung und Repression
Chancen hat.
Deshalb: Die Angeklagten im Berliner RZ-Prozeß müssen
sofort freigelassen und das Verfahren gegen sie unverzüglich
eingestellt werden.
Ulla Jelpke,
Innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion
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