Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof zu
Akteneinsicht
2 StE 11/00
1. Akteneinsicht dauert so lange an, wie dem Einsicht nehmenden
die Akten oder Ablichtungen davon zur Verfügung stehen.
2. Gegen die Gewährung von Akteneinsicht an Dritte durch die
Staatsanwaltschaft steht dem Angeklagten Rechtsschutz entsprechend
§ 478 Abs 3 Satz 1 StPO nach § 161a Abs 3 Satz 2 bis 4 StPO offen.
Der Zeuge und der Zeugenbeistand sind im Verhältnis zum Angeklagten
Dritte im Sinne dieser Vorschrift. Die bisherige Rechtsprechung,
wonach der Beschuldigte oder Angeklagte in solchen Fällen den
Rechtsweg nach § 23 EGGVG beschreiten musste, dürfte hinfällig
sein. Über Entscheidungen des Generalbundesanwalts in Fällen
des § 161 a Abs.3 Satz 2 StPO entscheidet der Bundesgerichtshof
( § 135 Abs 2 GVG).
3. In begründeten Fällen ist dem Zeugenbeistand auf Antrag
Akteneinsicht zu gewähren, soweit dies erforderlich
ist, um angemessen Beistand leisten zu können. Ein solcher
Fall kann gegeben sein, wenn es um Fragen des § 55 StPO geht, aber
auch in Fällen des gefährdeten sogenannten Kronzeugen.
Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, ein Recht auf Akteneinsicht
des Beistaandes existiere nicht - kann es jedenfalls zweckmäßig
und geboten sein, Akteneinsicht zu gewähren.
4. Da der Beistand dem Zeugen Einsicht in die ihm vorlegten Akten
gewähren kann, ist es zulässig, dem Zeugen die Akten direkt
(hier: durch die Bundesanwaltschaft) zugänglich zu machen.
Die Einsicht des Zeugen leitet sich damit faktisch aus dem Akteneinsichtsrecht
des Beistandes ab.
StPO § 68b, StPO § 147, StPO § 161a Abs.3 Satz 2 bis 4, StPO §
478 Abs.3 Satz 1, GVG § 135 Abs.2, EGGVG § 23
In der Strafsache gegen
...
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung u.a.
beantrage ich,
den von dem Angeklagten X. im Hauptverhandlungstermin vom 31. Mai
2001 erhobenen Feststellungsantrag, hilfsweise den Antrag auf Versagung
der Akteneinsicht, als unzulässig zu verwerfen.
Gründe:
I.
Soweit mit dem Antrag die Feststellung begehrt wird dass die Gewährung
von Akteneinsicht durch den Generalbundesapwalt an den Zeugenbeistand
des Zeugen M. sowie an den Zeugen selbst rechtswidrig war, ist der
Antrag unzulässig
Sofern die Verteidigung sich dabei auf die seit BVerfGE 96, 27
ff, entwickelte Rechtsprechung zum Rechtsschutz gegen strafprozessuale
Zwangsmaßnahmen bei prozessualer Überholung beruft, muss
dem entgegengehalten werden, dass vorliegend neben dem Fehlen einer
Zwangsmaßnahme (zum Beispiel einer Durchsuchung ) im vorgenannten
Sinne und damit des besonderen Feststellungsinteresses auch keine
Erledigung eingetreten ist. Vielmehr dauert die Akteneinsicht insgesamt
noch an. Insoweit ist die Akteneinsicht an den Zeugenbeistand und
an den Zeugen selbst als Einheit anzusehen (vgl unten ll.2.b).
Für das Verständnis des Antrages ist jedoch nicht allein
dessen Wortlaut maßgebend. Vielmehr ist das von dem Antragsteller
Gewollte zu ermitteln. Danach muss davon ausgegangen werden, dass
die Verteidigung hier nicht (allein) die deklaratorische:Feststellung
begehrt, dass die Überlassung von Aktenteilen durch die Bundesanwaltschaft
an Rechtsanwalt Birkhoff als Zeugenbeistand sowie auf dessen Bitte
auch an den Zeugen Mousli selbst rechtswidrig sei. Vielmehr verfolgt
der Antrag darüber hinaus das Ziel, dass die noch bestehende
Akteneinsicht nicht weiter fortgesetzt wird. Der in Rede stehende
Antrag ist daher in dem Sinne zu verstehen, dass damit tatsächlich
die Versagung der bestehenden Akteneinsicht begehrt wird.
II.
Der Antrag, die Gewährung von Akteneinsicht an den Zeugenbeistand
des Zeugen M. zu versagen, ist jedoch ebenfalls unzulässig.
