Datum:
02.06.2001
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Zeitung:
Spiegel
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Titel:
"Als wenn es mich nicht gäbe"
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"Als wenn es mich nicht gäbe"
1987 flüchtete Corinna Kawaters vor der Polizei und vagabundierte
acht Jahre lang als Illegale durch Frankreich und Spanien. Erstmals
spricht eine untergetauchte Ex-Terroristin aus dem Umfeld der "Revolutionären
Zellen" darüber, wie sie sich durchschlug - mit mehr Glück
als Verstand.
Wenn der sächsische Geschäftsmann Michael Merkel dieser Tage
auf dem Golfplatz seine Eisen auspackt, kann er sicher sein, dass ihn
Geschäftspartner und Freunde auf "die Sache mit Corinna"
ansprechen, von der er ihnen erzählt hat. Die finden sie
"hip".
Corinna Kawaters, 48, aus Köln ist Michaels große Liebe. Und
sie hat versprochen, ihm demnächst einmal zuzusehen, wenn er den Ball
ins letzte Loch des Leipziger Rundkurses puttet. "Was heißt denn
putten?", fragt sie und lacht unsicher.
Caddy? Coupé? Für Michael Merkel, 49, der in den Jahren nach
der Vereinigung zu beträchtlichem Wohlstand gelangte, gehört das
zum Inventar. Seiner Freundin scheint dieser Luxus ein bisschen
peinlich.
Ein Wunder ist das nicht - Corinna Kawaters, bis Dezember 1987
Redakteurin bei der "Tageszeitung" ("taz") im Büro
Bochum, wurde als Mitglied der "Roten Zora" gesucht, einer
Frauengruppe aus dem Umfeld der Terrororganisation "Revolutionäre
Zellen" (RZ). Sie lebte acht Jahre lang im Untergrund. 1995 stellte
sie sich freiwillig den deutschen Gerichten und wurde - auf Bewährung
- zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Nur weil an jenem 18. Dezember 1987 ein zufällig
vorbeischlendernder Spaziergänger die "taz"-Zentrale in
Berlin darüber informierte, dass ein massives Polizeiaufgebot deren
Bochumer Dependance besetzt habe, konnte Corinna Kawaters entfliehen.
"Euer Büro wird durchsucht", hatte der
"taz"-Freund gemeldet.
Die Redaktion gab sofort eine Meldung an die Agenturen, die Aktion
"Zobel" des Bundeskriminalamts wurde zur Unzeit publik. Den
Fahndern entwischten mindestens vier mutmaßliche Terroristen -
darunter Kawaters.
In Kawaters' Wohnung, unweit des Bochumer Büros der
"Tageszeitung", entdeckten die BKA-Fahnder einen in
Geschenkpapier eingewickelten Wecker der Marke Emes Sonochron. Ein solches
Uhrwerk hatten die Revolutionären Zellen und die Rote Zora als
Zünder bei diversen Sprengstoffanschlägen in den achtziger Jahren
benutzt.
Kawaters erfuhr von der Aktion bei einem Streik-Gottesdienst im
Stahlwerk Rheinhausen. Dort stöberte sie ein Bekannter auf. Die
Journalistin war nicht überrascht: "Ich wusste doch, wofür
der Wecker verwendet werden könnte."
Kawaters schlang ein Kopftuch um die dunklen Haare und mischte sich
unter eine Gruppe türkischer Frauen, die das Werksgelände
verließ. Im DGB-Bus fuhr sie ins Duisburger Zentrum.
Zwei oder drei, höchstens vier Wochen wollte Corinna Kawaters
untertauchen. Es dauerte knapp acht Jahre, bis sie sich im Oktober 1995 dem
Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe stellte. Als
Mitglied der Roten Zora habe Kawaters, so befand das Stuttgarter
Oberlandesgericht drei Jahre später, Sprengstoffanschläge auf die
Bekleidungskette Adler im Sommer 1987 mit vorbereitet.
Von ihrem Leben im Untergrund hat die Kölnerin bislang selbst engen
Freunden nichts erzählt, um früheren Genossen nicht zu schaden.
Bis heute sind zahlreiche Anschläge von RZ und Roter Zora aus den
achtziger und frühen neunziger Jahren nicht aufgeklärt. Einige
ehemalige Stadtguerrilleros stehen noch auf den Fahndungslisten. In Berlin
müssen sich derzeit fünf mutmaßliche frühere
RZ-Mitglieder vor Gericht verantworten.
