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Datum:
17.10.2000
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Zeitung:
Süddeutsche Zeitung
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Titel:
Stille Jahre in Sainte-Honorine
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Stille Jahre in Sainte-Honorine
Opec-Attentäter Hans-Joachim Klein vor Gericht - er entzog
sich der Polizei und der Rache seiner früheren Genossen
Es war die bis dahin spektakulärste Aktion des internationalen
Terrorismus auf europäischem Boden: Am 21. Dezember 1975 stürmten
fünf Männer und eine Frau unter Führung des international
gesuchten Terroristen Ilich Ramirez Sanchez (genannt "Carlos")
das erste Stockwerk des Gebäudes am Dr.-Karl-Lueger-Ring 10
in Wien. Innen tagten die Delegierten aus 13 Staaten der Organisation
Erdöl exportierender Länder (Opec). Ein österreichischer
Polizeibeamter, ein irakischer Leibwächter und ein Mitglied
der libyschen Delegation wurden bei dem Überfall erschossen.
Mit zwölf Ministern als Geiseln flogen die Terroristen am nächsten
Tag mit einer DC-9 der Austrian Airlines nach Algier. Mit an Bord:
der schwer verletzte Hans-Joachim Klein, der am Tag des Attentats
28 Jahre alt geworden war. Bei einem Feuergefecht mit österreichischen
Polizisten hatte ihn ein Querschläger in den Bauch getroffen.
25 Jahre danach muss sich der Ex-Terrorist Klein vor dem Frankfurter
Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft legt dem 52-Jährigen
gemeinschaftlich begangenen Mord in drei Fällen sowie drei versuchte
Morde zur Last. Mit angeklagt ist der 57-Jährige Rudolf Günter
Schindler. Er soll Klein in Frankfurt für den Opec-Überfall
angeworben und dem Kommando in Wien logistische Hilfe geleistet haben.
Die Spur führt nach Libyen
Obwohl die Tat, um die es geht, ein Vierteljahrhundert zurückliegt,
birgt der Prozess gegen Klein und Schindler auch aktuelle politische
Brisanz. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem sich der libysche Staatschef
Muammar al-Gaddafi als erfolgreicher Vermittler im Geiseldrama von Jolo
wieder internationales. Renommee verschaffen konnte, droht ihm jetzt die
Entlarvung als Drahtzieher des Terrorismus. Wenn Hans-Joachim Klein bei
seinen Aussagen bleibt, wird er Gaddafi als eigentlichen Urheber und
Förderer des Opec-Attentats benennen.
Nach Kleins Darstellung wäre der Überfall unmöglich
gewesen, wenn die Terroristen nicht von libyscher Seite mit detaillierten
Informationen über die Räumlichkeiten und die
Sicherungsmaßnahmen im Konferenzquartier versorgt worden. Auch die
Waffen seien von Libyen geliefert worden; nach seiner Genesung sei er
zusammen mit "Carlos" in Libyen mit allen Ehren empfangen und
später in einer Privatmaschine Gaddafis weiter nach Mogadischu
geflogen worden. Organisiert wurde der brutale Überfall von Wadi
Haddad, dem Chef der Palästinensischen Volksbefreiungsfront
(PFLP).
Der Plan der Terroristen war, mit den gekidnappten Ministern
nacheinander die Hauptstädte aller Opec-Länder anzufliegen und
als Gegenleistung für deren Freilassung die Verlesung
pro-palästinensischer Erklärungen zu erzwingen. Die Minister des
Iran und von Saudi-Arabien, Amounezar und Jamani, sollten aber auf jeden
Fall erschossen werden. Für Hans-Joachim Klein war der Überfall
auf die Opec-Konferenz der Anfang vom Ende seiner terroristischen Laufbahn.
In seinem 1979 erschienenen Buch "Rückkehr in die
Menschlichkeit" schildert er, wie "die drei toten Menschen"
ihn am Sinn solcher Aktionen irre werden ließen. "Bei keinem,
aber auch bei keinem einzigen der drei bestand auch nur ein klitzekleiner
Grund, ihn umzubringen". Seine Zweifel legte er in einem langen Brief
an einen persönlichen Freund nieder, den er dem damaligen Chef der
"Revolutiönären Zellen", Wilfried Böse, zur
Übermittlung anvertraute. Der Brief wurde jedoch nicht an den
Adressaten geliefert, sondern geöffnet, gelesen und vernichtet. Dieser
Vertrauensbruch ließ in Klein endgültig den Gedanken reifen, aus
der Terroristenszene auszusteigen. Im Mai 1977 besiegelte er seinen
Ausstieg mit einem Brief an den Spiegel, dem er seinen bei dem
Opec-Attentat benutzten Revolver beilegte.
seinen bei dem Opec-Attentat benutzten Revolver beilegte. In dem Brief
verriet Klein auch angebliche Pläne der "Revolutionären
Zellen", die Vorsteher der jüdischen Gemeinden in Berlin und
Frankfurt, Heinz Galinsky und Ignaz Lipinsky zu ermorden (in der
Anklageschrift heißt es dazu allerdings, diese Angaben hätten
"keine Verifizierung gefunden"). Von da an lebte Hans-Joachim
Klein auf der Flucht. Der Polizei stellen wollte er sich nicht - "Ich
will nicht in den Knast", sagte er 1978 in einem Spiegel-Interview.
