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Presse

Datum:
29.12.2000

Zeitung:
Jungle world

Titel:
Mit Angie im Aostatal

Zeit der Zeugen

Mit Angie im Aostatal

Im Frankfurter Opec-Verfahren berichtet ein ehemaliges Mitglied der Revolutionären Zellen ausführlich über deren Innenleben während der siebziger Jahre. Für den Kronzeugen Klein sieht es seither noch schlechter aus

Der Opec-Prozess

Kaum jemand will Hans-Joachim Klein, dem Hauptangeklagten im Opec-Verfahren, noch Glauben schenken. Nun ist auch noch ein Ex-Genosse Kleins vor dem Frankfurter Landgericht aufgetreten und widerlegt die Aussagen des Kronzeugen. Doch was der ehemalige RZler Gerd Schnepel zu sagen hat, dürfte nicht nur bei den Anklägern Verärgerung auslösen.

Zuletzt haben sie sich in Italien gesehen. Im Aostatal. Das muss wohl im April 1977 gewesen sein, erinnert sich der Mann im Zeugenstand. "Wir hatten damals nicht die Spur einer Ahnung, dass Klein eine Woche später unter verleumderischen Behauptungen aussteigen wollte." Heinrich Gehrke, der Vorsitzende Richter im Frankfurter Landgericht, wirkt etwas verwundert.

Und skeptisch. Wirklich glauben, so scheint es, will er dem eigens aus Nicaragua angereisten Zeugen Gerd Schnepel nicht. Hatte Hans-Joachim Klein nicht steif und fest behauptet, sein Mitangeklagter Rudolf Schindler sei es gewesen, der ihn damals versorgt hatte, als er nach dem Überfall auf die Opec-Konferenz nicht mehr nach Deutschland zurückkehren konnte?

Und dann kommt dieser Zeuge Schnepel, einst Mitglied in den Revolutionären Zellen (RZ), und berichtet ausführlich über seine gemeinsame Zeit mit Klein in der militanten Gruppe. Er habe die Waffe nach Italien gebracht, die Klein kurz darauf mit einer spektakulären Ausstiegserklärung dem Spiegel schickte - eine Geschichte, die Schnepel nicht ohne leichten Groll erzählt. Schließlich habe er die Pistole trotz aller Risiken über die Grenze gebracht. Vor allem aber eins ist für dieses Verfahren von Bedeutung: Nicht Schindler, wie Klein behauptet, sondern er selbst sei in den RZ unter den Decknamen "Max" und "Sharif" aktiv gewesen. Mit dem Überfall auf die Wiener Konferenz im Jahr 1975, der hier seit Mitte Oktober zur Verhandlung steht, habe aber "Max" ebensowenig zu tun gehabt wie sein ehemaliger Genosse Schindler.

Schnepel? Schindler? Wer war nun wirklich "Max" bzw. "Sharif"? Ganz so verwundert, wie sich Richter Gehrke nach der Vernehmung in der vorvergangenen Woche gab, wird der Jurist kaum gewesen sein. Denn ein Blick in die Akten müsste genügen, um den Sachverhalt zu klären. Bereits Anfang der neunziger Jahre statteten Beamte des Bundeskriminalamtes Schnepel einen Besuch ab.

Aus dem Nachlass der Stasi hatte sich zweifelsfrei ergeben, dass der heute 57jährige unter den beiden Namen als führender Aktivist im so genannten internationalistischen Flügel der RZ arbeitete. Die Ermittlungen wurden damals eingestellt, weil die Tatvorwürfe verjährt waren. "Max" bzw. "Sharif" alias Schnepel war wie der Hauptangeklagte Klein im Jahr 1977 aus der Guerilla ausgestiegen und später vorübergehend im Ausland verschwunden. Heute arbeitet er in Nicaragua. Von dort aus ließen Schindlers Verteidiger Hans Euler und Jürgen Fischer den Ex-RZler zur Gerichtsverhandlung einfliegen. Und im Gegensatz zu ihrem Mandanten, der bisher schweigt, spricht Schnepel ausführlich über die Zeiten mit den "Ps", den Palästinensern, der Gruppe um Wadi Haddad und jenem Venezolaner mit dem Namen Illich Ramirez Sanchez, der als Carlos berühmt wurde.

Klein scheint das alles nicht hören zu wollen. Zusammengekauert, in einen blauen Anorak gehüllt sitzt er da, steckt sein Gesicht in den Rollkragenpulli und starrt vor sich hin. Von jenem "draufgängerischen Aktionstyp", wie ihn Schnepel kennengelernt haben will, ist nichts geblieben. Man sieht Klein an, dass er sich 25 Jahre hat versteckt halten müssen. Und auch jetzt, seit seiner Verhaftung im Sommer 1998 in einem französischen Dorf, sieht es nicht gut aus für den 52jährigen. Geiselnahme wirft ihm die Anklage vor, weil er als RZ-Mitglied gemeinsam mit Carlos und vier weiteren Personen die Konferenz der Erdölminister überfallen hat. Und gemeinschaftlichen dreifachen Mord. Schließlich kamen bei der Aktion drei Menschen ums Leben. Ob Klein selbst einen der Toten zu verantworten hat, ist ungeklärt. Von Augenzeugen wurde er jedoch vor Gericht schwer belastet.

