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Datum:
30.12.1999
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Zeitung:
Radio "Wüste Welle"
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Titel:
Interview mit einemmit einem FFM-Mitarbeiter
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Radiosendung mit Interview des freien Radios "Wüste
Welle" Tübingen mit einem Interview mit einem FFM-Mitarbeiter
Erstausstrahlung: Do, 30.12.99, 19-20 Uhr Wdh: 31.12., 10-11 Uhr,
1.1.2000, 1-2 Uhr Dauer: 46 min. Autor: Andreas Linder
[Anmoderation] 2 Musik: Viva Maria: Alles was uns fehlt Musik:
Einstürzende Neubauten: Installation N.1
[Pressemitteilung des Generalbundesanwalts]
DER GENERALBUNDESANWALT BEIM BUNDESGERICHTSHOF Pressestelle 19.12.1999
PRESSEMITTEILUNG
Festnahme mutmaßlicher Mitglieder der Berliner "RZ"
Im Rahmen der Ermittlungen zu den "Revolutionären Zellen/ Rote
Zora (RZ)" in Berlin hat der Generalbundesanwalt heute Morgen
auf Grund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes
vom 13./14. Dezember 1999 die deutschen Staatsangehörigen Sabine
Barbara E., Axel H. und Harald G. festgenommen. Die Beschuldigten
werden morgen dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes in
Karlsruhe vorgeführt.
Die Festnahme der 53 Jahre alten Sabine Barbara E. erfolgte in
Frankfurt am Main, des 49 Jahre alten Axel H. und des 51 Jahre alten
Harald G. in Berlin. Die drei Beschuldigten sind der Mitgliedschaft
in der terroristischen Vereinigung "RZ" dringend verdächtig,
Sabine Barbara E. und Harald G. darüber hinaus des Herbeiführens
einer Sprengstoffexplosion (Sprengstoffanschlag vom 6. Februar 1987
auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in berlin,
der die zentrale Gasversorgung des Gebäudes treffen sollte).
Sabine Barbara E. und Harald G. sollen zudem am Anschlag auf den
damaligen Vorsitzenden Richter am Budnesverwaltungsgericht Dr. Günter
Korbmacher, der am 1. September 1987 in Berlin- Lichterfelde durch
gezielte Pistolenschüsse am Unterschenkel verletzt wurde, beteiligt
gewesen sein. Sabine Barbara E. hat mutmaßlich bereits am
Anschlag auf den ehemaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde
Harald Hollenberg mitgewirkt, dem am 28. Oktober 1986 in Berlin-Zehlendorf
ebenfalls gezielt in die Beine geschossen worden war. Beide Taten,
die zwar als solche verjährt sind, zeigen die Gefährlichkeit
der terroristischen Vereinigung "RZ". An allen Anschlägen
war nach den Ermittlungen als damaliges Mitglied der Berliner "RZ"
auch der 57 Jahre alte Rudolf Günther Sch. beteiligt, der im
OPEC-Verfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main unter Anklage
steht und sich in Untersuchungshaft befindet. Der Ermittlungsrichter
des Bundesgerichtshofes hat gegen ihn am 15. Dezember 1999 Haftbefahl
erlassen. Beamte des Generalbundesanwalts und des [Razzia] Bundeskriminalamtes
durchsuchen zurzeit aufgrund Beschlusses des Ermittlungsrichters
des Bundesgerichtshofes vom 14. Dezember 1999 die Gebäude des
"MehringHofes" in Berlin-Kreuzberg nach Waffen und Sprengstoff,
weil es Hinweise gibt, dass der Beschuldigte Axel H. dort ein entsprechendes
Depot der "RZ" betreut. Unbekannte "RZ"-Mitglieder
entwendeten am 4. Juli 1987 in Salzhemmendorf über 100 Kilo
des gewerblichen Sprengstoffes Gelamon 40 sowie weitere Sprengmittel.
Der größte Teil dieses Sprengstoffes konnte bislang nicht
gefunden werden. An den exekutiven Maßnahmen nehmen Staatsanwälte
des Generalbundesanwalts, Beamte des Bundeskriminalamtes, der GSG
9, des Bundesgrenzschutzes und der Berliner Polizei teil. Die Ermittlungen,
mit denen das Bundeskriminalamt beauftragt ist, dauern an. Soweit
die Presseerklärung des Generalbundesanwaltschaft 6 kurz Musik:
Einstürzende Neubauten: Installation N.1 "Wir kriegen
sie alle". Diese finstere Drohung sprach der ehemalige Chef
des Bundeskriminalamts Horst Herold bereits in den 70er Jahren aus.
