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Datum: 27.05.2000
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Zeitung:
taz
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Titel:
Eine Szene im Fadenkreuz
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Eine Szene im Fadenkreuz
Der vergangene Woche in Kanada wegen Zugehörigkeit zu den
RZ verhaftete Berliner Lothar E. war in den 80ern Hausmeister im
Mehringhof. Jetzt verhört die BAW sein früheres persönliches
Umfeld
Die Bundesanwaltschaft (BAW) in Karlsruhe hat das alte linke Milieu
in Berlin aufs Korn genommen. Nach den umfangreichen Aussagen eines
ehemaligen Mitglieds der Revolutionären Zellen (RZ) im vergangenen
Jahr verhört die BAW nach und nach einen großen Kreis
von BerlinerInnen und führt wiederholt Verhaftungen durch.
Zuletzt am vergangenen Donnerstag in Kanada, als der 46-jährige
ehemalige Berliner Lothar E. unter dem Vorwurf, bis in die Neunzigerjahre
den RZ angehört zu haben, festgenommen wurde. Lothar E., der
jetzt in Auslieferungshaft sitzt und auf seine Kautionsverhandlung
Anfang Juni wartet, beteiligte sich Ende der 70er-Jahre an der damaligen
Szenekollektivkneipe "Spektrum" in der Koburger Straße.
Mit der Kneipe, die heute unter dem Namen "EX" bekannt
ist, zog er 1980 in den Mehringhof um. Im Laufe der 80er-Jahre übernahm
er einen großen Teil der Hausmeistertätigkeiten im Mehringhof,
unterbrochen von längeren Aufenthalten in der kanadischen Wildnis.
Bereits im Dezember hatte die BAW zeitgleich mit einer Razzia im
Mehringhof einen anderen Hausmeister des Komplexes mit denselben
Vorwürfen in Haft genommen. Mit dem Mehringhof hat Lothar E.
aber schon länger nichts mehr zu tun. Mitte der 90er-Jahre
entschloss er sich zur endgültigen Übersiedlung nach Kanada
und beantragte inzwischen sogar die dortige Staatsbürgerschaft.
Diesen Sommer rechnete er mit der Vereidigung. Inzwischen berichteten
FreundInnen von Lothar E. aus Yellowknife der taz über die
Festnahme. Gegen 8 Uhr abends (Ortszeit) soll Lothar E. von einem
Mann mit einem kaputten Holzkanu aus seinem Haus gebeten und in
ein Gespräch über Reparaturmöglichkeiten verwickelt
worden sein. In diesem Moment, so berichten die ZeugInnen, stürzten
aus einem weiteren Fahrzeug vier Männer herbei, warfen Lothar
E. auf den Boden und fesselten ihn an Händen und Füßen.
Anschließend wurde die von Lothar E. mit betriebene Pension
"Back Bay Boat Bed and Breakfast" von zwölf weiteren
kanadischen Polizisten durchsucht. Die ganze Zeit befand sich ein
Kriminaloberkommissar Trede vom BKA vor Ort. Zeitgleich wurde in
Berlin eine Mitbetreiberin der Pension in Yellowknife, die sich
zu einem fünftägigen familiären Besuch in Deutschland
aufhielt, von der Berliner Polizei festgesetzt und einer Befragung
als Zeugin durch die BAW unterzogen. Als sie die Aussage verweigerte,
durfte sie wieder gehen.
Die Verhaftung des Deutschen löste in der am Nordrand des
Großen Sklavensees gelegenen Kleinstadt Yellowknife mit etwa
18.000 EinwohnerInnen einige Verwirrung aus. Die einzige lokale
Zeitung, The Yellowknifer, schreibt, "dass die Einwohner nur
mit dem Kopf schütteln über die Verhaftung des freundlichen,
hart arbeitenden Inhabers einer ,Bed & Breakfast'-Pension
aufgrund des Vorwurfs, Mitglied einer deutschen Terrorgruppe zu
sein". Lothar E. baut nun darauf, dass kanadische Gerichte
die nur auf den Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli beruhenden
Vorwürfe gegen ihn ein wenig kritischer als deutsche Gerichte
betrachten und das Auslieferungsbegehren der BAW zurückweisen
werden. Auf welch dünnem Eis sich die Vorwürfe offenbar
bewegen, zeigen auch die Versuche der BAW in den vergangenen Tagen,
aus dem sozialen Umfeld des wegen RZ-Mitgliedschaft Beschuldigten
Aussagen zu bekommen. Mehrfach werden von Betroffenen Besuche durch
Beamte der BAW erwähnt.
Wie berichtet war Lothar E. am 18. Mai verhaftet worden. Die Bundesanwaltschaft
wirft ihm die Beteiligung an zwei Sprengstoffanschlägen sowie
die Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen vor. Außerdem
soll er laut BAW an den Knieschüssen auf den Leiter der Berliner
Ausländerbehörde, Hollenberg, 1986 sowie auf den Asylrichter
Korbmacher 1987 beteiligt gewesen sein. Die BAW hat seine Auslieferung
beantragt.
HERMANN PFLEIDERER
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