Datum:
20.12.2000
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Zeitung:
tageszeitung
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Titel:
Der Kronzeuge: Frei und doch nicht frei
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Der Kronzeuge: Frei und doch nicht frei
Tarek Mousli bekommt eine neue Identität und monatlich 2.400
Mark vom Bundeskriminalamt plus Kosten für Miete, Versicherung,
Auto und Telefon. Wie lange er im Zeugenschutzprogramm bleiben wird,
steht noch in den Sternen
Formal ist der 41-jährige Tarek Mousil seit Montag ein freier
Mann. Doch davon war nichts zu spüren, als der Kronzeuge der
Bundesanwaltschaft den Gerichtssaal verließ. Eskortiert von
zwei Personenschützern ging er den Weg, den er alle die Tage
zuvor gekommen war: durch eine panzerglasgeschützte Hintertreppe
zu der Daimler-Kolonne, die ihn zum Flughafen brachte.
Das Kammergericht hat Mousli wegen Mitgliedschaft bei den Revolutionären
Zellen (RZ) sowie Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag zu zwei
Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die milde Strafe wurde
damit begründet, dass Mousli sechs weitere angebliche RZ-Mitglieder
belastet hat.
In einem im Frühjahr beginnenden Prozess wird Mousli als Kronzeuge
gegen die von ihm Beschuldigten aussagen. Er gilt als hoch gefährdet
und befindet sich deshalb im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes
(BKA). Er hat eine neue Identität bekommen, wohnt an einem
geheimen Ort und wird monatlich mit 2.400 Mark alimentiert, Kosten
für Miete, Versicherung, Auto und Telefon werden gesondert
vergütet.
Das Zeugenschutzprogramm wird meistens im Bereich Organisierte
Kriminalität und Terrorismus angewendet. "Es soll sicherstellen,
dass Zeugen ohne Angst vor Repressalien aussagen können",
erklärt ein BKA-Sprecher. "Die Maßnahme kann sehr
kurz, aber auch sehr lange dauern". Ausschlaggebend sei die
Einschätzung von Sicherheitsexperten. Der Etat, der dem BKA
und den Länderpolizeien für das Zeugenschutzprogramm zur
Verfügung steht, ist geheim. Wenn nötig, wird die gesamte
Familie des Zeugen mit einer Legende ausgestattet. Grundsatz ist
nach Angaben des BKA-Sprechers jedoch, dass der Zeuge finanziell
nicht besser gestellt wird als vorher, um keinen Anreiz zu Falschaussagen
zu bieten. Ziel sei, durch Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen
eine Reintegration des Zeugen ins Berufsleben zu erreichen. Voraussetzung
ist, dass der Zeuge radikal mit seiner Vergangenheit bricht. Mousli
wies im Prozess darauf hin, dass er "eine ganze Menge aufgeben"
musste, weil er als Karatelehrer an exponierter Stelle tätig
gewesen sei.
Dass ein Leben auf Kosten des Staates auch vergnüglich sein
kann, hat der Fall des ehemaligen V-Mannes Volker Weingraber gezeigt.
Jener war in den 70er-Jahren tief in den bis heute unaufgeklärten
Mord an dem Studenten Ulrich Schmücker verwickelt. Später
hatte Weingraber vom Berliner Verfassungsschutz 310.000 Mark zum
Aufbau einer neuen Existenz in der Toskana erhalten. Als sein Aufenthaltsort
1986 durch einen Spiegel-Bericht aufgeflogen war, hatte ihm der
Verfassungsschutz weitere 450.000 Mark zugesteckt. Statt sich eine
neue Bleibe zu suchen investierte Weingraber das Geld aber in sein
Weingut. Der Verfassungschutz hat ihn deshalb 1994 vor einem italienischen
Zivilgericht auf Rückzahlung der Summe verklagt. Am 6. Februar
2002 soll das Urteil verkündet werden.
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