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Presse

Datum: Juni 2000

Zeitung:
Woz / Wochenzeitung Zürich

Titel:
Deutschland: Jagd auf Revolutionäre Zellen

Deutschland: Jagd auf Revolutionäre Zellen

Zwei Kronzeugen, viele Festnahmen

Mit allen Tricks geht die bundesdeutsche Justiz gegen den 1992 aufgelösten Zusammenschluss westdeutscher Militanter vor.

Vor acht Jahren haben sich die links-militanten Revolutionären Zellen / Rote Zora (RZ) aufgelöst. Nun schlägt der bundesdeutsche Staatsschutz zu.

Seit Ende letzten Jahres setzt es eine Verhaftung nach der anderen. Im Dezember 1999 durchkämmten Spezialeinheiten der Polizei samt der Antiterroreinheit GSG 9 den linksalternativen Mehringhof in Berlin. Die Behörden fahndeten nach Waffen und Sprengstoff. Gefunden wurde nichts. Einer der Hausmeister des Mehringhofs, Axel H., sowie Harald G. von der im Haus befindlichen Forschungsstelle Flucht und Migration wurden festgenommen. Sie sitzen seither in Düsseldorf und Wuppertal in Untersuchungshaft.

Sie sollen für die RZ in den achtziger Jahren Waffen und Gelder verwaltet haben oder bis in die frühen neunziger Jahre an Anschlägen beteiligt gewesen sein. In den achtziger Jahren hatten die RZ zuletzt vor allem Aktionen gegen Ausländer- und Abschiebebehörden durchgeführt. Anfang der neunziger Jahre versuchte eine Gruppe, die Siegessäule in Berlin zu sprengen.

Die RZ waren einst parallel zu Rote-Armee-Fraktion (RAF) und Bewegung 2. Juni entstanden. Ihr so genannter antiimperialistischer Flügel arbeitete in frühen Jahren mit der Carlos-Gruppe zusammen. Ein deutsch-palästinensisches Kommando entführte 1976 auch einen Airbus der Air France auf dem Flug von Tel Aviv nach Paris. Die Maschine mit 250 Passagieren an Bord wurde nach Entebbe umgeleitet. Dort befreite eine israelische Kommandoeinheit die Geiseln und erschoss die zwei palästinensischen Kidnapper sowie die an der Aktion beteiligten RZ-Mitglieder Brigitte Kuhlmann und Wilfried "Bonni" Böse. Nach dieser desaströsen, von der bundesdeutschen Linken heftig kritisierten Flugzeugentführung spalteten die RZ den "antiimperialistischen" Flügel ab. Sie revidierten ihre Linie grundlegend. 1983 erschien mit "Beethoven gegen McDonald" eine scharfe Distanzierung vom Antiamerikanismus in der Linken.

Die Aktionen der RZ in den achtziger Jahren zielten in erster Linie auf Sachschaden und waren an den Auseinandersetzungen der autonomen Bewegung orientiert. In ausführlichen analytischen Stellungnahmen wie dem 1983 erschienenen Klassiker "Krieg-Krise-Friedensbewegung" begründeten sie ihre Strategie. Die Texte der Gruppen wurden tausendfach unterm Ladentisch verbreitet, die Aktionen vielfach kopiert. Im Zuge der Auseinandersetzungen um den Ausbau des Frankfurter Flughafens erschossen jedoch im Jahre 1981 bis heute unbekannte "Trittbrettfahrer" unter dem Signet der dezentral operierenden RZ-Gruppen den hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry (FDP).

Der Gesamtzusammenhang der RZ bezeichnete die Tat als einen "Verstoss gegen die Grundsätze revolutionärer Moral", bei der "Entschlossenheit" mit "Endzeitstimmung" verwechselt worden sei. Parallel zu den Dezember- Verhaftungen 1999 in Berlin arrestierte die Polizei Rudolf S. und Sabine E. in Frankfurt am Main.

Sabine E. wird vorgeworfen, an Anschlägen auf den bundesdeutschen Abschiebeapparat in den achtziger Jahren beteiligt gewesen zu sein.

