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Datum:
21.06.2001
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Zeitung:
jungle world
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Titel:
Geschichten des Zorns
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Geschichten des Zorns
In dem Artikel "Rauchzeichen" geben ehemalige RZ- Mitglieder
einen Rückblick auf 20 Jahre Revolutionäre Zellen
Antiimperialismus, Militanz, Stadtguerilla: Seit der Verhaftung
mutmaßlicher Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) im
letzten Jahr wollen die Gerichte über diese Politik urteilen, und auch
in der radikalen Linken werden wieder Fragen nach der eigenen Geschichte
gestellt. Wie konnte es geschehen, dass die Kinder der
nationalsozialistischen Täter radikal antiisraelische Positionen
bezogen und vorbehaltlos mit palästinensischen Guerilla-Organisationen
kooperierten? Warum scheiterte Anfang der neunziger Jahre der Versuch der
RZ, durch militante Interventionen einen Schutz für Flüchtlinge
zu organisieren?
Gerd Schnepel, ein Zeuge im Frankfurter Opec-Verfahren, sprach als
erstes ehemaliges RZ-Mitglied öffentlich über das Innenleben der
Gruppe in den siebziger Jahren (Jungle World, 49/00), auf Veranstaltungen
berichten die ehemaligen Militanten Klaus Viehmann und Stefan Wisniewski
über ihre Erfahrungen aus dieser Zeit.
Um die RZ selbst wurde es seit 1991/92 still. Damals hatte erstmals eine
Zelle öffentlich kritisiert, dass die RZ 1976 an der Entführung
einer Air-France-Maschine nach Entebbe beteiligt waren, bei der
jüdische Passagiere selektiert und als Geiseln genommen wurden. Die
Ermordung des RZ-Aktivisten Gerd Albartus durch eine palästinensische
Gruppe, das erklärte Scheitern der Flüchtlingskampagne sowie die
weltpolitischen Umwälzungen führten die RZ in eine tiefe
Sinnkrise, eine Zelle verkündete das "Ende unserer Politik".
Mit dem Papier "Rauchzeichen" melden sich jetzt erstmals wieder
damalige RZ-Mitglieder zu Wort. Jungle Word dokumentiert das Schreiben in
einer gekürzten Fassung.
Ein Rückblick auf 20 Jahre RZ
(...) Das Fehlen von Gruppen wie den RZ wird uns heute immer wieder
schmerzlich bewusst, wenn wir Abschiebungen nicht aufhalten können,
wenn wir Migrantinnen grober Willkür ausgesetzt sehen, wenn es
scheint, als könne das wiedererstandene Deutschland sich im globalen
Kontext zum dritten Mal hervortun, wenn wir sehen, wie ungeniert sich der
neue Reichtum zur Schau stellt, oder wenn wir sehen, wie die Gentechnik
neue Blüten treibt, Bevölkerungen ausradiert werden und
Ansätze zu einem internationalistischen Feminismus in NGOs und
Konferenzen aufgehen. Die soziale Konfliktualität wird sich auch in
den Metropolen selbst wieder zuspitzen, und auch die Frage der Gewaltmittel
wird sich neu akzentuieren. Aber es gibt hier keine
Kontinuitätslinien, und diese Fragen werden völlig neu diskutiert
werden müssen.
Worum es in diesem Aufsatz geht, ist also nicht, Propaganda für
einen neuen aktionistischen Zyklus zu machen. Sondern in erster Linie
wollen wir die Geschichte der achtziger Jahre dagegen verteidigen, dass sie
zugeschüttet wird mit alten Horrorgeschichten - Opec, Entebbe, dem
Mord an Gerd Albartus - und dass sie aus der Darstellung der Verräter
rekonstruiert wird.
Um den zweifelhaften Wahrheitsgehalt derartiger Aussagen geht es hier
nicht. Man könnte meinen, so viel Dreck könne nur aus
bescheuerten, skrupellosen, entmenschlichten Verhältnissen stammen.
Aber dem ist nicht so. Natürlich gab es viel Scheiße, unter dem
Druck der Bedingungen vielleicht auch mehr als in anderen
Zusammenhängen jener Zeit.
Und dennoch: Die Beteiligten bemühten sich ehrlich um Freundschaft
und Solidarität, sie diskutierten endlos über die Entwicklung in
"kämpfenden Kollektiven" und versuchten, zugleich der oder
dem Einzelnen gerecht zu werden. All das wurde damals wiederholt mit
schmalzigen Worten beschrieben, aber dahinter stand durchaus ein
ernsthafter Versuch der Erneuerung. Und es war ein Versuch, in der
Geschichte Spuren zu hinterlassen.
Der Druck der Bedingungen: Es wird gelegentlich darauf verwiesen, dass
es gegenüber den RZ nur wenige Fahndungserfolge gegeben hat. Aber die
andere Seite war: Es wurde immer schwieriger, Freundschaften und
Beziehungen aufrecht zu halten, wenn man sich fünf Stunden absetzte,
um zwei Stunden zu diskutieren und wenn die Kontakte unter
Sicherheitsaspekten auf ein Minimum reduziert wurden. Die
Gründergeneration hatte den längsten Teil ihrer Zeit miteinander
in den Gruppen verbracht, und die Personen, die die RZ insbesondere in den
späten siebziger Jahren verließen, taten dies allermeist nicht
aus Angst oder aufgrund eines Sinneswandels, sondern weil sie ihren Traum
von einem besseren Leben in kollektiven Zusammenhängen unter dem
Fahndungsdruck dahinschwinden sahen. (...)
