Datum:
2001
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Zeitung:
Focus 49
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Titel:
Mein Freund Joschka
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Mein Freund Joschka
Außenminister Fischer wird als zeuge im Opec Prozess von
seiner Vergangenheit eingeholt
Unterschiedlicher können die Karrieren zweier Menschen kaum
verlaufen: Der eine drückt die Anklagebank im Frankfurter Landgericht,
verfolgt abgemagert und mit verwittertem Gesicht, wie ihm der Staat den
Prozess macht. Der andere reckelt sich auf der Regierungsbank, gibt sich
staatstragend, genießt an der Seite des Kanzlers das hantieren an den
Hebeln der Macht. Hans Joachim Klein, 52, ist des dreifachen Mordes im
Zusammenhang mit dem Opec- Überfall 1975 in Wien angeklagt.
Bundesaußenminister Joschka Fischer, 52, ist diese Woche als Zeuge
geladen.
Die Lebenslinien der beiden Männer kreuzen sich zum zweiten
Mal. Einst kämpften sie Seite an Seite, heute treffen sich ein Sieger
und ein Verliererer. Ein Vierteljahrhundert liegt dazwischen. Damals als im
Frankfurter Westend Straßenkämpfe um besetzte Häuser
tobten, standen sie auf der selben Seite der Barrikade, pflegten das selbe
Feindbild. "Meinen Freund Joschka", nennt Klein den Minister in
einer Einlassung. Einige Beobachter meinen, einen zynischen Unterton
herausgehört zu haben.
Joschka Fischer soll den Lebensabschnitt Hans Joachim Kleins vor dessen
Abtauchen in den terroristischen Untergrund im Dezember 1975 ausleuchten
helfen. Es geht um eine Zeit in Kleins Leben, die auch eine eher
undurchsichtige in Fischers Biografie geblieben ist. Das Verfahren gegen
Klein rückt die Vergangenheit des Außenministers wie etlicher
weiterer prominenter Ex- Spontis und grüner Politiker ins
Blickfeld.
Frankfurt zu Beginn der 70er- Jahre: Klein und Fischer mischen in der
"Putztruppe" mit , einer Schlägertruppe, die bei
Hausbestzungen und Demos zum Einsatz kommt. Mitten drin in der Randale:
Joschka Fischer, den die linksintellektuelle Universitätsszene nach
abgebrochener Fotografenlehre aus der schwäbischen Provinz in die
Main- Metropole gelockt hatte, und Hans Joachim Klein, gescheiterter Kfz-
Lehrling, der im linken Milieu eine neue Heimat sucht.
Doch das Dikussionsniveau sprengt seinen Horizont. Er, der
waschechte Proli unter lauter Studies, der nicht über die gewandte
Zunge eines Joschka verfügt, dafür aber wegen Autodiebstahls
schon erste Knasterfahrungen hat, will handeln statt schwafeln. Winfried
Böse, ebenfalls aus der Frankfurter Szene und bereits ein
führender Kopf der illegalen Revolutionären Zellen, rekrutiert
ihn für den bewaffneten Kampf; er bringt ihn mit dem berüchtigten
Terroristen Carlos sowie dessen palästinensischen Hintermännern
in Kontakt und engagiert ihn schließlich auch für den Wiener
Opec- Anschlag, bei dem Terroristen drei Menschen erschießen.
Während Klein in den bewaffneten Terrorismus abrutscht, bleiben
Fischer und seine Freunde bei der leichten Krawallerie. "Genossen,
schmeißt die Gewehre weg und nehmt die Steine in die Hand", mit
dem legendären Apell soll Joschka Fischer seinerzeit Genossen im
Untergrund zur Umkehr gemahnt haben.
