Datum:
20.01.2000
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Zeitung:
ak Nr. 434
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Titel:
Wir wollen eine Kampagne, die auf breiten Füssen
steht
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"Wir wollen eine Kampagne, die auf breiten Füssen steht"
Interview über die Situation nach dem 19. Dezember
Folgendes Interview über die Verhaftungen vom 19. Dezember
führten wir mit Dominique John, Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft
Flucht und Migration (FFM). Dominique beteiligt sich am Aufbau einer
Solidaritätskampagne zur Freilassung von Axel, Harald und Sabine.
Habt ihr schon etwas von Harald und Axel gehört?
Von Harald haben wir einen Brief bekommen, über den wir uns sehr
gefreut haben. Von Axel wissen wir über eine Freundin, die ihn schon
besuchen konnte. Beiden geht es den Umständen entsprechend gut. Axel
sitzt in einer Zelle, die ebenerdig liegt, und hat dadurch sehr wenig
Tageslicht. Bei 23 Stunden Einschluss am Tag muss das nach einer Weile
ziemlich heftig sein. Was die Lichtverhältnisse angeht, geht es Harald
besser. Er ist aber auch 23 Stunden am Tag eingeschlossen. Wenn es regnet,
wie er schreibt, dann sind es 24 Stunden.
Beide unterliegen also den bei § 129a-Verfahren üblichen
verschärften Haftbedingungen?
Ja. Sie dürfen nur alle 14 Tage eine halbe Stunde besucht werden.
Wenn man sie besuchen will, muss man erst mit der Bundesanwaltschaft (BAW)
Kontakt aufnehmen und mit diversen Herren verhandeln. Die Besuche selbst
laufen dann so ab, dass jemand vom Bundeskriminalamt (BKA) dabei sitzt und
mitschreibt.
Was die Post angeht, so läuft sie auch über die BAW, d.h.
alles wird gelesen, und es dauert ein bis zwei Wochen, bis die Post
ankommt, umgekehrt ist es ähnlich. Das gilt übrigens auch
für die Anwaltspost.
Beide können sich Bücher von draußen schicken lassen.
Als Harald anfragte, ob wir ihm einen Laptop besorgen könnten, haben
sie das allerdings untersagt. Ihre Begründung: Mit einem Laptop
könnte man ein Funkgerät bauen. Ich kann jedoch kaum glauben,
dass Harald dazu in der Lage wäre. Jetzt versuchen wir, ihm wenigstens
eine elektrische Schreibmaschine in den Knast zu schicken.
Die Festnahme von Harald und Axel sowie die Durchsuchung des
Mehringhofes nach Sprengstoff erfolgte auf Grund von Anschuldigungen...
Die Festnahmen und die Durchsuchung erfolgten vermutlich auf Grund von
Aussagen von Tarek M., der kurz zuvor verhaftet worden war. Er ist im
Frühjahr schon einmal verhaftet worden, war dann wieder draußen
und wurde am 23. November erneut festgenommen. Es sieht danach aus, dass er
nun als Kronzeuge aufgebaut wird. Jedenfalls soll er Anschuldigungen
ausgesprochen haben. So steht es zumindest im Durchsuchungsbeschluss
für die Razzia im Mehringhof und im Haftbefehl gegen Harald.
Harald und Axel haben kurz vor Jahresende, bevor die Kronzeugenregelung
auslief, von der BAW auch zwei Mal das Angebot unterbreitet bekommen, sich
als Kronzeugen zu verdingen.
Harald hat in seinem Brief geschrieben, dass noch kurz vor dem 31.
Dezember zwei Herren in seiner Zelle auftauchten und ihm ein entsprechendes
Angebot gemacht haben: Es sei für ihn durchaus möglich, Sylvester
auch anderswo zu feiern, wenn er sich auf so etwas einlassen würde.
Selbstverständlich haben Harald und Axel diese Angebote abgelehnt.
Am 19. Dezember wurde auch noch eine Frau in Frankfurt am Main
festgenommen. Was wisst ihr darüber?
Bisher wissen wir nur von der Verhaftung von Sabine. Wir versuchen zur
Zeit mit Leuten in Frankfurt Kontakt aufzunehmen und hoffen, dass ein
direkter Kontakt bald über ihre Rechtsanwältin hergestellt ist.
Uns ist nur bekannt, dass es in Frankfurt bisher kein Treffen von
UnterstützerInnen gegeben hat. Ansonsten wissen wir nichts. Da sie im
Zusammenhang mit unseren Freunden und Kollegen verhaftet wurde, wollen wir
zumindest in Erfahrung bringen, ob Sabine Interesse an einer politischen
Unterstützung von unserer Seite hat.
In Berlin gab es während der Bullen-Razzia schon erste Proteste vor
dem Mehringhof, einige Tage später dann eine kleine Demonstration. Wie
erklärst du dir, dass es in Berlin sofort zu
Solidaritätsbekundungen kam, in Frankfurt aber nicht?
