Übersicht
Aktuelle Meldung
Meldungen
Berichte
Vorschau
Hintergrund
Mailingliste
Mail
Suche
Übersicht:
Erklärungen BGH/GBA
|
2 StE 1/01 StB 4 und 5/01
1. Ein Strafverfahren darf grundsätzlich nur durchgeführt
werden, wenn feststeht, daß die erforderlichen Prozeßvoraussetzungen
vorliegen und Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen. Die
erforderlichen Feststellungen hierfür sind im Wege des Freibeweises
zu treffen.Bleibt nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten
zweifelhaft, ob ein Prozeßhindernis vorliegt, ist nach der
Art des Prozeßhindernisses oder der Prozeßvoraussetzung
zu differenzieren
2. Kann das Vorliegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen
Rechtshängigkeit nicht nach Aktenlage geklärt werden kann,
sondern hängt es von Tatsachen ab, die die angeklagte Straftat
betreffen, so muss deren Feststellung dem Strengbeweis in der Hauptverhandlung
vorbehalten bleiben.
3. Für die Annahme einer mitgliedschaftlichen Beteiligung
i.S.d. § 129 a Abs. 1 StGB genügt eine nur passive, für
das Wirken der Vereinigung bedeutungslose Mitgliedschaft nicht.
Vielmehr ist es erforderlich, daß diese auf eine aktive Teilnahme
am Verbandsleben gerichtet sein muß
4. Der Senat neigt dazu, auch bei einem Organisationsdelikt mehrere
prozessuale Taten anzunehmen, wenn nur einzelne Betätigungen
eines Mitglieds einer solchen Organisation (kriminelle oder terroristische
Vereinigung, Verein i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG) Gegenstand
der früheren Anklage und gerichtlichen Untersuchung waren und
der Angeklagte nicht darauf vertrauen durfte, daß durch das
frühere Verfahren alle Betätigungsakte für die Vereinigung
erfaßt wurden
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts sowie des Angeschuldigten und seiner Verteidiger
am 30. März 2001 beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts wird der
Beschluß des Kammergerichts in Berlin vom 28. Februar 2001
aufgehoben.
2. Die Anklage des Generalbundesanwalts vom 28. Januar 2001 wird
zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Kammergericht
in Berlin eröffnet.
3. Die weitere Vollziehung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters
des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 1999
1 BGs 284/99 - wird angeordnet.
Gründe:
Der Generalbundesanwalt legt dem Angeschuldigten S. mit der Anklage
vom 28. Januar 2001 zur Last, er sei von 1985 bis 1990 Rädelsführer
der "Berliner Zelle" der "Revolutionären Zellen (RZ)" gewesen
und habe an dem Sprengstoffanschlag in der Nacht vom 5. auf den
6. Februar 1987 auf das Gebäude der Zentralen Sozialhilfestelle
für Asylbewerber (ZSA) in Berlin mitgewirkt. Wegen dieses Sachverhalts
hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluß
vom 15. Dezember 1999 - 1 BGs 284/99 - Haftbefehl gegen den bereits
in anderer Sache in Haft befindlichen Angeschuldigten erlassen und
die Notierung von Überhaft angeordnet. Diese wurde seit 15.
Februar 2001 vollzogen.