Nach dem ersten Fluchtwochenende in Deutschland setzt sich Kawaters nach
Frankreich ab - ohne Ausweis, aber ausgestattet mit etwas Bargeld. In Paris
übernachtet sie in einem billigen Hotel. Tagsüber streift die
Deutsche unruhig durch Cafés, Museen oder Kirchen. Ins
Gefängnis will sie auf keinen Fall. Zu viele schlimme Geschichten
über "Knast und politische Gefangene" hatte sie gehört
- und geglaubt. Lieber still im Ausland die Verjährung abwarten.
Schlimmstenfalls, so ihr Kalkül, werde sie wegen Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Die verjährt nach
fünf Jahren.
Paris ist zu teuer. Nach zwei Wochen bricht Kawaters im Januar 1988
Richtung Spanien auf. Erneut hat sie Glück und gerät nirgends in
eine Personenkontrolle. Kein einziges Mal während ihrer
achtjährigen Flucht muss sie einen Ausweis vorzeigen.
Irgendwann landet Kawaters in Granada. In einer Zeitungsanzeige sucht
eine Familie ein Hausmädchen. Die Leute wollen keine Papiere sehen,
finden die nicht mehr ganz junge Deutsche, die angeblich vor einer
geplanten Südamerika-Tour erst mal Spanisch lernen möchte,
sympathisch. Kawaters kriegt den Job und eine Kammer ohne Fenster. In dem
düsteren Zimmer wird ihr schon mal mulmig: "Keiner weiß, wo
du bist. Als wenn es dich nicht mehr gäbe."
Schauspielern konnte die Sozialwissenschaftlerin schon recht gut, als
sie noch im linken Bochumer Buchladen oder bei der Zeitung jobbte. Die
Hobby-Autorin von Krimis mit der Heldin "Zora Zobel" galt als
eher unpolitische Feministin, militante Ambitionen trauten Kollegen ihr
nicht zu. Die Bundesanwaltschaft hingegen schrieb Kawaters später eine
"Vordenkerrolle" für die Rote Zora zu. Beweis: ein
Zora-Zobel-Roman aus dem alternativen Milieu der frühen achtziger
Jahre.
Die Señora in Granada entlässt das Hausmädchen - wie
alle Aushilfen, bevor die Familie sich auf die Sommerresidenz
zurückzieht. Wieder auf Tingeltour, beschleicht die arbeitslose
Deutsche erstmals Heimweh.
Früher lebte Kawaters in einem großen Freundeskreis, jetzt
meidet die Illegale Gespräche und ist überall allein. Lief sie im
Ruhrgebiet gern als schrille Tiger-Lilly mit Leoparden-Hosen und Lackmantel
herum, zwängt sie sich nun in biederste Kleider. Wollknäuel und
Stricknadeln, einst verabscheut, sind ihre Dauerbegleiter: "Ohne Ende
habe ich Socken gestrickt."
Die erste Krise bahnt sich an. Wieder hat sie Glück. Im Sommer 1988
trifft sie einen Bekannten aus Deutschland, der sich ihr anschließt.
Aus Liebe, glaubt Kawaters.
Rastlos zieht das Paar durch Frankreich, von Hotel zu Pension, von
Apartment zu Campingplatz. Geld ist immer vorhanden, nur unterschiedlich
viel. Je nachdem, wie viele Spenden Sympathisanten in Deutschland
aufbringen und über verschlungene Pfade an die Untergetauchte
weiterleiten.
Die Angst vor Entdeckung wird zur zweiten Haut. Wer sich ständig
tarnen und andere täuschen muss, traut keinem mehr. In Panik
gerät Kawaters etwa, als sie auf dem Pariser Wochenmarkt im Viertel
Belleville einkauft. Uniformierte und Zivile stürzen durch das
Gewühl, fragen freundlich, ob sie nicht Madame Chirac, Gattin des
französischen Staatspräsidenten, die Hand schütteln wolle.
"Non, non", wehrt Kawaters ab, sie vermutet eine Falle, dreht
sich rasch weg - und blickt nur in arabische, schwarze und asiatische
Gesichter. Sie war die einzige Weiße auf dem Markt.