Gemeint hat er die Aktivistinnen und AKtivisten der RAF, der Bewegung
2.Juni, der Revolutionären Zellen und der Roten Zora.
Der Verfolgungselan der staatlichen Behörden hat auch nach der
Auflösung von RAF, 2.Juni und RZ nicht nachgelassen. Am Sonntag vor
Weihnachten war es wieder soweit: mit vereinter Gewalt der nationalen
Repressionsbehörden fielen über 1000 Beamte in den Berliner
Mehringhof ein, in dem sich zahlreiche politische und soziale Projekte
befinden. Sie durchkämmten sämtliche Räumlichkeiten des
Zentrums auf der Suche nach Waffen und Sprengstoff. Gleichzeitig wurden die
Berliner Axel H. und Harald G. sowie die Frankfurterin Sabine Barbara E. in
ihren Wohnungen verhaftet. Ihnen wird von der Bundesanwaltschaft
vorgeworfen, Mitglieder der Revolutionären Zellen zu sein bzw. gewesen
zu sein. Die ihnen vorgeworfenen Anschläge sind verjährt,
weswegen als Anklagepunkt lediglich der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung nach $129a des Strafgesetzbuches bleiben
wird.
Zur Durchsuchung des Mehringhofs kam es durch einen angeblichen
sogenannten Kronzeugen. Der Berliner Tarek Mohamed Ali M., der selbst
Mitglied der RZ gewesen sein soll und im November dieses Jahres verhaftet
worden war, soll seine angeblichen ehemaligen GenossInnen denunziert haben.
Tarek M. war langjähriger Kampfsportlehrer im Mehringhof und soll der
Berliner autonome Szene den Straßenkampf beigebracht haben. Harald G.
ist Mitbegründer und aktiver Mitarbeiter der Berliner
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, die ihren Sitz ebenfalls im
durchsuchten Mehringhof hat. Axel H. ist seit einigen Jahren Hausmeister im
Mehringhof gewesen. Sabine Barbara E. ist die Lebensgefährtin des im
Durchsuchungsbefehl erwähnten Günther S. 9 [Moderation] Bevor wir
nun ein Interview mit einem Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht
und Migration einspielen, wollen wir zunächst Teile einer
Presseerklärung vorlesen, die das FFM am 21. Dezember
veröffentlicht hat. Nach dem Interview wollen wir noch auf die den
Verhafteten vorgeworfenen AKtionen näher eingehen, indem wir Teile aus
einer RZ-Erklärung von 1989 zitieren. Und wir wollen der Frage
nachgehen, wer die Revolutionären Zellen eigentlich sind bzw. waren.
11 kurz Musik: Apollo Four Forty: White Man´s Throat
[Pressemitteilung des FFM] Aus der Pressemitteilung der
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration vom 21.12.99. Wir möchten
dich /Sie darauf hinweisen, dass Harald Mitbegründer der FFM ist und
in den fünf Jahren der Existenz der FFM entscheidenden Anteil an dem
Aufbau, der Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit der FFM hat. Wie du
weisst / Sie wissen, zeichnet sich die FFM durch kritische Forschung,
Dokumentation und Publikation zur Festung Europa und deren Auswirkungen auf
die Flüchtlingssituation vor allem in den Grenzregionen aus. Harald
hat die Dokumentation "Menschenrechtsverletzungen an der Grenze"
mit aufgebaut und sich in den letzten Jahren gegen die Kriminalisierung der
TaxifahrerInnen in den Grenzregionen engagiert. Er hat maßgeblich
dazu beigetragen, dass diese Kriminalisierung überregional bekannt
wurde. Aktuell beteiligte er sich an der Beobachtung des Prozesses gegen
junge Nazis in Guben, die einen algerischen Flüchtling in den Tod
gehetzt hatten. Obwohl diese politische Arbeit von sehr großer
Relevanz ist, engagieren sich zu diesen Themen nur wenige. Die Verhaftung
von Harald reißt nicht nur eine große Lücke in die ohnehin
personell und finanziell schwierige Situation der FFM, sondern auch in die
flüchtlingsunterstützenden Netze wie den Flüchtlingsrat
Brandenburg, dem Harald eben-falls angehört.
Mit diesem Brief bitten wir dich / Sie um Unterstützung unserer
Forderung, die Verhafteten sofort freizulassen. Wir möchten ab sofort
die FFM - neben dem Mehringhofbüro - auch als Anlauf-adresse für
Informationsanfragen, Grußadressen und Solidaritätsbekundungen
verstanden wissen.