Das Kammergericht hat mit Beschluß vom 28. Februar 2001 die
Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil das Verfahrenshindernis
anderweitiger Rechtshängigkeit entgegenstehe, den Haftbefehl
aufgehoben und die Freilassung des Angeschuldigten angeordnet.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
In einem Verfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main (51
Js 118/96) war dem Angeschuldigten mit Anklage vom 16. November
1999 zur Last gelegt worden, er habe als Mitglied der "Revolutionären
Zelle" Beihilfe zu dem Anschlag auf die Teilnehmer an der OPEC-Konferenz
in Wien am 21. Dezember 1975 geleistet. In der Hauptverhandlung
vor dem Landgericht Frankfurt am Main beantragte die Staatsanwaltschaft,
das Verfahren gemäß § 270 StPO an das Oberlandesgericht
Frankfurt am Main zu verweisen, weil die Beweisaufnahme den Verdacht
ergeben habe, der Angeschuldigte sei jedenfalls seit Dezember 1975
bis zu seinem Ausstieg im Jahre 1990 ununterbrochen Mitglied der
Revolutionären Zellen gewesen. Diesen Antrag hat die Strafkammer
abgelehnt, da ein hinreichend wahrscheinlicher Tatverdacht für
eine fortlaufende Mitgliedschaft nicht bestehe, vielmehr sei 1978
durch das Abtauchen des Angeschuldigten ins Ausland eine Unterbrechung
mit der Folge einer neuen selbständigen Tat des § 129 a StGB
für die Zeit nach seiner Rückkehr im Jahre 1985 erfolgt.
Mit Urteil vom 15. Februar 2001 hat es ihn sodann wegen des angeklagten
Tatvorwurfs freigesprochen; hiergegen hat die Staatsanwaltschaft
Revision eingelegt.
Das Kammergericht hält die Auffassung des Landgerichts für
unzutreffend, weil eine Mitgliedschaft nach § 129 a Abs. 1 StGB
auch bei längerer Untätigkeit fortbestehe und es im übrigen
auch für die Zeit von 1978 bis 1985 konkrete Hinweise auf mitgliedschaftliche
Betätigungsakte des Angeschuldigten gebe. Er habe damit der
"(Gesamt-) Vereinigung Revolutionäre Zellen" von 1975 bis 1990
ohne Unterbrechung angehört, weshalb nur eine einzige Straftat
nach § 129 a StGB vorliege, die bereits Gegenstand des Verfahrens
bei dem Landgericht Frankfurt am Main sei und sich auch auf den
tateinheitlichen Vorwurf des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion
erstrecke.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts
ist begründet.
I. Das Verfahrenshindernis anderweitiger Rechtshängigkeit
ist nicht gegeben, weil der Angeschuldigte nach dem derzeitigen
Kenntnisstand nicht von 1975 bis 1990 ununterbrochen der gleichen
terroristischen Vereinigung angehörte und damit nicht vom Vorliegen
einer einzigen Tat nach § 129 a StGB für den gesamten Zeitraum
ausgegangen werden kann.
1. Der Senat hat im Verfahren auf die Beschwerde gegen die Ablehnung
der Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 210 Abs.
2 StPO in vollem Umfang zu überprüfen, ob die Voraussetzungen
der Eröffnung nach § 203 StPO gegeben sind und insbesondere
nicht das Prozeßhindernis anderweitiger Rechtshängigkeit
entgegensteht.
Ein Strafverfahren darf grundsätzlich nur durchgeführt
werden, wenn feststeht, daß die erforderlichen Prozeßvoraussetzungen
vorliegen und Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen, die
erforderlichen Feststellungen hierfür sind im Wege des Freibeweises
zu treffen (vgl. Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl.
§ 203 Rdn. 16, § 206 a Rdn. 28 ff., 59). Bleibt nach Ausschöpfung
aller Erkenntnismöglichkeiten zweifelhaft, ob ein Prozeßhindernis
vorliegt, ist nach der h.M. nach der Art des Prozeßhindernisses
oder der Prozeßvoraussetzung zu differenzieren (vgl. BGHSt
18, 274, 277 f.; Überblick bei Paeffgen in SK-StPO 15. Lfg.
§ 206 a Rdn. 16 f.). In einigen älteren Entscheidungen ist
zur Frage des Strafklageverbrauchs noch die Auffassung vertreten
worden, daß hier der Zweifelssatz nicht anwendbar sei und
nur eine nachgewiesene vorhergehende Verurteilung die erneute Aburteilung
hindere (OGHSt 1, 207; BGH, Urt. vom 9. Oktober 1952 - 4 StR 124/52;
Urt. vom 19. Februar 1954 - 2 StR 581/53). Diese Entscheidungen
sind jedoch durch BGHSt 18, 274 überholt (vgl. BayObLG NJW
1968, 2118). Allerdings erfordert die Anwendung des Zweifelssatzes
konkrete tatsächliche Umstände; bloß theoretische,
nur denkgesetzlich mögliche Zweifel reichen nicht aus (vgl.