Gegen den 57-jährigen Rudolf S. reichen die Beschuldigungen bis in das Jahr 1975 zurück. Er soll als RZ-Mitglied den Überfall der Carlos-Gruppe auf die OPEC-Konferenz in Wien unterstützt haben.

In Paris verhaftete die Polizei zum Jahreswechsel zudem Christian G. und Sonja S. Beide gehen schon aufs rentenfähige Alter und hatten sich bereits 1978 ins Ausland abgesetzt. Zum Ärger der Deutschen haben die französischen Behörden die zwei zwischenzeitlich gegen die lächerlich geringe Kaution von 3000 Franken auf freien Fuss gesetzt, bis über das Auslieferungsgesuch aus Deutschland endgültig entschieden ist.

Ende Mai meldeten die Agenturen auch die Enttarnung und Festnahme des mutmasslichen RZ-Mitglieds Lothar E. im kanadischen Yellowknife. Lothar E. war in den neunziger Jahren Hausmeister im Mehringhof. In Berlin war einen Monat zuvor ebenfalls Matthias B. verhaftet worden.

Den beiden 47 und 51 Jahre alten Männern wirft die Bundesanwaltschaft eine Beteiligung an Aktionen der RZ ab den achtziger Jahren vor. Glaubt man den Justizbehörden, stützen sich die Festnahmen zum jetzigen Zeitpunkt alle auf die Aussagen zweier Kronzeugen. Hans-Joachim Klein war am OPEC-Überfall aktiv beteiligt, bei der drei österreichische Sicherheitsbeamte getötet wurden.

Er distanzierte sich später von der militanten Linken. Nach seiner "Rückkehr zur Menschlichkeit", so der Titel seiner Memoiren, lebte er unter falschem Namen in Frankreich. Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit behauptet, all die Jahre mit ihm in Kontakt gewesen zu sein. Nachdem die Fahnder Klein nun im Frühjahr 1999 endlich festgenommen hatten, versuchte dieser offenbar durch Denunzierung seiner früheren Freunde noch schnell in den Genuss der strafverschonenden Kronzeugenregelung zu gelangen.

Kapitalverbrechen wie Mord verjähren ansonsten bekanntlich nicht. Da die umstrittene Kronzeugenregelung Ende letzten Jahres in Deutschland ausgelaufen ist, hätte Klein bei einer späteren Verhaftung mit einer weitaus härteren Strafe zu rechnen gehabt. Um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, erzählten in der Vergangenheit so manche Kronzeugen, was man von ihnen hören wollte. Dass dies nun auch bei den RZ geschehen soll, ist allerdings neu. In all den Jahren ist kein Fall bekannt, bei dem es dem Staatsschutz gelungen wäre, die Organisation zu infiltrieren. Entsprechend dürftig waren bislang auch die Fahndungserfolge.

Nach der Selbstauflösung der Gruppen rechneten auch nicht mehr viele mit solch einem Ermittlungseifer. Die Behörden können derzeit neben Klein auf einen weiteren zentralen Belastungszeugen verweisen. Tarik Mousli, seines Zeichens "der letzte Kronzeuge der BRD", soll in den achtziger Jahren ein zentrales RZ-Mitglied in Berlin gewesen sein.

Wie die Aussagen von Mousli und Klein glaubwürdig aufeinander abgestimmt werden, scheint allerdings eher rätselhaft. Die beiden sollen schliesslich zu ganz unterschiedlichen Phasen der Gruppierung angehört haben und kannten sich nicht einmal. Mousli wird von den Ermittlungsbehörden seit Monaten unter Verschluss gehalten.

In den Achtzigern zählte er zur etwas härteren Fraktion der Autonomenszene in Westberlin. Bis zuletzt leitete er zwei Karateschulen in Berlin, eine davon im Mehringhof. Von Mousli kam der entscheidende Tipp, dass im Mehringhof, irgendwo zwischen Kindertagesstätte, Buchladen, Teelager und Autonomenkneipe, das zentrale Waffenlager der aufgelösten RZ zu finden sei.

Ein nun offenkundiges Hirngespinst. Vor Gericht dürften etwas präzisere Angaben erforderlich sein.

Andreas Fanizadeh

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/opec/woz0600.htm