|
Datum:
05.01.2000
|
Zeitung:
Jungle World
|
Titel:
Angie macht Dampf
|
Angie macht Dampf
Rechtzeitig zum Auslaufen der Kronzeugen-Regelung plaudern Ex-Militante
ausführlich über das Innenleben der Revolutionären
Zellen.
Ob es heute noch nützt, über Fehler aus längst vergangenen
Zeiten nachzudenken? Damals jedenfalls, vor über zwanzig Jahren,
war man sich bei den Revolutionären Zellen (RZ) sicher: "HJK
ist ein Problem", so schrieben die Militanten im Mai 1977,
weil "er auch vor dem Verrat konkreter Einzelheiten, Strukturen,
Treffpunkte, Namen nicht zurückschreckt." Man müsse
damit rechnen, dass HJK - gemeint war der RZ-Abtrünnige Hans-Joachim
Klein - "zum Deal bereit ist, wenn er's nicht mehr aushält
oder wenn sie ihn erwischen".
Sie haben ihn erwischt. Nach 22 Jahren auf der Flucht
überwältigte ihn ein französisches Antiterror-Kommando in
dem 327-Seelen-Dorf Sainte-Honorine-La-Guillaume in der Normandie. Seit
Mitte Mai 1999 sitzt "Klein-Klein", wie ihn seine ehemaligen
Genossen nannten, im Untersuchungsgefängnis Weiterstadt. Im Laufe
dieses Jahres wird sich der 51jährige vor Gericht verantworten
müssen. Der Vorwurf: Klein alias "Angie" war am
Überfall auf die Opec-Konferenz in Wien 1975 beteiligt. Das
palästinensische Kommando erhielt damals freien Abzug. Drei tote
Geiseln blieben zurück.
Klein-Klein, selbst verwundet, tauchte wenig später wieder in der
Öffentlichkeit auf. Zunächst im Spiegel, dann bei Rowohlt.
"Rückkehr in die Menschlichkeit" nannte er seinen 1979 als
Buch erschienenen Appell eines "ausgestiegenen Terroristen", in
dem sich der Ex-Militante gegen bewaffnete linksradikale Politik stark
machte. Für RZ-Mitglieder, die nicht in den menschlichen Schoß
der bürgerlichen Gesellschaft zurückhüpfen wollten, war der
Aussteiger endgültig zum Problem geworden. Doch Klein-Klein hatte
offenbar trotz einschlägiger Kontakte, etwa zum
Verfassungsschützer "Hans Benz", während seiner Zeit
auf der Flucht keine Namen ausgeplaudert. Zumindest wurde niemand durch ihn
juristisch belastet.
Den Prozess wegen dreifachen Mordes vor Augen, änderte sich das
schnell. Zumal die Zeit drängte, denn seit wenigen Tagen ist Schluss
mit der Kronzeugen-Regelung. Zum Jahresende 1999, so beschloss die
rot-grüne Regierung, sollte sie auslaufen. Und nur dieses Gesetz
konnte Klein vor der sonst zwingenden Verurteilung zu lebenslanger Haft
retten. Dass die Gerichtsverhandlung erst später stattfinden wird,
stört die Strafverfolger dabei wenig. Der Frankfurter Staatsanwalt Job
Tilmann: "Wenn man zu der Ansicht kommt, dass Klein sich Vorteile auf
Grund seiner Aussagen verdient hat, dann wird er die auch nutzen
können."
Also plauderte Klein. Die Konsequenz: Beim anstehenden Prozess wird
neben dem unfreiwilligen Rückkehrer auch der Frankfurter Rudolf
Schindler auf der Anklagebank sitzen. Der 57jährige Werkzeugmacher
soll, so wollen die Ermittler von Klein wissen, unter dem Decknamen
"Philipp" Vorbereitungen für den Opec-Anschlag getroffen und
nicht zuletzt Klein-Klein für die Aktion mobilisiert haben. Schindler,
der im vergangenen Oktober verhaftet wurde, sei gar ein
"führender Kopf" der RZ gewesen, informiert Tilmann.
Für die Ermittlungsbehörden war Schindler schon vorher kein
Unbekannter. Als der ebenfalls der Frankfurter RZ zugerechnete Hermann
Feiling im Juni 1978 bei der Explosion einer Bombe Beine und Augen verlor,
nutzten die Fahnder die Gunst der Stunde. Unter Psychopharmaka gesetzt,
wurde der Schwerverletzte kurz nach dem Unfall im Krankenhaus vernommen.
Das Ergebnis: 1 300 Seiten vermeintliches Belastungsmaterial.
Dort waren auch die Namen Schindlers sowie seiner Lebensgefährtin
Sabine Barbara E. zu lesen. Sicherheitshalber entschieden sich die beiden,
von der Bildfläche zu verschwinden. Was sie dann unternahmen, bis sie
1991 wieder in die Rhein-Main-Metropole zurückkamen, entzog sich
bislang dem Wissen der Ermittler. "Wir sind davon ausgegangen, dass
sie im Ausland waren", erklärt Eva Schübel, die Sprecherin
der Bundesanwaltschaft (BAW).