Anmerkungen zur Gründungsphase der RZ
Bis heute gibt es keinen authentischen Rückblick auf die
frühen Jahre der RZ. Selbst nicht in der individualisierten Form einer
Autobiografie. Diejenigen, die etwas dazu sagen könnten, sind entweder
tot oder schweigen. Das Prinzip der Anonymität der RZ-Mitglieder
prägt auch die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Solange sich
daran nichts ändert, muss man sich auf Texte und Erzählungen
verlassen, um die Diskussionen jener Zeit zu rekapitulieren. Für die
Zeit bis 1977 gibt es neuerdings auch ein Interview mit Gerd Schnepel,
abgedruckt in Jungle World, 49/00.
(Es folgt eine Beschreibung der Ausgangsbedingungen des bewaffneten
Kampfes in der BRD, eines Konzepts, das als "Code, der stellvertretend
für ein ganzes Emsemble linksradikaler Ideen und
Lebensentwürfe", für "aufrechten Gang und
kompromisslose Moral" gestanden habe; d. Red.)
Dass etliche GenossInnen der RAF bereits im Knast saßen, als sich
die RZ Ende 1973 erstmals mit zwei Anschlägen gegen
ITT-Niederlassungen zu Wort meldeten, war kein Argument gegen bewaffnete
Politik, sondern allenfalls Anlass, einiges anders zu machen.
Dabei ging es im Grunde um zwei Positionen, die konstitutiv waren
für das Selbstverständnis der RZ und die bis zu ihrer
Auflösung in immer neuen Varianten thematisiert worden sind: Zwischen
legalem und subversivem Kampf bestünde ein enges
Wechselverhältnis. Bewaffnete Interventionen könnten nur in dem
Maße politisch wirksam werden, wie sie sich auf eine soziale Praxis
bezogen und vermittelbar waren. Dadurch begaben sich die RZ zwar bewusst in
die Abhängigkeit von der Präsenz und den Launen legaler
Bewegungen, sie vermieden es aber, sich zu verselbständigen und von
der sozialen Realität abzukoppeln.
Damit korrespondierte das Konzept autonomer Zellen, die eher einen losen
Zusammenhang als eine zentralistische Organisation bildeten und deren
Militante aus einer legalen Lebenssituation heraus agierten. Diese Struktur
leistete bisweilen einer gewissen politischen Beliebigkeit Vorschub und
machte es den Mitgliedern, die faktisch gezwungen waren, ein Doppelleben zu
führen, alles andere als einfach. Dennoch hatte es den nicht zu
unterschätzenden Vorteil, dass die RZ nicht von vornherein mit dem
Rücken zur Wand standen, weil die Sicherheitsorgane zunächst gar
nicht wussten, mit wem sie es zu tun hatten, und dass sie frei von den
Sachzwängen der Illegalität operieren konnten.
(Angesichts des Anspruchs, politische Gefangene aus der Isolationshaft
zu befreien, sei ein "Spannungsverhältnis zwischen Orientierung
an sozialen Konflikten und ðAngriff auf das Herz des StaatesÐ"
entstanden. Die notwendige Brutalisierung und Verhärtung der eigenen
Politik habe im Gegensatz gestanden "zu dem befreienden Gehalt",
den der Einsatz von Gewaltmitteln in der sozialen Konfrontation hätte
haben sollen. Während einige Gruppen zu einer "populären
Guerilla" werden wollten, konzentrierte sich eine Zelle auf die
Möglichkeiten einer Gefangenenbefreiung; d. Red.)
Die Palästinenser
Internationale Kontakte entsprachen einem praktischen Bedürfnis und
einem politischen Selbstverständnis gleichermaßen. Die
Beziehungen zu anderen, erfahreneren Organisationen galten als eine
unverzichtbare Vorbedingung, um den eigenen Ansprüchen gerecht werden
zu können. Denn viel mehr als die eigene Radikalität und die
Erfahrung der Straßenmilitanz hatte man ja zunächst nicht
einzubringen. Wollte man sich also nicht unnötig aufreiben in
Beschaffungsaktionen und der Organisierung von Logistik und womöglich
schon dabei teures Lehrgeld zahlen, musste man nach Kontakten suchen. Die
Kontakte zu anderen bewaffneten Gruppen sollten dem Austausch von
Erfahrungen, der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten sowie der
materiellen Hilfestellung dienen.
Aber auch eine operative Zusammenarbeit galt als erstrebenswert, und
zwar aus prinzipiellen Gründen und nicht etwa nur aus
Opportunitätserwägungen. Schließlich begriff man die BRD
nur als Teilabschnitt einer weltweiten Front und die Kämpfe in den
Metropolen und in den drei Kontinenten bedingten und ergänzten
einander. Die Schwächung des Imperialismus an der Peripherie war eine
Voraussetzung für den Kampf in den Zentren. Und umgekehrt konnten die
trikontinentalen Befreiungsbewegungen ohne den Angriff im Herzen der Bestie
nicht gewinnen.
Die Beteiligung an internationalen Kommandos, in die jede Gruppe ihre
Fähigkeiten und Möglichkeiten einbrachte, entsprach der festen
Überzeugung, dass ein nationaler Weg der Befreiung völlig
undenkbar war. Und vielleicht ist es schon allein diese Überzeugung,
welche die Guerillagruppen der frühen siebziger Jahre vor allen
anderen linken Strömungen der frühen siebziger Jahre auszeichnet.
Insofern gab es damals nicht die geringsten Vorbehalte gegen internationale
Kontakte. Sie wurden gesucht, weil man sie brauchte, aber vor allem weil in
ihnen der Begriff des Internationalismus eine konkrete Gestalt annahm.
Schwieriger war es dagegen, die angestrebten Kontakte auch zu finden.
