1. Strafsenat des Kammergerichts in der Hauptverhandlung vom 19.
Juli 2001
(1) 2 StE 11/00 (4/00)
1. Über den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer
Akteneinsicht, die die Staatsanwaltschaft einem Zeugen und seinem
Beistand gewährt hat, entscheidet das Gericht, nicht dessen
Vorsitzende allein. Die Vorsitzende entscheidet nur über Akteneinsichtsanträge,
die bei ihr gestellt oder an sie weitergeleitet wurden.
2. Der Zeugenbeistand ist kein Verfahrensbeteiligter. Daher hat
er bei Vorliegen eines berechtigten Interesses - allerdings in den
Grenzen des § 477 Abs. 2 StPO - nach § 475 Abs. 1 und 2 StPO
einen Anspruch auf Akteneinsicht.
3. Dem Zeugen selbst gewährt der nur von der Erteilung von
Auskünften an Privatpersonen sprechende § 475 Abs. 4 StPO kein
Akteneinsichtsrecht.
4. Gegen die Entscheidung der Bundesanwaltschaft, einem Zeugen
und/ oder seinem Beistand Akteneinsicht zu gewähren, kann gemäß
§ 478 Abs. 3 Satz 1 StPO gerichtliche Entscheidung beantragt werden.
Zuständig ist der Bundesgerichtshof.
EGGVG § 23; StPO § 475 Abs. 1 und 2; StPO § 477 Abs.2; StPO § 478
Abs.3
1. Strafsenat des Kammergerichts in der Hauptverhandlung vom 19.
Juli 2001:
b.u.v
Der Antrag der Verteidigung auf Feststellung der Rechtswidrigkeit
der von der Bundesanwaltschaft dem Zeugen M. und seinem Beiständ
gewährten Akteneinsicht wird als unzulässig verworfen.
1. Über den Antrag entscheidet entgegen dem Antrag der Verteidigung
der Senat und nicht die Vorsitzende, Denn diese befindet nur über
bei ihr gestellte oder an sie weitergeleitete Anträge auf Akteneinsicht.
2. Der Senat ist für die Entscheidung über den Antrag
der Verteidigung nicht zuständig.
Die Vorschrift über die Bestellung des Zeugenbeistandes (§
68b StPO) enthält keine dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers
(§ 147 StPO), Nebenklägers und Privatklägers (§ 397 Abs.
1 Satz 2, 385 Abs. 3 StPO) sowie des Verletzten (§ 406e Abs. 4 Satz
2 i.V.m. § 161a Abs. 3 Sätze 2 bis 4 StPO) entsprechende spezialgesetzliche
Regelung. Dies bedeutet indes nicht, dass dem Beistand das Recht
auf Akteneinsicht grundsätzlich zu versagen ist. Denn die nach
Einführung des § 68b StPO durch das Strafverfahrensrechtsänderungsgesetz
1999 vom 2. August 2000 am 1.November 2000 in Kraft getretenen §§
474 ff StPO regeln die Erteilung von Auskünften und Akteneinsicht
für verfahrensunbeteiligte Dritte (vgl. BGH NStZ 2001, 389,
390), und zwar für Justizbehörden und andere öffentliche
Stellen ( § 474 StPO) und für Privatpersonen gemäß
§ 475 StPO. Diese Bestimmung gilt wegen der oben angeführten
spezialgesetzlichen Regelungen nicht für Verfahrensbeteiligte
und Verletzte (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Auflage,
§ 475 Rn. 1). Daher spricht auch die Gesetzesbegründung davon,
dass § 475 StPO nicht auf Beschuldigte, Privatkläger, Nebenkläger,
Verletzte oder Einziehungsbeteiligte anwendbar ist (BR-Drucks. 65/99
S.54). Der Zeugenbeistand jedoch ist kein Verfahrensbeteiligter.
Denn diese Rolle übt nur derjenige aus, der durch eigene Willenserklärungen
im prozessualen Sinne gestaltend als Prozeßsubjekt mitwirken
muß oder darf (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Einl.
Rn. 11). Derartige Aufgaben überträgt § 68b StPO dem Zeugenbeistand
nicht. Er hat zum Schutze des Zeugen diesem lediglich Beistand zu
leisten. Seine Rechte gehen insoweit nicht weiter als die des Zeugen,
der mit selbständigen prozessualen Rechten, mit denen er gestaltend
auf das Verfahren Einfluß nehmen kann, nicht ausgestattet
ist. Verfährensbeteiligte sind daher der Zeuge und sein Beistand
nicht.
Demgemäß hat der Zeugenbeistand bei Vorliegen eines
berechtigten Interesses - allerdings in den Grenzen des § 477 Abs.
2 StPO . nach § 475 Abs. 1 und 2 StPO einen Anspruch auf
Akteneinsicht. Ein solches Recht gewährt der nur von der Erteilung
von Auskünften an Privatpersonen sprechende § 475 Abs. 4 StPO
der Privatperson selbst, hier dem Zeugen M., nicht.
3. Ist nach alledem vorliegend § 475 StPO - grundsätzlich
- anwendbar, so kann gegen die Entscheidung der Bundesanwaltschaft
gemäß § 478 Abs. 3 Satz 1 StPO gerichtliche Entscheidung
beantragt werden, und zwar beim Bundesgerichtshof (§ 478 Abs. 3
Satz 1, 161a Abs. 3 Satz 2 StPO, §§ 120 Abs. 3, 135 Abs. 2 GVG).
Der Senat ist demzufolge für die Entscheidung über den
Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Akteneinsicht nicht
zuständig. Es bleibt den Antragstellern unbenommen, sich mit
ihrem Begehren an den Bundesgerichtshof zu wenden.
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