1. Zur Unzulässigkeit:
a)
In dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 vom 02. August
2000 wurden durch die § 474 tt. StPO die Voraussetzungen für
die Erteilung von Auskünften und Akteneinsicht ergänzt.
Gegen die Gewährung von Akteneinsicht an Dritte steht dem Angeklagten
somit nunmehr Rechtsschutz entsprechend § 478 Abs 3 Satz 1 StPO
nach § 161a Abs 3 Satz 2 bis 4 StPO offen. Die bisherige Rechtsprechung,
wonach der Beschuldigte oder Angeklagte in solchen Fällen den
Rechtsweg nach § 23 EGGVG beschreiten musste (Kleinknecht/Meyer-Goßner
§ 147 Anm. 40 m.w.N; HK/StPO-Julius 2. Aufl. 1999 § 147 RN 28 m.w..N.),
dürfte damit hinfällig sein. Zuständiges Gericht
nach § 478 Abs 3 Satz 1, § 161a Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 135
Abs 2 GVG ist jedoch der Bundesgerichtshof.
b)
Es ist jedoch höchst fraglich, ob der Rechtsweg nach § 478
Abs. 3 Satz 1 StPO überhaupt noch offensteht. Dies ist jedenfalls
dann nicht mehr der Fäll, wenn die Vorsitzende vorliegend bereits
konkludent über die Gewährung von Akteneinsicht entschieden
hat, mit der Folge, dass nach § 478 Abs. 3 Satz 1 StPO Unanfechtbarkeit
einträte. Eine konkludente Gewährung von Akteneinsicht
an den Zeugenbeistand Rechtsanwalt B. könnte nämlich in
dem Vermerk der Vorsitzenden vom 26. März 2001 zu erblicken
sein, in dem sie sich die Akteneinsichtsgewährung durch den
Generalbundesanwalt mit dem Wort "bereits übersandt hat" zu
eigen macht. Der Vermerk lautet wörtlich wie folgt:
"Meine telefonische Rücksprache mit Herrn Rechtsanwalt Birkhoff
ergab, dass Herr Griesbaum ihm bereits die Anklage sowie einige
Aktenbestandteile übersandt hat"
2. Zur Unbegründetheit:
Ungeachtet der dargelegten Unzulässigkeit wäre der Antrag
auch unbegründet.
a)
Rechtsanwalt B. steht als Zeugenbeistand des M. ein Anspruch auf
Akteneinsicht jedenfalls in die Vorgänge zu, deren Kenntnis
erforderlich ist, um wirksam Beistand leisten zu können (KK-Senge,
4. Aufl., § 68b Rn 9, vor § 48 Rn 18, Hammerstein NStZ 1981, 125,
127)
Seit das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 08.
Oktober 1974 ausgesprochen hat, dass der Zeuge ungeachtet seiner
prozessualen Funktion als Beweismittel nicht zum bloßen Objekt
des Verfahrens gemacht werden darf (NJW 1975, 103, 104) und daher
grundsätzlich das Recht auf einen Beistand hat, begann sich
die Einsicht durchzusetzen, dass Zeugen keine bloßen Beweismittel
sind, sondern eigenständige Prozesssubjekte (Thomas. NStZ 1982
489, 490 f ; Weigand, Verhandlungen des 62. deutschen Juristentages
, C 119; Jung, GA 1998, 313, 326 f )
Ausfluss diese veränderten Einschätzung ist neben dem
Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 nicht zuletzt das am 01.
Dezember 1998 in Kraft getretene Zeuqenschutzgesetz, dessen Ziel
es ist, ein verbessertes lnstrumentarium vor allem für den
Schutz und die Schonung von Zeugen bei ihren Vernehmungen bereitzustellen
(vgl. nur Rieß, NJW 1998, 3240 ff.)
So wurde zu diesem Zweck unter anderem mit dem neuen § 68b eine
Regelung für den anwaltlichen Beistand für Zeugen in die
Strafprozessordnung eingefügt..
Schon frühzeitig ist in der Literatur darauf hingewiesen worden,
dass die vom Bundesverfassungsgericht in den siebziger Jahren vertretene
Ansicht, der Rechtsbeistand des Zeugen könne nicht mehr Befugnisse
haben, als dieser selbst (BVerfG NJW 1975, 103, 105), weder stets
zutreffend noch für den notwendigen Zeugenschutz ausreichend
sei. (Hammersteln, NStZ 1981, 125, 127). Es sei nicht nur zweckmäßig,
sondern notwendig, in geeigneten Fällen dem Beistand ein Recht
auf Akteneinsicht und ein Recht auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung
zu gewähren, da dieser nur so den gefährdeten Zeugen richtig
beraten könne (Hammerstein aaO). Dem ist gerade nach der inzwischen
eingetretenen Entwicklung zuzustimmen: Die reine Objektrolle des
Zeugen kann nicht überwunden werden, indem man sie gleichzeitig
doch beibehalten will (Jung, GA 1998, 313, 327).