13 kurz Musik: Apollo Four Forty: White Man´s Throat [Moderation]
In Kürze folgt das Interview mit einem Mitarbeiter der
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, das wir heute nachmittag
geführt haben.
kurz Musik: Apollo Four Forty: White Man´s Throat
[Interview] Frage: Kannst du bitte unseren HörerInnen schildern,
was vergangene Woche im Mehringhof geschehen ist?
FFM: Das kann ich auf jeden Fall tun. Also, am Sonntag, den 19.Dezember
hat im Mehringhof, das kann man nicht anders sagen, eine gewaltige
Staatsschutzaktion stattgefunden, mit tausend Polizeibeamtinnen und
-beamten, von allen nur erdenklichen Sonder-Polizeieinsatzgruppen, also
GSG-9, Bundesgrenzschutz, SEKs, Berliner Polizei, Bundeskriminalamt,
Landeskriminalamt und Generalbundesanwaltschaft. Die sind hier mit der
bedeutenden Zahl von tausend Leuten eingelaufen im Mehringhof und haben ab
sechs Uhr in der Früh angefangen, alle Türen aufzubrechen mit
einem Durchsuchungsbefehl, in welchem drin stand, dass sie hier nach
Sprengstoff und Waffen suchen sollten. Sie haben diesen Großangriff,
diese Erstürmung des Mehringshofs durchgeführt ohne vorherige
Ankündigung und ohne die Möglichkeit genutzt zu haben, die
Verwaltung des Hauses zu informieren, dass die vielleicht einfach die
Schlösser aufsperren könnten. Auf diese Weise haben sie
fünfzig Schlösser kaputt gemacht. Sie haben sich überall
Zugang verschafft, Hohlräume aufgestemmt und insgesamt einen
Sachschaden von hunderttausend Mark angerichtet. Diese Aktion hat sich
über den ganzen Tag hingezogen. Es hat den Anschein, und das ist auch
von einem der Einsatzleiter geäussert worden, dass es sich auch ein
bisschen um eine Art Übung gehandelt hat, also dass durchaus hier auch
Nachwuchskräfte im Türen Aufsprengen geschult werden sollten und
sowas. Es waren natürlich Sprengstoffhunde im Einsatz und alles, was
man sich nur vorstellen kann.
Frage: Aber ist es nicht absurd, mit tausend Beamten nach Sprengstoff zu
suchen? Hat da nicht auch noch etwas Anderes dahinter gesteckt?
FFM: Also ich gehe ganz fest davon aus, dass das auch ein politischer
Akt gewesen ist, hier so einen Aufruhr und so eine Riesen-Aktion zu
veranstalten. Also, der ganze Block, in dem sich der Komplex des
Mehringhofs befindet, war hermetisch abgeriegelt. Selbst Leute aus den
Nachbarhäusern konnten nur unter Vorzeigen ihres Ausweises in ihre
Wohnungen gehen. Wir selbst konnten überhaupt nicht in unsere
Büros, in unsere Räume rein. Und ich denke mal, dass damit auch
gezeigt werden sollte: Leute, das eigentliche Problem, das wir haben, sind
nicht etwa die Rechtsradikalen in Ostdeutschland, sondern das ist nach wie
vor der Linksterrorismus, in Anführungszeichen von mir natürlich
immer gesetzt. Und dann auch hier sich eine gute Atmosphäre zu
schaffen im Zusammenhang mit erwarteten Millenniums-Anschlägen und
sowas, also was alles super lächerlich und an den Haaren herbeigezogen
ist in Anbetracht dessen, was für Ergebnisse erzielt wurden.
Vielleicht noch ergänzend: Es hat eine Party gegeben am Samstag im
Mehringhof, da waren Leute immer noch da. Die hat bis sechs Uhr in der
Frühe einfach gedauert und es sind dann noch zwanzig Leute über
sechs Stunden lang festgehalten worden unter wirklich übelsten
Bedingungen. Die durften überhaupt keinen Kontakt aufnehmen zur
Aussenwelt. Die durften auch nichts trinken, nicht auf die Toilette gehen.
Und ein Teil der Leute sind auch sofort in Abschiebehaft genommen worden,
zwei von ihnen sitzen nach wie vor in Abschiebehaft und sind unmittelbar
von Abschiebung einerseits nach Weissrussland, andererseits nach Bolivien
bedroht. Und natürlich die andere Seite: Gleichzeitig, zwischen halb
sechs und sechs Uhr in der Früh sind halt zwei von unseren Kollegen
und Freunden in ihren Privatwohnungen von Rollkommandos, möchte ich
mal sagen, überfallen worden. ...
