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Datum:
05.01.2001
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Zeitung:
taz
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Titel:
Die Hybris des Joschka Fischer
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schlägerei vor 27 jahren
Die Hybris des Joschka Fischer
Joschka Fischer hat die Gnade der frühen Geburt. Wer vor
dreißig Jahren jung war, der gönnte sich vieles. Auf den Putz
hauen, Polizisten klatschen und wirren Theorien anhängen. Und der
Außenminister gehört einer glücklichen Generation an. Denn
keine hat das Recht auf jugendliches Irresein, auf ultimative Wahrheit und
das Recht auf Schwachsinn so selbstverständlich für sich
reklamieren dürfen wie sie.
Kommentar
Kein Wunder also - Fischer ist im Reinen mit sich und der Welt.
Sicherlich, da gibt es ein paar unfeine Dinge wie Polit-Hooliganismus und
Omnipotenz. Aber Fischer hat das für sich aufgearbeitet und es nun per
Stern der Welt erklärt: "Vietnam, Notstandsgesetze, der
Mordanschlag auf Rudi Dutschke, der Kontinuitätsverdacht zwischen
NS-Staat und Bundesrepublik" - es gab viele Gründe für
Militanz, gibt er zu bedenken. Und das staatstreue Bürgertum inklusive
Bild verzeiht ihm. Kein Wunder. Fischer ist längst einer von
ihnen, sie haben von ihm nichts mehr zu befürchten.
Fischer proklamiert mit seinem persönlichen Rückblick
gleichzeitig das Ende der Geschichte. Anders als zu seiner Jugend gebe es
heute keine Legitimation mehr für Militanz, erzählt er
Stern. Als Ultima Ratio dürfe Gewalt nur dort eingesetzt werden,
wo es um das Leben und die Freiheit ginge. Im Kosovo zum Beispiel? Da ist
sie wieder, die alte Hybris Fischers: Die Welt ist so, wie ich sie
interpretiere. Und Unrecht geschieht nur dort, wo ich es sehe.
Aber seit Fischers Jugend hat sich wenig geändert. Nach seiner
Logik müsste es auch heute noch viel Anlass für Krawall geben:
eben den Kosovokrieg, die Militarisierung des Alltagslebens in Deutschland,
unmenschliche Abschiebungen, soziale Ungerechtigkeiten, von dem Elend in
der Dritten Welt ganz zu schweigen. Aber für sein Ebenbild in Gestalt
von Autonomen und Antifas haben Leute wie Fischer nur noch Polemik,
Aggression und - wie im Falle des Werfers des Farbbeutels - Repression
übrig.
Nein, das Ende der Geschichte ist nicht erreicht. Auch heute nehmen
jugendliche Subkulturen und Jungmachos das Recht für sich in
Anspruch, die vorgefundene Welt nicht zu akzeptieren und notfalls
mit Gewalt zu verändern. Zum Beispiel der Teil der Skinhead-Bewegung,
der nichts mit rassistischen Übergriffen am Hut hat. Er hat
in seiner Gesellschaftskritik, seinen männlichen Allmachtsfantasien
und antibürgerlichem Habitus mehr mit dem jungen Fischer gemeinsam,
als dem alten heute lieb sein kann.
EBERHARD SEIDEL
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