Bei weitem nicht alle Organisationen, denen man sich verbunden fühlte,
waren erreichbar. Zu vielen gab es keinen Zugang, andere bekundeten wenig
Interesse, manche existierten viel zu kurz. Mit wem man also
zusammenarbeitete, richtete sich letztlich auch danach, welche Kontakte
überhaupt möglich waren. Und es war Anfang der siebziger Jahre um
vieles leichter, sich mit palästinensischen Gruppen zusammenzusetzen
als mit den Tupamaros, dem MIR, den Brigaden oder der Gauche Proletarienne,
auch wenn sich deren Praxis vielleicht eher mit den eigenen Vorstellungen
deckte.
Politische Differenzen wurden in den internationalen Beziehungen ohnehin
selten wahrgenommen und schon gar nicht ausgetragen - ganz anders als im
Verhältnis zu den anderen westdeutschen Gruppen. Wo sie dennoch
auftauchten, wurden sie eher den unterschiedlichen Bedingungen des Kampfes
als unterschiedlichen Zielen zugeschrieben. Mittel und Methoden schienen
begründet zu sein in der Ungleichzeitigkeit und
Ungleichmäßigkeit der globalen Entwicklung und durch die
Besonderheit der jeweiligen Bedingungen.
Waren die Palästinenser nicht allein schon deshalb die Avantgarde
eines praktischen Internationalismus, weil sie über den ganzen Erdball
verstreut waren? Mussten sie nach dem Schwarzen September nicht
notgedrungen zu "exterritorialen" Kampfformen wie
Flugzeugentführungen und Anschlägen in Europa greifen, weil sie
über kein eigenes Territorium verfügten? Ein
Erklärungsmuster, das aus heutiger Sicht und mit dem Wissen um die
Intifada vielleicht trivial erscheint, das damals aber keineswegs nur in
der kleinen Welt der bewaffneten Gruppen verbreitet war, auch wenn die
Solidarität mit dem "Kampf des palästinensischen
Volkes" dort schon aus praktischen Gründen am stärksten
war.
Zu Recht wurden die Antiimperialisten der siebziger Jahre gelegentlich
als die großen Vereinfacher bezeichnet. Im bipolaren Weltbild war
kein Platz für Widersprüche diesseits der Barrikade. Man
verständigte sich über den gemeinsamen Feind, sprach aber nicht
darüber, worauf diese Feindschaft beruhte und was man stattdessen
wollte. Die Begriffe, die an Vietnam entwickelt waren, wurden bedenkenlos
auf den Nahen Osten übertragen. Inzwischen sind wir alle etwas
schlauer und haben die sprichwörtlichen blinden Flecken in der Theorie
ein wenig aufpoliert.
Dennoch lässt sich die Indifferenz gegenüber den politischen
Inhalten von befreundeten Gruppen nicht völlig mit theoretischer
Unbeschlagenheit oder mangelnder Selbstreflexion begründen. In der
direkten Begegnung mit den Palästinensern kamen ganz andere
Einflüsse zum Tragen, die in einem internen RZ-Papier 1983 anschaulich
beschrieben wurden: "Wir sind erpressbar und wir sind korrumpierbar.
Erpressbar, weil wir Kritik an den P's (den Palästinensern; d.
Red) als Kopfgeburten eines metropolitanen Bewusstseins unterdrücken.
Korrumpierbar, weil wir uns nur allzu gerne in den befreiten Zonen des
mächtigen Freundes ausruhen vom Schattendasein in den eigenen
Gefilden. Dies ist kein Vorwurf an die P's oder andere Organisationen.
Es ist ein Appell an uns selbst. Bevor wir nicht fester in den eigenen
Schuhen stehen, sollten wir fremdes Parkett nur mit Zurückhaltung
betreten."
Gegenüber solchen Faktoren war das Konstrukt der Arbeitsteilung von
vornherein chancenlos. In der Praxis durchmischten sich die Ebenen viel
stärker, als man es ursprünglich für richtig gehalten hatte.
Dies betraf in gewisser Weise Logistik, Infrastruktur und Personen, in weit
stärkerem Maße aber Inhalte. Die Tatsache, dass die RZ schon im
ersten Zorn (dem Revolutionären Zorn, einer gelegentlich von den RZ
veröffentlichten Zeitschrift; d. Red.) "Aktionen gegen die
Filialen und Komplizen des Zionismus in der BRD" gleichberechtigt
neben antiimperialistische und sozialrevolutionäre Aktionen gestellt
haben, liest sich aus der Rückschau als verklausulierte Bekanntgabe,
dass es zu einer gelungenen Kooperation mit der PFLP gekommen war.
Die Preisgabe eigener Zielvorstellungen war der Tribut, den die RZ
für diese Kooperation bezahlt haben. Mit der Teilnahme von drei
Mitgliedern der RZ an internationalen Kommandos, so an dem Überfall
auf die Wiener Opec-Konferenz im Dezember 1975 und an der Entführung
einer Air-France-Maschine nach Entebbe im Juni 1976 und dem Scheitern
dieser Kommandos wurde dies auch nach außen hin offenkundig.
Im Rückblick erscheint es absurd, dass keiner der damals
Beteiligten auf die Idee kam, dass wie auch immer begründete Aktionen
gegen Israel für die Kinder der willigen Vollstrecker ein Tabu
hätten sein müssen. Man meinte, sich als internationale
Revolutionäre von der eigenen Herkunft abkoppeln zu können, und
scheute sich nicht, auch "zionistische" Einrichtungen - und wohl
auch Personen - auf deutschem Boden als Angriffsziel zu definieren. Zitat
Schnepel: "Für uns hatte der gemeinsame Kampf mit den
Palästinensern überhaupt nichts mit Antisemitismus zu tun. Wir
wollten uns nicht die Augen vernebeln lassen ..."