Rieß aaO). Dabei ist es in aller Regel ohne praktische Bedeutung,
ob dogmatisch von der Funktion der Prozeßvoraussetzung als
Bedingung für die Zulässigkeit eines Sachurteils oder
von der Anwendung des Zweifelssatzes ausgegangen wird (Kleinknecht/MeyerGoßner,
StPO 44. Aufl. § 206 a Rdn. 7).
Etwas anderes muß jedoch gelten, wenn das Vorliegen des Verfahrenshindernisses
der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht nach Aktenlage geklärt
werden kann, sondern von Tatsachen abhängt, die die angeklagte
Straftat betreffen. Deren Feststellung muß dem Strengbeweis
in der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben (Loos, JuS 1979, 702;
vgl. auch Rieß aaO § 203 Rdn. 8; Paeffgen aaO § 203 Rdn. 13).
Würden solche Fragen bereits im Eröffnungsverfahren mit
der erforderlichen Vollständigkeit geprüft werden, müßte
ein unter Umständen wesentlicher Teil der Hauptverhandlung
vorweggenommen werden, wobei der Angeklagte im Freibeweisverfahren
eine schlechtere verfahrensrechtliche Position besitzt. Die - im
Falle einer Verneinung eines Prozeßhindernisses - erforderliche
Wiederholung dieser Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nach
den Regeln des Strengbeweises würde nicht nur prozeßunökonomisch
und für die Beteiligten zusätzlich belastend sein, sie
würde auch die Gefahr widersprüchlicher Ergebnisse in
sich bergen und letztlich dem Prinzip des Strafverfahrens, wonach
der Schwerpunkt in der Hauptverhandlung liegen soll, zuwiderlaufen
(vgl. dazu Loos aaO: keine Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung,
diese solle "Premiere", nicht "Reprise" sein). Daß eine solche
doppelte Beweisaufnahme in hohem Maße unzuträglich sein
kann, zeigt gerade das vorliegende Verfahren. Die abschließende
Klärung der Frage, ob eine anderweitige Rechtshängigkeit
gegeben sein könnte, würde auf der Grundlage der bisherigen
Rechtsprechung zum prozessualen Tatbegriff eine umfassende Beweisaufnahme
über die Einbindung des Angeklagten in die verschiedenen Ausformungen
der "Revolutionären Zellen" in der Zeit von 1975 bis 1990 und
über seine Tätigkeit im Zeitraum von 1978 bis 1985 voraussetzen.
Dafür müßte neben zahlreichen anderen Beweiserhebungen
der Zeuge M. umfangreich vernommen werden, dessen Glaubwürdigkeit
die Verteidiger mit zahlreichen Einwänden in Frage stellen
würden. Damit müßte ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung
vorweggenommen werden, was hier voraussichtlich mehrere Monate in
Anspruch nehmen würde.
Diese Auffassung entspricht auch der Praxis des Bundesgerichtshofs
in Revisionsverfahren, in denen die Frage des Vorliegens eines Strafklageverbrauchs
von den bislang ungenügend aufgeklärten tatsächlichen
Umständen der abgeurteilten Tat abhängt, etwa weil in
Frage steht, ob ein Handel mit Betäubungsmitteln Teil einer
bereits anderweitig abgeurteilten Bewertungseinheit ist. In solchen
Fällen wird diese Frage nicht im Revisionsverfahren im Wege
des Freibeweises geklärt, sondern die Sache zu erneuter tatrichterlicher
Feststellung im Wege des Strengbeweises zurückverwiesen (BGH,
Beschl. vom 16. November 2000 - 3 StR 457/00).