Frage: Die Bundesanwaltschaft begründet die Legitimation für
die Razzia und die Festnahmen mit den Aussagen des Kronzeugen Tarek M.
Dieser war selbst im Mehringhof als Kampfsportlehrer tätig und soll
selbst Mitglied der RZ gewesen sein. Was könnt ihr zu Tarek M.
sagen?
FFM: Also, im Grunde können und wollen wir auch nicht viel zu Tarek
sagen. Die Jüngeren von uns kennen ihn nicht mehr und ansonsten, die
Leute, die ihn kennen, wissen auch nichts damit anzufangen. Wir wissen auch
nicht, ob es tatsächlich wahr ist, dass er derjenige ist, der diese
Staatsschutzaktion ausgelöst hat. Das wird zwar behauptet, aber wir
wissen im Grunde nichts Konkretes über das, was er ausgesagt hat. Es
gibt da eine Menge Gerüchte, eine Menge Spekulationen darüber,
wie er womöglich dazu gebracht worden sein könnte, dass er was
gesagt hat und was er gesagt hat. Wir wissen es nicht und wir sagen deshalb
auch möglichst wenig dazu. Es ist aber so, dass davon ausgegangen
werden kann, dass er im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung hier noch
begüngstigt wird im Sinne von Aussagen, aber was da jetzt konkret
gesagt wurde, ist nicht klar. Wieviel seine Angaben, wenn er sie denn
tatsächlich gemacht hat, wert sind, kann man daran sehen, dass im
Mehringhof nichts, aber auch gar nichts gefunden worden ist im Hinblick auf
Waffen oder Sprengstoff, was er behauptet hat, angeblich.
Frage: Na gut, das war dann eben der Vorwand, der dazu nötig war,
um den Mehringhof zu durchsuchen.
FFM: Richtig.
Frage: Es sind ja aber auch die Anschläge, die den Festgenommenen
vorgeworfen werden, größtenteils schon längst
verjährt.
FFM: Nicht größtenteils, sie sind alle verjährt. [Das
muß aus heutiger Sicht natürlich richtig gestellt werde!
Verjährt sind lediglich die Knieschüsse (10 Jahre), nicht
verjährt sind die vorgeworfenen Sprengstoffanschläge von 1987 und
1991 (20-Jahre-Frist) unmd nicht verjährt ist die "Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung" nach § 129 a, wenn - wie es
die BAW tut - 1993 brw 1995 (Rote Zora) als letzte relevante Anschläge
der RZ zugrunde legt - Anmerkung d.webmasters vom April 2000]
Frage: Das heißt als Anklagepunkt bleibt eigentlich
"nur" noch die Mitgliedschaft in einer "terroristischen
Vereinigung" nach §129a übrig. Stimmt das so?
FFM: Ja, das stimmt so. Es scheint so zu sein, das kann man der
Presseerklärung der Generalbundesanwaltschaft und auch dem
Durchsuchungsbeschluß für den Mehringhof entnehmen, dass sie ein
Ende der Revolutionären Zellen so zwischen 1992 und 1995 datieren,
also, da wäre eine Verjährung der Mitgliedschaft quasi
verschoben. Tatsache ist aber, dass im Grunde genommen hier alle von dieser
Aktion insofern überrascht worden sind oder irritiert dastehen, weil
die Revolutionären Zellen einfach Geschichte sind.
Frage: Nun gut, dann kann man ja die Frage stellen, was sollte das
Ganze?
FFM: Tja, was sollte das Ganze? Ich denke mal, auf der einen Seite, das
kann man noch nicht mit ganzer Klarheit sagen, aber dass dahinter steckt,
dass auf jeden Fall Flüchtlingsunterstützungsarbeit
kriminialisiert werden soll, ist zumindest mal ein plausibler Gedanke. Das
andere ist, dieses ewige Auf-Etwas-Herumreiten, was es gar nicht mehr gibt.
Es ist einfach schon immer Politik gewesen, etwas wie
"Linksterrorismus" hochzuspielen und mit diesem Hochspielen auch
von anderen Sachen abzulenken. Es gäbe genügend andere Themen als
etwas, was auch in unseren Augen definitiv Geschichte ist.
Frage: Euer Mitarbeiter Harald ist ja Mitbegründer der
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration und bis in die Gegenwart
aktives Mitglied in Projekten und Aktionen gegen die
Flüchtlingspolitik der BRD. Seht ihr denn die Razzia und die Festnahme
auch als Aktion gegen eure Aktivitäten, gegen die gegenwärtige
antirassistische Bewegung in der BRD im Allgemeinen?