Ein beistandsbedürftiger Zeuge - sei es aus Gründen der
Eigenbelastungsgefahr, sei es aus Gründen der Gefährdung
oder anderer aussagehemmender Gründe - muss von seinem Beistand
materiell und nicht nur formell beraten werden können. Eine
solche materielle - der Subjektstellung des Zeugen entsprechende
- Beratung kann nur bei hinreichender Sachkenntnis des Beistandes
stattfinden (so auch Thomas NStZ 1982, 489, 494 und Weigend, aaO
C 122, Jung aaO S. 327 jeweils zur Frage eines Anwesenheitsrechts
über die Vernehmung hinaus).
In begründeten Fällen ist daher dem Zeugenbeistand auf
Antrag Akteneinsicht zu gewähren, soweit dies erforderlich
ist, um angemessen Beistand leisten zu können (Senge aaO, KK-Pfeiffer
Einl Rn 97, Hammerstein aaO) Ein solcher Fall kann gegeben sein,
wenn es um Fragen des § 55 StPO geht, aber auch in Fällen des
gefährdeten sogenannten Kronzeugen.
Auch wenn der Zeuge M. vorliegend bereits rechtskräftig verurteilt
ist, kann - insbesondere angesichts neuerer Rechtsprechung zu Fragen
der Tatidentität eine Eigenbelastungsgefahr im Sinne des §
55 StPO nicht ausgeschlossen werden. Darüber hinaus lassen
Äußerungen aus dem linksautonomen Spektrum erkennen,
dass sich der Zeuge durch seine Angaben einer erheblichen Gefährdung
aussetzen kann.
Hiermit dem Zeugen die Grenzen seiner Aussagepflicht abzustecken,
ist eine wichtige Aufgabe des Beistandes
Nicht zuletzt angesichts der umfangreichen früheren Aussagen
des Zeugen kann der Zeugenbeistand vorliegend diese Aufgaben nur
wahrnehmen, wenn er die Zusammenhänge nachvollziehen kann.
Dazu ist unter anderem die Kenntnis der Anklageschrift, der Protokolle
früherer Vernehmungen des Zeugen, wie auch des BGH-Beschlusses
vom 30. März 2001 erforderlich, da sie den - umfangreichen
- Verfahrensgegenstand erhellen.
Im Hinblick auf die Protokolle zurückliegender Aussagen ist
zuletzt auch nicht außer Acht zu lassen, dass der Zeuge bereits
in seiner Eigenschaft als Angeklagter von diesen Kenntnis nehmen
konnte.
Vorsorglich sei noch darauf hingewiesen. dass es - selbst wenn
man sich auf den Standpunkt stellt, ein Recht auf Akteneinsicht
des Beistaandes existiere nicht - jedenfalls zweckmäßig
und geboten sein kann, Akteneinsicht zu gewähren (vgl.
nur Weigend aaO C 123, Dahs, Handbuch des Strafverteidigers;
6. Aufl., Rn 133) . Warum dies vorliegend der Fall ist, wurde bereits
dargelegt.
Die Tatsache der Akteneinsicht und die damit verbundene materielle
Beistandschaft wird das Gericht selbstverständlich bei der
Bewertung der späteren Aussage des Zeugen im Rahmen der Urteilsfindung
zu würdigen haben.
b)
Soweit Aktenbestandteile auf Anforderung des Zeugenbeistandes an
den Zeugen selbst gelangt sind, gilt in der Sache nichts anderes.
.Vorliegend ist in den Fällen, in denen tatsächlich unmittelbar
an den Zeugen Mousli Aktenteile übermittelt wurden, dies jeweils
auf entsprechende Bitte des Zeugenbeistandes geschehen. Selbstverständlich
kann der Beistand dem Zeügen Ablichtungen zur Verfügung
stellen, um mit diesem die Sachlage zu bespreche. Die Akteneinsicht
des Zeugen leitet sich damit faktisch aus dem Einsichtsrecht des
Beistandes ab.
Da wie dargelegt - die gewährte Akteneinsicht materiell rechtmäßig
ist, wäre der Antrag auf Versagung auch aus sachlichen Gründen
zurückzuweisen.
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