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Datum:
17.12.2001
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Zeitung:
Tagesspiegel
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Titel:
Nach 20 Jahren: Theologe wegen Graffiti im Gefängnis
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Nach 20 Jahren: Theologe wegen Graffiti im Gefängnis
Weil sich Überzeugungstäter Hanns Heim weigert, seine
Schuld einzugestehen, sitzt er seit Mitte November in Erzwingungshaft
Sein Freund und Arbeitskollege Armin Meyer nennt ihn einen "konsequenten
und hartnäckigen Menschen". Der Direktor des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg,
Manfred Wolf, nennt ihn einen "Überzeugungstäter". Aber
was soll man von einem 62-jährigen ehemaligen Jesuitenpriester
auch anderes erwarten, als dass er nach seinen Überzeugungen
handelt?
Hanns Heim sitzt seit dem 14. November in Erzwingungshaft. Weil
er in der Nacht, nachdem der Nato-Doppelbeschluss gebilligt worden
war, seine Ansichten an die Gefängnismauer in Plötzensee
sprühte. "Hier baut die Bundesrepublik an unserer Zukunft",
stand dort. Vor bald 20 Jahren. Die Strafe für die politisch
motivierte Sprayerei hat Heim längst abgesessen. Eine Ersatzfreiheitsstrafe,
denn bei dem Arbeiterpriester war nicht viel zu holen.
Blieb noch die beschmutzte Gefängnismauer, deren Reinigung
immerhin 500 Mark gekostet hat. Hanns Heim jedoch weigert sich seit
Jahren, diese Summe zu zahlen. Denn "auch aus heutiger Sicht kann
ich den Spruch, den ich vor 20 Jahren an die Wand sprühte,
nicht als bloßen Schaden abtun lassen, den ich wieder gutzumachen
hätte!" Deshalb wartet er nun - voraussichtlich bis zum Mai
nächsten Jahres - in der Justizvollzugsanstalt Lehrter Straße
auf das Ende seiner Erzwingungshaft. Dass er den Schaden doch noch
als solchen erkennen wird, halten seine Freunde für eher unwahrscheinlich.
Und auch Manfred Wolf meint: "Er will die Sache durchziehen."
Anfang der 60-er Jahre ist Hanns Heim nach Indien gezogen, um dort
Theologie zu studieren. "Ein religiöser Mensch, der in einer
religiösen Gemeinschaft leben wollte", beschreibt ihn ein Freund.
"Er empfindet eine große Liebe zu denen, die ausgegrenzt werden",
ein Kollege. Eigentlich wollte Heim in Indien bleiben. Doch Anfang
der 70-er Jahre ist er wieder da - weil er gesehen habe, dass "die
ursächliche Ausbeutung in der ersten Welt stattfindet".
Zurück in der Bundesrepublik wendet sich Heim der Tradition
der Arbeiterpriester zu. Diese hatten in den 20-er Jahren in Frankreich
neue Wege gesucht, um ihren Einfluss auf die Arbeiterschaft zu erhalten.
Die Theologen gingen einer geregelten Arbeit nach, anstatt von der
Kanzel zu predigen. Heim fährt Lastwagen, dann Taxi und zieht
in eine Jesuitengemeinschaft nach Kreuzberg. Hier sucht er das Gespräch
mit Hausbesetzern, Obdachlosen und militanten Linksextremen. Beliebt
macht er sich dabei in der Kirche nicht. Schließlich tritt
der Querulant aus seinem Orden aus; "die Kirche hat sich nicht ausreichend
um die Armen gekümmert", erklärt ein Freund die Motivationen
von Heim.
Unter dem Aktenzeichen 33M888/00 führt Amtsgerichtsdirektor
Manfred Wolf die Akte Heim. Diese erzählt die Geschichte eines
Schadens, der im Laufe des Verfahrens von 500 Mark auf etwa 7 000
Mark angestiegen ist - und sich gefängnistäglich um etwa
200 Mark erhöht. Irgendwann in diesem jahrelangen Rechtsstreit
hat das Land Berlin, das natürlich auf der Bezahlung bestanden
hat, einen Gerichtsvollzieher zu Hanns Heim in seine Kreuzberger
Wohnung geschickt. Der Verursacher muss für den Schaden aufkommen
und wenn er dazu gezwungen wird, so die juristische Sachlage. Der
Gerichtsvollzieher jedoch hat bei Heim nichts gefunden, was pfändenswert
gewesen wäre.
Für die Geschichte mit dem Graffiti hätte es einen Ausweg
gegeben: Der Schuldner Heim versichert seinem Gläubiger, dem
Land Berlin, dass er keine Mittel besitzt, um für den Schaden
aufzukommen. Das Verfahren wäre längst eingestellt worden.
Aber nicht mit Heim. Mit einer Unterschrift hätte er den Schaden
zugegeben, argumentierte Heim. "Das ist eine Geschichte wie Michael
Kohlhaas", stöhnt Wolf. Denn das Amtsgericht könne gar
nicht anders als dem Antrag des Gläubigers zu folgen. "Der
Staat macht das ganz humorlos." Erlasse man dem Schuldner die Erzwingungshaft
in einem Fall, verliere "doch das ganze Instrument seine Wirkung".
Die Justizverwaltung beharrt jedenfalls auf der Erzwingungshaft.
Zwar werde sich Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) nicht
zu einem Einzelfall äußern, sagt sein Sprecher Martin
Steltner. Doch insgesamt gelte, dass die Justiz nicht nach wirtschaftlichen
Gesichtspunkten entscheiden könne. "Es geht darum, nicht zu
kapitulieren", sagt Steltner. Zumindest in diesem Punkt ist er sich
mit Hanns Heim einig.
Barbara Junge
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