FFM: Wie ich gerade schon gesagt habe, dieser Gedanke ist nicht ganz von
der Hand zu weisen. Andererseits möchte ich uns auch nicht zu wichtig
nehmen. Ich denke, dass das, was antirassistische Arbeit und
FlüchtlingsunterstützerInnenstrukturen leisten, ist leider Gottes
sehr wenig. Wir sind ja zahlenmäßig sehr sehr wenige Leute in
ganz Deutschland. Aber es scheint auf jeden Fall so zu sein, dass zumindest
sich auch hier nochmal informiert wurde innerhalb des Mehringhofs: Was sind
hier überhaupt für Gruppen tätig? Und es ist ja nicht nur
die Forschungsgesellschaft hier tätig, sondern auch noch andere - das
Büro für medizinische Flüchtlingshilfe,
MigrantInnenselbstorganisierungsgruppen und sowas. Ich denke, dass die auf
jeden Fall getroffen werden sollten davon.
Frage: Ich hab da so eine Liste gesehen, ich weiß nicht, von der
BAW oder so, was alles durchsucht werden sollte, das waren ja über
zwanzig, dreissig Projekte. Wurden die alle durchsucht?
FFM: Alle. Zumindest sind Beamte immer rein gegangen und haben die
Computer angemacht und reingeguckt, wobei man fairerweise auch dazu sagen
muss: Sie haben keine Computer mit genommen. Ich schätze mal, dass sie
das alles ganz gut verwanzt haben, das ganze Haus, aber ansonsten...
Frage: ... haben sie nur Sprengstoff gesucht.
FFM: Richtig, genau.
Frage: Konntet ihr denn jetzt schon Kontakt zu Harald und den anderen
Gefangenen aufnehmen?
FFM: Es gibt erste Kontakte, aber das gestaltet sich alles relativ
zäh, natürlich, weil die Post ja über die
Generalbundesanwaltschaft an die Anstalten weiter geleitet wird und
offensichtlich hat derjenige Staatsanwalt, der damit beauftragt ist, die
Post zu lesen, noch nicht angefangen, zu arbeiten. Das heißt, bei dem
stapeln sich Briefe für Axel, unseren Mehringhof-Hausmeister und
Harald, unseren FFM-Mitarbeiter zur Zeit gerade. Aber wir haben erste
Nachrichten aus dem Gefängnis. Wir haben einen Brief von Harald
bekommen und es geht ihm den Umständen entsprechend ganz gut.
Frage: Haben sie sich denn schon zu den Anschuldigungen
geäußert?
FFM: Nein. Ich denke, dass jetzt die ersten Gespräche mit ihren
Anwältinnen und Anwälten geführt werden und sie haben sich
dazu definitiv noch nicht geäußert.
Frage: Stichwort Solidarität - was ist denn bisher gelaufen?
Es hat zwei, eine spontane und eine geplante Kundgebung dazu gegeben, in
Berlin. Es hat in der Zwischenzeit eine ganze Menge
Solidaritätserklärungen gegeben aus ganz Deutschland vor allen
Dingen aus dem antirassistischen Spektrum. Ansonsten gestaltet sich das
alles natürlich eher etwas zäh, weil wir natürlich sehr
ratlos sind erstmal, wie wir was machen sollen und was wir machen sollen,
aber langsam kommt es in die Gänge. Wir kommen jetzt langsam zu einer
Öffentlichkeitsarbeit und wollen natürlich erstmal ganz viele
Soliveranstaltungen machen, um auch Geld zu sammeln, denn das wird sehr
sehr teuer, unsere FreundInnen im Gefängnis vertreten zu lassen von
AnwältInnen. Dann sind sie natürlich nicht in Berlin inhaftiert,
sondern Axel ist in Wuppertal, Harald in Düsseldorf. Das heißt,
es kommen immense Reisekosten auf Anwälte, Angehörige und Freunde
zu. Das heißt, wir müssen Geld sammeln.
Frage: Wie kommen denn diese Haftorte zu Stande?
