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Presse

Datum:
05.01.2001

Zeitung:
Nordwest Zeitung

Titel:
Das bin ich, Joschka Fischer

"Das bin ich, Joschka Fischer"

Außenminister bekennt sich zu seiner Vergangenheit als gewalttätiger Straßenkämpfer - Aufregung um Fotoserie

Frankfurt/Main. Vier vermummte Demonstranten umkreisen einen Polizisten, schlagen ihn nieder und treten den am Boden liegenden Beamten: Die Fotoserie einer Schlägerei während des Frankfurter Häuserkampfs im Jahr 1973 sorgte am Donnerstag für große Empörung, denn einer der damaligen Gewalttäter war Joschka Fischer, heute Außenminister.

Prompt hagelte es Kritik: Unionspolitiker sprachen von einer Schande für Deutschland und forderten Fischers Rücktritt, die Polizei verlangte eine offizielle Entschuldigung. Doch der 52-jährige Grünen-Politiker zeigte wenig Reue. Das bin ich, Joschka Fischer, erklärte der frühere Straßenkämpfer trotzig im Stern.

Ohne meine Biografie wäre ich heute ein anderer, und das fände ich gar nicht gut. Er habe seine militante Vergangenheit nie verschwiegen. Eine klare Entschuldigung kommt dem Grünen-Politiker während des fünfseitigen Wortlaut-Interviews in dem Magazin nicht über die Lippen, stattdessen Erklärungsversuche: Grundlos habe er damals Bekanntschaft mit Polizeiknüppeln gemacht und sei grün und blau geschlagen worden. Als gewaltfreier Demonstrant der linken Studentenbewegung sei er Anfang der 70er Jahre auf viel Hass gestoßen, was seinerseits Hass erzeugt habe. Schließlich habe er auch selbst Polizisten attackiert. Ich begann, mich zu wehren und nicht mehr wegzulaufen. Steine habe er geworfen, Molotow-Cocktails aber nie.

Heute akzeptiert Fischer nach eigenen Worten Gewaltausübung nur noch als Ultima Ratio, wenn es um Leben und Freiheit geht und andere Mittel nicht mehr helfen - gerade auf Grund meiner eigenen Erfahrungen . Tatsächlich ist seit langem bekannt, dass der damals 25-jährige Fischer mitunter auch gewalttätig gegen die Staatsmacht vorging. So soll er Mitglied der so genannten Putzgruppe gewesen sein, einer Gruppe junger Männer, die sich den Schutz von Demonstranten, notfalls auch mit Gewalt, auf die Fahnen geschrieben hatte.

Bereits in den vergangenen Wochen war Fischer von seiner militanten Vergangenheit eingeholt worden: Der Außenminister muss am 16. Januar vor dem Frankfurter Landgericht im Prozess gegen den ehemaligen Terroristen der Revolutionären Zellen , Hans-Jürgen Klein, aussagen, dem dreifacher Mord vorgeworfen wird. Klein zählte zu den Weggefährten Fischers, bevor er in den Untergrund ging und schließlich als Beteiligter des OPEC-Attentats in Wien verhaftet wurde. Er selbst habe den bewaffneten Kampf aber immer abgelehnt und heftig politisch bekämpft, betont Fischer. Die Tragödie von Klein ist, dass er sich mit dieser Szene eingelassen hat .

Prominente Unionspolitiker fanden bereits die persönliche Verfehlung Fischers schlimm genug. CSU-Innenminister Günther Beckstein nannte es unerträglich, dass Deutschland einen ehemaligen Gewalttäter zum Bundesaußenminister hat, der mit Füßen nach einem wehrlos am Boden liegenden Menschen getreten hat . Sein Parteifreund Peter Ramsauer sagte, möglicherweise sei es notwendig, einen Untersuchungsausschuss des Bundestags zu bilden. Die hessische CDU nannte Fischers Äußerungen eine scheinheilige Selbstrechtfertigung . Der Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK) sagte, Fischers Tat könne man nicht einfach als Jugendsünde abtun .

Deckung vor den Anwürfen der Polizei bekam der Außenminister von prominenten Grünen-Politikern wie Fritz Kuhn und Christian Ströbele. Als einer der ersten meldete sich jedoch der Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit, selbst ein früherer Weggefährte Fischers: Dessen Biografie sei bekannt und gehöre untrennbar zur Person Joschka Fischer. Das ist endlich ein deutscher Politiker, der sagt: Ja, das war ich.

Torsten Holtz

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