Ich denke, es liegt daran, dass Harald und Axel Leute sind, die hier
seit Jahren politisch aktiv sind. Axel hat praktisch den Mehringhof mit
aufgebaut. Er hat lange Zeit im Speki gearbeitet, so hieß die Kneipe
im Mehringhof früher. Und er hat sich in der
Nicaragua-Solidarität engagiert. In jüngster Zeit hat er bei der
Initiative gegen einen Schlussstrich mitgearbeitet. So jemand ist in Berlin
einfach bekannt.
Ähnliches gilt für Harald, der vor fünf Jahren die FFM
mit gegründet hat. Neben viel unsichtbarer Arbeit, wie z.B.
der Buchhaltung, macht er viel Öffentlichkeitsarbeit im
Zusammenhang mit den Taxifahrer-Prozessen in Görlitz und zum
Bundesgrenzschutz sowie zu Übergriffen auf Flüchtlinge an der
Grenze. Harald ist für die FFM viel unterwegs und hält viele
Vorträge zu unseren Themen. Dadurch sind gute Kontakte zu kirchlichen
und karitativen Organisationen entstanden, gerade um diese bemüht sich
Harald sehr.
Immer wieder ist die Einschätzung zu hören, die Razzia und die
Verhaftungen seien ein direkter Angriff auf eure Arbeit und auf den
Mehringhof als Ausdruck links-alternativer Gegenkultur. Meinst du, dass
solche Überlegungen im Zentrum der Bullenaktion stand?
Natürlich gibt es unterschiedliche Einschätzungen; wir vom FFM
denken aber, dass es bei den Festnahmen und der Durchsuchung in erster
Linie darum ging, eine vermeintliche RZ-Struktur aufzuknacken. Das BKA und
die BAW haben offensichtlich ein Interesse daran, eine Struktur
anzugreifen, an die sie in der Vergangenheit nie herangekommen sind. Das
FFM-Büro jedenfalls ist nicht sehr intensiv durchsucht worden.
Ein Nebeneffekt der Aktion vom 19. Dezember ist allerdings, dass unsere
Projekte, die wir für die nächste Zeit geplant haben, erst mal
auf Halde liegen. Der FFM fehlt jetzt ein Kollege, Harald hat hier
förmlich ein Vakuum hinterlassen. Gleichzeitig müssen wir uns
jetzt mit anderen Themen befassen, weil wir unsere Freunde, Kollegen und
Genossen aus dem Knast herausholen und politisch unterstützen wollen.
Also Themen wie der Umgang mit staatlicher Repression, Kronzeugenregelung,
129a etc.
Das waren bisher keine FFM-Themen.
In Berlin sind Plakate aufgetaucht, auf denen u.a. folgendes zu lesen
ist: "Die RZ haben: AKW-Betreiber sabotiert, rassistische Richter
bestraft, Soziale Bewegungen unterstützt und mit vielen anderen
Aktionen Leuten aus dem Herzen gesprochen. Unsere Solidarität gilt den
vier Genossinnen und Genossen, die seit Ende 1999 als angebliche
RZ-Mitglieder im Knast sitzen. Bei allen Differenzen: Ihr Widerstand ist
auch unser Widerstand." Tut man mit einem solchen unkritischen und
unreflektierten Bezug auf die RZ (Revolutionäre Zellen) den
inhaftierten Genossen einen Gefallen?
Unser Ziel ist, unsere inhaftierten Freunde und Genossen aus dem Knast
zu holen. Dafür werden wir Geld sammeln, Veranstaltungen organisieren
und versuchen, eine solidarische Öffentlichkeit herzustellen. Harald
und Axel haben sich bisher zu den Vorwürfen noch nicht
geäußert. Ich möchte aber deutlich sagen: Egal wie sie sich
zu dieser Frage äußern, wir werden weiterhin mit Harald und Axel
zusammenzuarbeiten. Das steht überhaupt nicht in Frage.
Wenn du das Plakat ansprichst, so fällt mir dazu auch nicht mehr
ein, als dass da Leute einen Mythos hervorgekramt haben.
Natürlich kann es sinnvoll und notwendig sein, einen Rückblick
zu machen und die Frage zu stellen, welche Bedeutung die RZ in den 80er
Jahren hatten? Ab Mitte der 80er Jahre haben die RZ ja eine
Flüchtlingskampagne gemacht, was ja auch unmittelbar mit unserem
FFM-Thema zu tun hat. Die RZ haben damals sicherlich in einem bestimmten
Teil der Linken eine Rolle gespielt. Ich würde sogar sagen, die RZ
waren in diesem Kontext nicht unbedeutend, weil sie mit ihren Aktionen zu
wichtigen Diskussionen beigetragen haben.