Museen und Kirchen öden irgendwann nur noch an: "Mein Bedarf
an Städtereisen ist lebenslang gedeckt." Patiencen fesseln selbst
passionierte Kartenleger nicht ewig. "Morgens steht man nicht gern
auf", erinnert sie sich, "der Tag ist leer."
Lernt die Nomadin nette Leute kennen, tischt sie eine Legende auf und
achtet streng darauf, dass die Bekanntschaft flüchtig bleibt. Die
ständige Lügerei nervt, die Moral bröckelt, alles Mist. Da
holt Kawaters, schon immer tierlieb, Mischling Pierrot aus dem Tierheim.
Der kleine Köter, bis heute treuer Begleiter, ist wenigstens ein durch
und durch legales Wesen. Pierrot verfügt über einen Impfpass -
und kann nichts ausplaudern.
Kawaters hat sich inzwischen darauf eingerichtet, fünf Jahre
auszuharren. Sie schmiedet Baupläne: "Man muss dem Leben doch
einen Sinn geben."
In einer dünn besiedelten Gebirgsregion findet sich zu einem
Spottpreis ein winziges Grundstück. Ringsherum haben Franzosen illegal
zahlreiche Ferienhäuser errichtet, man schweigt und hilft sich. Auf
einem Flohmarkt kauft sie Spaten, Schippe und einen Ratgeber für
Hobby-Klempner. Bis das Gebilde aus Feldsteinen, Holz und Blech steht,
mitsamt Badewanne und elektrischem Licht, vergehen Jahre. "So
geübt waren wir ja nicht." Zudem treibt die Furcht vor den
Fahndern sie immer wieder fort von der Baustelle.
Plötzlich hört sie, die Bundesanwaltschaft wolle sie wegen
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung anklagen.
Verjährungsfrist: 20 Jahre. "Ich fiel in ein tiefes Loch",
sagt Kawaters. Erst Weihnachten 2007, mit knapp 55 Jahren, könnte sie
gefahrlos nach Hause zurückkehren, Wahnsinn. Der Faden in die Heimat
ist nie vollständig gerissen, einmal besucht sogar die Mutter ihre
Tochter im Exil.
Sie will zurück. "Ich hatte es satt, weiterzuleben, als
gäbe es Corinna Kawaters gar nicht. Ich wollte einfach wieder normal
leben." Da kommt das Angebot gelegen, über das Aussteigerprogramm
des Verfassungsschutzes in die Legalität zurückzukehren. Die
Verhandlungen ziehen sich mehr als zwei Jahre hin. Am Ende verzichten die
Ermittler auf eine denunziatorische "Lebensbeichte". Kawaters
unterschreibt lediglich einen Satz, den sie später auch bei Gericht zu
Protokoll gibt: Sie habe gewusst, dass ihr Wecker "als
Zündzeitpunktverzögerer eingesetzt werden könnte und
möglicherweise auch sollte". Angeklagt und verurteilt wird sie
nur wegen Mitgliedschaft in der Roten Zora.
Wieder daheim fühlt sich die Neu-Kölnerin als Fremde. Der
antrainierte Verhaltenskodex, nicht aufzufallen, ist tief verwurzelt. Noch
lange zuckt Kawaters reflexartig zurück, wenn sie etwa sieht, wie eine
alte Frau stürzt oder jemand mit dem Arm in der U-Bahn-Tür klemmt
- bloß nicht helfen, anonym bleiben. Nach einigen ABM-Jobs als
Sozialbetreuerin schlägt Kawaters sich mit Arbeitslosenhilfe
durch.
Das Land Nordrhein-Westfalen gewährt ein kleines Stipendium
für ihren dritten Krimi mit Titelheldin Zora Zobel*. Mit ihrer
Vergangenheit im Untergrund hat das Buch nichts zu tun. Bis auf die Szene
mit Madame Chirac, beteuert Kawaters, sei alles erstunken und erlogen.
Wer sie damals, 1987, vor der Verhaftung gerettet hat, erfährt
Corinna Kawaters erst im Februar 2001. In der Berliner "Bar jeder
Vernunft" erzählt ihr Michael Merkel, er habe damals bei der
"taz" in Berlin angerufen. Die beiden kennen sich seit fast 30
Jahren. Schon 1974 hätte sie den Mann fast geheiratet.
Corinna Kawaters: "Zora Zobel auf Abwegen". Espresso Verlag,
Berlin; 256 Seiten; 19,90 Mark.
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