Für die Frage der Eröffnung muß demnach eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit dafür genügen, daß die Beweisaufnahme
in der Hauptverhandlung ein solches Verfahrenshindernis nicht ergeben
werde.
2. Bei der "Revolutionären Zelle", der der Angeschuldigte
von 1975 bis 1978 im Bereich Frankfurt am Main angehört hat,
und der "Berliner Zelle der Revolutionären Zellen" im Tatzeitraum
der Anklage zum Kammergericht von 1985 bis 1990 handelt es sich
nach Aktenlage um unterschiedliche terroristische Vereinigungen.
Eine den gesamten Zeitraum von 1975 bis 1990 und gleichzeitig auch
die verschiedenen regionalen Gruppierungen umfassende einheitliche
Vereinigung im Sinne des
§ 129 a StGB ("Gesamtvereinigung") war entgegen der Auffassung
des Kammergerichts nicht gegeben. Zwar erscheint es grundsätzlich
vorstellbar, daß sich eine terroristische Gruppierung in der
Art organisiert und strukturiert, daß neben einzelnen regionalen
Vereinigungen auch eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht,
die ihrerseits ebenfalls die Kriterien einer terroristischen Vereinigung
nach § 129 a StGB erfüllt, wobei einzelne Mitglieder sowohl
der regionalen, als auch der Dach-Vereinigung angehören und
sich an ihnen aktiv beteiligen können. Hier ergibt sich jedoch
aus den Ermittlungen, daß nach der Umstrukturierung der "Revolutionären
Zelle" im Zeitraum von 1976 bis 1981 keine solche Dach-Vereinigung
vorhanden war, die selbst als terroristische Vereinigung nach §
129 a StGB angesehen werden könnte. Dazu wäre Voraussetzung
gewesen, daß sich mehrere Personen zu einer Vereinigung zusammenschließen,
deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet war, bestimmte
Straftaten der in § 129 a Abs. 1 StGB genannten Art zu begehen,
wobei die Unterwerfung der Mitglieder unter eine organisierte Willensbildung
notwendig ist, was innerhalb der Vereinigung bestehende, von den
Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen voraussetzt (BGHSt
10, 16 f.; 28, 147 f.; 31, 202, 205).
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Beschwerdebegründung
vom 5. März 2001 unter Hinweis auf Fundstellen in dem publizistischen
Organ "Revolutionärer Zorn" der "Revolutionären Zelle"
im einzelnen belegt, hat sich die "Revolutionäre Zelle" im
September 1976 in "Revolutionäre Zellen" umbenannt und mehrere
einzelne selbständige, regional aufgeteilte Zellen mit eigenen
Entscheidungs- und Handlungsbefugnissen gebildet. Dabei wird zur
Eigenständigkeit dieser Zellen betont, daß jeder selbst
entscheiden kann" ... "ohne auf die Bestätigung oder das Dementi
eines nicht vorhandenen ZK's zu warten" (Revolutionärer Zorn
Nr. 5, April 1978). Dies belegt das Fehlen einer übergeordneten
Vereinigung mit eigener Entscheidungsstruktur, der sich die einzelnen
Mitglieder der Zellen unterworfen hätten. Dem entspricht, daß
es nach der Aussage des Zeugen M., der zu der Zusammensetzung und
Struktur der "Revolutionären Zellen" in dem fraglichen Zeitraum
ab Mitte der 80-er Jahre umfangreiche und umfassende Angaben gemacht
hatte, an überregionalen Tätigkeiten lediglich einmalige
jährliche Treffen von Abgesandten der einzelnen Zellen gegeben
hatte, die "Miez" oder auch "Asamblea" genannt wurden. Daß
dort verbindliche Entscheidungen für die Durchführung
von Straftaten im Sinne des § 129 a Abs. 1 StGB getroffen worden
wären, die dann auch unter der Verantwortung einer solchen
überregionalen Vereinigung verübt worden wären, hat
er nicht berichtet; auch sonst fehlen dafür jegliche Anhaltspunkte.
