Datum:
07.12.2000
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Zeitung:
Frankfurter Rundschau
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Titel:
Verräter-Rufe gegen Kronzeugen machen ihn für
Ankläger glaubwürdig
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Verräter-Rufe gegen Kronzeugen machen ihn für Ankläger
glaubwürdig
Im Prozess um "Revolutionäre Zellen" gesteht Mousli
Mittäterschaft und berichtet über Organisation der Terrorgruppe
Zum Auftakt des Prozesses um Anschläge der
"Revolutionären Zellen" hat der Angeklagte Tarek Mousli
seine Beteiligung gestanden und eine Reihe früherer Mitstreiter aus
der linken Szene belastet. Er berichtete ausführlich über Aufbau
und Arbeit der linksradikalen Terrorgruppe in den 80er Jahren.
Zorn schlug dem adretten Angeklagten aus dem Publikum entgegen, der in
grauem Rollkragenpullover und grauer Hose vor dem 2. Strafsenat des
Berliner Kammergerichts erschienen war. "Schwätzer", wurde
er beschimpft, "Verräter" und: "Ich wünsche Dir,
dass Du an Deinen Aussagen erstickst!" Bundesanwalt Rainer Griesbaum
nahm die Rufe mit Genugtuung zur Kenntnis. Er sah darin die
Glaubwürdigkeit des Angeklagten bestätigt, der für die
Bundesanwaltschaft Kronzeuge in weiteren Prozessen sein soll. Solche
erregten Reaktionen hätte es nach Ansicht Griesbaums nicht gegeben,
"wenn nur Lügen erzählt worden wären".
Der Kronzeuge schilderte am Mittwoch seine Beteiligung an den
Anschlägen auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde,
Harald Hollenberg, und auf den Bundesverwaltungsrichter Günter
Korbmacher in den Jahren 1986 und 1987, die er logistisch unterstützt
habe. Mousli wird voraussichtlich mit einer Bewährungsstrafe
davonkommen und das Gericht vor Weihnachten "als freier Mann verlassen
können", wie Ankläger Griesbaum sagte.
Bisher hat die Bundesanwaltschaft auf Grund von Mouslis Aussagen weitere
Verdächtige ermittelt, darunter den in Frankfurt im Opec-Prozess
mitangeklagten Rudolf Schindler und vier Personen aus der linken Szene,
deren Prozess in Berlin im nächsten Frühjahr erwartet wird. Am
Mittwoch beschuldigte der 41-jährige Mousli weitere Personen, die er
aber nicht namentlich nannte. So berichtete er von einem damaligen Mitglied
der Alternativen Liste, das die "Berliner Zelle" in den 80er
Jahren mit Telefonlisten und anderen logistischen Informationen über
die Ämter versorgt habe. Außerdem sprach er von einem
"szenebekannten" Apotheker, der Geld zur Finanzierung der
"Revolutionären Zellen" beigetragen habe. Ankläger
Griesbaum deutete an, dass es weitere Ermittlungen in dieser Sache geben
könnte: "Wir hören alles mit großen Ohren."
Nach Mouslis Aussage gab es zur Zeit seiner Aktivität für die
"RZ" von 1985 bis 1990 bundesweit drei Betätigungsgebiete:
die Gruppe "Pott" im Ruhrgebiet, die Zellen in Hamburg und Bremen
sowie die "Insel" Berlin mit zwei Zellen. In Frankfurt habe sich
eine Gruppe im Zuge der Proteste gegen die Startbahn West Anfang der 80er
Jahre aufgelöst. Um die Finanzierung habe sich in Berlin ein
"Ausschuss" gekümmert, der aus dem Vermögen des
Apothekers gespeist worden sei und "Geld für legale und illegale
Projekte zur Verfügung stellte". Den "Revolutionären
Zellen" seien 100 000 bis 150 000 Mark pro Jahr zugebilligt worden.
Davon seien jährlich 10 000 Mark an die "Funkgruppe"
gegangen, der sich Mousli zurechnete und die Funksprüche von Polizei,
Verfassungsschutz und anderen staatlichen Kräften abhörte.
RZ-Mitglieder, die in die Illegalität abgetaucht waren, hätten
1500 Mark im Monat erhalten.
Der 41-Jährige berichtete über eine so genannte
Postsparbuchaktion. Dafür seien 1986 Blanko-Sparbücher mit
falschen Namen ausgefüllt worden, rund 500 000 Mark hätten die
"Revolutionären Zellen" so an sich gebracht. Ankläger
Griesbaum sah diese Angaben als Beleg für die Szenekenntnis Mouslis.
Sie hätten die Aktion nicht als "RZ"-Unternehmung erkannt
ohne Mousli, sagte der Bundesanwalt.
Pitt von Bebenburg
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