Aber auch die früheren Genossen waren hinter ihm her; wegen seiner
Insider-Kenntnisse im internationalen Terrorismus war Klein eine
ständige Bedrohung für sie. Französische Freunde verhalfen
ihm zu einer neuen Identität und zu einem Unterschlupf in dem kleinen
normannischen Dorf Sainte-Honorine-la-Guillaume. Dort führte Klein
fast 20 Jahre lang ein unauffälliges Leben. Er verdiente sich etwas
Geld mit Autoreparaturen (er ist gelernter Automechaniker), lebte mit einer
Lehrerin zusammen und wurde Vater von zwei Kindern. Die Beziehung
scheiterte 1991, zu seinen Kindern aber hatte Klein weiter guten Kontakt.
Sie sind möglicherweise auch der Grund dafür, dass er sich in den
Monaten vor seiner Verhaftung mit dem Gedanken getragen haben soll, sich
doch den deutschen Behörden zu stellen.
Ein Schuss in den Rücken
Zielfahnder des Bundeskriminalamtes kamen dieser Absicht aber zuvor. Am
8. September 1998 wurde Klein in Frankreich festgenommen und im Mai 1999
nach Deutschland ausgeliefert. Ein mit Klein befreundeter
französischer Journalist äußerte den Verdacht, die Polizei
habe den Aufenthaltsort des Gesuchten durch das Abhören von
Telefongesprächen einer Stern-Journalistin entdeckt. Klein hat immer
beteuert, er habe persönlich keines der drei Opfer des OpecAttentats
getötet. Als gesichert gilt, dass der österreichische Polizist
Anton Tichler von dem Kommando-Mitglied "Nada" durch einen Schuss
in den Rücken getötet wurde, als er mit dem Aufzug fliehen
wollte. "Nada" wurde später als die Deutsche Gabriele
-Tiedemann identifiziert. Sie starb 1995 an Krebs. Den libyschen
Delegierten Jussuf Izmirli schoss "Carlos" mit einer
Maschinenpistole nieder. Unklar ist, wie der irakische Leibwächter Ala
Saced Al-Khafazi ums Leben kam. Klein schildert in seinem Buch, Al-Khafazi
habe sich mit erhobenen Armen rückwärts in Richtung Ausgang
bewegt. "Nada" sei ihm nachgelaufen und habe ihm die Pistole auf
die Brust gesetzt. Der Iraker habe die Frau umklammert, dann sei ein Schuss
gefallen.
Die Staatsanwaltschaft hält diese Version des tödlichen
Geschehens auf Grund der Spuren am Tatort für unmöglich.
"Carlos", mittlerweile in Frankreich zu lebenslanger Haft
verurteilt, hat in einer Vernehmung behauptet, Klein habe auf Al-Khafazi
geschossen. Am 23. November soll "Carlos" in Frankfurt als Zeuge
gehört werden - ob die französischen Behörden ihn
überstellen und ob er aussagebereit ist, steht noch dahin. Als
Mordversuch wertete die Anklage einen Schuss, der den österreichischen
Polizeibeamten Leopolder ins Gesäß traf; der Polizist will
gesehen haben, dass Klein diesen Schuss abgegeben hat. Die 21. Strafkammer
in Frankfurt hat die Anklage noch verschärft - sie wertet auch die
ausdrückliche Absicht der Terroristen, die Minister Amouzegar und
Jamani zu erschießen, als Mordversuche. Carlos ließ die beiden
dann aber entgegen dem ursprünglichen Plan mit den anderen Geiseln
frei - angeblich gegen eine Zahlung von zwei Millionen US-Dollar. Ob die
Anklage gegen Rudolf Schindler tragfähig ist, wird sich erst im Lauf
des Prozesses erweisen. Schindlers Verteidiger Wolfgang Euler ist sich
sicher, dass sein Mandant das Opfer einer Verwechslung ist. Klein hat
Schindler als die Person identifiziert, die er in seinem Buch mit den
Decknamen "Max" und "Sharif" benennt. Diese Decknamen
führte aber nachweislich ein anderes Mitglied der Revolutionären
Zellen. Der Mann lebt heute in Nicaragua und ist als Zeuge geladen.
Hans Holzhaider
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