Daß die einzelnen Zellen gelegentlich zusammenarbeiteten,
z.B. durch die Überlassung von Sprengstoff aus einem Diebstahl,
oder daß sie ein einheitliches Symbol verwendeten, vermag
daran nichts zu ändern, da dies die fehlenden Merkmale einer
Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB für die angebliche "Gesamt-Vereinigung"
nicht ersetzen kann.
Dabei kommt hinzu, daß mit der Umstrukturierung der "Revolutionären
Zelle" auch ein inhaltlicher und programmatischer Wandel verbunden
war, der zu Spaltungen und Trennungen führte, wie in der Beschwerdebegründung
im einzelnen dargestellt und belegt wird. Bei dieser Sachlage braucht
der Senat daher nicht zu entscheiden, ob die Frage der Fortdauer
einer einheitlichen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
gegebenenfalls dann anders zu beurteilen ist, wenn sich eine Vereinigung
aus taktischen Gründen einvernehmlich umstrukturiert und nahtlos
ihre bisherigen Zwecke weiterverfolgt, sei es, daß sich eine
bislang einheitliche Organisation in mehrere einzelne Vereinigungen
aufspaltet oder umgekehrt bisher selbständige Gruppierungen
sich zu einer einheitlichen Vereinigung mit gleichbleibender Zielrichtung
zusammenschließen.
3. Zudem ist durch das Abtauchen des Angeschuldigten im August
1978 nach dem bisherigen Kenntnisstand seine mitgliedschaftliche
Beteiligung an der "Revolutionären Zelle", der er bis dahin
angehört hatte, beendet worden. Darin liegt eine Zäsur,
die der Annahme einer einzigen Tat nach § 129 a StGB entgegensteht.
Der Angeschuldigte selbst erklärte hierzu in der Hauptverhandlung
vor dem Landgericht Frankfurt am Main im Rahmen der Schilderung
seines Lebenslaufes: "In der Zeit von August 1978 bis zur Wiederaufnahme
meiner politischen Aktivitäten Mitte der 80er Jahre habe ich
keine strafbaren Handlungen begangen und keiner verbotenen Organisation
angehört." Mag diese Erklärung auch prozeßtaktischen
Erwägungen entspringen, so stimmt sie jedenfalls insoweit mit
den Ermittlungsergebnissen überein, als für die Zeit nach
dem Abtauchen im August 1978 bis jedenfalls 1981 keinerlei Anhaltspunkte
für eine Fortsetzung der mitgliedschaftlichen Beteiligung des
Angeklagten an der "Revolutionären Zelle" gegeben sind; solche
hat auch das Kammergericht nicht festgestellt.
Wenn es gleichwohl diesem Umstand für die Fortdauer der Mitgliedschaft
keine maßgebliche Bedeutung beimißt, weil nach BGHSt
29, 288, 294 die Mitgliedschaft auch in Zeiten fortbestehe, in denen
gerade keine Tätigkeit entfaltet werde, wird es weder dem Sinn
dieser Entscheidung, noch dem Begriff der mitgliedschaftlichen Beteiligung
nach § 129 a Abs. 1 StGB gerecht. Danach genügt eben nicht
eine nur passive, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslose
Mitgliedschaft, vielmehr ist erforderlich, daß diese auf eine
aktive Teilnahme am Verbandsleben gerichtet sein muß (BGHSt
29, 114, 120 f.). Gerade weil in BGHSt 29, 288, 294 dieser Grundsatz
unter Verweis auf die vorgenannte Entscheidung wiederholt wird,
kann die nachfolgende Erwägung, die Mitgliedschaft bestehe
auch in Zeiten, in denen keine Tätigkeit für die Vereinigung
ausgeübt werde, nur dahin verstanden werden, daß es bei
einer solchen aktiven Beteiligung naturgemäß zwischen
den einzelnen Betätigungsakten zu Pausen kommen kann, die ohne
Einfluß auf das Andauern der Mitgliedschaft bleiben. Daraus
hat der Senat gefolgert, daß diese Tatbestandsstruktur dazu
führe, daß sich die Strafbarkeit der mitgliedschaftlichen
Beteiligung auf Jahre erstrecken könne (BGHSt 29, 288, 294).
