Datum:
19.12.2000
|
Zeitung:
taz
|
Titel:
Kaufe Aussage, gebe Strafrabatt
|
Kaufe Aussage, gebe Strafrabatt
Nach dem gestrigen Urteil des Kammergerichts gegen Tarek Mousli
kochen die Emotionen hoch. Zwei Jahre Haft auf Bewährung für
den Kronzeugen und erste Aufwärmübungen für den eigentlichen
RZ-Prozess im kommenden Frühjahr
Die Zuschauer protestierten mit Pfennigstücken. Viele von
ihnen warfen die Münzen in Richtung Gerichstsaal und skandierten:
"Kein Deal mit dem Staat - Solidarität statt Verrat."
Dass es sich dabei um einen symbolischen Protest handelte, zumal
die Münzen weit entfernt von Mousli liegen blieben, war dem
Vorsitzenden sogleich klar. "War das alles?", fragte er,
drohte bei Wiederholung mit Ordnungsmaßnahmen und fuhr dann
ungerührt mit der Urteilsbegründung fort.
Zuvor hatte der Richter am Kammergericht sein Urteil im ersten
Berliner Prozess gegen die Revolutionären Zellen gesprochen.
Zwei Jahre auf Bewährung gab es für den 41-jährigen
Karatelehrer Tarek Mousli. Dem Antrag der Bundesanwaltschaft folgend
begründete das Gericht die milde Strafe mit der Kronzeugenregelung.
Mousli, der von 1985 bis 1995 den RZ angehörte, hatte nach
seiner Verhaftung im vergangenen Winter umfassend über Strukturen
und frühere Tatgenossen der RZ ausgepackt.
Entsprechend knapp fielen gestern die Ausführungen des Richters
zu Mouslis Tatbeitrag aus. Schon in den vergangenen Prozesstagen
hatte das Gericht sich keine Mühe gegeben, den Anstrich zu
wahren, gegen Mousli fände eine gründliche Beweisaufnahme
statt. Das Gericht befand den Angeklagten für schuldig, als
Mitglied der RZ an den Knieschussanschlägen auf den Leiter
der Ausländerbehörde Harald Hollenberg und den Richter
am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher sowie an einem
Sprengstoffanschlag auf die zentrale Sozialhilfestelle für
Asylbewerber beteiligt gewesen zu sein.
Zu seinen Gunsten wurde ihm nicht nur sein Geständnis und
die Preisgabe seines Wissens über die RZ zugute gehalten. Für
Mousli sprach nach Angaben des Richters auch dessen "linke
Biografie, die ihn in die Situation hineinmanövriert hat, und
die nicht von ihm zu verantworten ist". Der Richter meinte
damit, dass Mousli im Libanon geboren ist, die Bürgerkriegsereignisse
"hautnah mitbekommen" hat und "als Ausländer
nach Deutschland gekommen ist".
Zuvor hatten die beiden Vertreter der Bundesanwaltschaft in ihren
Plädoyers zu einem Rundumschlag gegen die linke Berliner Politikszene
ausgeholt. Sie nahmen damit Bezug auf die "Verräter"-Rufe
im Gerichtssaal und einen in der taz veröffentlichten offenen
Brief ehemaliger Bekannter von Mousli. In dem Brief war Mousli aufgefordert
worden, seine Aussagen zurückzunehmen. "Wer mit solchen
Emotionen reagiert", so die Bundesanwälte, "bestätigt
den Inhalt der Aussagen auf seine Weise."
Mousli wird von seinen früheren Bekannten besonders übel
genommen, dass er nicht nur seine politische Vergangenheit verrate,
sondern auch seinen besten Freund. Zur Ehrenrettung ihres Zeugen
führte die Bundesanwaltschaft an: "Mousli war nicht feige",
die Aussagen seien ihm nicht leicht gefallen. Auch ohne Kronzeugenregelung
hätte er bei einem vergleichbaren Geständnis Chancen auf
eine ähnliche Strafmilderung gehabt.
Das Urteil ist seit gestern rechtskräftig. Wenn Mousli im
kommenden Frühjahr im Prozess gegen Sabine Eckle, Matthias
Borgmann, Harald Glöde und Axel Haug auftreten muss, werden
ihm vermutlich andere Fragen gestellt werden. Ein Zuschauer kommentierte
den Prozess mit einer Frage: "Ob die Bundesanwälte wohl
auch so locker über Verrat reden würden, wenn einer ihrer
Kollegen die nächste Durchsuchung verrät?"
PLUTONIA PLARRE
|