Datum:
09.12.2000
|
Zeitung:
Tageszeitung
|
Titel:
"Jedes Herz eine revolutionäre Zelle"
|
"Jedes Herz eine revolutionäre Zelle"
Anders als die RAF waren die RZ in der linken Westberliner Szene
überaus populär. Ihr Mythos allerdings ist längst
noch nicht aufgearbeitet, wie der Prozess gegen Tarek Mousli sowie
dessen Beschuldigungen jetzt zeigen
von UWE RADA
Die Meldung lief im Radio. Die "Revolutionären Zellen"
hätten einen Anschlag auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht,
Günter Korbmacher, verübt. Unbekannte hätten ihm
von einem Motorrad aus zwei Mal in den linken Schenkel geschossen.
Als Grund wurden Korbmachers Urteile im Asylverfahren genannt. Kurze
Zeit später wurde auf den linken Demos in Westberlin skandiert:
"Schüsse in die Beine - für die Richterschweine!"
Anschläge der Revolutionären Zellen (RZ) waren in den
Achtzigerjahren in manchen Kreisen so populär wie später
ein Sieg des FC St. Pauli gegen Bayern München oder die Finten,
die der Kaufhauserpresser Dagobert der Berliner Polizei geschlagen
hat. Die Freude war nicht nur klammheimlich, sondern ausdruckstark,
und das RZ-Logo wurde, noch lange bevor die Webdesigner zu ihrem
Siegeszug antraten, zum Markenzeichen linksradikaler Popkultur.
Ob die "Feierabendterroristen" das wollten oder nicht.
Der gängige Sound
Wahrscheinlich wollten sie, auch wenn sie das selbst nie zugegeben
hätten. "Jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle"
war der gängige Sound dieser Jahre. Und wer wollte von sich
nicht behaupten, revolutionär zu sein und gleichzeitig Herz
zu haben. Wer wollte nicht "Gefühl und Härte"
zeigen, und das alles im Hier und Jetzt?
Anders als in den 90er-Jahren, in denen der subkulturelle Underground
zwischen Techno, Hiphop und der ethnischen Selbstdefinierung in
der "Kanak Sprak" oszillierte, hatten die Achtziger mit
individuellen Selbstbehauptungsstrategien noch wenig am Hut. "We
dont want just one cake, we want the whole fucking bakery"
- "Wir wollen nicht nur ein Stück Kuchen, wir wollen die
ganze Bäckerei", lautete die Metapher für den unversöhnlichen
Gestus der radikalen Linken, der von den "Revolutionären
Zellen" weit in die Kreuzberger und Schöneberger Wohngemeinschaften
reichte.
Das "Revolutionäre" der 80er-Jahre war die Permanenz
einer tatsächlichen oder vermeintlichen "Kampfsituation",
die sich entlang der damaligen Ereignisse, vom Häuserkampf
der frühen Achtziger bis hin zum IWF-Kongress in Berlin im
September 1988 wie Perlen an einer Kette reihten.
Permanent im Kampf
Von all diesen Jahren war 1987 ein ganz besonderes. Mobilisiert
von den Straßenschlachten und Plünderungen beim Kreuzberger
"Maiaufstand" und dem Reagan-Besuch im Juni, befanden
sich vor allem die Szenegänger, Politaktivisten und Subkulturellen
in Kreuzberg im Zustand der ständigen Konfrontation mit der
Staatsmacht.
Gleichzeitig zeichnete sich eine Verschiebung der linksradikalen
Themenschwerpunkte und Kampagnen zu Gunsten der sozialen Konflikte
in den "Stadtteilen" ab. Zu einer Kreuzberger Kiezdemonstration,
die im November 1987 stattfand, versammelten sich neben der autonomen
Szene auch jene Aktivisten, die bereits in der AL eine politische
Heimat gefunden oder sich schon damals ins Privatleben zurückgezogen
hatten.
Als im September 1987 die Meldung vom RZ-Anschlag auf Günter
Korbmacher im Radio lief, knallten in nicht wenigen Wohngemeinschaften
die Sektkorken. Die "Revolutionären Zellen" waren
damals ebenso Teil der Szene wie jedes Herz eben eine revolutionäre
Zelle war.