Erst als Mitglieder neonazistischer Gruppen in den gleichen
Ausbildungslagern im Jemen geschult wurden, wurde man nachdenklich. Dass
der Vorwurf eines immanenten Antisemitismus gegen sehr breite Teile der
damaligen radikalen Linken zu erheben ist und dass die Diskussion
darüber erst Jahre später in Gang kam, ist keine Entschuldigung.
Die Frage, warum diese Vorgänge innerhalb der RZ erst so spät,
und dann scheibchenweise, bearbeitet wurden, bleibt offen.
Zu Entebbe gibt es ein ausführliches Papier, in dem die RZ das
Ausmaß an historischer Amnesie und moralischer Desintegrität,
das im Verlauf der Aktion zum Ausdruck kommt, als schwerste Hypothek ihrer
Geschichte bezeichnen. Vermutlich könnte man heute vieles konkreter
schreiben, als es damals möglich schien, und damit manche falsche
Generalisierung vermeiden. Von den Kernaussagen ist allerdings nichts
zurückzunehmen.
Krisen und Brüche
Unmittelbar nach dem Tod ihrer beiden GenossInnen Wilfried Böse und
Brigitte Kuhlmann in Entebbe machten die RZ in der BRD zunächst
weiter, als wäre nichts geschehen. In Köln attackierte man die
Privatwohnung des Spekulanten Kaußen, in Frankfurt ging die
Schwarzfahrerkartei des örtlichen Verkehrverbundes in Flammen auf und
das US-Offizierskasino der Rhein-Main- Airbase wurde durch eine Bombe
zerstört. Wer nach einem Hinweis sucht, welche Spuren der Einbruch
hinterlassen hatte, muss schon mit der Lupe danach suchen. In der
öffentlichen Auseinandersetzung mit Opec und Entebbe reagierten die RZ
wie ein Schuljunge, der bei einem üblen Streich ertappt wird und
hofft, dass die Sache nicht an die große Glocke gehängt wird. Da
die Aktionen in der westdeutschen Linken nicht weiter reflektiert wurden,
hüllte man sich selbst ebenfalls in Schweigen, um zu vermeiden, dass
die Debatte mit Verzögerung doch noch losgetreten wurde.
Natürlich hat es dafür Gründe gegeben, die mit der
eigenen Sicherheit sowie mit Zusagen gegenüber den anderen zu tun
hatten. Sicher ist aber auch, dass das Stillschweigen den RZ nicht ganz
ungelegen kam. Eine politische Auseinandersetzung über die beiden
Aktionen sowie über die nunmehr offenkundige Einbindung der RZ in von
Palästinensern dominierte Strukturen hätte dem Projekt einer
"populären" Guerilla wohl auch eher geschadet als
genützt.
Um so heftiger entbrannte der interne Streit. Das Gemisch aus Trauer um
die getöteten Freunde und Enttäuschung über den realen
Ablauf der Aktionen, der den eigentlichen Planungen ja nur zum Teil
entsprochen hatte, erwies sich als explosiv. Das Ziel der Aktion, die
Befreiung von Gefangenen, war gescheitert. Es hatte sich herausgestellt,
dass dies zwar die eigene Priorität, nicht aber die der beteiligten
Palästinenser gewesen war. Für diese galt der Schlag gegen Israel
an sich bereits als Erfolg.
Nun rächte sich, dass die politische Kontroverse, die sich hinter
derartig unterschiedlichen Prioritäten verbarg, nicht ausgetragen
worden war. Stattdessen musste man sich eingestehen, dass die Vorstellung,
man könnte aus unterschiedlichen Positionen heraus solidarisch und
gleichberechtigt zusammenarbeiten, reichlich naiv gewesen war. Die RZ waren
letztlich zum Anhängsel anderer Interessen geworden und verfügten
in dieser Konstellation nicht über die Mittel, um die Initiative
selbst in die Hand zu nehmen. Wie im wirklichen Leben bestimmte auch hier
der Stärkere, wo's langging.
Und wie im wirklichen Leben auch entlud sich der innere Druck in einem
heftigen Krach, der zu jenem Zerwürfnis führte, das derzeit
fälschlicherweise oft als Spaltung der RZ in einen Inlandsflügel
und einen internationalistischen Flügel dargestellt wird und richtiger
als vorübergehende Trennung zu bezeichnen ist. Für eine echte
Spaltung war 1976 auch gar keine Zeit.
Denn noch ehe die inhaltlichen Probleme benannt waren und ehe die
katastrophalen Folgen der Aktionen offen zutage getreten waren, hatte man
sich über die Frage zerstritten, ob und wie man den Tod der Genossen
vergelten könnte. Während der eine Teil zunächst an dem
eingeschlagenen Weg festhalten wollte und sich für eine schnelle und
harte Reaktion stark machte, auch um die Option für zukünftige
Befreiungsaktionen offen zu halten, plädierte die andere Fraktion
für einen sofortigen Abbruch dieses Kontaktes und für eine
deutliche Orientierung an den Bedingungen in der BRD unter den hier
gegebenen Umständen.
Man sollte sich aber davor hüten, eine dieser Fraktionen als die
Guten und die andere als die Bösen zu etikettieren. "Die andere
Fraktion" hatte zweifellos das Verdienst, die Hardliner außer
Gefecht zu setzen, indem sie ihnen das Material mopste. So wurde eine
weitere sinnlose Eskalation, und vielleicht ein weiterer Schlag, dessen man
sich heute schämen würde, verhindert. Andererseits waren es die
Hardliner, denen als ersten der Schreck über ihre antiisraelitische
Verstrickung in die Glieder fuhr, und die diesen Schreck in ein Projekt zur
Überstellung einer Majdanek- Angeklagten nach Polen umsetzten - auch
eines der Vorhaben, die nie durchgeführt wurden, und gerade dieses hat
in der Tafel der Anschläge so sehr gefehlt!
