Datum:
11.04.2007
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Zeitung:
junge Welt
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Titel:
»Rote Zora« vor Gericht
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»Rote Zora« vor Gericht
20 Jahre nach zwei versuchten Sprengstoffanschlägen wird
am heutigen Mittwoch in Berlin der Prozeß gegen Adrienne G.
eröffnet
Rund 20 Jahre nach zwei versuchten Anschlägen wird einer
Aktivistin der politisch-militärischen Untergrundgruppe
»Rote Zora« jetzt der Prozeß gemacht. Vor dem
Staatsschutzsenat des Kammergerichts Berlin beginnt am heutigen
Mittwoch die Verhandlung gegen Adrienne G.
Generalbundesanwältin Monika Harms wirft ihr Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung und versuchtes Herbeiführen
eines Sprengstoffanschlags in zwei Fällen vor. Die »Rote
Zora« war als autonome Frauengruppe der
»Revolutionären Zellen« bis 1995 aktiv. Sie
knüpfte insbesondere an frauenspezifische Themen an, in den
Jahren 1985 und 1986 verstärkt auch an die Thematik
Gentechnologie und Reproduktionsmedizin.
Die heute 58 Jahre alte Adrienne G. hatte sich am 4. Dezember
2006 nach jahrelanger Flucht zusammen mit dem ebenfalls gesuchten
Mitglied der »Revolutionären Zellen« Thomas K.
freiwillig den Behörden gestellt. Einem SpiegelOnline-Bericht
zufolge ging dem eine Vereinbarung voraus, derzufolge beide zwar
angeklagt werden, aber nicht ins Gefängnis müssen.
Adrienne G. war den Angaben zufolge mindestens von Herbst 1986
bis Juni 1987 Mitglied der »Roten Zora«. Ihr wird
vorgeworfen, den Wecker gekauft zu haben, der am 17. Oktober 1986
am Gentechnischen Institut in Berlin als Zeitverzögerer
für einen Sprengsatz verwendet wurde. Der Sprengsatz
zündete jedoch nicht. Auch bei einem versuchten Anschlag auf
ein Bekleidungswerk des Adler-Konzerns in Aschaffenburg im Juni
1987 wurde ein Wecker verwendet, den die Angeschuldigte gekauft
haben soll. Dort kam es jedoch ebenfalls nicht zu einer
Explosion.
Der Adler-Konzern betrieb ein Tochterunternehmen in
Südkorea, deren weibliche Angestellte im gleichen Jahr in den
Arbeitskampf gezogen waren, den die »Rote Zora« mit den
Anschlägen unterstützen wollte.
Die vom Verfassungsschutz als »linksextremistisch«
eingestufte Gruppe bekannte sich zu insgesamt 45 zwischen 1977 und
1988 verübten Sprengstoff- und Brandanschlägen. 1986
löste sie sich von den »Revolutionären
Zellen« ab. Der letzte Sprengsatz explodierte 1995 auf einer
Werft in Bremen.
Nachdem sich Adrienne G. im Dezember vergangenen Jahres den
Ermittlungsbehörden gestellt hatte, wurde sie festgenommen.
Der Haftbefehl wurde jedoch noch am selben Tag außer Vollzug
gesetzt, so daß sie sich bis zum Abschluß des
Strafprozesses unter Auflagen auf freiem Fuß befindet.
Verfassungsschutzberichten zufolge verübten Mitglieder
einer »Revolutionären Zelle« im November 1973
Sprengstoffanschläge auf Tochtergesellschaften der
US-amerikanischen Firma ITT in Nürnberg und Berlin. In den
Folgejahren gab es weitere Anschläge.
Für weltweites Aufsehen sorgte im Dezember 1975 der
Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien, an der neben
»RZ«-Mitgliedern auch Palästinenser und
Lateinamerikaner beteiligt waren. Anführer des Kommandos war
der damals weltweit gesuchte Illich Ramirez-Sanchez, genannt
»Carlos«. Anders als die »Rote Armee
Fraktion« (RAF) wollten die »RZ«-Mitglieder nicht
aus dem Untergrund agieren, sondern in der Legalität leben und
arbeiten. Sie blieben bei ihren Anschlägen anonym, um neben
ihrer militanten Politik weiterhin in legalen politischen
Organisationen mitarbeiten können und an Diskussionsprozessen
innerhalb der Linken und der Gesellschaft teilnehmen können.
Im Gegensatz zur »RAF« waren die »RZ« nicht
straff organisiert. Ihre dezentrale Struktur wurde vereinzelt auch
als »Guerilla Diffusa« bezeichnet. Gelegentlich nannte
man die »RZ« auch »Feierabendterroristen«.
Ihre Vorgehensweise schützte sie lange Zeit vor dem Zugriff
durch den Staat. Bis 1999 gab es laut Äußerungen aus
Ermittlerkreisen kaum verwertbare Erkenntnisse über die
»RZ« und nur wenige Verurteilungen.
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