Umgekehrt durfte daraus das Kammergericht jedoch nicht den Schluß
ziehen, daß selbst eine jahrelange Unterbrechung der aktiven
Betätigung die Fortdauer der Mitgliedschaft im Sinne des §
129 a Abs. 1 StGB ohne weiteres unberührt lasse. Wenn das Kammergericht
in diesem Zusammenhang darauf abstellt, daß der Wechsel des
Angeklagten nach Berlin (nach mehreren Jahren) als "Wiederaufleben
der zuvor ruhenden Mitgliedschaft" (BA S. 5) anzusehen sei, beschreibt
es gerade nicht eine aktive, sondern allenfalls eine zwischenzeitliche
passive Mitgliedschaft, die für die Erfüllung des Tatbestandes
des § 129 a Abs. 1 StGB nach dem Wortlaut des Gesetzes und auch
nach der Rechtsprechung nicht ausreicht.
Insofern ist die Tatbestandsstruktur des Organisationsdeliktes
der mitgliedschaftlichen Beteiligung nach § 129 a Abs. 1 StGB dem
Tatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99
Abs. 1 Nr. 1 StGB vergleichbar. Auch dort stellt sich das Problem,
ob und unter welchen Voraussetzungen Zeiten der Inaktivität
eines Agenten noch als tatbestandsimmanentes Verhalten anzusehen
sind oder ob ein späteres erneutes Tätigwerden eine neue
Tat im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt (vgl. dazu Rissing-van
Saan in FS 50 Jahre BGH, S. 485 f.). So hat der Senat die vorübergehende
"Abschaltung" eines Agenten für die Dauer eines Jahres nach
der Enttarnung eines anderen Agenten zur Vermeidung einer Entdeckung
als für eine geheimdienstliche Agententätigkeit typisch
bewertet (BGHR StGB § 99 Ausüben 2). Ähnliches dürfte
für das Mitglied einer terroristischen Vereinigung gelten,
das sich etwa dem verstärkten Fahndungsdruck der Polizei nach
einem spektakulären Anschlag durch ein vorübergehendes
Untertauchen entzieht, um danach seine Tätigkeit wieder ungefährdet
fortsetzen zu können. Dabei wird man aber ebenso wie bei der
geheimdienstlichen Agententätigkeit für die Frage einer
Tatbeendigung nicht allein auf die Dauer der zeitlichen Zäsur
abstellen dürfen, sondern eine Gesamtbetrachtung der Umstände,
insbesondere der Ausgestaltung der weiteren Beziehungen zu der Vereinigung
anzustellen haben (vgl. Rissing van Saan aaO, S. 486). Hier ist
zu berücksichtigen, daß der Angeschuldigte im August
1978 abtauchte, als gegen ihn wegen Mitgliedschaft in der "Revolutionären
Zelle" ermittelt worden war, was zum Erlaß eines Haftbefehls
des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. September
1978 geführt hatte. Dies und der Umstand, daß bis 1981
keinerlei Anhaltspunkte für eine weitere Tätigkeit vorliegen,
ferner daß der Angeklagte nach der oben dargelegten Umstrukturierung
der "Revolutionären Zelle" nicht in seiner alten Frankfurter
Gruppe, sondern in der "Berliner Zelle" aktiv geworden ist, belegt
zur Überzeugung des Senats, daß er seine mitgliedschaftliche
Betätigung mit dem Abtauchen beendet und danach an anderer
Stelle und für eine andere Vereinigung neu aufgenommen hat.