Die eigentliche Spaltungslinie verlief woanders und sollte erst 1982
durch den Bruch mit der "Gruppe Internationaler
Revolutionäre", die nach dem Tode Wadi Haddads entstanden war und
zu der es vor allem persönlich motivierte Verbindungen gab,
endgültig gezogen werden - zu einem Zeitpunkt übrigens, als die
beiden Fraktionen, von denen eben die Rede war, nach einer Phase der
Neuorientierung und Reorganisation bereits wieder zusammenarbeiteten.
(Es folgt eine Beschreibung der Situation nach dem deutschen Herbst
1977. Zunächst "schwach wie nie zuvor", konzentrierte man
sich auf Interventionen in Massenbewegungen gegen AKWs, die Frankfurter
Startbahn, im Häuserkampf etc. Neue Leute aus diesen Bewegungen
hätten sich der RZ angeschlossen, es habe einen Bruch mit der
68er-Tradition und einen "bewegungsorientierten" Neuanfang
gegeben. Diese Entwicklung sei jedoch am Ende gewesen, als die
Antikriegsbewegung 1983 pazifiert worden sei; d. Red)
Zora
(...) Seit 1975 gab es Anschläge von "Frauen der RZ" im
Zusammenhang mit der 218-Kampagne, und mit einem Anschlag gegen die
Ärztekammer traten die Frauen 1977 erstmals als Rote Zora auf. Zu
diesem Zeitpunkt handelte es sich um eine Gruppe innerhalb des
Gesamtzusammenhangs, und ihre Aktionen standen im Bezug zur Frauenbewegung.
Bei den Platzhirschen des Zusammenhangs galt die Frauenbewegung eher als
Teilbereichsbewegung wie auch AKW oder Häuserkampf, und sie schien
keine grundsätzlichen Probleme aufzuwerfen. Weitergehenden
Ansprüchen der Frauen trat man nicht immer unwohlwollend, aber mit dem
unschlagbaren Argument der längeren Erfahrung entgegen.
Mit dem Text "Jedes Herz ist eine Zeitbombe", der im Zorn Nr.
6 (1981) veröffentlicht wurde, formulierten die Zorafrauen erstmals
einen weitergehenden Anspruch: "Uns reicht es nicht aus, zu sagen: Aus
der Analyse des Imperialismus ergibt sich das Angriffsziel Nato und indem
wir Frauen die Nato angreifen, bekommt der Frauenkampf seine
revolutionäre Stoßrichtung. Der Befreiungskampf besteht bei
dieser Sichtweise wieder nur im Angriff auf die zentralen Machtstrukturen
des Imperialismus; die alltäglichen Gewaltverhältnisse, in denen
Zerstörung, Unterdrückung und Ausbeutung erfahrbar wird, werden
ausgeklammert. Für uns ist es auch ein Stück Befreiung, ein
Gefühl von Lebendigkeit und Stärke, wenn wir einem schweinischen
Hausbesitzer oder seinen Handlangern, der Atommafia usw. ein bisschen Feuer
unterm Arsch machen. Probleme haben wir damit, dass wir mehr wollen, als
wir im Moment praktisch machen können. Aber das wird sich ändern!
Dazu kommt, dass die Aktionen gegen die Alltagsgewalt schon jetzt
verständlich sind, und zwar nicht von der Mehrheit, aber all denen,
die sich das Gehirn nicht haben klauen lassen ... Grundsätzlich denken
wir, dass es nicht das ðAngriffszielÐ gibt, das den Staat
ðkippenÐ kann. Die Chance einer revolutionären Bewegung liegt
vielmehr im Angriff auf die gesamten staatlich verordneten
Lebenszusammenhänge ..."
Liest man diese Texte heute neu, erkennt man, welche eine Chance zu
Beginn der achtziger Jahre vertan wurde. Guerilla gegen die Alltagsgewalt -
das war eine der zentralen Fragen, an denen die Zellen zehn Jahre
später, kurz vor dem Aus, nicht weitergekommen sind. Zehn Jahre vorher
hätte man mit der Diskussion darüber beginnen können!
Stattdessen diskutierten die Strategen über den Angriff auf
Großprojekte! Es erscheint schwer fassbar, wie es die Frauen mit
diesen Einsichten noch weitere drei Jahre im Gesamtzusammenhang aushalten
konnten. Da spielte die Liebe eine Rolle, und dass die Frauen noch zu
wenige waren, um sich eine eigene tragfähige Struktur zutrauen zu
können. Richtig ist aber auch, dass sie selbst diese Position nicht
konsequent weiterentwickelt haben.
Bei der Trennung 1984 überschnitten sich zwei Gründe: Zum
einen hatten es die betreffenden Frauen satt, sich mit den
Machtverhältnissen innerhalb des Zusammenhangs und dem Habitus des
Männervereins länger abzugeben und sich in Diskussionsprozesse
einbinden zu lassen, die als blockierend erlebt wurden. Andererseits
stellten die Frauen den Anspruch an den Gesamtzusammenhang, seine
Kräfte auf den Kampf gegen Bevölkerungspolitik und Gentechnik zu
konzentrieren, und dieses Ansinnen stand alternativ zur
Flüchtlingskampagne.
Während in diese letztere bei den Gemis (den gemischten Gruppen; d.
Red.) neue Hoffnungen gesetzt wurden - konkrete Adressaten und eine
dialektische Entwicklung -, schien eine Gentechnikkampagne kaum Besseres
einbringen zu können als der vorausgehende AKW-Zyklus - und die
Alltagsguerilla, von der 1981 die Rede gewesen war, war es jedenfalls auch
nicht. Die gemischten Gruppen blieben stur, man trennte sich. So sehr die
Zorafrauen im Prinzipiellen richtig lagen - die
Flüchtlingsorientierung war ja dann auch nicht schlecht. (...)