Aber klar ist auch, dass Teile der RZ-Strukturen Anfang der 90er Jahre
öffentlich geäußert haben, dass sie mit ihrer Form, Politik
zu machen, aufhören. Sie haben gesagt, dass ihre Aktionen ohne
entsprechende Verankerung in den Bewegungen keinen Sinn mehr machen. Dazu
gab es mehrere Gegenstimme, das kann man ja alles nachlesen. Was auch immer
das Ergebnis dieser Dikussionen war, Fakt ist, dass die RZ seither kaum
mehr in Erscheinung getreten sind. Zumindest wird wohl niemand bestreiten,
dass die Flüchtlingskampagne der RZ abgeschlossen sein dürfte.
Was diese Kampagne Ende der 80er Jahre war und was wir heute noch damit zu
tun haben, darüber sollten wir reden. Ich fände es aber politisch
falsch, wenn dies zum Mittelpunkt unserer heutigen Auseinandersetzungen
wird. Wir haben in den letzten Jahren neue Ansätze entwickelt. Und die
dürfen jetzt nicht einfach in den Hintergrund geschoben werden.
So steht die FFM beispielsweise für eine kritische Recherche, aber
auch für eine Verzahnung von Bewegungsstrukturen mit anderen
politischen Kräften. Daran wollen wir auch weiterhin arbeiten.
Für uns stand vor dem 19. Dezember und steht auch danach eine
antirassistischen Flüchtlingspolitik im Vordergrund.
Ich habe das Gefühl, dass sich die Leute, die sich nun auf das
Thema RZ stürzen, ein Thema aufdrücken lassen. Was eine
antirassistische Flüchtlingspolitik anbelangt, kann ich nicht
erkennen, dass diejenigen, die in den letzten Jahren aktiv waren, ihre
politischen Bezüge in RZ-Erklärungen gesucht hätten.
Daher empfinde ich eine Verengung auf das RZ-Thema als einen
Rückschritt.
Heißt das, dass ihr das politische Engagement eurer Genossen in
den letzten Jahren in den Mittelpunkt eures Versuchs stellen wollt,
Unterstützung zu organisieren?
Auf jeden Fall! Wir dürfen uns nicht von der BAW vorschreiben
lassen, was wir in den nächsten Monaten zu diskutieren haben. Für
Harald ebenso wie für Axel gilt, dass sie an konkreten politischen
Fragen gearbeitet haben. An diesen Themen müssen wir
weiterarbeiten.
Was heißt das konkret für die Unterstützungsarbeit?
Zwischen Weihnachten und Neujahr sind in Berlin sehr viele Leute wegen
der Verhaftungen zusammengekommen. Da trafen sich Menschen aus autonomen
Strukturen bis hin zum Flüchtlingsrat Brandenburg, die teilweise noch
nie zusammen an einem Tisch gesessen hatten. Diese Treffen haben - auch
wenn es teilweise ein ziemlich komplizierter Diskussionsprozess war -
funktioniert. Diese Erfahrung hat uns dazu gebracht zu sagen - und das
steht auch im Zusammenhang mit unserer Arbeit in der FFM -, wir wollen eine
Kampagne, die auf breiten Füßen steht. Wir wollen auch
versuchen, eine liberale Öffentlichkeit zu diesem Thema zu
mobilisieren.
Vielleicht gelingt uns das. Harald zum Beispiel hatte ja sehr viele
Kontakte zu Leuten aus den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden. Das sind
Leute, die seit der Verhaftung hier anrufen und wissen wollen, was mit
Harald passiert ist. Wir versuchen ihnen die Situation zu erklären.
Das ist zwar nicht immer einfach, aber es funktioniert. Harald ist für
sie eben kein Unbekannter. Sie kennen ihn aus seiner aktiven Arbeit. Diese
Leute wollen wir ansprechen und für eine politische Unterstützung
gewinnen.
Man muss sich in Erinnerung rufen mit welchen politischen
Verhältnissen wir heute konfrontiert sind. Wir wissen über die
Umstände, unter denen MigrantInnen und Flüchtlinge in diesem Land
leben. Täglich finden Übergriffe statt. Jährlich werden
30.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben. Bei diesen Abschiebungen
sterben teilweise Menschen. Andere sterben an den Grenzen, erfrieren in
Wäldern oder ertrinken in Grenzflüssen.
Tausende kommen erst gar nicht über die Grenzen und werden in die
mittel- und osteuropäischen Staaten zurückgeschoben.
Dies ist die heutige Situation. Und dies muss eigentlich im Zentrum
unserer politischen Arbeit und unserer politischen Diskussionen stehen. Wir
müssen es schaffen, eine Kampagne für die Freilassung mit den
Themen zu verknüpfen, zu denen wir in den letzten Jahren gearbeitet
haben und für die Harald und Axel stehen.
Das Interview führte mb., Berlin
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