Aus heutiger Sicht befremdet vieles. Warum hatte man zu Schüssen
in die Beine Beifall geklatscht, wo doch die Grenze zwischen der
Gewalt gegen Sachen und der Gewalt gegen Personen immer eine Rolle
gespielt hatte? Und was war mit dem Anschlag auf den hessischen
Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry? Ein "Versehen",
wie es in den Veröffentlichungen der RZ immer hieß, oder
doch eine billigend in Kauf genommene Tötung oder sogar ein
kaltblütiger Mord?
Keine Zeit für Fragen
Solche Fragen waren damals nicht en vogue. Bis zum Fall der Mauer
genossen die RZ nach wie vor den Ruf der populären Guerilla,
ganz im Gegensatz zur RAF und auch zur damals schon nicht mehr aktiven
Bewegung 2. Juni.
Als im Wintersemester 1988 zahlreiche Universitätsinstitute
in Berlin besetzt wurden und einer der längsten Studentenstreiks
zu dieser Zeit begann, war das Otto-Suhr-Institut in Dahlem schnell
in Ingrid-Strobl-Institut umbenannt. Ingrid Strobl, langjährige
Redakteurin der Frauenzeitschrifft Emma, befand sich zu diesem Zeitpunkt
bereits seit mehreren Monaten in Haft und wartete auf ihren Prozess
wegen angeblicher Mitgliedschaft bei der "Roten Zora".
Später wurde sie zu fünf Jahren Haft verurteilt - der
Kauf eines bei einem Anschlag der Roten Zora gegen die Lufthansa
benutzten Weckers hatte dem Oberlandesgericht Düsseldorf als
Indiz zum Schuldspruch genügt.
Beifall für die Rote Zora
Im linken universitären Milieu war Strobl schnell zur Identifikationsfigur,
zur "revolutionären Heldin" geworden. Ihre journalistischen
Arbeiten zur Bevölkerungspolitik, zu den Täterprofilen
im Faschismus, zu Frauenhandel und Sextourismus fanden damals ein
breites Publikum. "Wenn das eine Terroristin ist, dann sitzen
wir alle auf der Anklagebank", hieß es damals auch bei
Professoren.
Entsprechend groß war die Solidarisierung. Und entsprechend
gering die Distanz zu tatsächlich von den Revolutionären
Zellen und der Roten Zora verübten Anschlägen. Das betrifft
vor allem die Brandanschläge auf die Bekleidungsfirma Adler.
Nach einem Streik der Adler-Mitarbeiterinnen in Südkorea hatte
die Firma zunächst alle Mitarbeiterinnen entlassen. Nach einer
von Frauengruppen organisierten Kampagne gegen Adler und den Anschlägen
der Roten Zora waren zumindest Teilerfolge in diesem Arbeitskampf
erzielt worden. Erfolge konnten zuvor auch die "Revolutionären
Viren", die selbst ernannte "Jugendorganisation"
der RZ, verbuchen. Sie zerstörten 1987 bei einem Brandanschlag
zahlreiche Akten bei der zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber
in Berlin. Zeitweilig war es dadurch zu einem ungeplanten Abschiebestopp
durch die Berliner Ausländerbehörde gekommen.
Eine erste Entfremdung
Das war der Stoff, aus dem der Mythos RZ gemacht war, ein Mythos,
der erst nach dem Fall der Mauer zu bröckeln begann.
Ende April 1990 fackelte eine Gruppe der Revolutionären Zellen
am Berliner Wittenbergplatz das Möbelgeschäft "Wohnen
2001" ab. In einem Bekennerschreiben hieß es, dass es
nach dem nationalen Taumel zu einer beabsichtigten Zerstörung
des sozialen Milieus in Kreuzberg komme. Das Möbelgeschäft
sei ausgewählt worden, weil es zahlungskräftige Kunden
in Berlin halten und nach Berlin locken solle.