Neben den zahlreichen Aktionen der Zora zu Frauenhandel, Gentechnik und
Bevölkerungspolitik war das vielleicht am stärksten
hervortretende Ereignis die Adler-Aktion vom Sommer 1987. Es gelang
nämlich mit relativ einfachen Mitteln, einem Paket und neun
Brandsätzen von der Größe einer Zigarettenschachtel, einen
Streik koreanischer Weltmarktarbeiterinnen nachdrücklich zu
unterstützen - ein Vorschlag, wie konkreter Antiimperialismus in der
Metropole umzusetzen wäre, der ohne Zweifel modellhaft gewesen
wäre, und zwar auch für die Gemis, die diese Aktionen mit
größter Hochachtung zur Kenntnis nahmen - wenn es nicht schon
sechs Monate später den Rückschlag vom 18. Dezember (damals
wurden zahlreiche Wohnungen durchsucht, zwei Frauen wurden verhaftet,
mehrere Personen tauchten ab; d. Red) gegeben hätte. In der
Rückschau erscheint uns diese Aktion der Zora am besten
auszudrücken, in welche Richtung sich Zora und Zellen gemeinsam
hätten weiterentwickeln können.
Die Flüchtlingskampagne
Als in den gemischten Gruppen der Beschluss gefasst wurde, für eine
Flüchtlingskampagne überregional zusammenzuarbeiten, war das
Thema Asyl in der Öffentlichkeit kaum präsent. Dass das
Flüchtlingsthema dann im Sommer 1986 von der politischen Klasse und
den Medien aufgekocht wurde, zeitgleich zu den ersten Aktionen, kam deren
Popularität entgegen, aber damit gerechnet hatte eigentlich
niemand.
Neu an diesem Beschluss war, dass erstmals der Anspruch auf ein
gemeinsames Thema des Gesamtzusammenhangs erhoben wurde, um jenseits der
Teilbereichsbewegungen ein eigenes Projekt zu entwickeln und darin die
konkrete Funktion des bewaffneten Kampfs neu zu erproben. Die
Reorganisation um ein gemeinsames Thema herum erschien auch deshalb
nötig, weil sich inzwischen mehrere parallele Gruppierungen zu Wort
gemeldet hatten, mit deren Auffassungen nicht immer ein Einverständnis
bestand.
Über das gemeinsame Thema entwickelte sich, anders als je zuvor,
auch eine gemeinsame Diskussion: nicht mehr nur zwischen Einzelnen, nicht
mehr nur vermittelt über Delegierte, sondern auf Treffen, zu denen die
einzelnen Zellen auch mehrere TeilnehmerInnen zulassen konnten. Auf diesen
Treffen wurden natürlich nicht die einzelnen Aktionen verhandelt, die
weiterhin von den Gruppen autonom bestimmt wurden, sondern es ging um eine
gemeinsame, verbindliche Linie.
Vielleicht das wichtigste Argument für die Kampagne war, dass sie
geeignet schien, eine antiimperialistische Strategie in der Metropole
selbst zu entfalten und den Trikont ins Land zu holen, und zwar in Bezug
zur konkreten sozialen Wirklichkeit. Niemand hatte ein Problem damit, eine
Flüchtlingskampagne ohne Flüchtlinge zu starten, denn es lag auf
der Hand, dass sich ein "sozialrevolutionärer Dialog"
zwischen Selbstorganisationsformen der Flüchtlinge und den
sozialrevolutionären Gruppen wenn überhaupt, dann erst im Lauf
der Zeit entwickeln würde.
Zunächst sollten Räume eröffnet werden für diese
Selbstorganisation. Uns wäre heute sicherlich geholfen, wenn es auch
heute noch Gruppen gäbe, welche die Spannung zwischen provisorischer
Strategie und identitätsstiftender Rückversicherung aushalten
könnten. Anfangs glaubte niemand daran, dass sich Verbindungslinien zu
den linken Bewegungen, den Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängerinnen,
KAPOVAZ-Arbeiterinnen (KAPOVAZ ist ein Akronym für
Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit, Mitarbeiter eines
Unternehmens werden zu ständiger Arbeitsbereitschaft verpflichtet; d.
Red.) usw. in absehbarer Zeit würden herstellen lassen. Die
Gruppierung, die sich eine Zeitlang auf eine "proletarische
Klassenlinie" bezogen hatte, beteiligte sich denn auch nicht an der
Kampagne.
Es erschien attraktiv, sich aus der Verstrickung mit den
"Bewegungen" zu lösen, nicht mehr "den Anschlag zum
Thema" zu liefern und sich dann über schlechte Kritiken und die
grüne Pazifizierung zu ärgern, sondern eine eigene Rhythmik zu
entfalten. Natürlich sollte sich daraus ein neuer Dialog mit der
autonomen Linken entwickeln, wie dies letztlich ja auch geschehen ist.
Und auch diese Frage wurde immer wieder diskutiert: Das Niveau der
Aktionen war in den Häuserkämpfen und in der AKW-Bewegung durch
spontan entstandene Aktionsgruppen leicht eingeholt worden. Das entsprach
dem Konzept von Massenmilitanz: Nur, womit war dann der Aufwand, der in den
RZ betrieben wurde, noch zu rechtfertigen? Die Antworten, die damals
gegeben wurden: zum ersten die Kontinuität, die Unabhängigkeit
von den Konjunkturen der Bewegungen, die Verantwortung für neue
Zyklen, die sich in mehreren Fibeln und Detailkritiken niedergeschlagen
hat, und zum anderen die Möglichkeiten der Steigerung, der
Überwindung des Einbruchs von 1977.
