|
Datum:
18.10.2000
|
Zeitung:
Berliner Morgenpost
|
Titel:
"Ich war immer an vorderster Front dabei"
|
"Ich war immer an vorderster Front dabei"
Der Ex-Terrorist Hans-Joachim Klein vor Gericht
Frankfurt/Main - Das Polizeiauf-gebot ist groß, auch Zivilbeamte
be-finden sich unter den Zuschauern, als die beiden Angeklagten in
Hand-schellen den Schwurgerichtssaal des Frankfurter Landgerichts betreten.
Ex-Terrorist Hans-Joachim Klein wirkt angeschlagen: Das Gesicht ist faltig
und grau. Immer wieder ver-schränkt er wie zum Selbstschutz die Arme.
Kleins Mitangeklagter Rudolf Schindler versucht - hinter einer Sonnenbrille
verborgen - locker zu wirken. Beide müssen sich wegen eines
Terroranschlags ver-antworten, der fast ein Vierteljahrhun-dert
zurückliegt. Dass Klein, dem die Staatsanwaltschaft dreifachen
gemein-schaftlichen Mord, versuchten Mord in drei Fällen und
Gei-selnahme vorwirft, 1975 am Überfall auf die Konferenz
erdölexportierender Länder (OPEC) betei-ligt war, hat der heu-te
52-Jährige nie ge-leugnet. Im Gegensatz zu dem wegen möglicher
Mittäterschaft angeklagten Schindler, der bis-lang die Aussage
verweigert, berichte-te der im September 1998 in Frankreich festgenommene
Klein gestern aus-führlich über sein Leben vor und nach dem
OPEC-Anschlag.
"Für zehn Minu-ten OPEC zahle ich seit 25 Jahren",
resü-mierte der Vater zweier Kinder ver-bittert. Kleins Schilderungen
kamen stockend, zuweilen erregt, wenn es darum ging, seinen Schritt aus der
Unterstützerszene in den Kreis der aktiven Terroristen zu
erklären:"Das war dieser ganze Frust damals, dass wir gegen
nichts etwas tun konnten ,"erklärte er. 1967 war der
Heimzögling in Frankfurt zur linken Szene gestoßen, zu der unter
anderem der jetzige Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit und "mein
Freund Joschka Fischer " gehört hatten, Menschen, die den
Autoschlosser intellektuell weit überlegen waren. Klein engagierte
sich trotzdem, unter anderem für bessere Haftbedingungen für die
in Stammheim einsitzenden RAF-Terroristen.
Bald gehörte Klein zu ihren Unterstützern, tauschte Geld von
Banküberfällen um, besorgte Wohnungen. Als Kontaktperson
fungierte nach seiner Aussage Monika Haas, die wegen Beteiligung an der
Landshut-Entführung 1977 vor zwei Jahren zu fünf Jahren Haft
verurteilt wurde.
Im November 1974 starb der Terrorist Holger Meins den Hungertod, nach
Kleins Worten ein Schlüsselerlebnis. Er entschloss sich, nun "andere
Sachen zu machen, auch Anschläge". Klein war nach eigenen Worten
eine bekannte Person in der Frankfurter Szene geworden: "Ich war immer an
vorderster Front dabei." Nach Meinung des Angeklagten war dies auch
ein Grund, warum schließlich Mitglieder der RAF-Konkrurrentin
"Revolutionäre Zellen" um ihn warben, unter ihnen Wilfried
Böse, Brigitte Kuhlmann und der Mitangeklagte Schindler. Immer wieder
versucht Klein vor Gericht deutlich zu machen, dass er nur
ausführendes Organ war: "Ich erfuhr immer nur das, was ich wissen
sollte", beteuerte er. Vom Vorsitzenden Richter Heinrich Gehrke auf
seine in der Szene bekannten Waffenkenntnisse angesprochen, wiegelt der
Ex-Terrorist ab. Selbst bei der Bundeswehr habe er nur eine
Schießübung mitgemacht. Sein Wissen sei vorwiegend theoretisch
gewesen.
Bei den "Revol-tionären Zellen" wurde Klein unter dem
Decknamen "Angie" geführt. Bei einer
"Solidaritätsaktion" für Palästina, bei der der
Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in England entführt
werden sollte, waren Klein wie auch der später am Opec-Anschlag
beteiligte internationale Top-Terrorist Carlos dabei.Das Unternehmen wurde
abgeblasen, weil der Botschafter sich in zwei Wochen nur einmal blicken
ließ.
In Wien kamen die Terroristen dann zum Zug. Beim Überfall
auf die Erdölminister nahmen sie 70 Geiseln, drei Menschen
wurden getötet. Staatsanwalt Volker Roth geht davon aus, dass
Klein seinerzeit nicht nur die Tötung zweier Erdölminister
von vornherein in Kauf genommen, sondern auch selbst geschossen
hat. 1977 löste sich Klein vom Terrorismus:" Ich habe
nach Wien angefangen, die Augen aufzumachen und zu denken,"
versicherte er gestern. Zum Opec-Anschlag selbst wird Klein voraussichtlich
morgen aussagen. Der Prozess ist zunächst auf zwanzig Verhandlungstage
angesetzt. Demnach könnte das Urteil am 21. Dezember fallen
- exakt 25 Jahre nach dem Anschlag von Wien.
JUTTA WITTE
|