FFM: Keine Ahnung. Keinen blassen Schimmer, warum das so ist und warum
die Leute dort sitzen. Der Tarek zum Beispiel, den du vorhin genannt hast,
der sitzt in Köln, die in Frankfurt festgenommene Frau, Sabine,
für deren Freilassung wir uns auch stark machen, sitzt meines Wissens
in Frankfurt, ich weiß es allerdings nicht ganz genau. Der
Prozeß selber, wenn es denn zu einem kommen sollte, wird dann aber in
Berlin sein. Das heißt, da wird es dann ein bisschen einfacher, die
Prozessbeobachtung zu machen. Aber, um nochmal auf die Solidarität zu
sprechen zu kommen: Wir wollen natürlich auch, dass von uns
unterstützenden Gruppen bundesweit das Thema aufgenommen wird und dass
Veranstaltungen dazu gemacht werden. Wir sind gerade dabei, Infopakete
zusammen zu stellen, damit die Leute auch wissen, worum es geht. Was waren
die Revolutionären Zellen? Was hat das mit uns heute zu tun? Denn, ich
meine, wenn die Leute schon die ganze Zeit vom Rechtstaat reden, dann
sollen sie bitte auch in Betracht ziehen, dass diese vorgeworfenen Taten
einfach alle verjährt sind, was die Generalbundesanwaltschaft auch
klar stellt. Natürlich ist es so, dass wir hier alle die Bücher
rausgezogen haben, die "Früchte des Zorns", die
Erklärungen der Revolutionären Zellen / Rote Zora und dass
natürlich ein verstärktes Interesse an Diskussionen besteht. Was
waren das damals für bewaffnete, militante Aktionsformen? Aber, wir
sehen uns im Moment auch noch nicht veranlasst, konkret etwas dazu zu
sagen. Immerhin, ein Effekt der Staatsschutzaktion ist auf jeden Fall, dass
hier eine verstärkte Diskussion, ein verstärktes Interesse an
RZ-Geschichte entstanden ist.
Frage: Der übliche Nebeneffekt. Die Frage ist dann aber
natürlich, ob es auch zu einer starken Mobilisierung kommt oder ob das
auch wirklich den Gefangenen was nützt, oder?
FFM: Ja, das ist natürlich einer der Hauptpunkte, die hier gerade
diskutiert werden. Inwieweit soll man überhaupt auf diese
Vorwürfe eingehen, inwieweit soll man überhaupt etwas dazu sagen?
Sich hier von Repressionsseite ein Thema aufzwingen zu lassen, ein Thema,
das uns seit mindestens zehn Jahren nicht mehr so umtreibt unbedingt. Ich
meine, wir machen alle Flüchtlings- und MigrantInnenarbeit und wir
wissen, dass sich die Situation seit den Aktionen der Revolutionären
Zellen extrem verschlimmert hat, die Situation der Flüchtlinge und
MigrantInnen in Deutschland oder auch in den Transitstaaten und weltweit.
Ich nenne nur die Stichworte: Aktionspläne, Regionalisierung von
Flucht und Migration, Lagerpolitik gegen Flüchtlinge, Militarisierung
der Flüchtlingsabwehr. Das sind alles Themen, mit denen wir zu tun
haben und zu denen ich ohne Probleme eine Stunde Radio-Interview machen
könnte.
Frage: Und zu denen natürlich die RZ vor über zehn Jahren
vielleicht die ersten waren, die sich auch auf eine massivere Weise damit
befasst haben.
FFM: Richtig. Man muss ja schon immer klarstellen, das sie sich nicht
nur mit Flüchtlingspolitik beschäftigt haben, dass aber diese
vorgeworfenen Anschläge auf den Bundesrichter Korbmacher, auf den
Ausländerbehördenleiter Harald Hollenberg und auf die zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber, sich natürlich auf die
Flüchtlingspolitik bezogen haben, nicht aber zahllose andere Aktionen
von RZ-Gruppen.
Vielen Dank für das Interview.
16 kurz Musik: Apollo Four Forty: White Man´s Throat 30
Wer waren eigentlich die Revolutionären Zellen? Lassen wir
zunächst den baden-württembergischen Verfassungsschutz und dann
die RZ selbst sprechen: Aus dem Verfassungsschutzbericht von
Baden-Württemberg, Kapitel "Linksextremismus", Absatz 4.3.3.
"Revolutionäre Zellen" (RZ) 31
[Verfassungsschutzbericht] "Nachdem 1972 durch die Festnahme der
Führungskader der RAF die Nachteile einer geschlossen im Untergrund
operierenden Terrorgruppe deutlich geworden waren, kam es bei einem Teil
des linksextremistischen Spektrums zu Überlegungen über die
bestmögliche Organisationsform des "bewaffneten
revolutionären Kampfes" in der Bundesrepublik Deutschland.
