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Datum:
07.12.2000
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Zeitung:
tageszeitung
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Titel:
Das Urteil steht schon fest
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Das Urteil steht schon fest
Seit gestern steht der Karatelehrer Tarek Mousli als mutmaßliches
Mitglied der "Revolutionären Zellen" (RZ) vor Gericht.
Höchstwahrscheinlich kann der Kronzeuge den Prozess als freier
Mann verlassen. Für Weggefährten ist er "ein Verräter"
Vor dem Kammergericht steht ein einsamer Polizeiwagen. Das wäre vor
15 Jahren anders gewesen. Bei einem vergleichbaren Prozess hätten
damals Sicherheitskräfte das Gebäude komplett umstellt. Erstmals
hat gestern ein mutmaßliches Mitglied der Revolutionären Zellen
(RZ) als Angeklagter in einem Prozess über seine Zeit bei der
Feierabend-Guerrilla ausgepackt. Die RZ hatten die Polizei zwischen 1973
und 1995 mit 186 Anschlägen in Atem gehalten.
Vor Gericht steht der 41-jährige Berliner Karatelehrer Tarek
Mousli. Aufgrund seiner Aussagen sitzen sechs angebliche
Kampfgefährten von früher seit annähernd einem Jahr in
Untersuchungshaft. Nach dem Ende des gestern begonnenen Prozesses wird
Mousli als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft gegen sie aussagen.
Spannung lag in der Luft, als der Kronzeuge gestern über eine
panzerglasgeschützte Hintertreppe in den Saal geführt wurde -
eskortiert von zwei Personenschützern des Bundeskriminalamtes.
"Ah, da isses, das Schwein", schallte es ihm aus den dicht
besetzten Zuschauerbänken entgegen. Viele kennen Mousli
persönlich von früher aus den 80er-Jahren, als er noch
Hausbesetzer in Kreuzberg war und in verschiedenen autonomen Initiativen
arbeitete. Unter seinem dunklen Rollkragenpullover zeichnete sich eine
kugelsichere Weste ab.
Als Mousli im vergangenen Jahr verhaftet wurde, hatte er eine
regelrechte Lebensbeichte über seine Zeit bei den RZ zwischen 1985 und
1995 abgelegt. Vor Gericht steht er jetzt wegen Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung und wegen des Sprengstoffanschlags auf die
Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber von 1987. Indirekt zur
Last gelegt werden ihm auch die Schüsse auf den Leiter der Berliner
Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, und den Vorsitzenden des
Asylsenats beim Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher.
Für den Fall, dass Mousli sich in dem Prozess voll geständig
zeigt, hat ihm die Bundesanwaltschaft eine Bewährungsstrafe in
Aussicht gestellt. Dass der Zweite Strafsenat des Kammergerichts Mousli
keine Steine in den Weg legen wird, hat der Vorsitzende Richter gestern
bereits angedeutet: Das Gericht pflege "nicht ohne zwingende
Gründe über die Strafanträge der Staatsanwaltschaft
hinauszugehen".
Zu Beginn seiner Aussagen wirkte Mousli angespannt. Die Verkrampfung
lockerte sich, als er seinen Lebenslauf erzählte: Wie er nach seinen
ersten Lebensjahren in Beirut mit seiner deutschen Mutter nach Deutschland
gekommen und später im Zuge des Studiums zur Hausbesetzerszene und
autonomen Bewegung in Berlin gestoßen war. Der Kampf der
Palästinenser um ihre Freiheitsrechte habe ihn politisiert. Weiter
erzählte er, dass er 1985 von Gerd Albartus, der später in der
arabischen Wüste liquidiert wurde, zu den Berliner Zellen geholt
worden sei. Dort sei er auf die sechs gestoßen, die er jetzt schwer
belastet: Sabine Eckle, Rolf Schindler, Harald Glöde, Axel Haug und
Matthias Borgmann sowie auf einen Mann namens Toni. Sie habe er seinerzeit
alle nur unter ihren Decknamen gekannt. Zusammen mit ihm, Mousli, sei sein
Freund Lothar Ebke zu den Zellen gestoßen. Letzteren der
Mitgliedschaft zu bezichtigen sei ihm besonders schwer gefallen, sagte
Mousli auf Nachfrage des Richters: "Er war mein bester Freund."
Eine Zuschauerin quittierte das mit dem wütenden Ausruf: "Du bist
einfach ein schmieriger Hund, ein Dreckskerl!"
Mousli berichtete weiter, dass er zu den Funkspezialisten der Berliner
Zellen gehört habe, die den Verfassungsschutz und alle relevanten
Polizeikanäle regelmäßig abgehört hätten. Dass es
Verbindungsleute zur Polizei gab, über die man auch direkt an
Einsatzpläne und Funkgeräte gekommen sei. Außerdem habe
Ebke von einem "Menschen bei der AL" regelmäßig
Informationen über die Polizei und den Innenausschuss erhalten.
"Wir waren ganz gut informiert."
Mousli gab zu, an allen Anschlägen, die ihm zur Last gelegt werden,
beteiligt gewesen zu sein - zusammen mit den übrigen Beschuldigten. Er
wisse vom Hörensagen, dass Rolf Schindler derjenige gewesen sei, der
auf Korbmacher und Hollenberg geschossen habe. Finanziert worden seien die
Aktivitäten der RZ unter anderem über einen
Koordinierungsausschuss, der legale und ilegale Projekte unterstützt
habe. Einer der Geldgeber sei ein Berliner Apotheker gewesen, der sein Erbe
in eine Stiftung gesteckt habe.
Er sei "ganz sicher", dass der Mehringhof ab 1987 als
Sprengstofflager gedient habe, Ebke habe ihm den Deckel zu dem
Fahrstuhlschacht gezeigt, wo das Depot gewesen sei. Es sei aber sehr
schwierig gewesen, diesen bei der Durchsuchung des Mehringhofs im Mai 2000
per Videostandschaltung wiederzufinden. Die Entscheidung, die RZ zu
verlassen, habe er nach der Liquidierung von Albartus gefasst. Diese Art
von Politik mache einen "kalt und hart, das haben auch die anderen
zugegeben".
Die Vernehmung machte dem Richter, einem älteren Herrn, dessen
Bäckchen langsam zu glühen begannen, sichtlich Vergnügen.
Während Mousli förmlich von "in Brand setzen"
sprach, redete der Richter von "abfackeln". Die vorhandenen
Widersprüche wurden von ihm nur am Rande, fast väterlich,
thematisiert. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.
PLUTONIA PLARRE
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