4. Unabhängig von den vorgenannten Erwägungen neigt der
Senat in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl.
BGHSt 29, 288 ff.) dazu, auch bei einem Organisationsdelikt mehrere
prozessuale Taten anzunehmen, wenn nur einzelne Betätigungen
eines Mitglieds einer solchen Organisation (kriminelle oder terroristische
Vereinigung, Verein i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG) Gegenstand
der früheren Anklage und gerichtlichen Untersuchung waren und
der Angeklagte nicht darauf vertrauen durfte, daß durch das
frühere Verfahren alle Betätigungsakte für die Vereinigung
erfaßt wurden (Urt. des Senats vom heutigen Tage - 3 StR 342/00,
vgl. dazu Krauth in FS für Kleinknecht, 1985, S. 215, 229 ff.).
Der 2. Strafsenat hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die
uferlose Ausdehnung der Kognitionspflicht des Tatrichters durch
den prozessualen Tatbegriff bei derartigen langgestreckten Delikten
(Organisationsdelikte, Dauerdelikte, Bewertungseinheiten) dessen
Leistungsfähigkeit übersteige und eine den Grundsätzen
des Strafverfahrens widersprechende Verlagerung von Ermittlungstätigkeit
in das gerichtliche Hauptverfahren zur Folge habe. Gleichzeitig
würden die auch dem Schutz des Angeklagten dienenden Verfahrensinstitute
wie Anklage und Eröffnungsverfahren ausgehöhlt (BGHSt
43, 252, 257).
II. Da der Angeschuldigte im übrigen der angeklagten Tat hinreichend
verdächtig ist, war die Anklage des Generalbundesanwalts zur
Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren vor dem Kammergericht
zu eröffnen. Im einzelnen wird hierzu auf die Anklage und das
wesentliche Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen. Der Senat
hat von der Möglichkeit des § 210 Abs. 3 Satz 2 StPO, die Hauptverhandlung
vor einem anderen Senat dieses Gerichts zu eröffnen, keinen
Gebrauch gemacht.
III. Der Aufhebung des Haftbefehls nach § 120 Abs. 1 StPO wird
durch die vorliegende Beschwerdeentscheidung die Grundlage entzogen.
Gemäß § 207 Abs. 4 StPO ordnet der Senat die weitere
Vollziehung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters vom 15. Dezember
1999 an. Der dringende Tatverdacht beruht auf der umfangreichen
Aussage des Zeugen Tarek M.. Es besteht weiterhin neben dem Haftgrund
des § 112 Abs. 3 StPO der Haftgrund der Fluchtgefahr, nachdem der
Angeschuldigte bereits im August 1978 zur Vermeidung seiner Festnahme
untergetaucht, einige Jahre später zwar wieder nach Deutschland
zurückgekehrt war, aber hier illegal bis zum vermeintlichen
Verjährungseintritt gelebt hatte. Dies belegt die Gefahr, daß
er sich auch jetzt dem nunmehr drohenden Strafverfahren durch Flucht
entziehen werde. Diese Gefahr wird nicht dadurch ausgeräumt,
daß er nach dem Nichteröffnungsbeschluß und der
Aufhebung des Haftbefehls sich verfügbar gehalten hat, da er
bislang darauf hoffen konnte, von einem weiteren Strafverfahren
verschont zu bleiben. Unter den gegebenen Umständen kann gegenwärtig
der Fluchtgefahr auch nicht durch Maßnahmen nach § 116 StPO
begegnet werden. Da der Angeschuldigte innerhalb der "Berliner Zelle"
eine führende Rolle eingenommen hat a auch in maßgeblicher
Weise an den begangenen Taten beteiligt war, hat trotz der zwischenzeitlichen
Beendigung der Tätigkeit dieser Vereinigung des Zeitabstandes
zwischen den Taten und ihrer Verfolgung eine nicht unerhebliche
Freiheitsstrafe zu erwarten.
|