Konzipiert wurde dabei die Idee, eigenständige Kleingruppen
("Revolutionäre Zellen") zu gründen, die keine
zusammenhängenden Strukturen aufweisen und aus der Legalität
heraus operieren. ... Die streng voneinander abgeschotteten Gruppen
bestanden danach meistens aus drei bis fünf Mitgliedern, die in der
Regel ein unauffälliges, bürgerliches Leben (Beruf, Studium etc.)
führten und in ihrer Freizeit Anschläge planten und
ausführten. Sie wurden deshalb bald auch als
"Feierabendterroristen" bezeichnet. Konzept und Strategie der RZ
wurden in der Folge in konspirativ vertriebenen Szeneschriften
(zunächst "REVOLUTIONÄRER ZORN", dann auch
"radikal", "INTERIM" etc.) propagiert, die bis in die
jüngste Zeit auch Bauanleitungen von Spreng- und Brandsätzen
enthielten. Auf diese Weise sollten potentielle Nachahmer -
überwiegend aus dem militanten autonomen Spektrum - zu eigenen
Aktionen und zur Gründung von "Resonanz-RZ" ermuntert
werden. In kaum einer Taterklärung fehlte deshalb auch der Aufruf
"Schafft viele Revolutionäre Zellen".
Bei der Auswahl der angegriffenen Objekte orientierten sich die RZ an
aktuellen gesellschaftspolitischen Problemen bzw. Reizthemen wie
Wohnungsnot, Rüstungsexporte, Gentechnik, Asylpolitik etc.. Ziele von
Anschlägen waren deshalb in der Vergangenheit Wohnungsbauunternehmen,
Kaufhäuser, Betriebe mit Verbindung zu kerntechnischen Einrichtungen,
Computerhersteller, Datenverarbeitungsanlagen,
"Rüstungsfirmen", Großbanken,
Gewerkschaftsgebäude, Genforschungsinstitute sowie Behörden, die
mit Ausländer- und Asylbewerberangelegenheiten befaßt sind. In
Baden-Württemberg, das zu keiner Zeit Schwerpunkt von
RZ-Aktivitäten war, kam es bisher zu zwei nennenswerten
Anschlägen der RZ: * 22. Juni 1987: Sprengstoffanschlag auf die
Niederlassung des Chemieunternehmens Ciba-Geigy in Tübingen ? 22.
August 1991: Sprengstoffanschlag auf das Ausländeramt des Landratsamts
in Böblingen ..." kurz Musik: Apollo Four Forty: White
Man´s Throat
Auch wenn der Verfassungsschutz so tut, als gäbe es die RZ immer
noch, wird über die Revolutionären Zellen bereits längst
Geschichte geschrieben. Im Berliner ID-Verlag erschien bereits vor einigen
Jahren der Doppelband "Die Früchte des Zorns" über die
Revolutionären Zellen und die Rote Zora. Darin sind alle von den RZ
veröffentlichten Texte, vor allem die Anschlagserklärungen
nachzulesen. Den in Berlin und Frankfurt Festgenommenen wird
hauptsächlich eine Beteiligung an der RZ-Kampagne für
"freies Fluten" vorgeworfen. Deshalb zitieren wir hier im
Folgenden beispielhaft aus einer RZ-Erklärung aus dem Jahr 1989 nach
Anschlägen auf das Verwaltungsgericht Düsseldorf und das
Oberverwaltungsgericht Münster.
35 [RZ-Erkärung von 1989] "Soziale Revolution gegen
imperialistische Flüchtlingspolitik! Sie machen sich nicht selbst die
Hände schmutzig. Sie beteiligen sich nicht selbst an Folterungen,
Vergewaltigungen oder Hinrichtungen, etwa von kurdischen oder tamilischen
Frauen und Männern. Dennoch-ihre Arbeit ist ein blutiges
Geschäft. Sie sind ein kleines, aber wirksames Rad im internationalen
Klassenkrieg gegen die Armen der 3 Kontinente. Ihre Waffe ist das
Asylrecht. Ihr Schutz die Anonymität des Justizapparates: die Richter
an den Asylkammern der westdeutschen Verwaltungsgerichte
..... Wir haben heute am Oberverwaltungsgericht Münster und im
Verwaltungsgericht Düsseldorf Sprengsätze gezündet, weil
alle, die sich an der Aussonderung und Kontrolle von Flüchtlingen und
ImmigrantInnen beteiligen, wissen sollen, daß auch sie die
Solidarität der Unterdrückten treffen kann. .....
Wir haben inzwischen gelernt, daß die imperialistische
Flüchtlingspolitik nicht geschlechtsneutral ist. Wenn Männer in
der Metropole den Kampf gegen institutionalisierte Formen männlicher
Macht aufnehmen, dann nicht unter dem Vorzeichen einer angeblichen
Gleichheit. Das wäre nichts anderes, als der Ansatz zu einer neuen
Dimension des Betrugs. Denn als Metropolenmänner sind wir selbst Teil
des Problems, Profiteure der sexistischen und rassistischen
Machtstrukturen. Deshalb ist unser Kampf für die Aufhebung aller
Gewaltverhältnisse mit Sicherheit erstmal ein widersprüchlicher
Prozeß. Der Bezug auf den weltweiten Widerstand von Frauen und
Farbigen muß aber praktisch werden und hier die institutionalisierten
Formen des Rassismus und Sexismus angreifen - Solidarität ist ein
Kampfbegriff.
