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Datum:
29.11.2000
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Zeitung:
Frankfurter Rundschau
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Titel:
"Carlos" protestiert gegen deutsche Richter in Paris
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"Carlos" protestiert gegen deutsche Richter in Paris
Schwierige Vernehmung des Frankfurter Gerichts im Opec-Prozess
/ Protokollführer-Streik
PARIS, 28. November. Nach anfänglich heftigen Protesten gegen den
Auftritt deutscher Richter in Frankreich hat sich der internationale
Terroristenführer Illich Ramirez Sanchez, genannt "Carlos",
am Dienstag in Paris bereit erklärt, als Zeuge im Prozess um das
Opec-Attentat 1975 in Wien auszusagen. Auch wenn er die deutsche
Gerichtsbarkeit nicht anerkenne, wolle er aus Respekt vor "der
politischen und historischen Wahrheit sich äußern", betonte
der 51 Jahre alte Venezolaner.
Um zu klären, welche Rolle die in Frankfurt wegen Mordes
angeklagten Hans-Joachim Klein und Rudolf Schindler beim Opec-Überfall
spielten, waren Richter, Staatsanwalt und Verteidiger des Frankfurter
Schwurgerichts zur kommissarischen Vernehmung nach Paris gekommen.
Während Klein behauptet, er habe damals in Wien keines der drei Opfer
selber getötet, hatte "Carlos" als damaliger Kommandant des
sechsköpfigen Terroristenkommandos in einem Kassiber zum Ausdruck
gebracht, dass Klein einen irakischen Leibwächter getötet sowie
einen Wiener Polizisten schwer verletzt habe.
Streng bewacht von Polizisten einer Spezialeinheit, drängte
"Carlos" bei der Vernehmung im völlig überfüllten
Verhandlungssaal des Pariser Justizpalastes darauf, die erste Frage zu
stellen. Zu den Frankfurter Richtern gewandt, sagte er "ob sie
gekommen sind, die Wahrheit über den Opec-Überfall herauszufinden
oder ob sie nur alles weiter verdrehen wollen". Darauf sagte der
Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke: "Im Rechtsstaat ist es die
grundsätzliche Aufgabe von Gerichten, die Wahrheit zu finden." Zu
dem Vorwurf des "Berufsrevolutionärs in leninistischer
Tradition", der Auftritt der Richter in Frankreich entspreche der
"Tradition des Regimes von Vichy", sagte Gehrke: "Ich bin
mir bewusst, dass ich hier nur Gast bin."
Zu dem Überfall hatte "Carlos" nach weitschweifigen
Ausführung bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nichts
Konkretes ausgeführt: Seine Vernehmung hatte unter beträchtlichen
Schwierigkeiten begonnen, da in Frankreich zur Zeit die Protokollführer
der Gerichte streiken. Während der Vernehmung waren Sprechchöre
vor dem Justizpalast zu hören, die aber nicht von Anhängern
"Carlos'" stammten, sondern von Gewerkschaftern, die die
Forderungen der Protokollführer lautstark unterstützten.
Norbert Leppert
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