Mehrere Gruppen waren in der glücklichen Position, dass aus den
Teilbereichsbewegungen, wenn auch vereinzelt, neue Kräfte
hinzugekommen waren. So schien es nun möglich, das Niveau der
"bewaffneten Propaganda" und der "Nadelstiche" zu
überwinden.
Dabei ging es weniger um das Kaliber der Eisen oder die Menge von Stoff,
und schon gar nicht um die Illusion, man befände sich im Krieg,
sondern viel schlichter ging es darum, ob es gelingen würde, die
Lagerhaltung und Abschiebung der Flüchtlinge konkret zu behindern, die
Verantwortlichen einzuschüchtern und den Flüchtlingen selbst Luft
zu verschaffen. Mehrere Aktionen zielten in diese Richtung: die Orte der
Erfassung der Flüchtlinge anzugreifen und so die Abschiebungen konkret
zu verhindern, sowie die Anonymität des Verwaltungsapparats
aufzubrechen und einzelne Verantwortliche zu kennzeichnen.
Ob es aus der Situation selbst heraus begründet war, zu diesem
Zweck einzelne "Pigs anzukratzen", war zwischen den Gruppen nicht
unumstritten. Dass man mit Kaliber 22 niemanden töten würde,
erschien zwar - trotz Karry (der hessische Wirtschaftsminister
Heinz-Herbert Karry wurde von den RZ 1981 getötet; d. Red.) -
gesichert. Aber ging es bei diesen Aktionen nicht doch mehr um biographisch
begründete Steigerungen als um die Sache selbst? Um einen
Rückbezug auf die siebziger Jahre, deren Erbe auch in den Achtzigern
immer wieder auftauchte?
Da es schließlich in der öffentlichen Diskussion gegen die
Knieschüsse viel weniger Einwände gab als in der internen
Diskussion selbst, waren bald andere Themen dringlicher. Insbesondere
hätte man gern nicht nur punktuell eingegriffen, sondern in einigen
Städten eine Präsenz aufgebaut, die einen beständigen Schutz
für die Flüchtlinge bedeutet hätte.
Zum Beispiel schien es im Bereich des Möglichen,
Ausländerbehörden zu entern, die Hausmeister und Nachtdienste in
Sicherheit zu bringen und die Gebäude substanziell zu zerstören,
statt nur Löcher in die Wände zu machen, oder man diskutierte den
Plan, in den Stadtstaaten für jeden abgeschobenen Flüchtling
einen Sachschaden bestimmter Höhe in den Glitzerwelten der
Innenstädte anzudrohen.
Wäre das schon ein Stück "Gegenmacht" gewesen?
Einige Genossen bestanden immer wieder darauf, dass allein am Umgang mit
der Machtfrage die revolutionäre Qualität des Zusammenhangs
gemessen werden könnte. Andere waren da weniger orthodox und scherten
sich kaum darum, dass ihnen "bewaffneter Opportunismus"
vorgeworfen wurde, wenn nur die Zwischenbilanz stimmte. Außerdem ging
es nicht um Macht, sondern um die Zerstörung derselben. Sollte man
"Macht" nicht besser durch "Präsenz" ersetzen?
(...)
Nach dem 18. Dezember 1987
Über die Bedeutung des 18. Dezember 1987 wurde in den RZ selbst
viel diskutiert, und es gab unterschiedliche und wechselnde Deutungen.
Richtig ist, rückblickend betrachtet, dass es seither keine geordnete
Offensive mehr gegeben hat, große Pläne und keine oder kleine
Lösungen, viel Kleinmütiges und Katerstimmung.
Eigentlich hätte der 18. Dezember genauso gut zum Startpunkt einer
neuen Offensive werden können, und es gab ja durchaus Entwicklungen,
die dafür sprachen. Die Solidarität, ja geradezu die Welle der
Sympathie, die sich um die zwei damals verhafteten Frauen entfaltete, war
ja überaus ermutigend: im Mittelpunkt standen die
"anschlagrelevanten Themen" Gentechnologie, Frauenhandel,
Flüchtlinge, internationale Arbeitsmärkte: die Themen der Frauen
und der gemischten Gruppen wieder vereint, und zwar Themen von
höchster Relevanz - was lag näher, als diese Themen inhaltlich
und mit Aktionen zu "besetzen" und damit die eigene Politikform
nachhaltig aufzuwerten?
Hinzu kam, dass die Razzien vom 18. Dezember - man muss es ja heute
sagen: aufgrund einer Warnung aus dem Reich der Stasi, mit der niemand je
gerechnet hätte - nur zu zwei Festnahmen geführt hatten. Es gab
dafür jetzt abgetauchte Leute in ansehnlicher Zahl, die nicht verloren
waren, denn man hatte in den achtziger Jahren gelernt, auch in illegalen
Strukturen zu leben, und eine qualitative Steigerung des Konzepts wäre
nun möglich gewesen. Was also waren letztlich die Gründe für
das Scheitern in den folgenden Jahren?
Das vielzitierte Papier über "das Ende unserer Politik",
das 1991 entstand, und im dem über diese Gründe sinniert wurde,
hatte von vornherein den Nachteil, dass es den feststehenden Beschluss
einer Gruppierung im nachhinein legitimieren sollte. Daraus erwuchsen
Schwächen in der Argumentation, die andernorts schon benannt worden
sind. Aus heutiger Sicht enthielt das Papier richtige Vorahnungen, die
vielleicht so formuliert werden können: Der Anschluss der DDR hatte
die Situation in der Tat völlig verändert. Man geriet zwar nicht
in den Strudel des Bolschewismus, wie im besagten Papier zu lesen war,
hatte aber plötzlich die Deutschen zum Gegner und nicht mehr das alte
Bonner System. Es rächte sich, dass die Rassismusdiskussion zwar nach
1981 gelegentlich angetippt worden war, Beethoven gegen McDonald's
(Erklärung der RZ; d. Red.), aber nie tieferreichend geführt
worden war, und man stand den Phänomenen Nation und Rassismus relativ
hilflos gegenüber.
