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Presse

Datum:
16.02.2001

Zeitung:
Berliner Zeitung

Titel:
Rückkehr in die Menschlichkeit

Rückkehr in die Menschlichkeit

Das Urteil - neun Jahre Gefängnis - gegen Hans-Joachim Klein ist vernünftig. Klein war ein Terrorist. Er ist es schon seit langem nicht mehr. 1979 erschien sein Buch "Rückkehr in die Menschlichkeit". Es hat damals ein paar mit dem Terrorismus liebäugelnde Zeitgenossen davon abgehalten, den Weg zu den bewaffneten Kämpfern zu gehen. Das ist ein Verdienst des Ex-Terroristen Klein, das nicht Eingang finden konnte in das Urteil, das aber von uns berücksichtigt werden sollte bei der Beurteilung seiner Person.

Klein, der selbst an den Terrorismus geglaubt hatte, konnte für Menschen, die dem bewaffneten Kampf zuneigten, glaubwürdig sein. Seine Abkehr war wichtiger als tausend gute Argumente von Menschen, die niemals gefährdet gewesen waren. Man kennt das inzwischen aus der Suchtbekämpfung. Nur wer selbst einmal Alkoholiker war, kann Alkoholikern beibringen, von der Flasche zu kommen. Wir müssen wohl begreifen lernen, dass auch der politische Radikalismus etwas von Suchtverhalten hat.

Ganz sicher gab es seit den sechziger Jahren so etwas wie eine weltweite Faszination der Gewalt. Die dem Zuschauer sich entgegendrängenden nackten Körper des Living Theatre, Arrabals Theater der Grausamkeit, die Italo-Western waren nur der ästhetische Kommentar zur in der wirklichen Welt immer mächtiger werdenden Gewalt.

Ganze Provinzen wurden mit viel Geld und massivem Einsatz neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse in Mondlandschaften verwandelt. Man vergaß darüber das Individuum nicht. Folter war von Algerien bis Vietnam eines der beliebtesten Herrschaftsmittel. Es gab Spezialisten, die von ihren Regierungen an befreundete Regimes ausgeliehen wurden. Mal im Rahmen der Entwicklungshilfe, mal über andere Konten.

Neue Staaten waren entstanden. Sie hatten die Kolonialmächte vertrieben. Das geschah nur in den seltensten Fällen durch die Kunst der süßen Rede. Die ganze Palette vom Buschmesser bis zur Bombe war nötig, um die Unabhängigkeit zu erringen.

Wer 1968 zwanzig Jahre alt war, der konnte in dem Wahn leben, sich in einem Weltbürgerkrieg zu bewegen. Es war ein Wahn, den er mit Millionen Menschen teilte, unter ihnen der Verteidigungsminister der USA, Robert McNamara.

Politik war damals auf die Straße gegangen. Überall auf der Welt. Mit oft mörderischen Konsequenzen. Die meisten verabscheuten die Gewalt. Aber es gab viele, die von ihr fasziniert waren, die ihrem Zauber erlagen. Die einen konnten das legal in ihren Ämtern als Verwalter des staatlichen Gewaltmonopols tun, die anderen gingen in den Untergrund und töteten aus dem Hinterhalt: nicht nur die Mächtigen, sondern auch Chauffeure, Pförtner, zufällige Passanten.

Beide Formen der Gewalt wurden ästhetisiert. Aber die Fotos der RAF-Häftlinge wurden in kleinen Gruppen zu Ikonen eines Revolutionskultes, der zwar nicht wie Che Guevaras Lockenkopf verpopt Millionen erreichte, aber in den Köpfen nicht weniger Jugendlicher beträchtlichen Schaden anrichtete.

Die Gewalttäter kannten die Argumente gegen ihre Gewalttätigkeit. Sie hatten sie oft noch wenige Monate zuvor selbst vertreten. Es ging damals und es geht wohl immer nur zu einem kleinen Teil um Argumente. Es geht um Gemütslagen, und die werden nicht nur von Tatsachen, sondern wohl vorwiegend von Bildern bestimmt. Wer aus '68 etwas lernen möchte, für den ist die Gewaltfrage zentral. Solange der Staat glaubt, die Bevölkerung an den "Anblick bis an die Zähne bewaffneter Polizei gewöhnen" zu müssen, so lange wird der Austritt aus der Spirale der Gewalt erschwert. Die Kämpfer sehen sich von Kämpfern umstellt. Also kämpfen sie.

Man wird die Gewalt nicht los, indem man auf ihre Anwendung verzichtet, aber man darf ihrer Faszination nicht erliegen. Der Staat hat das Gewaltmonopol. Das ist gut so. Er muss sorgsam damit umgehen. Er darf seine Überlegenheit nicht demonstrieren. Er ist überlegen. Er darf dem in den meisten von uns schlummernden Terroristen kein Futter geben. Der Staat muss wissen, dass er der Staat aller seiner Bürger ist. Auch derer, die sich gerade von ihm abwenden. Nur so kann er sie wieder gewinnen. Wenn wir das aus dem Terrorismus der siebziger Jahre zu lernen bereit sind, haben wir eine Chance, mit dem uns heute bedrohenden Terror der rechtsradikalen Schlägerbanden fertig zu werden. Wir müssen lernen von Hans-Joachim Klein und seiner "Rückkehr in die Menschlichkeit".

Arno Widmann

MAIL
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