Wir knüpfen heute an unsere Kampagne gegen die imperialistische
Flüchtlingspolitik an, die wir begonnen hatten, als im Sommer 86 die
rassistische Mobilisierung gegen Flüchtlinge als Hetzkampagne gegen
"Wirtschaftsflüchtlinge" und "Überfremdung"
einsetzte. Ergebnis dieser wohlinszenierten Staatskampagne waren die
verschärften Lebensbedingungen für Flüchtlinge und die
dichten Grenzen.
....... Die Repression wird aber nicht im Protest gegen die Repression
selbst gebrochen, sondern durch die Verankerung sozialrevolutionärer
Politik. Die politische Entwicklung in diesem Land, insbesondere die
Wahlerfolge neofaschistischer Gruppen, haben uns darin bestätigt,
daß antiimperialistische Politik in der Metropole nur dann eine
Perspektive hat, wenn sie gleichzeitig auch eine Antwort ist auf die
sozialen Fragen. Das Herz des Staates ist das Bewußtsein der
Unterdrückten - Revolution ist ohne den Kampf um die Köpfe der
Menschen nicht denkbar. ...... Wir hatten nie die Illusion, daß Teile
der proletarischen Jugend, der Frauen, der Arbeitslosen oder andere Teile
der Gesellschaft rasch gemeinsame Interessen mit Flüchtlingen und
ImmigrantInnen entwickeln würden, dafür greifen der Sexismus und
der Rassismus nur zu gut. Antiimperialismus muß aber genau dort
angesiedelt sein und diesen Knoten durchschlagen.
Den Befreiungskampf der Frauen und Farbigen in den drei Kontinenten
aufgreifen-
Den antiimperialistischen Kampf im "Herz der Bestie"
führen!
Revolutionäre Zellen
Kurz Musik: Apollo Four Forty: White Man´s Throat
Soweit einige exemplarische Sätze aus den Federn der RZ.
Charakteristisch für die RZ war, daß sie im Gegensatz zu anderen
bewaffneten Gruppen auf einen elitären Ansatz verzichtet haben. Auch
in ihren Methoden haben sie sich etwa von der RAF deutlich unterschieden.
Für die RZ war Militanz kein Selbstzweck, sondern sie sollte die in
der Öffentlichkeit tätigen Bewegungen stärken. Die RZ
konzentrierten sich auf Sabotageaktionen und sie lehnten die Tötung
von Menschen ab. Der gezielte Schuß ins Knie war die besondere Form,
mit der die RZ gegen Täter wie Korbmacher und andere operierten. Die
RZ haben inhaltlich im Gegensatz zur RAF Rassismus und Sexismus
thematisiert und ihre eigenen Subjektivitäten in die Analyse
einbezogen. Das hat schließlich auch zur Aufteilung der RZ in
Revolutionäre Zellen und Rote Zora geführt, der
eigenständigen militanten Frauenorganisierung.
Aber wie bereits gesagt, das ist Geschichte. Die RZ haben sich im Jahr
1992 aufgelöst. Sie haben die Konsequenzen aus ihren internen Fehlern
und Widersprüchen und aus den gesellschaftlichen Veränderungen
gezogen. Die Gründe für ihr eigenes Ende haben sie in dem Papier
"Das Ende unserer Geschichte" offen gelegt.
Wer sich über die Geschichte, die Aktionen und Erklärungen und
auch über das Ende der RZ näher informieren möchte, sollte
sich den Doppelband "Die Früchte des Zorns" besorgen oder
bei Gelegenheit im Tübinger Infoladen darin schmökern.
Hintergrundinformationen zur RZ und zu den aktuellen Verhaftungen gibt es
selbstverständlich auch in einschlägigen Zeitschriften wie dem
AK, der Jungle World oder der Interim und auch im Internet.
Hier sind zu empfehlen: die Internetseite des Journalisten Oliver
Tolmein. Sie lautet ganz einfach: www.tolmein.de oder auch die Linke Seite:
www.linkeseite.de. Von dort aus gibt es auch viele Links zu anderen Seiten.
40
Musik: Anarchist Academy: Grüngrossdeutschland 42
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