Klein muss also einiges bringen, um einer lebenslangen Haftstrafe zu entgehen. Die Kronzeugenregelung, auf die der Angeklagte setzt, wird er nur in Anspruch nehmen können, wenn sein Mitbeschuldigter Schindler verurteilt wird. Geht man von rechtsstaatlichen Kriterien aus, spricht dafür bislang wenig. Allein Klein hat den Mann belastet. Er will Schindler, dem Beihilfe zum Mord vorgeworfen wird, unmittelbar vor dem Überfall in einer konspirativen Wohnung in Wien gesehen haben.

Also reagiert Klein überaus empfindlich. Zum Beispiel auf den Zeugen Schnepel. "Isch hab den Mann net getroffe", schimpft er wie aufgelöst in den Sitzungssaal 165 C. Und überhaupt: "Der Max war der Herr Schindler." Das will Klein-Klein, wie ihn seine Freunde früher nannten, ganz sicher wissen. Schließlich sei er damals mit dem Tod bedroht worden, als er aussteigen wollte. "So was vergisst man im Leben nicht." Deshalb, so gab er schon früher zu Protokoll, habe er sich von "Max" die Knarre in das Häuschen im Aostatal bringen lassen.

Ein kurzer Blickwechsel zwischen Schnepel und dem Angeklagten Schindler, der ab und zu vorsichtig grinst. Unverständnis. Nein, erklären könne er sich Kleins Angaben auch nicht, sagt der Zeuge Schnepel. Mehrmals habe er den Ex-Genossen getroffen: so etwa mit der RZ-Gründerin Brigitte Kuhlmann zu einer Besprechung auf einem Frankfurter Friedhof und natürlich Anfang 1976 im Ausbildungslager im Südjemen. Dorthin war Klein alias "Angie" später, im Anschluss an die Opec-Aktion, nachgekommen. Auch Schindler, an dessen RZ-Mitgliedschaft Schnepel keinen grundsätzlichen Zweifel lässt, sei wie zehn bis zwölf weitere Personen aus der Gruppe zum "Training" im Jemen gewesen. Von Anfang an.

Dass Klein regelmäßig behauptete, "Max" habe ihm wegen seines Ausstiegs nach dem Leben getrachtet, ärgert Schnepel noch heute. "Keiner in der RZ habe auch nur angedacht, dass man ihn umbringen müsse." Wenn jemand habe aussteigen wollen, sei das "akzeptiert und geholfen" worden. "Das beste Beispiel bin ich selbst." 1980, als der heutige Entwicklungshelfer sich nach eigenen Worten längst der Biolandwirtschaft gewidmet hat, besuchte er Daniel Cohn-Bendit und sprach mit ihm über Kleins "Rückkehr in die Menschlichkeit", jene Aussteiger-Memoiren, die mit Hilfe des Frankfurter Spontis beim Rowohlt-Verlag erschienen sind. In dem Buch seien "falsche" und "ehrabschneidende" Behauptungen veröffentlicht worden.

Daran hatte offenbar auch der heutige Grünenpolitiker keinen Zweifel: "Das ist eben Angie." Man solle "nicht alles wörtlich nehmen, was er sagt", will Schnepel von Cohn-Bendit gehört haben. Als der Europaabgeordnete vergangene Woche vor dem Frankfurter Gericht aussagte, gab er sich weniger tolerant. "Die haben ihn rübergezogen", beschuldigte er die RZ. Und als sei sein Einsatz für Klein bar jeglichen politischen Interesses gewesen, brach er in Tränen aus und nannte Kleins Entscheidung für die Gruppe eine "persönliche Niederlage". Was ihn nicht daran hindert, mit Blick auf Klein noch heute regelmäßig seine besondere Rolle im "Kampf gegen den Terrorismus" hervorzuheben.

Im Gegensatz zu Klein stellt Schnepel seine Abkehr vom militanten Widerstand nicht spektakulär zur Schau. Nicht damals, und auch nicht heute vor den Frankfurter Richtern. Und so wollte ihm der Vorsitzende Gehrke auch nicht recht glauben, dass er von der Opec-Aktion erst aus der Presse erfahren habe, wo er doch mit der RZ-Gründerin Kuhlmann liiert war. "Wir haben nicht im Bett gelegen und darüber gesprochen, wer an welcher Aktion beteiligt war", versuchte der Ex-RZler dem Juristen die "eisernen Regeln" der Guerilla zu erklären. Immerhin: Zumindest in diesem einen Moment konnte man Gehrke seine Verwunderung ruhigen Gewissens abnehmen.

Christoph Villinger und Wolf-Dieter Vogel

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http://www.freilassung.de/presse/opec/jw291200b.htm