Der Anschlag auf "Wohnen 2001" war eine der ersten RZ-Aktionen,
die in der Berliner Szene weit gehend auf Ablehnung gestoßen
waren, und dies nicht nur, weil "Schöner Wohnen"
längst auch bei den Politaktivisten in Kreuzberg zum selbstverständlichen
Standard gehörte. Es war vor allem das ungebrochene Freund-Feind-Denken,
das nach dem Fall der Mauer befremdend anmutete. Hatte nicht gerade
die DDR gezeigt, dass der Zweck die Mittel gerade nicht heiligte,
dass es mehr Widersprüche als die zwischen Kapital und Arbeit,
Metropole und Dritter Welt, Frauen und Männern gibt? Und: Trug
nicht jeder, auch die selbst ernannten Protagonisten der sozialen
Revolution, diese Widersprüche in sich? War nicht auch jedes
revolutionäre Herz zugleich eine bürgerliche Zelle?
Gerd Albartus ist tot
Es ist vielleicht eine der Ironien linker Geschichte, dass weniger
die linksradikale Szene sich diesen Fragen stellte als vielmehr
die Revolutionären Zellen selbst. Eine Gruppe aus den RZ veröffentlichte
im Dezember 1991 ein mehrseitiges Papier mit dem schlichten Titel
"Gerd Albartus ist tot". Sie schildert darin nicht nur
die Ermordung des RZ-Mitglieds Albartus durch militante Palästinenser,
sondern auch die Zäsur, die die Entführung eines Flugszeugs
im äthiopischen Entebbe für die RZ bedeutet hätte.
1976 hatte ein Kommando einen Airbus der Air France in seine Gewalt
gebracht und die Freilassung von 50 Gefangenen gefordert. Nachdem
die übrigen Passagiere freigelassen wurden, nahm das Kommando
100 israelische Passagiere als Geiseln. Am 4. Juli 1976 wurden die
Flugzeugentführer, zu denen auch die RZ-Mitglieder Brigitte
Kuhlmann und Wilfried Böse gehörten, erschossen.
Der Mythos bröckelt
Erst hinterher, so die späte Selbstkritik, habe man überhaupt
die Dimension dieser Aktion, die Aussonderung von jüdischen
und nicht jüdischen Passagieren begriffen. Doch erst der Mord
an Albartus hatte dazu geführt, die Selbstkritik öffentlich
zu machen.
Auch das RZ-Mitglied Tarek Mousli, gegen den derzeit in Berlin
verhandelt wird und wegen dessen Aussagen vier andere Personen der
Mitgliedschaft bei den RZ beschuldigt werden, ist nach eigenen Angaben
nach Bekanntwerden des Tods von Albartus, der ihn selbst angeworben
haben soll, auf Distanz zu den Revolutionären Zellen gegangen.
In dieser Zeit, nach einem gescheiterten Anschlag auf die Berliner
Siegessäule und der Selbstauflösung einer westdeutschen
"Zelle", spielten die RZ in der Szene eine immer geringere
Bedeutung.
Die 80er unter Anklage
Beim aktuellen Prozess gegen Tarek Mousli und dem folgenden, bei
dem dann die von Mousli beschuldigten Axel Haug, Harald Glöde,
Sabine Eckle und Matthias Borgmann auf der Anklagebank sitzen werden,
wird es aber nur juristisch um die von den RZ verübten Anschläge
und eine mögliche Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
gehen.
Politisch sitzen, nach all den Jahren trügerischer Ruhe, auch
all jene auf der Anklagebank, die in den Achtzigerjahren dem Mythos
RZ zur Popularität verholfen haben. Dies ist für die linke
Szene von damals in doppelter Hinsicht ein "Schock".
Einmal, weil viele von ihnen längst andere biografische Abschnitte
begonnen haben. Zum andern, weil zugleich eine Aufarbeitung der
eigenen Widersprüche in jener Zeit zumeist unterblieben war.
Viele der Fragen von damals stellen sich nun mit umso größerer
Dringlichkeit.
Der Bundesanwaltschaft kann das freilich gerade recht sein, kann
sie so doch einen "Terroristenprozess" präsentieren,
bei dem ein reuiger Tarek Mousli gegen die unverbesserlichen Verfechter
militanter Politik zu Felde zieht. Und bei dem ganz nebenbei die
RZ wieder zum Mythos zu werden droht.
|