Eine Bewegung, die "wir sind das Volk" schrie, eignete sich
nicht als Gegner, um BK (Bewaffneten Kampf; d. Red.) zu machen - von
"Volk" gab es vorher eine etwas andere Auffassung, angefangen von
Maos "Dem Volke dienen" über den "Gang ins Volk"
der Narodniki und der lateinamerikanischen Bedeutung von "el
pueblo" - und jetzt sträubten sich bei diesem Wort die
Nackenhaare. Die Aussage, dass sich in Zeiten der Gewalt von rechts
Anschläge zum Flüchtlingsthema verböten, ist missverstanden
worden, wenn etwa gefragt wurde, ob nun die RZ selbst nicht mehr zwischen
rechten und linken Anschlägen unterscheiden könnten.
So doof war in den RZ eigentlich keiner. Sondern neue Anschläge
hätten ein Klima der Gewalt anheizen können, das niemand mehr
hätte kontrollieren können, und schon gar nicht die RZ selbst.
Man konnte die Flüchtlinge vor der rechten Gewalt nicht schützen,
und man war sich der Wirkung der eigenen Aktionen nicht mehr sicher. Eine
Konfrontation mit dem Mob, der nach 1990 eine viel größere
Bedrohung für die Flüchtlinge darzustellen schien als die
Behörden, war nicht vorstellbar und wäre nicht durchzuhalten
gewesen. (...)
Das Verhältnis von unsichtbarer zu sichtbar fruchtbringender Arbeit
verschlechterte sich weiter zu Ungunsten der letzteren, der Frust wurde
größer. Es bot sich an, neue Leute einzubeziehen, aber dazu
fehlten die organisatorischen Voraussetzungen, zumal unter dem höheren
Fahndungsdruck. Hinzu kam, dass Projekte zur Geldbeschaffung fehlschlugen,
und dass die Nachricht vom Tod von Gerd Albartus lähmend wirkte. Dann
Einbrüche in der Logistik - nach und nach wurde man mürbe. Davon
zeugt auch die nachlassende Qualität der Papiere, die seit Anfang 1992
in Umlauf gebracht wurden.
All dies sind natürlich nur Details aus einer Krise der
Subjektivität; der Gesellschaftsbegriff war veraltet und man kam mit
der Zeitenwende und der Durchsetzung neuer Gewaltverhältnisse nicht
mehr klar. Aber es waren natürlich die Details, die so viel Zeit
kosteten und so viel Mühe machten.
In dieser Atmosphäre war der Vorschlag zu einer Antipat-Debatte,
deren Stellenwert eigentlich allen klar war, ständig in Gefahr, den
Charakter autoaggressiver Innerlichkeit anzunehmen. Wie war eine
antipatriarchale Strategie offensiv umzusetzen? Die Vorschläge waren
noch wenig durchdacht; dagegen war die Selbstkritik am eigenen Machismus
vergleichsweise leichter zu haben. Allerdings war ein Teil der Beteiligten
inzwischen auch gesetzter geworden und nicht mehr so leicht zu bewegen, die
private Sphäre einer grundsätzlichen Kritik auszuliefern. So
gerieten diejenigen am meisten in die Kritik, die ihre Situation
ungeschützt preisgegeben hatten.
Trotzdem: es wurde ernsthaft diskutiert, und es wäre nicht
überheblich zu sagen, dass man in besseren Zeiten vielleicht weiter
vorangekommen wäre. Von der Kritik der Trennung des Privaten vom
Politischen und der Forderung, aus der Politisierung des Privaten das
"soziale Terrain" begrifflich neu zu bestimmen, und zwar
primär durch eine Kritik der Gewaltverhältnisse, war man dahin
fortgeschritten, das Politische selbst als patriarchales Konstrukt zu
begreifen und vielleicht wäre man irgendwann da angelangt, wo die
Zora-Frauen 1981 aufgebrochen waren: bei einer Alltagsguerilla neuen
Typs.
Aber so weit war es noch nicht, und die gerechtfertigte Verunsicherung
überwog die alten Gewissheiten. Wir wiederholen hier, was in der
Antwort auf "Das Ende unserer Politik" Anfang 1992 formuliert
wurde, denn hier wird von dieser Verunsicherung berichtet: "Angesichts
der allgemeinen Rat- und Perspektivlosigkeit ist die Versuchung groß,
die Antipatriarchatsdebatte als Vehikel zu benutzen, um der Krise Herr zu
werden. Die Diskussion über die schwarze Frau als ðunterstes
KlassensegmentÐ war ein Beispiel dafür, auf welche Weise durch den
bloßen Austausch der Subjekte ein im übrigen nicht angetastetes
Gedankengebäude hinübergerettet werden kann. Das erste Resultat
einer konsequent geführten Antipatriarchatsdebatte kann nur die
Zerstörung lieb gewordener Gewissheiten sein. Wir begeben uns bewusst
und sehenden Auges in einen Prozess, dessen erklärtes Ziel die
Verunsicherung und Demontage männlich dominierten Denkens und Handelns
ist. Wenn es richtig ist, dass der Sexismus mit unserer Ignoranz
gegenüber patriarchaler Gewalt beginnt und wenn es stimmt, dass wir
auf diesem Auge blind sind, weil es um unsere Interessen geht, dann werden
uns erst mal die Felle davonschwimmen ..."
Der vollständige
Text ist nachzulesen unter www.freilassung.de, die erwähnten
RZ-Erklärungen wurden veröffentlicht in: "Früchte
des Zorns", ID-Verlag, Berlin 1993
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