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Presse

Datum:
12.04.2007

Zeitung:
Berliner Zeitung

Titel:
Geständnis nach 20 Jahren

Geständnis nach 20 Jahren

Mehr als 40 Anschläge hat die Frauenterrorgruppe Rote Zora verübt. Die Ermittler fanden über die Täterinnen nur wenig heraus. Ein früheres Mitglied hat sich gestellt und hofft auf eine Bewährungsstrafe.

BERLIN. Fast 20 Jahre war Adrienne G. auf der Flucht. Am 4. Dezember 2006 hat sich die Frau plötzlich freiwillig den Ermittlungsbehörden gestellt, um wieder legal zu leben. Gemeinsam mit dem 58-jährigen Thomas K., ihrem ebenfalls von der Polizei gesuchten Lebensgefährten. Verhaftet wurden sie nicht: Der Bundesgerichtshof hatte die Haftbefehle außer Vollzug gesetzt, beide kamen gegen Auflagen auf freien Fuß. Inzwischen hat Adrienne G., die als Pädagogin, Funkelektronikerin und Fotografin gearbeitet hat, ihren Wohnsitz in Berlin.

Angeblich lebten beide die vergangenen Jahre nicht in Deutschland. Aber wo sie lebten, will die 58-Jährige nicht sagen. Die Bundesanwaltschaft weiß es auch nicht. Es ist nicht wichtig für diesen Prozess, der gestern vor dem 1. Strafsenat des Berliner Kammergerichts begann. Schon der Ort sagt, dass es ein besonderer Prozess ist. Es geht um die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, deshalb wird vor Berlins oberstem Landesgericht in der Schöneberger Elßholzstraße verhandelt. Deshalb gab es auch verschärfte Sicherheitskontrollen, die Besucher wurden mit Sonden kontrolliert. Es ist ein Prozess, der ein Stück Vergangenheit wieder ins Licht der Öffentlichkeit bringt.

Es geht um eine Frauengruppe, die sich nach Einschätzung der Bundesanwaltschaft als "sozialrevolutionäre feministische Befreiungsbewegung" verstand - die Rote Zora. 45 Sprengstoff- und Brandanschläge rechnen die Ermittler in der Zeit zwischen April 1977 und Februar 1988 dieser Terrorgruppe zu. An zwei Angriffen, die allerdings fehlschlugen, war Adrienne G. beteiligt, das gibt sie auch zu. Es geht um die Anschläge auf das Gentechnische Institut in Berlin im Oktober 1986 und auf ein Gebäude des Bekleidungskonzerns Adler in Aschaffenburg am 21. Juni 1987. Die erste Tat begründete die Rote Zora in einem Bekennerschreiben mit ihrer Ablehnung der Gentechnologie. Der Anschlag auf die Adler-Werke sollte sich gegen die rassistische und sexistische Ausbeutung von Frauen in Südkorea richten, wo der Konzern produzieren ließ.

Laut Anklage hat Adrienne G. für beide Anschläge spezielle Reisewecker gekauft, die als Zeitzünder benutzt werden sollten. Durch diese Wecker waren ihr die Ermittler auf die Spur gekommen. Denn die Rote Zora hatte beim Bau von 40 Sprengsätzen immer die gleichen Uhren verwendet. Deshalb hatten die Ermittlungsbehörden seit 1985 eine größere Anzahl dieser Wecker mit Nummern gekennzeichnet und kontrolliert in den Handel gebracht. Kunden, die sie kauften, wurden von einer Überwachungskamera gefilmt. So auch Adrienne G. Bevor sie festgenommen werden konnte, tauchte sie Ende 1987 unter. Sie soll von der Ehefrau eines Kölner Kriminalbeamten gewarnt worden sein, die mit den politischen Zielen der Roten Zora sympathisierte.

Wie Adrienne G. waren damals eine Reihe ehemaliger Mitstreiter der Roten Zora oder der Revolutionären Zellen, von denen sich die Rote Zora abgespalten hat, in den Untergrund gegangen. Nur vier Frauen, die bei der Roten Zora aktiv waren, sind der Bundesanwaltschaft bekannt. Zwei von ihnen wurden bereits wegen Anschlägen verurteilt. Eine 56-Jährige aus Duisburg ist noch immer auf der Flucht. Und gegen Adrienne G. soll am Montag das Urteil fallen.

Es ist ein schneller Prozess und zudem einer, bei dem es wohl kaum eine Überraschung geben wird. Denn wie das Urteil ausfällt, steht bereits fest. Gleich zu Beginn des gestrigen Prozesses hatte der Vorsitzende des Senats erklärt, dass Adrienne G. in Absprache mit der Bundesanwaltschaft eine Strafe von nicht mehr als zwei Jahren auf Bewährung erhalten werde, sofern sie ein Geständnis ablegt. Was sie gestern auch getan hat.

Fotografin im Untergrund

Die Taten hätten ihrer damaligen politischen Überzeugung entsprochen, ließ Adrienne G. über ihre Anwältin erklären. Zu der Zeit war sie arbeitslos. Davor hatte sie kurz als Lehrerin in Neukölln gearbeitet, dann als Museumspädagogin. Bevor sie sich der Roten Zora anschloss, von 1982 bis 1984, hatte sie eine Umschulung zur Funkelektronikerin gemacht. Sie sei in der Frauenbewegung engagiert gewesen, habe sich aus politischer Überzeugung "wissentlich und willentlich" der Roten Zora angeschlossen und an der Planung der beiden Anschläge teilgenommen, hieß es weiter in ihrer Erklärung. In der Illegalität habe sie als Fotografin gearbeitet. Dies wolle sie nach ihrer Verurteilung auch weiter tun.

Für ihren Lebensgefährten Thomas K. wird die Sache vermutlich komplizierter. Er soll Mitglied bei den Revolutionären Zellen gewesen sein, bevor er mit ihr untertauchte. Gegen Thomas K. wird gesondert verhandelt, aber noch ist die Anklage nicht fertig. Angeblich wollen ihm die Bundesanwälte Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung vorwerfen.

Von Sabine Deckwerth

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