Die Bekanntschaft mit Klein schob Joschka Fischer zunächst
selbst ins Visier der Terrorfahnder. Klein hatte 1973 eine Ladung Waffen,
die aus einem Depot der US- Armee gestohlen waren, von einem Versteck ins
andere gekarrt - mit einem VW- Variant (Kennzeichen: F- MS 641), der auf
Fischer zugelassen war. Eines der fraglichen Schießwerkzeuge tauchte
1981 bei der Ermordung des hessischen Wirtschaftministers Heinz Herbert
Karry auf. Die Polizei zapfte Joschka Fischers Telefon an. Der richterliche
Beschluss stützte "sich auf Umstände, die Josef Martin
Fischer vor und nach der Tat in enge Nähe zu den Tätern
bringen". Die Ermittler gelangten zu dem Ergebnis, dass Fischer mit
der Mordtat nicht in Verbindung zu bringen war.
Trotzdem bleiben Fragen offen. Selbst wohlwollende Biografen und
Kommentatoren weisen darauf hin, wie wiederwillig sparsam sich Joschka
Fischer bislang zu jener Phase seiner steilen politischen Karriere
eingelassen hat. Wenn überhaupt, geschieht es eher flapsig oder
kokettierend: Im Buch über seinen Fitness- Trip zu sich selbst
schreibt er etwa: " Und auch - meine linksradikalen siebziger Jahre in
der Frankfurter Sponti- Szene und im Häuserkampf verlangten ein hohes
Maß an körperlicher Fitness." Nicht darum herumgeredet? Was
heißt das: "körperliche Fitness im
Häuserkampf"?
Fischer in einem Interview: "Ich habe nie bestritten, dass ich fast
zehn Jahre lang unter Einsatz von Gewalt die verfassungsmäßige
Ordnung der Bundesrepublik umstürzen wollte". In einem anderen
Gespräch: "Wir haben verhandelt und gleichzeitig zugehauen".
Einsatz von Gewalt? Zugehauen? Konkreter will Fischer nicht werden.
Ungeklärt ist bis Heute etwa ein Vorfall während einer
Demonstration nach dem Tod der RAF- Terroristin Ulrike Meinhof 1976, bei
dem ein Polizist durch einen Molotow- Cockrail in Brand geriet. Fischer
wurde damals vorübergehend festgenommen, vom Haftrichter aber wieder
entlassen.
Heute jedenfalls, am Ende seines Dauerlaufs durch die Institutionen,
joggt Joschka Fischer unter Polizeischutz durch den Berliner Tiergarten.
Auch andere Veteranen des Straßenkampfs schweigen tapfer über
die alten Zeiten, lassen sich auf ihren Karriereleitern nicht aus dem
Gleichgewicht bringen. Ein "Schweigekatell" nennt der
"Tagesspiegel" Fischers alten Frankfurter Klüngel. Zu ihm
gehört auch Matthias Beltz. Der Kabarettist hat seine Schlagfertigkeit
aus dem Szene- Sumpf mittlerweile in öffentlich- rechtliche TV-
Kanäle umgeleitet. Sein geplanter Auftritt im Opec- Prozess droht
fürs Puplikum aber eine Entäuschung zu werden. Bei seiner
Vernehmung durch den Staatsanwalt schwieg sich der sonst so wortgewaltige
Beltz aus.
Minister Fischer dagegen, so eine Außenamtssprecherin,
wolle "seinen Beitrag zur Wahrheitsfindung" leisten. Zwar
hätte er eine nichtöffentliche Vernehmung vorgezogen, doch das
Gericht lehnte ab. Am Freitag entschied Richter Heinrich Gehrke, dass
Fischer am Mittwoch in Berlin vernommen und seine Aussage per Videoleitung
in den Frankfurter Gerichtssaal teleportiert werden soll. Dann
müßte er seinem Ex- Kumpel Klein nicht mal ins Auge schauen.
Was einer früher mal gemacht hat, ist eine Sache; wie er heute
damit umgeht, eine ganz ander. Für Fischer bleibt seine Frankfurter
Vergangenheit eine klebrige Sache. Vor vier Wochen wurde die Fragestunde
des Bundestagesnach einem Eklat abgebrochen. Fischers Staatsminister Ludger
Vollmer hatte eine CDU- Abgeordnete auf die Frage nach des Ministers
Kontakten zu Klein angeblafft, den bereits bekannten Fakten sei nichts
hinzuzufügen.
Der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke, so lässt seine bisherige
Verhandlungsführung erwarten, ist mit solchen Antworten nicht
abzuspeisen.
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