Seit jetzt ein weiterer RZ-Verdächtiger seinen Kopf auf Kosten
ehemaliger Genossen und Genossinnen retten will, wissen die Strafverfolger
mehr. Tarek M., einst Aktivist in der Kreuzberger Szene, dann Betreiber
zweier Karate-Schulen in Berlin, hilft den Behörden spätestens
seit seiner Verhaftung am 23. November letzten Jahres, jene blinden Flecken
zu erhellen, mit denen die Fahnder immer noch zu kämpfen haben. Und
das ganz ohne Zeitdruck. Denn im Gegensatz zu Klein-Klein braucht der
40jährige M. erst gar keine Kronzeugen-Regelung, um von seinen
Denunziationen zu profitieren. BAW-Sprecherin Schübel: "Wenn
einer bereit ist auszupacken und dadurch die ganze Bande auffliegt, sind
auch so erhebliche Straferlässe möglich, vorausgesetzt, ihm wird
kein Mord vorgeworfen."
Ob nun tatsächlich "die ganze Bande auffliegt", steht
freilich in den Sternen. Zumal auch die Karlsruher Bundesanwälte, wie
Schübel bestätigt, nicht davon ausgehen, "dass die RZ noch
existieren". Es gehe also nicht um Verhinderung von Straftaten,
sondern um "Vergangenheitsaufarbeitung". Was nichts daran
ändert, dass Tarek M. mindestens vier Personen schwer belastet hat.
Demnach sollen Schindler und Sabine Barbara E. zwischen 1985 und 1990
illegal in Berlin gelebt und sich in dieser Zeit an mehreren Aktionen der
RZ gegen deutsche Asylpolitik beteiligt haben.
So etwa an Anschlägen auf den Vorsitzenden des Asylsenats beim
Bundesverwaltungsgericht, Günther Korbmacher, und die Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber. Angeblich mit in die RZ-Strukturen
eingebunden: Axel H., der Hausmeister des alternativen Zentrums Mehringhof
in Berlin, und Harald G., Mitarbeiter der dort untergebrachten
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM). Die beiden sollen Gelder
an illegale Militante weitergeleitet haben, zudem soll Harald G. nach
Worten des Kronzeugen an den Anschlägen beteiligt gewesen sein.
Seit die drei am 20. Dezember verhaftet und nebenbei die
Räumlichkeiten des Mehringhofs nach Waffen und Sprengstoff durchsucht
wurden, herrscht Verunsicherung in der Szene. Hat Tarek M.
tatsächlich, wie der Focus in seiner letzten Ausgabe behauptet,
"50 Genossen des 'klandestinen Kampfes'" verpfiffen? Ist
nun, wie das Blatt Schübel in den Mund legt, mit weiteren Festnahmen
zu rechnen? "Völliger Quatsch", reagiert die BAW-Sprecherin,
sie sei falsch zitiert worden. Das klingt glaubhaft: Planten die
Strafverfolger noch Verhaftungen, würden sie diese kaum vorab
über den Focus ankündigen.
Auch Rechtsanwältin Silke Studzinsky, die Anwältin von Harald
G., hat keine solche Liste gesehen. "Aber wenn jemand über so
lange Zeit in der Linken aktiv war wie Tarek M., kennt man natürlich
eine Unzahl irgendwelcher Namen." Die müssten nichts mit den RZ
zu tun haben, für eine Verdächtigung sind sie dennoch allemal
tauglich. Allein deshalb rechnet die Verteidigerin damit, "dass
weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet werden". Dass Tarek M.s
Aussagen noch andere Spuren hinterlassen werden, steht jedenfalls
außer Frage.
Schon jetzt ist die FFM, von Harald G. vor fünf Jahren
mitgegründet, in ihrer Arbeit eingeschränkt. Zwar sei die
Verhaftung eines mutmaßlichen RZ-Mitglieds und nicht die
antirassistische Gruppe "Ziel der Aktion" gewesen, schätzt
Dominique John von der FFM ein. Dennoch sind die Konsequenzen nicht zu
übersehen. Man müsse nun einiges hintanstellen. So etwa
Recherchen in Tschechien, um nachzuprüfen, was dort mit
Flüchtlingen geschieht, die in das Nachbarland abgeschoben werden.
Noch ein Bereich der FFM dürfte zunächst brachliegen: Harald G.
beschäftigte sich mit der Kriminalisierung von Taxifahrern, die im
grenznahen Raum Asylsuchende transportiert hatten.
Nun stehen nach Worten Johns die Verhaftungen im Vordergrund: "Wir
wollen ein relativ breites Spektrum, von den Autonomen bis zu kirchlichen
Gruppen und dem Brandenburger Flüchtlingsrat, gegen die
Kriminalisierung mobilisieren." Das dürfte nicht einfach werden.
Schließlich steht militante Politik etwa bei christlichen
Flüchtlingsunterstützern nicht unbedingt hoch im Kurs. Dabei
waren es gerade die RZ, die Mitte der achtziger Jahre propagierten, was
heute selbst kirchliche Initiativen vertreten: Die Notwendigkeit, gegen
deutsche Asyl-Politik praktisch, und wenn nötig auch mit illegalen
Mitteln, zu intervenieren.
Eine makabre Konsequenz: Durch die Ausweitung der Vorwürfe von der
Opec-Aktion auf die gesamte RZ kann sich der Beschuldigte Schindler
Hoffnungen zumindest auf eine kleine Öffentlichkeit machen. Denn
während die einst propalästinensische internationalistische
Ausrichtung der RZ, für die auch Plaudertasche Klein-Klein stand, in
der Linken nur noch auf Desinteresse stößt, sind die Inhalte der
RZ-Kampagne "gegen imperialistische Flüchtlingspolitik"
heute aktueller als je zuvor. Auch wenn eine der Zellen faktisch
stellvertretend im Januar 1992 "das Ende unserer Politik"
verkündete.
wolf-dieter vogel
|