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Presse

Datum:
26.10.2000

Zeitung:
ak - analyse & kritik

Titel:
Von einem der auszog die Welt zu verändern

Von einem der auszog die Welt zu verändern

OPEC-Prozess gegen Hans-Joachim Klein und Rudolf Schindler eröffnet

Fast 25 Jahre nach dem Anschlag auf die Konferenz der OPEC-Minister in Wien begann am 17. Oktober in Frankfurt am Main der Prozess gegen Hans-Joachim Klein und Rudolf Schindler. Als Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) sollen beide an dem Anschlag beteiligt gewesen sein.

Am 21. Dezember 1975 besetzt ein Kommando, das sich "Bewaffneter Arm der Arabischen Revolution" nennt, die Wiener OPEC-Konferenz. Anführer der Gruppe ist Ilich Ramírez Sánchez, besser bekannt unter seinem Decknamen "Carlos". Das Kommando umfasst neben "Carlos" drei Palästinenser und zwei Deutsche, die den Revolutionären Zellen angehören. Die sechs stürmen das Gebäude und nehmen über 70 Geisel, darunter elf Ölminister, fest. Bei der Besetzung kommt es zur Schießerei mit Polizisten und Leibwächtern. Ein österreichischer Polizist, ein irakischer Leibwächter und ein libysches Delegationsmitglied kommen ums Leben, Hans-Joachim Klein wird durch einen Bauchschuss verletzt.

Forderung des Kommandos ist die Verlesung einer Erklärung im österreichischen Rundfunk und Fernsehen sowie freier Abzug mit einigen Geiseln. Die Erklärung wird noch am selben Abend in den österreichischen Medien gesendet. Unter anderem wird darin gefordert, die Gewinne aus dem Ölverkauf den Staaten des Südens zukommen zu lassen - vorrangig allerdings dem palästinensischen Befreiungskampf. Ansonsten wird der palästinensische Widerstand beschworen und denjenigen, die eine Verhandlungslösung mit Israel suchen, mit Bestrafung "durch die Massen gedroht". Einen Tag später fliegt das Kommando mit einem Teil der Geiseln nach Algerien und Libyen aus. Die gekidnappten Ölminister und ihre Mitarbeiter werden dort freigelassen. Bald darauf verliert sich die Spur der Kidnapper irgendwo im Nahen Osten.

Mit einem Brief an den Spiegel, dem ein Revolver beigelegt war, meldete sich Hans-Joachim Klein 1977 spektakulär in der Öffentlichkeit zurück. Darin erklärte "Klein-Klein", wie er in der Frankfurter Szene genannt wurde, seine Abkehr vom bewaffneten Kampf und warnte zugleich vor zwei Anschlägen seiner ehemaligen Genossen. Das Ziel dieser Anschläge hätten angeblich die Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden in Berlin und Frankfurt am Main sein sollen. Die Entscheidung zum Ausstieg aus der Stadtguerilla fällte "Klein-Klein" individuell, ohne Absprache mit seinen damaligen Mitkämpfern. Dieser Punkt war es, den die RZ in einer Erklärung vom Mai 1977 kritisierten. Gleichzeitig betonten sie: "Den Kampf in der Stadtguerilla aufzuhören, ist kein Verrat." In den folgenden Jahren wurde Klein von ehemaligen Genossen des Frankfurter Revolutionären Kampfes (RK) unterstützt, die ihm schon bei seinem Ausstieg geholfen hatten. Prominente Ex-Genossen sind Joschka Fischer, Tom Königs oder Daniel Cohn-Bendit. Cohn-Bendit ist allerdings bislang der einzige, der zugibt, Klein bei seinem Ausstieg und ihn bis Anfang der 80er Jahre unterstützt zu haben. Ende der 80er Jahre vermittelte er einen Kontakt zwischen dem für das Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes verantwortlichen Verfassungsschützer "Benz" und Klein. Insgesamt kam es zwischen 1988 und 1993 zu insgesamt drei - ergebnislosen - Treffen.

Obwohl die bundesdeutschen Staatsschutzbehörden also lange über Kleins Aufenthaltsort informiert waren, erfolgte seine Verhaftung erst im September 1998. BKA-Beamte nahmen ihn im französischen Sainte-Honorine-La-Guillaume fest. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft beschuldigt den 52-jährigen Klein des gemeinschaftlichen Mordes und Mordversuches sowie besonders schwerer Geiselnahme. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Klein den Iraker Ali Hassan Khafali tötete. Sie stützt sich dabei auf eine Aussage von "Carlos". Klein dagegen behauptet, "Carlos" oder Gabriele Tiedemann wären die Schützen gewesen. Gabriele Tiedemann wurde 1990 vor dem Kölner Landgericht aus Mangeln an Beweisen freigesprochen. Fünf Jahre später starb sie an Krebs.

Mord bedeutet lebenslange Freiheitsstrafe, Strafmilderung gibt es in einem solchen Fall nur, wenn man sich als Kronzeuge zur Verfügung stellt. Kaum war Klein an die deutschen Behörden ausgeliefert, begann er ausgiebig zu erzählen. Ein Jahr nach Kleins Verhaftung wurde auf Grund seiner Aussagen der 57-jährige Rudolf Schindler festgenommen. Schindler sollte - laut Klein - den Rückzug des OPEC-Kommandos sichern. Allerdings gab Klein einen Decknamen von Schindler an, der nach Aktenlage in einem weiteren Verfahren eindeutig einer anderen Person zugeordnet ist.

Der Prozess begann am 17. Oktober unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Beide Angeklagten waren in Handschellen in den Gerichtssaal geführt worden. Am zweiten Verhandlungstag nahm Klein überraschend einen Teil seiner Anschuldigungen gegenüber Schindler zurück - beispielsweise dass er an der OPEC-Aktion beteiligt gewesen sei - und entlastete ihn damit deutlich. Rudolf Schindler hat bislang keine Aussagen gemacht.

Dieser Prozess wird wohl weitere Überraschungen bringen. Für Ende November ist vorgesehen, dass "Carlos", der Ende 1997 in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, als Zeuge in Frankfurt vernommen wird. Ebenfalls als Zeuge soll Tarek M. in Frankfurt auftreten. Tarek M., auf dessen Aussagen hin sechs Haftbefehle wegen RZ-Aktionen in Berlin ausgestellt wurden und vier Leute, unter ihnen auch Rudolf Schindler, im Knast sitzen, ist nach Angaben des BKA "eine wahre Fundgrube". Was Tarek M. zu diesem Fall beitragen kann, ist kaum ersichtlich. Von 1985 bis Anfang der 90er Jahre will er den RZ angehört haben. Bei Ereignissen, die zehn Jahre vorher stattfanden, kann er wohl kaum mehr als "Wissen vom Hörensagen" beisteuern. Im Berliner Verfahren scheint dies - soweit bekannt - bislang nicht anders zu sein. Dennoch gibt das BKA offen zu, dass sie mit seiner Hilfe "auch noch Jahre später Attentate der RZ aufklären" wollen. (jW, 16.10) Anscheinend ist der Frankfurter OPEC-Prozess das erste Testfeld für die neue Funktion von Tarek M. als Allzweck-Kronzeuge der Bundesstaatsanwaltschaft.

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http://www.freilassung.de/presse/opec/ak443.htm